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Wochenblatt für Wilsdruff, Tharandt, Nossen, Giebenlehn und die Umgegenden. Amtsblatt fiir die König!. Amtshauptmannschaft zu Meißen, das König!. Gerichtsamt und den Stadtrath zu Wilsdruff. Dieses Blatt erscheint wöchentlich zwei mal, Dienstags u. Freitags und kostet pro Quartal 1 Mark. — Jnseratenannahme bis Montag resp. Donnerstag Mittag 12 Uhr. 31. Dienstag, den 17. April 1877. Bekanntmachung. Nach anher erstatteter Anzeige ist es neuerdings vorgekommen, daß bei Begräbnissen auf dein Kirchhofe geraucht worden ist. Da hierin ein grober Unfug zu erblicken ist, so werden die Herren Gemeindevorstände hiermit veranlaßt, etwaige Contravenienten auf Grund von 8 360 unter 11 des Reichsstrafgesetzbuchs zu bestrafen oder zu diesem Behufs allhier anzuzeigcn. Meißen, am 10. April 1877. Königliche Amtshauptmannschast. von Boffe. BagesgefchichLe. Dresden, 15. April. Vor 14 Tagen hat Fürst Bismarck seine Entlassung erbeten. Diese Thalsache ist nirgends von ofstciöser Seite in Abrede gestellt worden. Durch Kaiserliche Cabinelsordre ist ihm nun ein „Urlaub auf unbestimmte Zeil" ertheilt worden, doch so, daß Sc. Majestät sich Vorbehalt, den Rath des Reichskanzlers jederzeit einzuholen. Die Stellvertreter (es sind deren drei) haben keine anderen Functionen, als diejenigen, welche ihnen obliegen, wenn der Fürst einmal auf zwei, drei Tage Berlin verläßt oder durch Krankheit einige Tage ans Zimmer gefesselt ist. Sie haben keine Verantwortlichkeit. Es unterscheidet sich der gegenwärtige Urlaub also eigentlich in Nichls von dem früheren bnsn rotiro in Varzin. Und doch ist ein wesentlicher Unterschied vorhanden. Bismarck hat schon oft seine Entlassung nachgesucht. Ob es ihm diesmal mehr Ernst damit gewesen ist, als früher, wissen wir nicht; so viel aber steht fest, daß die gegenwärtige Situation sein Abdankungsgesuch in ganz anderem Lichte und von ganz anderer Tragweite erscheinen läßt. Wir stehen — das dürfen wir uns nicht verhehlen — am Vorabende eines Krieges, von dem wir noch gar nicht voraussehcn können, welche Dimensionen er annehmen wird. Wenn indem Augen blicke derjenige deutsche Staatsmann, der seit mehr als einem De- ccnnium die Fäden der auswärtigen Politik Deutschlands leitet, seine Entlassung gibt, so kann das nur nach zwei Richtungen hin ver standen werden. Entweder sind die Gründe, die ihn zur Abdankung bestimmen, für ihn zwingende, oder er benutzt die bedenkliche Situation, um eine Pression auszuüben. Wir glauben nun, daß der Fürst patriotisch genug denkt, um nicht ohne zwingende Gründe in so schwierigen Zeitläuften sich zurückzuzichen. Andererseits sind wir weit davon entfernt, ihn einer so kleinlichen Handlungsweise verdächtigen zu wollen. Möglich, daß er sich selbst für abkömmlich hält, und das kann im Grunde Niemand so gut beurlheilen, wie er selbst. Ueber das politische Parteiweseu gibt der geistvolle Cultur- geschichlschrciber Niehl, der Land und Leute in Deutschland an der Quelle so gründlich und feinsinnig studirt hat wie kein Anderer, manchen bcherzigenswerthen Wink/ Der seit 1870 in Deutschland zur Herrschaft gelangte Realismus hat die Ansicht verbreitet, daß sick- politische Parteien bilden lassen etwa wie die Armee», die man zu- sammenkommandirt und nach dem Orte hindirigirt, wo sie nöthig scheinen. Riehl hält das für eine Verkennung des Wesens der po litischen Partei. — Keine Partei darf sich mit dem Volke für einerlei halten uud sagen oder glauben: ich bin das Volk, sondern jede Partei kann sich nur betrachten als „eine Stimme aus dem Volk." — Ohne die liberalen Parteien wären die Staaten versumpft. Parteien sind kein Uebel für den Staat, sondern ein nothwendiges Gut, woran sich freilich oft Uebel hängen. Der wahre Staatsmann schöpft aus ihnen Volkskemuniß, das Volk Selbsterkenntuiß. Nein Politische Parteien kommen in aller Welt selten vor, am seltensten in Deutschland. Kirchliche und sociale Interessen sind hier am meisten im Spiel. — Der deutsche Landmann, sagt Riehl, nimmt das Worr „Staat" gar nicht in den Mund, ebensowenig „Verfassung". Da gegen spricht er vom Kaiser, König, vom Amtmann, Landrath uud von der Regierung. Der Staat verkörpert sich ihm in Personen und iu einzelnen Thatsachen und Handlungen. Die armen Course, die dieser Tage in die Knie gefallen sind, haben Recht: cs wird Ernst. Die Türken haben das von den Großmächten unterschriebene, aber von den Russen diklirte Protokoll abgelehnt. Sie wollen zwar abrüsten, wie cs verlangt wird, aber nur gleichzeitig mit den Russen; sie wollen auch einen außerordent lichen Gesandten nach Petersburg schicken, um zu unterhandeln, aber nur, wenn auch Rußland einen außerordentlichen Gesandten nach Constantinopcl schickt u. s. w. Wenn nicht, nickt! — Das heißt nun Krieg. Der Vormarsch der Russen nach dem Pruth soll bereits begonnen haben, und ein russisches Manifest an Europa, daß das friedliche Lamm gezwungen sei, den bösen Wolf zu fressen, ist täglich zu erwarte». (Die ganze russische Armee soll den Vormarsch angetrcten haben.) Zwischen den Russen und Türken kommts endlich vom grünen Tisch zu den blauen Bohne». Die Türken fürchten den Krieg nicht, sie werden ihn muthig, begeistert, fanatisch führen; die 10,000 Tscker- kessen ihrer Vorhut werden den Kosaken zu schaffen machen. Die Donau ist ein breiter Bach, in welchem allerhand warnende Nußschalen herumschwimmen; das schwarze Meer wird sehr ungastlich werden und die bulgarischen Festungen gehen an die Arbeit. Die schwim menden Bastionen Englands setzen sich in Bewegung, um die russischen Versprechungen zu überwachen; bald wird sich Oesterreick zu ähnlichem Zweck über die Grenze bemühen — kurz, wir haben einen herrlichen Sommer vor uns. Die russische Friedenswuth, die russische Humanität spielen ihre Trümpfe aus, schlagen ganz Europa ein Schnippchen und cs muß sich zeige», ob und mit wem Rußland unter dem Tisch „gefüßeli" hat, ob »och Ehre und Treue in der alten Jungfer Europa ist. — Die russische» Pläne gehen weit; sic gehen auf Umklafterung des Südostens, aus die Herrschaft des Slavismus und Zerquetschung des Mittelstaates Oesterreich. So läßt sich die Augsburgerin von eine», rabiate» Berichterstatter in Wien sckreiben, wo man sehr fürchtet, bald in den Krieg hineingezogen zu werden. Die „N. A. Z." lenkt in einem Artikel au der Spitze ihrer neuesten Nummer die Ausmerksamkeit auf die Vorgänge hi», welche gleichzeitig nrit dem drohenden Kriegsausbruch im Orient sich in Italien und Frankreich vorbcreiten. Sie ist nämlich der Ansicht, daß die Ultramontane» jener Länder einen Kreuzzug gegen Italien in's Werk setzen wollen, dessen Ziel die Wiederaufrichtung der weltlichen Macht des Papstes sei. Im Zusammenhänge mit diese» Bestrebungen stehe die in de» letzten Wochen im Vatikan entwickelte Thätigkeit, ins besondere die sehr heftige Allokution des Papstes gegen die italienische Regierung und gegen die nationale Einigung Italiens, ferner eine sehr bezeichnende Kundgebung aus Frankreich. Der General Charette habe dem Papste ein Album mit de» Unterschriften von dreißiglausend Franzosen unterbreitet, die sich bereit erkläre», ihr Blut für die katholische Kirche uud die weltliche Macht des Papstes zu vergießen. Wenn nun auch dieses klerikale Armeecorps mehr in der Einbildung als in der Wirklichkeit cxistire» möge, so seien diese uud andere Kund gebungen in Frankreich dock sehr bedenklich, denn es scheine fast, als ob die neuerlich in Italien ausgetauchten, angeblich der rothen In ternationale angehörenden Banden der schwarzen Internationale dienstbar seien und so die Avantgarde des Corps Charette bildeten. London, 14. April. Das „Bureau Reuter" empfing folgende Nachricht: Petersburger Privatmeldung zufolge, wird die Kriegser klärung nicht unverzüglich erfolgen, Rußland wird wahrscheinlich erst eine die Situation erklärende Note an die Großmächte richten. Die russische Botschaft in Constatinopcl und sämmtliche Consular- beamte in der Türkei werden abbernfen, dann wird der Czar nach Kischeneff gehe», vo» wo aus die Kriegserklärung datirt werden dürfte. Constantiuopel, 14. April. Die Montenegriner coiiferirten heute zum letzten Male mit Safvct Pascha, welcher rundweg die Ab lehnung ihrer Forderungen erklärte. Hiernach richtete der Großvezier ein Telegramm an den Fürsten von Montenegro und zeigte demselben an, daß, nachdem die Friedensverhandlungen resultatlos geblieben