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Wöchentlich erscheinen drei Nummer». Pränumeration«-Preis 22 j Silbergr. sf Thlr.) vierteljährlich, 3 Thlr. für da» ganze Jahr, ahne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Beit u. Comp., Jägerstraße Nr. 28), so wie von allen König,. Post-Acmtern, angenommen. Literatur des Auslandes. .4/ 44. Berlin, Sonnabend den 12. April 184S. Frankreich. Ueber Phantasmen. . Wie viel Erfahrung und Vernunft wir auch haben mögen, so werden wir un« doch selten dem Einflüsse entziehen, den die sogenannten unbegreif lichen Thatsachen auf unsere Einbildungskraft ausüben. Ja, wir können sagen, daß gerade die außergcwöhnlichsten und unmöglichsten derselben uns nie völlig ungläubig finden, denn wir verwerfen fie zwar mit dem Munde, weil wir keine Gründe für ihre Wahrscheinlichkeit haben; unser Herz aber ist gläu biger, als wir gestehen dürfen. Besonders ergötzen sich Frauen und Kinder an Wundergeschichten, und es scheint, als suchten sie ordentlich mit Gier jede Gelegenheit auf, sich zu fürchten. Wir Alle erinnern uns noch der grausigen Mährchen, in deren Welt unsere Phantasie groß gezogen wurde: wir fürch- teten uns, wenn die Stille und Dunkelheit der Nacht die Gestalten jener Er- zählungen und ihren Spuk wieder in unserer Seele weckten, und dennoch ver mehrten wir durch Fragen und später durch unsere Lektüre den Grund unseres Schreckens. So lieben denn auch die unwissenden Klassen und die kindlichen Völker jene Geschichten sehr, deren Helden Hexenmeister oder Gespenster find. Bor den Kaminfeuern unserer Bauerhütten, wie unter dem Zelte des Arabers in der Wüste, werden um die Stunde der Mitternacht fast dieselben Mährchen erzählt. Alle sind sie aus der Liebe zum Unbegreiflichen und Außergewöhn lichen hervorgegangen, der so manches schöne Gedicht, so manche rührende Legende zu danken ist. ES ist unleugbar, daß uns die Liebe zum Wunderbaren angeboren ist. Unsere Wißbegier bleibt nicht in den Schranken der wirklichen Welt, sondern steigt an der Hand der Phantasie in die überirdische. Mit den Sinnen können wir nur begreifen, jedoch mit der Einbildungskraft schaffen wir. Aber, was wir Wunderbares in den Sagen und der Geschichte finden, ist nicht etwa nur von einem Dichter geschaffen worden, damit die Ereignisse der wirklichen Welt in einem idcalischcn Gewände erscheinen. Denkt euch einen Dichter, der träumend von seinem Sopha aus in das Halbdunkel seines einsamen Zimmers starrt; sein Geist ist erfüllt von den Begebenheiten einer Wundergcschichte; noch liegen die Elemente des Gedichts in Unordnung zusammengewürfelt; aber bei angespannter Aufmerksamkeit findet er den leitenden Faden, das Chaos erhellt fich, und der Dichter sieht vor seinem inneren Auge, was er in den Geist Anderer einprägen will. Sein Traum nimmt Gestalt, Farbe und Leben an, und endlich sieht er nicht mehr in seinem Innern, sondern vor fich, wie etwas Fremdes, ihm AcußerlichcS, die Gestalten wandeln, die er selbst geschaffen hat. Hofsmann saß in den Dampf seiner Pfeife starrend, wenn er eines seiner Phantafiestücke dichtete. Die Rauchwolken nahmen die bizarren Formen seiner luftigen Gespenster an, und der Nebel, der ihn umgab, spie- gelte ihm die Ausgeburten seiner eigenen Phantasie zurück. Es giebt gewiß keinen Menschen mit etwas lebendiger Einbildungskraft, der nicht schon ein mal solche Visionen gehabt, wie Hoffmann sie gewöhnlich hatte. Bis hierher ist Alles natürlich, ja, wir könnten sagen, alltäglich, obgleich in dem Acußer- lichwcrdcn der Phantafiegebilde schon etwas mehr als bloße Erfindung liegt. Aber gehen wir weiter. Es wird Jemand von irgend einem Ereigniß er- griffen, dem er beigewvhnt hat. Die Erinnerung an dasselbe beschäftigt ihn lange Zeit, erlischt aber endlich. Plötzlich ruft sie ein unerwarteter Umstand wieder mit allen ihren Einzelheiten hervor. Geschieht dies unter Leuten, so wird es wahrscheinlich eine ganz gewöhnliche Erinnerung bleiben. Jener Mann sey aber allein an einem finsteren Orte oder gehe im Dunkel der Nacht durch ein weites Feld, so werden vielleicht alle jene Scenen, die seinen Geist beschäftigen, in der schattenreichen Atmosphäre noch einmal spielen. Bis setzt find wir noch in der Reihe der physiologischen Thatsachen. Wir brauchen keine mächtige Aenderung in der Richtung unsere- Geistes, noch eine gewisse Krankhaftigkeit, um solche Erscheinungen an uns selbst zu erfahren. Man begreift, daß ein Gedanke unsere Aufmerksamkeit so fesseln kann, daß wir auf einen Augenblick unsere Stellung zu ihm vergessen. Und in diesem Augenblicke, wo wir da- Gefühl unserer Individualität verlieren, mag die Phantasie unS leicht einen Traum für eine Wahrheit aufdrängen. Aber wir haben die Macht, uns aus diesem Schlafe aufzurütteln, unser eingeschläfertes Bewußtsepn den verirrten Sinnen zu Hülfe zu rufen, und meist bedarf eü nur eines Augenblicks, um den Spuk zerstieben zu machen. Leider aber giebt eS Fälle, wo der Wahn hartnäckiger ist und die Stimme der Vernunft die Geister nicht bannen kann. Das Phantom bleibt stehen vor euch ; ihr geht, es folgt euch-, ihr seyd allein, es setzt fich neben euch ; es sey Tag oder Nacht, dieselbe Vision ängstigt und drückt euch und droht, eure Lebenskräfte zu erdrücken. Also haben die Dichter und Abergläubischen ihre Spukgeschichten nicht völlig erfunden. ES giebt vorübergehende und bleibende Zustände des GemütHS, in denen die Ausgeburten unseres fieberhaften Hirns vor unseren Augen Gestalt und Farbe annchmen. Solche Beispiele sind außerordentlich häufig, und wir haben nicht nöthig, sie in den Zeiten zu suchen, wo man an Heren glaubte und vom Teufel besessen war. Im Jahre 1832 war ein Pariser Student der Medizin, der in der Luc äe Is Harps wohnte, bei den Ausgrabungen zugegen, die man um jene Zeit auf dem Platze des alten BarfüßerklostcrS machte. Man fand dabei mehrere unter irdische Gewölbe, in denen sich Ueberreste von Skeletten befanden, und der Stu dent benutzte die Gelegenheit, sich eine Sammlung von Menschenknochen zu machen. Anstatt sie aber in einen Kasten zu legen, detorirte er seine Stube damit. Als ihn darauf eine- Abends ein Kollege besuchte, trieb er lange mit ihm seinen Scherz über die osteologischcn Zierrathen. Der Student geleitet seinen Freund nach Hause; wie er aber wieder in sein Zimmer tritt, fühlt er einen Schauder. Er schreibt dies Mißbehagen einem Unwohlsepn zu und glaubt cS durch Rauchen und einige Schluck Branntwein vertreiben zu können. Nach dem er fich etwas besser befand, warf er fich auf sein Bett und schlief sogleich ein. Plötzlich ward er durch einen heftigen Schmerz im Handgelenk aufgeweckt, und dies träumte ihm nicht etwa, denn er sah deutlich das Fenster und unter schied im Mondlichte alle Gegenstände in seinem Zimmer. Anfangs hörte er verworrenes Getöse und Seufzen, und als er sich ansrichtete, um nach der Ur sache des Lärmens zu sehen, entwickelte sich vor ihm ein sonderbares Schau spiel. ES formten sich im Mondscheine zwei Reihen weißgekleideter Männer, die wie Silber glänzten und ihre Blicke fest auf ihn geheftet hatten. In diesem Augenblicke hörte er ganz deutlich einen Wagen durch die Straße rollen und die Uhr der Severinkirche schlagen. Um dem schrecklichen Gesichte zu entfliehen, wollte er aus dem Bette in die Stube springen, aber das Handgelenk, an dem er einen so heftigen Schmerz empfunden hatte, blieb unbeweglich, wie von einer überirdischen Macht gehalten, an seiner Stelle. Der Student blickte nach der Richtung seiner Hand und sah eine fremde Hand auf der seinigen; cs war die eines Geistlichen von hohem Wüchse und strengem Aussehen, der am Kopfende seines Bettes stand. Er versuchte vergeblich, fich gegen diesen Mann zur Wehre zu setzen, der ihn dazu verurtheilte, Zeuge des grausigen Auftrittes zu seyn, und ihn nicht früher losließ, als bis er eine lange Rede angehört hatte, in welcher häufig die Worte: „Jugend, Neugier, Kirchenschändung" vorkamen. Kaum war er aus dem Bette, als er ans Fenster stürzte und es hastig öffnete, um sich hinaus zu schwingen ; er glaubte, da er der Hand des Geistlichen ent ronnen war, nun die ganze Erscheinung los zu seyn — aber, wie groß war sein Erstaunen, als er zufällig die Augen auf sein Bett warf! Er sah fich selbst darin liegen und seine Hand unter der des Geistlichen. Die beiden Reihen von Männern waren noch immer in der Stube und bewegten sich feierlich hin und her. Fast eine ganze Stunde mußte er dem Spuk zusehen. Endlich, als der Tag zu grauen anfing und zu hoffen war, daß die Geister vor dem Lichte Ver schwinden würden, legte er fich wieder ins Bett, aber kaum war er darin, so fühlte er sich von neuem von dem Geistlichen erfaßt. Doch die fremde Hand wurde nach und nach kälter, je Heller die Stube wurde, und die Gestalten des Priesters und der Mönche verschwamme» allmälig. Bald darauf hörte der Student ein Geräusch, wie von Thürcn, die geöffnet und geschlossen werden, und die Vision war vollkommen verschwunden. Er schlief vor Erschöpfung ein; als er aber nach einigen Stunden erwachte, schmerzte ihn sein Handgelenk noch heftig und das Fenster war offen, wie er sich erinnerte, es in der Nacht gelassen zu haben. Der junge Mann, der jener Vision anheimsiel, hatte das Bewußtsepn von dem Orte, an dem er sich befand, und von den Gegenständen, die ihn umgaben, war also nicht der Spielball eines Traumes in der gewöhnlichen Bedeutung dieses Wortes. Ein zweites Beispiel wird den Unterschied eines solchen Phä nomens von einem Traume noch deutlicher zeigen. Ein Arzt, der ein Freund Walter Scott's war, wurde zu einem hohen Justizbcamten in London gerufen. Vermöge seines Amtes hatte derselbe die unumschränkte Entscheidung über eine gewisse Klasse von Kapitalien, stand je doch in dem Rufe der höchsten Rechtlichkeit. Als ihn der Arzt besuchte, bot er kein beunruhigendes Symptom dar, nur war an ihm eine große Traurigkeit auffallend, die durch nichts zerstreut werden konnte. Wenn man ihn nach dem Grunde derselben fragte, so gab er eine ausweichende oder keine Antwort. Diese Melancholie untergrub endlich seine Gesundheit. Beim Anblick der Ge fahr wurde der Arzt dringender und erklärte seinem Patienten, um ihn zu einem