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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PrSnumerMion«- PreiS 22^ Sgr. Tdü.) vierteljährlich, Z THIr. ün daS ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man xränumerirt auf dieses Literatur-Blatt in Berlin in der Expedition der Allg. Pr. StaatS-Zeitung (Fricdrichkstr. Rr. 72); in der Provinz so wie im AuSlande bei den Wohllöbl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. 28. Berlin, Freitag den 5. Marz 1841 Frankreich. Scenen aus dem Revolutionskriege der Emigranten. Von dem Grafen von Puymaigre. In den ersten Tagen des Juli 1796 bivouakirten wir in einer Anzahl von acht- bis zehntausend Mann ans allen Waffengattungen ans der Hochebene bei vem Städtchen W-, einem elenden Neste des Schwarzwaldes. Unsere Sprache, unsere Uniformen, Vie Weise unseres Kommando's, die Trommclschlqge, der Trompetenschall, kurz Alles kündigte uns als Franzosen an; wir trugen die weiße Kokarde, und unsere Fahnen waren mil Lilien durchwirkt. Wir bildeten das soge nannte Condusche Corps, als eine Division der Oesterreichischen Armee. Hier sah man sämnnlichc Abthcilungen der verschiedenen nach Französischem Erereckium diüziplinirten Regimenter: Infanterie, Dra goner, Jager, Hmaren; an dem geringen Raume, den sie im Bivouak emnahmen, an der Mannigfaltigkeit der Uniformen, die vor der Standarte hm und her wogten, erkannte man bald, daß diese Trup pen nicht vollzählig waren: sie bestanden nur aus angcworbenen Deserteuren oder Elsässischen Lauern, die cmigrirt waren, um den Proscriptioncn des Konvents zu entgehen, und die Lücken, die in Folge mehrerer mörderischer Schlachten in ihren Reihen entstanden waren, konnten nicht sogleich wieder ergänzt werden. Dort erblickte man die Schaareu der Freiwilligen zu Fuß oder zu Pferde, die mehr als das Dritthcil dieser kleinen Armee bildeten. Man nannte sie die adelige Schaar: cs war eine wahrhafte militairische Muster karte, ein bizarrer Zusammenfluß von Menschen von dem verschie densten Alter und den verschiedenartigsten Gewerben, Nichtadelige und Adelige, Alle durch ein gleiches politisches Mißgeschick an die Hingebung für eine unglückliche Sache gebannt. Hier siehst du den Sohu oder Renen eines PairS von Frankreich unter der Korporal schaft eines Bürgers, der im Dienste den Vorrang vor Jenem hat; dort einen alten höheren Offizier, der zu spät angekommen, um seinen Rang einzunchmen, als gemeinen Soldaten; jener Kavalier, dem hier seine Kameraden zum Scherz eine Streitsache über em Bündel Heu zu schlichten übertragen, war vormals ParlamentSrath gewesen. Der elegante, von allen seinen Kriegsgenoffen geliebte noch so junge Mann dort wird einst Gesandter am Hofe von St. Petersburg und Minister der auswärtigen Angelegenheiten werden: es ist LaserronnapS. Und jener ernste, stets nachdenkenbe Infanterist, der eben aus seinem Tornister einen halb zerrissenen Hora; hcrvor- zieht, läßt sich noch keineswcges träumen, daß er einst Großsicgcl- bewahrer werden und mittelst seiner Beredsamkeit Frankreich beherr schen wird: sein Name ist ve Serre. Wer ist jener junge Mann dort, dessen bleiche, abgehärmte Gestalt ein so dusteres Gepräge an sich trägt, das gegen die freie Heiterkeit seiner übrigen Kameraden so seltsam absticht? Jst's etwa «ine heftige Leidenschaft, die ihn verzehrt, oder sollte wohl auf ihm irgend ein Vergehen lasten? — Es ist Charles L. R. Das ihm widerfahrene Unglück hat ihn so ganz und gar niedergebeugt. Er war mit seinem jüngeren Bruder zugleich emigrirt; sie traten beide als Freiwillige in die Dienste eines jener Regimenter, welche da mals, von England auf dem Kontinent unterhalten, unter dem Bei namen der weißen Kokarde bekannt waren. Die beiden Brüder, die einander aufs zärtlichste liebten, hatten sich gegenseitig das feierliche Versprechen gegeben, daß Einer den Anderen auf jede nur mögliche Weise vor den grausamen Martern retten sollte, welche der von dem Konvent zur Nord-Armee abgesandte Prokonsul den aufgcfan- aenen Emigranten androhte. Als nun in Folge des unglückseligen Rückzuges des -Herzogs von Aork durch Holland, im Winter des Jahres ><9i, der junge x. R., plötzlich von einer Kugel tödtlich verwundet, vom Pferde stürzte, rief er seinem Bruder zu: „Erinnere Dich unseres feierlichen Vertrages, mache meinem Leben schnell ein Ende, damit ich nicht in die Hände der Wülhriche falle!" — „„Nein, cs geht über meine Kräfte"", entgegnete Cbarles; „„lieber würde ich mich auch gefangen nehmen taffen und zugleich mit Dir sterben."" —. „Ader unsere arme Mutter, — wer wird hier auf der Erde bleiben, um sie zu trösten?" Hierauf ergriff Charles mit ohnmächtiger Hand den Karabiner seines Bruders — „Schnell, schnell", rief ihm der Sterbende ^u, „sie kommen schon herbei." — Da verlor Charles seine volle Besinnung, es war ihm, als vernehme er wirklich das Stampfen der Rosse der feindlichen Husaren, und er drückt das Gewehr gegen die Brust seines Bruders los. Willst du die Eigenthümlichkeitcn dieser Kricgerschaarcn recht ins Auge fassen, so wende dich nur zu den Feuern des Bivouaks oder nach jener Wein- und Bierbude hin. Du würdest dich sehr irren, wenn du glaubst, hier lauter Leute anzutreffen, die, von Vor- urtheilen eingenommen, als lebendige Ueberreste einer verfallenen Aristokratie, unaufhörlich die Vergangenheit ins Gedächtniß rufend, allem Neueren schnurstracks cntgegenstehen. Dies ist keineswcges der Fall! Auch unsere Emigranten sind nicht auf ihren alten Stand punkten zurückgeblieben; sie haben sich vielmehr üi ihre neue Lage bereits gefügt: aus den ehemaligen Offizieren, Beamten und Guts herren sind gemeine Soldaten geworden. Ihre lebhaften, pikanten Unterhaltungen und derben Anekdoten tragen das doppelte Gepräge sowohl ihrer gegenwärtigen als ihrer vergangenen Verhältnisse an sich, das heißt, du findest hier eben sowohl das, was man gewöhn lich den guten Ton zu nennen pflegt, als auch jene pittoresken und mitunter trivialen Redensarten des gemeinen Soldaten, die als ein Tribut der Gegenwart entrichtet werden. Aber du vernimmst hier nichts von religiösem Skeptizismus, nicht ein Wort von Politik; die Thatsachen drängen einander zu sehr, als daß sie noch den Theoricen und Sophismen Raum lassen sollten. Alles ist im Han deln begriffen, und man diSkutirt über Nichts. Du hörst hier auch nichts von einem Selbstmord. Nicht etwa, daß cs dcn Leuten an Muth oder an Mißgeschicken fehlte, sondern weil noch lebendige Funken religiösen Glaubens im Innersten ihres Herzens walten. Eben eaber mangelte cs ihnen auch nicht an der nöthigcn Disziplin. Beim ersten Trompetenschall waren sie alle auf ihren Posten bereit, und drei Generationen der Condes dienten ihnen als Anführer und Muster. Inzwischen hatte unser Corps, das man mit Stolz, sey es in Be tracht der Leistungen, die man schon im voraus von ihm erwartete, oder weil man die nie in Erfüllung gegangene Absicht hegte, dasselbe auf 2d,mu> Mann zu bringen, die „Conbi'sche Armee" nannte, dadurch eine besondere Wichtigkeit erlangt, daß sein König, ja sein rechtmäßiger König, Ludwig XVIII., an die Spitze desselben getreten war. Bekanntlich hatte sich Ludwig XVIII., als Proskribirter von Allen verstoßen, im Jahre 1796 nach Verona gefluchtet, nach jener Vcnctianischcn Stadt, die fünf Jahrhunderte vorher einen anderen nicht minder berühmten Proskribirten in ihre Maucrn ausgenommen, ich meine Dante. Aber es war nicht mehr die Zeit der Ligue von Cambray, Venedig hatte schon lange keinen Dandolo oder Moncenigo zum Dogen gehabt; bereits altersschwach, glaubte die hohe Republik durch eine feige Handlung der eisernen Gewalt ihrer furchtbaren Schwester, der Französischen Republik, zu entgehen; sie erließ an dcn flüchtigen Monarchen dcn Befehl, auf der Stelle ihr Staatsgebiet zu verlassen. Bevor aber der König gehorchte, verlangte er noch mit eigener Hand seinen Namen aus dem goldenen Bucke zu streichen, in das die Vcnetianer seit Franz I. alle Französische Prinzen cinzu- tragen sich die Ehre gaben, und sofort warf cr sich in die Arme jener seiner getreuen Untcrthancn, die das Coudesche CorpS bildeten und die ihn zum Könige attskiesen. Es war damals ein kritischer Moment. Moreau hatte eben den Nbein überschritten und verfolgte die Oesterreichische Armee, von der das Condesche Corps dcn Nach trab bildete. Während der Verwirrungen dieses übereilten Rückzuges geschah es, daß wir zu W. zur Cour zugelaffcn wurden; hier, anstatt der Tuileriecn ein elendes Wirthshaus; anstatt des Thronsaals eine verräucherte Stube; ein Thürstehcr, oder vielmehr einer, der einst weilen die Stelle desselben versah, öffnete die Königliche Pforte, deren Doppelflügel er vergeblich aussuchte, und rief uns, dem Gebrauche gemäß, zu: „Meine Herren, der Köniff!" — Der König erschien; ick sah ihn zum erstenmal, er war -rr Jabr alt; cr trag die bcckt grauc Uniform des Condeschcn Gcncralstabes mit seine» uron-Epan lettcs; seine Taille war zwar nicht schlank, litt aber damals noch nicht an jener Beleibtheit, von bcr cr in späterer Zeit so sehr geplagt wurde; sein Brustbild war schön; sein Haupt zeichnete sich durch den Adel und die Regelmäßigkeit seiner Gksichtszügc so wie durch eine heitere Miene ans, die auf Vertrauen in die Zukunft deutete; seine Stimme war scharf und melodisch. Er sprach von seiner Lage, ohne weder zu prahlen, nock auch kleinmüthig zu erscheinen: unsere Hinge bung für seiiw Sache hatte ihn zur lebhaften Dankbarkeit hingerissen. Trotzdem stieg er von einer gewissen natürlichen Höbe nicht herab, und verstand cr cs gar wohl, vcr sonst so cinfachcn Scene einen er habenen, grandiosen Charakter zu verleihen. Ludwig's XriH. Gegenwart inmitten einer Division, die nicke nur seine Farben trng, sondern auch seinem Jnteressc ganz ergeben war, beunruhigte indessen bald daS Ocsterrcichisckc Kabinct, das demnächst auch den König bedeuten ließ, sich von der Armee zu cm-