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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.05.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-05-07
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020507026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902050702
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902050702
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-05
- Tag 1902-05-07
-
Monat
1902-05
-
Jahr
1902
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Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—» Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr« Anzeigen sind stets an die E^ebition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz iu Leipzig. 96. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. Friedeusaussichte« ? * Pretoria, 6. Mai. („Reuter s Bureau".) Die Aus sichten auf Frieden sind hoffnungsweckend. Die Delegirten, die die einzelnen Connnandos aufsuchen, haben bei ihren Bemühungen, die Zustimmung zur Uebergabe zu erlangen, erheblichen Erfolg. Die Unversöhnlichen be finden sich hauptsächlich unter den Mannschaften Delarey's. * London, 7. Mai. (Telegramm. ) „Daily Tele graph" berichtet aus Johannesburg unter dem 3. Mai: Die Burghers in den Flüchtlingslagern hegen anscheinend keinen Zweifel über die Friedensfrage. In Klerksdorp und in anderen Lagern wird derFriedealssicher angenommen. Die Militärbehörden hegen etwas pessimisti schere (I) Ansichten über die jetzige Lage und lassen ihre Bereitschaft für eine zunehmend energische Durchführung des Krieges (l) nicht erlahmen. * Amsterdam, 6. Mai. Wie mitgetheilt wird, ist der gegen wärtige Aufenthalt des Or. Leyds in Utrecht keineswegs auf das Eintreffen besonderer Nachrichten zurückzuführen. vr. Leyds hat in Urrecht eine Wohnung; auch weilt seine Frau beständig dort, so daß ein öfteres Eintreffen des Gesandten auch ohne politischen Hintergrund erklärlich ist. Frau Stets«. Als ein Zeichen des nahen Friedens wird von -er eng lischen Presse u. A. auch vermeldet, daß Frau Steijn auf die telegraphische Aufforderung ihres Gatten, des Präsi denten des Oranje-Freistaates, hin die vorvorige Woche aus England nach Südafrika abgereist sei. Wie unlängst die gleiche, über Krau Schalk Burger und Frau Smuts, so ist auch diese Meldung eine der englischen Lügen, um den Frieden als gesichert hinzustellen und damit wieder un saubere Geschäfte zu besorgen. Wie Frau Schalk Burger nnd Frau Smuts nie in ihrem Leben, so ist Frau Steijn nie während des Krieges aus Südafrika hinausgekommen und wir- mit ihren Kindern zur Zeit von den Engländern im Concentrations lager bei Bloemfontein festgehalten. Sic hat vor nicht allzulanger Zett den bekannten Brief über die Cvncentrationslager geschrieben, den dieselben Blätter, die sie nun nach Südafrika zurückrcisen lassen, zum Abdruck gebracht haben. WaS des englischen, durch erdichtete Meldungen ge nährten Selbstbetrugs in der Frage des Friedens harrt, erhellt übrigens aus folgendem Ausspruche der Schwesterdes Präsidenten Steijn, die in einer Vorstadt Londons lebt: „Ich müßte meinen Bruder sehr schlecht kennen, wenn er sich jetzt unter Preisgabe der Unabhängigkeit für unser unglückliches Land ergeben sollte." Manie Botha. Man wird sich erinnern, daß Lord Kitchencr am 27. Februar dieses Jahres unter dem Mißbrauch des Majuba-JahrtageS ein lärmendes Telegramm nach London gesandt hat, in welchem er über seine — mehr als zweifel haften — Erfolge in der zweiten großen Treibjagd im Nordosten des Oranje-Freistaates berichtete. De Wet hatte sich bekanntlich innerhalb der englischen Linien be funden, diese aber, wie gewöhnlich, durchbrochen, hier, indem er eine größere Abthetlung Neu-Seeländer ver nichtete. In Kitchener's Depesche wurde damals auch ge meldet, daß der B o e r e n a n f ü h r e r M a n i e B o t h a gefallen sei. Erst viel später kamen Reuter und die englischen Kriegscorrespondenten mit ihrer Lesung über die Ereignisse, woraus rvir heute zum vorliegenden Thema folgende Stellen wiederholen möchten. „Die Boeren hielten nach dem Sturm und der Ver nichtung der Neu-Sceländer eine halbe Meile von der britischen Linie. De Wet, Steijn, Wessels und Manie Botha brachen durch. Botha kehrte wieder um, um die zurückgebliebenen Boeren anzuspornen, die Linie zu durch brechen, aber diese wagten sich nicht in das heftige britische Feuer, das die Lücke in der Linie von beiden Seiten be strich. Botha trachtete dann, wieder zu De Wet zu ge langen, wurde aber an vier Stellen durch den Nacken geschossen und zog sich zurück. Den folgen den Tag fand man ihn todt auf einer Farm." Dieses Alles ereignete sich am 25. Februar, was die Engländer aber nicht abhielt, denselben Manie Botha am 30. April, 15 Meilen im Südosten von Frankfort, zu überfallen nnd gefangen zu nehmen. So entstehen dann die die Boerenstreitkräftc so furcht bar decimirenden Verluste und die großartigen Erfolge der britischen Waffen! Politische Tagesschau. * Leipzig, 7. Mai. Wie Vorauszusehen war, hat sich der Reichstag zu der ihm vom Reichskanzler auS noch unbekannten Gründen zu- gemutbeten schleunigen parlamentarischen Erledigung der Brüsseler Zuckerconvention und der durch sie ver anlaßten Zuckersteuervorlage nicht bereit finden lassen, sondern hat mit großer Mehrheit beide Vorlagen an eine besondere Commission verwiesen. Herrschte doch von der äußersten Rechten bis zum linken Flügel der Nationalliberalen von vornherein volle Uebereinstimmung darüber, daß der Zuckersteuerentwurf so, wie er „geht und ste-t", pöllig uu- annehmbar sei. Und nachdem vorgestern in einem Com missionszimmer des Reichstags Geheimrath König, der Vorsitzende des Vereins der deutschen Rübenzucker interessenten, in einem längeren Vortrage dargethan hatte, daß die Brüsseler Convention ohne eine Reihe von durchgreifenden steuergesetzlichen Bestimmungen unberechen bares Unglück über die deutsche Industrie heraufbeschwören müßte, daß aber diese durchgreifenden Veränderungen steuer gesetzlichen Charakters in der Zuckersteuervorlage nicht zu finden seien, stand die Absicht der Mehrheit fest, diese Vorlage bei der ersten Lesung so kurz wie möglich zu behandeln und sie einer Commission zu überweisen, damit sie in dieser ent weder sammt der Convention wie in einem Grade ver schwinden oder gründlich umgearbeitet und zu einem brauchbaren Stützpunkte für die Convention gestaltet werden möge. Der Seniorenconvent der gestern vor der (ersten) Plenarsitzung zusammentrat, um über die Geschäftslage zu berathen, trug denn auch dieser Absicht der Mehrheit des Hauses Rechnung und beschloß, nach der Verweisung der Zuckervorlagen an eine Commission die Pfingstferien eintreten zu lassen, nach diesen am 3. Juni die Berathungen bei der Branntweinsteuer wieder aufzu nehmen und dann erst auf Grund der inzwischen zu sormu- lirenden Vorschläge der Zuckercommission die zweite und die dritte Lesung der Znckervorlagen vorzunehmen. Von einer trüben Ahnung beschlichen, gab freilich im Senioren convent der Abgeordnete v. Kardorff der Befürchtung Raum, daß trotz aller Beschlüsse des ConventS „wilde Männer" sich finden könnten, die durch Anzweifelung der Beschlußfähigkeit des Hauses die Neberweisung der Zucker vorlage an eine Commission zu hintertreiben gedächten. Von anderer Seite wurde dagegen angeführt, daß solche „wilde Männer" nur vorgeschickt zu werden pflegten, um die Ge schäfte gewisser Parteien zu besorgen. Und siehe, die Ahnung des Herrn v. Kardorff trog nicht. In der bald darauf beginnen den Plenarsitzung war kaum die Vorlage über die Militär pflicht in den deutschen Schutzgebieten mit einem Ver- besserungSanlragedesAbg.vr.Hasse in dritterLesunz angenom men worden, als der pfälzisckeBündler Lucke mit dcrForderung auftrat, die Zuckervorlagen von der Tagesordnung abzusetzen. Wer diesen „wilden Mann" vorgeschickt, ist ohne Weiteres klar; aber was er und seine Hintermänner damit beabsich tigten, ist uns vorläufig nur theilweise verständlich. Gerade dem Bunde der Landwirthe müßte doch unseres Erachtens viel daran gelegen sein, daß eine Commission sich baldigst mit den Zuckervorlagen beschäftigte. Man muß also an nehmen, daß das sachlich zwecklose Vorgehen des Herrn Lucke nur den Zweck einer Rache an dem Führer der Freisinnigen Vereinigung, Eugen Richter, ge habt habe, der sich bekanntlich vorgestern daö Ver gnügen machte, die Beschlußunfähigkeit deS Hauses fest stellen zu lassen, um zu verhüten, daß gegen den Vorschlag des Präsidenten die Branntweinsteuervorlage mit auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung gesetzt werde. Einer der Gründe, die Herrn Lucke zu seiner Forderung bewogen, war das Beispiel deö Herrn Eugen Richter zweifellos, der daraus erkennen kann, daß übles Beispiel nickt nur gute Sitten verdirbt. Denn in der Debatte über die Forderung Lucke's wurde auf das vorgestrige Vorgehen Rickter'S zurückgezrifsen, obgleich vorher im Seniorenconvente beschlossen worden war, auf jede Obstruclion als Revanche für den vorgestrigen Tag zu verzichten! Das Ende der widerwärtigen Debatte, die deutlicher als je die im Hause durch die Schuld der Radi kalen von links und rechts eingerissene Zuchtlosigkeit erwies, war die Feststellung der abermaligen Bescklußunfähigkeit des HauseS, die überdies künstlich herbeigeführt zu sein schien, denn die bald darauf anberaumte neue Sitzung zeigte ein beschlußfähiges Haus. Die kurze Pause wurde anscheinend benutzt, um die „wilden Männer" zu beruhigen, venn in derNachmiltags- sitzung war wenigstens von Obstructionsversuchen nichts mehr zu spüren. So konnte denn die Verweisung der Zuckervorlage an eine besondere Commission ohne Schwierigkeiten erfolgen und dann die Ferienpause beginnen. Die Mitglieder der Mehrheit können das Bewußtsein mit sich nehmen, daß sie in der Zuckerfrage aus sachlichen Gründen dem unmotivirten Drängen der Regierung entschiedenen Widerstand entgegen gesetzt haben. In dieses Bewußtsein mischt sich aber die peinliche Einsicht, daß durch die Scenen, die infolge des Treibens „wilder Männer" dem betreffenden Beschlüsse voraufgingen, das Ansehen des Reichstags wieder einmal vermindert worden ist und trübe Aussichten auf den weiteren Verlauf der langen Tagung eröffnet worden sind. Durch den unter so tragischen Umständen erfolgten Tod des Reichstagsabgeordneten Friedel ist eine Ersatzwahl im Rrichötagswahlkreisc Bayreuth nothwendig geworden. Dieser Wahlkreis ist mit Ausnahme der ersten Legislaturperiode, in der er im Besitze der Fortschrittspartei war, unausgesetzt nationalliberal vertreten gewesen. Die freisinnige Partei war freilich noch im Jahre 1890 so stark, daß sie bei den damaligen Wahlen nur um 850 Stimmen hinter den Nationalliberalen zurückblieb. Seitdem hat sich aber in diesem Wahlkreise dieselbe charakteristische Aenderung vollzogen, die sich in so vielen Wahlkreisen, in denen der Freisinn früher eine bedeutende Rolle spielte, nachweisen läßt: die freisinnige Partei hat von Wahl zu Wahl an Stimmen zahl verloren, während die Socialdemokratie in dem selben Maßstabe Fortschritte gemacht bat. Im Jahre 1890 wurden 6071 freisinnige Stimmen abgegeben, 1893 nock 3688, bei den letzten allgemeinen Wahlen aber nur noch 2314, so daß binnen acht Jahren die freisinnige Partei des Wahlkreises nahezu zwei Drittel ihrer Stimmen verloren har. Umgekehrt haben die Socialdemokraten bei den Wahlen von 1890 nur 1100 Stimmen erhalten, bei denen von 1893 bereits 2900 und bei denen von 1898 4200, so daß die social demokratischen Stimmen sich in den 8 Jahren nahezu ver vierfacht haben. Daß aber der socialdcmokratische Gewinn so gut wie ausschließlich auf Kosten des bürgerlichen Radika lismus erfolgt ist, ergiebt sich daraus, daß die für die nationalliberale Partei abgegebene Stimmenziffer durch das Anschwellen der socialistiscken Stimmen fast gar nicht berührt worden ist. Bei den Wahlen von 1890 erhielten nämlich die Nationalliberalen 6900, bei denen von 1893 6550 und bei den letzten allgemeinen Wahlen 6424 Stimmen; der Rückgang der nationalliberalen Stimmenziffer beläuft sich somit auf kaum 500. Nach den Fortschritten ter socialistischen Stimmenziffern in den Jahren 1893 und 1898 ist wohl anzunehmen, daß auch diesmal die socialdemvkratische Partei ebenso wie bereits in dem letzterwähnten Jahre, in die Stichwahl gelangen, also die Rolle spielen wird, die die freisinnige Partei in früheren Jahren spielen konnte. — Diese Veränderung der Lage im Wahlkreise Bayreuth lenkt die Aufmerksamkeit auf den anläßlich der Aus stellung einer Candidatur des Prinzen Heinrich viel genannten Wahlkreis Lübeck, weil dort in gewisser Beziehung ganzähnlicheVerhältnisse herrschen. Die Candidirung des Prinzen Heinrich war ja an sich ein etwas verspäteter Aprilscherz, aber ein gesunder Kern lag ihr doch zu Grunde: nämlich die Erkenutniß, daß nur durch eine volksthümliche bürgerliche Candidatur der Wahlkreis der Socialdemokratie entrissen werden könne. Die „Freisinnige Zeitung" erklärt dazu sofort, daß als eine solche nur eine Candidatur anzusehen sei, die alle volkSthümlichen Interessen vertrete, womit wohl nichts Anderes gesagt sein soll, als daß nur eine Can didatur der freisinnigen Volkspartei Aussicht auf Erfolg biete. Nun, wenn die freisinnige Volkspartei alle volkSthümlichen Interessen vertritt, so ist eS doch merkwürdig, daß bei den Wahlen von 1893 und 1898 keine andere größere Partei ein derart klägliches Ergebniß bei der Hauptwahl erzielte, wie die freisinnige Volkspartei. Gerade im Wahlkreise Lübeck hat sich dieselbe Erscheinung bemerkbar gemacht, wie in Bayreuth: der constante Rückgang des bürgerlichen Radikalis mus und der gleichzeitige Aufschwung der Socialdemokratie. Scheidet man die Wahl von 1893 auS, weil hier ein Candidat der freisinnigen Vereinigung als gemeinsamer bürger licher Bewerber ausgestellt wurde, so ergiebt sich, daß bei den Wahlen von 1881 4800, bei denen von 1884 3200, bei den nächsten Wahlen 2500, 1890 2100, 1898 nur noch 1700 frei sinnige Stimmen abgegeben wurden. Es ist also von Wahl zu Wahl ein Rückgang des Freisinns festzustellen. Dem gegenüber haben die Nationalliberalen von 1884 ab bis zu den letzten Wahlen (1893 ist, wie erwähnt, auszunehmen) regelmäßig zwischen 5000 und 6000 Stimmen erhalten, sind also in ihrem Besitzstände nur ganz geringen Schwankungen unterworfen gewesen. Ob ein gemeinsamer bürgerlicher Candidat einer Partei zu entnehmen sei, die dem socialistischen Feuilleton. S1 Der Militarcurat. Roman von Arthur Achleitner. Nachdruck derbelt» „In der Hitz' getrunken, die Neisegulden vertrunken, in einer Spelnnke Weibsbilder getroffen, angebandelt der blöde Tedesco mit einer Welschen " „Wie Sie bas aber genau wissen, Herr Curat!" staunte der Soldat im Ctvilanzug. „Gut kennen S' Ihnen aber schon aus, das muß ich sagen!" „Unsinn! Eure dummen Streiche kennt man, ist einer wie der andere, wenn die Kerls Urlaub kriegen und Geld im Sack haben!" „Ah so wohl! Freilich! Ganz genau so war's und nicht anders! Aber mit den waltschen Wetbets ist's ein G'frett. Mtttrunken habest s', dann hat mich eine mttge- zerrt, und wie ich wach worden bin, war ich alleinig in einer Mordspelunken und die Uniform war perdndo, pfutsch. SelleS walische Menscherl mutz mir frei die Uniform g'stohlen haben und 'S Geldbeutele auch. Ein zerfetzter Anzug ist in dem Kammerl gelegen, no, in der Noth ftsttzt der Teufel Fliegen, ich hab' da- miserable Klüfte! (Ge wand) halt an'zogen, und mein erster Gang mit Reu' und Leid ist der Marsch zu unserm Herrn Pfarrer! denkt hab' ich mir: Bist ein Tropf und Lump, Seppl, eine Schänd' ists, aber unser Pfarrer hat ein gutes Herz, unser Regiments- curat ist die gute Stund' selber, ein rarer Herr und guter Geistlicher! Der bettzt mich schon 'raus und hilft mir durch, bevor mich der Herr Oberst beim Ctvtlzipfel erwischt. Ge fehlt wiir'S, wenn mich die Herren Offictere in dem Schänd- klttftel sehen thäten. Bon der dummen G'schicht berfen s' überhaupt nit erfahren, sonst spazier' ich in'S Militär- crtminal, und meine Condutte ist aus Lebenszeit verhunzt. Ich bitt' Ihnen mit aufgebovene Händ', Hochwürden, helfen G' mir um Gotte» Jesu willen durch! Ich gelob'S heilig, in meinem Leben rühr' ich keine Walische mehr an, gewttz nimmer! Richt einmal anschauen, unsereiner bleibt allweil der Geleimte da herunter!" Corazza konnte ein Lächeln über diese» Gestänbnttz und die Selbswerurtheilung nicht unterdrücken, ward aber ernst, als er dem hereingefallenen Mann die Dummheit und Sünde vorhtelt und energisch tadelte. „Jo, ich bin ein Lump und dumm war ich wie die Nacht! Hauen S' mich' Hochwürden, hauen S' mir etliche um die Ohren, daß mir Hören und Sehen vergeht und es staubt aus die Luser, aber helfen S' mir in Gottes Namen zu einer andern Uniform!" „Ja, wie soll ich denn das machen, Beppo?" „Jo, wenn S' kein Geld nicht haben oder so viel grad wie ich, nämlich nix, dann spukt es in der Fcchtschul'l" „Du meinst, ich soll Dir eine Uniform kaufen?" „Jo, haben S' die Gnad' und Freundlichkeit!" „Daß geht nicht. In einer nagelneuen Uniform, die zudem hier nicht zu haben ist, werden doch die Herren Offi- eiere fragen müssen, wie der Seppl dazu kommt!" „Au weh, da haben S' recht, Hochwürden! Bleibt nix anders übrig, als Sie gehen pumpen!" „Pumpen, was?" „No, eine Jägeruniform aus der Monturkammer!" „Dann müßte ich ja -em betreffenden Corporal oder Officier die Geschichte von der gestohlenen Uniform er zählen." „Dös war wieder «'fehlt! Wissen S' keinen andern Ausweg, Hochwürden, Herr Curat?" Corazza dachte nach und forschte nach Straße und Osteria, wo der Soldat das Opfer des Weins und der Sinnenlust geworden. Sepp fuhr mit der Rechten ans Ohr und sprach: „Au weh, Zwick! Nicht eine Ahnung hab' ich mehr! Oder doch! Ich mein', ein Wasser war in der Nähe!" „Ah, ich verstehe! Es wird eine Schifferkneipe am Hasen gewesen sein." „Ist schon möglich, griä' Herr! Aber nützen wird'S nichts, das Nachfragen dort! Die Lumpen werden meine Uniform schon längst verschachert und versilbert haben!" „Hör' mich an, aber aufmerksam, Beppo! Du bleibst so lange in meiner Wohnung, unter allen Umständen hier, bis ich wiederkomme, verstanden?" „Zu Befehl, Hochwürden!" „Gut! Mit keinem Schritt gehst Du auS meiner Noh- nung und bleibst hier in ctviler Bereitschaft. Ich gehe unterdessen zur Municipalpolizei, erstatte die Anzeige von dem Unfformdtebftahl und sorge dafür, daß die Uniform durch die Sicherheitsorgane wieder herbeigeschafft werde!" „O, vergelt's Gott in den Himmel auffi, Hochwürden! Jo, Sie sein ein guter, ein rarer Mann! In der ganzen Armee und bet der Militär überhaupt giebt's keinen befferen Euraten! D rum gehen wir auch Alle durch » Feuer für unfern Soldatenpfarrer! Haben S' die Gnad' und Ehr' und schauen S', daß Sie meine Uniform wieder erwischen! Gott wird Ihnen die Gutthat schon belohnen, und die besten Kirchtagnudeln von daheim, wenn ich welche krieg', die bring' ich Ihnen, Herr Pfarrer, aus Dankbar keit!" „Unsinn! Behalt' Du nur Deine Sachen selbst! Und so Gott will, bekommen wir die Uniform wieder! Die Strafe für Deine Sünden und Deinen Leichtsinn werde ich Dir schon dann dicttren!" „Jo, ist recht, Herr Pfarrer! Strafen S' mich, prügeln S' mich, aber verratben Sie nix und schauen S', daß ich die Uniform Wiederkrieg'. Ich zieh' sie gewiß nimmer aus, bis ich frei werd' von der Militär!" Corazza ging, nachdem er die Wohnung abgeschlossen und dem Sepp nochmals befohlen hatte, hier zu verbleiben. Mit eiligen Schritten strebte der Curat, dem selbst daran lag, die Uniform vor jeder Profanation zu retten, dem Municipalgebäude zu, um den Chef der Stadtpolizet auf zusuchen. Auf der Piazza Mercato stand eine johlende Menschenmenge vor einer Gewölbeauslage und beguckte lärmend irgend einen ausgestellten Gegenstand, wobei die Exaltirtestcn immer wieder unter schallendem Gelächter mit den Fingern an die Glasscheibe klopften. Ein Stadtpolizist stand gelassen in der Nähe nnd ließ die Männer ungestört lärmen. An diesen Schutzmann wandte sich Corazza mit der Frage, ob der Polizeichef auf dem Bureau sei, und als der Mann bejahend antwortete, fragte der Curat, was denn der Spcctakel vor dem Kaufmannsladen zu bedeuten habe. Gleichgiltig meinte der Schutzmann: „Eine Patatc- Uniform ist ausgestellt." Corazza wußte genug und eilte zur Polizei. Im Laden lag richtig Seppl's Uniform mit Bajonett, darüber ein Zettel mit der großgeschriebenen Aufschrift: „8i voucis per wottivo parteuru per 1'ItLlia. l'rerru 50 t tsm." *) Den Spott und Hohn verstanden die Leute sowohl auS der Verkäuflichkeit einer Soldatcnuniform, wie aus der lächerlichen Preisangabe, der Mob gaudirte sich, der „Spaß" deucht dem Janhagel köstlich. Und nicht wenig mochte zu dieser „Hetz" beitragen, daß der Polizist den Vorfall völlig tgnorirte. *) „Verkäuflich wegen Abreise nach Italien. Preis 50 Len« tesimi." Mit fliegenden Worten hatte Corazza dem Polizetchef Meldung von dem Diebstahl erstattet und beigefügt, daß die Uniform durch die Schaustellung zu einer militürfeind- lichen Demonstration benützt werde, weshalb die Polizei eingreifen müßte, zumal der Vorfall unübersehbare Folgen heraufbeschwören könne, wenn der Kommandant von der Geschichte Kcnntniß erhalte. Der Polizetchef begriff die Gefahr einer derartigen De monstration unter den vhnhin verschärften Verhältnissen und gab Ordre zu sofortiger Zerstreuung des rapid an wachsenden Janhagels, wie zur Confiscation der Uniform, die Corazza eingehändigt werden solle. Den Platz zu säubern, kostete aber bereits Mühe; der Mob wollte sich diese Gelegenheit zur Verhöhnung de? Militärs nicht so leicht entziehen lassen und leistete Wider stand. Es bedurfte des Aufgebots aller verfügbaren Poli zeimannschaften, bis die Demonstranten verjagt werden konnten. Eine Viertelstunde später hatte Corazza Uniform und Bajonett des verunglückten Soldaten in Händen, und packte der Curat die Gegenstände in Zeitungspapter, um dann das Packet dem Sepp Heimzutragen. Von einer Unter suchung des Falles in der Lotwga al porto wollte der Polizeichef aber nichts wissen. Seine Weigerung brachte Corazza auf die Bermuthung, daß womöglich die ganze «'be schichte zu Demonstrativnszwccken in dem Moment ein gefädelt sein könnte, als die Bottegaleute einer wirklichen Uniform habhaft geworden waren. Also erst ein gewöhn licher Diebstahl, der schließlich politisch zur Ausbeutung geplant war. Auf dem Heimwege überlegte der Curat, ob nicht doch dem Connnandanten Mitthcilung gemacht werden solle. Geschieht dies, dann wird die exemplarische Bestrafung des Soldaten unvermeidlich. Ob aber die Urheber der so ziem lich vereitelten Demonstration gefaßt werden können, bleibt zweifelhaft, zumal die städtische Polizei offenbar in dieses Wespennest nicht steche» will. Sepp wird sich den Vorfall gewiß merken und künftig die Finger von welschen Weibern lassen. So entschloß sich Corazza denn, die Uni form dem Soldaten cinzuhändigen, und den Mann sogleich für den Rest seines Urlaubes in die Heimath zu schicken. Die Domcstiea war unterdessen, nachdem sic Brief und Teppich der überraschten Dame übergeben hatte, in die wohlvcrschlvssenc Curatenwohnung zurückgekehrt, und ging daran, den Pranzo, die Mahlzeit für Sc. Hochwürden in üblicher Einfachheit zu bereiten. Da» Gepolter unrqs-
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