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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 17.06.1910
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1910-06-17
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19100617023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1910061702
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1910061702
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1910
-
Monat
1910-06
- Tag 1910-06-17
-
Monat
1910-06
-
Jahr
1910
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Bezugs-Preis für Leipzig und «Vororte durch mifrr, träger und Spediteur« 2mal ttgl'ch in« Hau« gedrachi - iXt o> uionail.. 2.70^» »ierteliährl Bei uniern N'Ualeu u. Au» »ahmeilellen aogedolt 7S monatig vierteliSdrl. vurch dir Sok: tnnerhald LeuOch.anv« und der deutfchen Kolonien vierielMrl 6.60 monatl. töt» .Nk au«Icht Pvttdettellgi'ld. ferner in Belgien, Dinemar! den Donauslaaien, Italien, Luremdurg, >>liederland«. Nor wegen, Oesterreich Ungarn, «ußland, Schweben, Schwei» u Spanien In allen übrigen Staaten nur dlreki durch di« Äelchtlt»ltelle »e« Blatte« erhältlich. Da« umringe, iagedlatt -richen» 2 mal täglich Sonn- » g«,-riag« nur morgen«. Adonne «ni-Annuou» BugulluBplatz 8, bei unteren trägern jtnlialea Spediteuren und Annahmestellen iowu Bollämtern und Briefträgern »>n,,l»elta»t«pre»« »er Morgen» «ltgad« 1v der «dendautgad« ii Redaktion an» Teichafttkeller Johanni«gaffe 6, gernlprecheri I46SL lISitt, (4SS4. Abend-Ausgabe. MpMerTagMÄ Handelszeitung. Amtsblatt des Rates und des Rolizeiamtes der Lladt Leipzig. Anzeigrn-PreiS für Inferat« au« Leipzig und Umgebung di« Sgeipaltene KO mm breit« Petttzeile 26 2Z, di« 74 nun breite Neklamejeile I von autwärt« ov 2z, Steklameu 1.20 Inferate oon Behbrden «m amtlichen Teil dt« 74 wm breite Petiizeile 40 Gefchästtanzogen mit Platzvorlchriften und tu der Abeudauigabe im Breis« erhöht. Rabatt nach Tarif. Beilagegedühr ü p. Taufens exkl. Postgebühr. sfellerteilte Aufträge Wunen nicht zurück- gezogen werden. Für da« Orfcheincn an veftimmten Tagen und Plätzen wird kein« Garantie übernommen. An^gen-Annahme: LuguKusplatz 8, bei fimtlichen Filialen u. allen Annoncen- Gxpedltioncn des Ja» und Ausländer. Haupt »Filiale BrrU». Carl Duncker. her,ogl. Bahr. Hofbuch» Handlung, Lützowstlabe 10. iLelephoil VT, Nr. 40oll). Paupt-Filiale Lretzdem Seeftratze 4, t (Telephon 4621). Nr. tSS. lO4. Zshrysng /rettag, üen 17. Juni 1910. pollttsche Nschrlchten. Das Befinden des Kaisers. Berlin, 17. Juni. (Tel.) Das Befinden des Kaisers gibt zu keinerlei Besorgnissen An laß. Die Unpäßlichkeit ist unbedeutender Natur. Nur die Tatsache, Laß dem Monarchen während der Kieler Woche Repräsentation sp fl i ch - ten mannigfaltiger Art erwarten, denen sich der Kaiser nicht entziehen möchte, zumal dabei diplo matische und internationale Inter essen oft eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen, hat ihn veranlaßt, sich auf ärztlichen Rat für die nächsten Tage Schonung aufzuerlegen. Bei der Indisposition des Monarchen handelt es sich um eine leichte Schwellung am rechten Kniegelenk, an dem sich die Stauung gebildet hat, die die Blutzirkulation be einträchtigt. Dem Kaiser ist von den behandelnden Aerzten nur Schonung in körperlicher Beziehung auf erlegt worden, und auch nur insoweit, als der Patient nicht ausreiten soll. Bettruhe ist nicht ver ordnet worden. Es ist fraglich, ob bei der leichten Erkrankung des Kaisers Bulletins ausgegeben wer den. Die Fahrt nach Hamburgist auch von seiten der Kaiserinaufgegeben worden. Aus der nächsten Umgebung des Kaisers wird fol gende authentische Mitteilung gemacht: Die Unpäß lichkeit des Herrschers ist absolut harmloser Natur und steht in keinem Zusammenhang mit dem kürzlich operierten Furunkel am Handgelenk. Der Kaiser, der auf einer Chaiselongue ruht, empfängt Besuche. Er ist zwar über die kleine Unpäßlichkeit etwas verstimmt, aber sonst guter Laune. In maßgebenden Kreisen wird darauf gerechnet, daß die Folgen in acht Tagen überwunden sein werden. Von der Möglichkeit, daß der Kaiser an der Kieler Woche nicht teilnehmen wird, oder von einer Hinausschiebung der Nordlandsreise ist bisher nicht die Rede. Deutschland und Frankreich. Paris, 17. Juni. (Tel.) Baron v. Lanken, der augenblicklich den deutschen Botschafter in Paris, Fürsten Nadolin, vertritt, überreichte gestern dem französischen Minister des Aeußern, Pichon, eine Note der deutschen Regierung, in der die deutsche Regierung die Erhöhung des Zoll tarifs auf moussierende Weine, Cham pagner und Kognak vom 1. Juli ab ankündigt. Baron o. Lanken erklärte dem Minister Pichon, daß die Zollerhöhung von der deutschen Regierung be schlossen worden sei, um ein Defizit von 11 Millionen, das sich in den letzten beiden Monaten ergeben hat, auszugleichen. Man ist, wie der „Matin" schreibt, über diesen Entschluß der deutschen Regierung um so mehr erstaunt, da Deutschland erst kürzlich durch die französische Kammer in bezug auf die Einführung von Spielwaren bedeutende Zugeständnisse ge macht worden sind. Zur Borromiius-Enzyklika. Reichenbach i. Schl., 17. Juni. (Tel.) Als Pro - test gegen die Borromiius-Enzyklika soll vor der evangelischen Kirche in Reichenbach in Schlesien ein L u t h e r d e n k m a l errichtet werden. Zur Beilegung der englischen Krisis. London, 17. Juni. (Tel.) Asquith und der Lordkanzler hielten heute nachmittag eine Be sprechung mit Balfour und Lord Lansdowne im Privatzimmer des Premierministers im Unter hause ab. „Preß-Association" teilt mit, daß man sich für eine förmliche Konferenz zwischen Bertretern beider Parteien üb er die konstitutionelle Krisis geeinigt habe. Die erste Sitzung soll in der nächsten Woche abgehalten werden. Lord Knol - lys und einer der Sekretäre des Königs begaben sich am Nachmittag nach Downingstreet und darauf zum Unterhause. Internationaler verband der Post- und Telegraphenbeamten. Paris, 17. Juni. (Tel.) Der in Marseille abge haltene Kongreß der Vereine der französi schen Post- und Telegraphenangestell- t e n beauftragte einen Ausschuß, sich mit den aus ländischen Postbeamtenvereinigungen in Verbindung z^ setzen und für das nächste Jahr eine inter nationale Konferenz einzuberufen, die die Satzungen für einen internationalen Verband der Post- und Telegraphenbeamten auszu arbeiten hätte. Dieser Verband soll sich u. a. mit Dienstangelegenheiten, mit der Verbesserung der Stellung der Berufsgenossen, sowie mit der Frage eines internationalen Ausschusses von Postbeamten beschäftigen. Rückkehr des Königs von Griechenland. Athen, 17. Juni. (Tel.) Der König traf gestern abend hier ein und wurde auf dem Bahnhof von den Ministern, dem diplomatischen Korps, dem Me tropoliten von Athen und dem Generalissimus empfangen. Vom Volke wurde der König durch herzliche Zurufe begrüßt; namentlich auf dem Platze vordem Palais hatte sich eine große Menge eingefunden, die dem König freundliche Kundgebungen bereitete, wofür dieser, auf die Frei treppe heraustretend, dankte. Zur Kretafrag«. Petersburg, 17. Juni. (Tel.) Hier verlautet, daß die russische Regierung sich für die Lösung der Kreta frage auf folgender Basis einsetzen wird: Vorerst er- hält Kreta die Autonomie, wobei die tür kische Souveränität durch Schaffung eines jähr lichen Tributs ausgedrückt wird. Später wird die Autonomie derart erweitert, daß die kretische Re gierung ermächtigt wird, solche Verträge und Verein barungen abzuschließen, die das Verhältnis zu Griechenland so innig als möglich ge stalten. Malta, 17. Juni. (Tel.) Der englische Kreuzer „Di inerva" ist von hier nach Kanea abgegangen, wo sich bereits der englische Kreuzer „Diana" befindet. Zusammenstoß zwischen Marokkanern und französischen Truppen? Madrid, 17. Juni. (Tel.) Ein von den Zeitun gen veröffentlichtes Telegramm aus Melilla be richtet von hartnäckigen Gerüchten, daß vierhun-. dert Marokkaner den französischen Militärposten bei den Beni Erassenin der Nähe von Muleiga angegriffen hätten und die Verluste auf beiden Seiten beträchtlich seien. Tsgeschronik. Beileid der Kaiserin zum Brand des Syrischen Waisenhauses. Die evangelische Mission im Heili gen Lande zu Köln erhielt anläßlich des Bran des des Syrischen Waisenhauses in Jerusalem folgen des Telegramm: „Berlin, Schloß, IS. Juni. Pastor Schneller-Köln. Ihre Majestäten sind tief er schüttert über das schwere Brandunglück, das das Syrische Waisenhaus betroffen hat und sprechen Ihnen ihre herzliche Teilnahme aus in der Hoffnung, daß weite Kreise'sich an dem schnel len Wiederaufbau Ihres Hauses be teiligen und es bald noch schöner als bisher Wie dererstehen wird. Die Stiftung auf dem Oel - berg ist von Ihren Majestäten angewiesen, nach Möglichkeit bei der Unterbringung der Obdachlosen zu helfen, gez. Freiherr v. Mirbach." Der Rooseveltprosessor. Berlin, 17. Juni. (Tel.) Der erste Inhaber der Rooseveltproiessur an der Berliner llniverstiät, Bür ge^ ist mit seiner Gattin in Berlin angekommen und wird einige Wochen hier verweilen. Selbstmord. Berlin, 17. Juni (Tel.) Das Gerücht von einem Morde war gestern durch einen Lcichenfund verursacht worden, der in einem Roggenfeld in Mariendorf g:- macht wurde. Die Ermittelungen ergaben, daß Selbst mord vorliegt. Es handelt sich um den 2Lzührigen Fabrikanten Kohlmetz, der schon seit dem 6. d. M. vermißt wurde. Geschäftliche Schwierig keiten scheinen ihn zu diesem Schritt getrieben zu haben. Erneutes Auftreten der Haarkrankheit. Berlin, 17. Juni. (Tel.) In der neunten Ber liner Temeindeschule erkrankten IS Knaben an der neuerdings hier auftretenden Haarkrankheit Mikro- s p o r i t. Aus den Hochwassergebieten. Echlettstadt, 16. Juni. (Tel.) Aus Diebolsheim und Rheinau wvrd einBruchdesQuerdammes gemeldet. Die Wasserwehren der beteiligten Orte errichteten Notdämme, da Diebolsheim bedroht war. Die Markolsheimer Brücke wurde im Laufe des Tages durch angeschwemmtes Holz gefährdet und der Ponton schwer beschädigt, wobei inan bemerkte, daß unter der Brücke zwei Leichen hinaustneben. Bei Markolsheim und Rheinau überflutete der Rhein überraschend schnell Wald und Feld, stellenweise sehr hoch, z. B. bei Markolsheim im sogenannten Nieder holz, einem fruchtbaren Ackerland, 1^ Meter hoch, ebenso bei Boozheim und Schönau. Die Feldsrllchte der ganzen Umgegend sind in Gefahr. Die Zufahr straßen sind für Wagen nach Rheinau, Schönau und Markolsheim in völlig unpassierbarem Z u- stände. Pest, 17. Juni. (Tel.) Bei einem Wolkenbruch, der gestern über Unter-Ungarn niederging, sind 250 Menschen umgekommen. Viele Häuser stürzten ein. In Pest selbst wurden mehrere Men schen vom Blitz erschlagen. Militär ist zur Hilfe leistung nach den bedrohten Orten abgegangen. Köln, 17. Juni. (Tel.) Vorgestern und gestern wurden neue Opfer der Ahrtal-Katastrophe geborgen. Einige Leichen wurden aus dem Rhein gelandet. Nach Angaben von geretteten Personen sind in den beiden weggeschwemmten Kantinen 11-1 Menschen umgekommen. Selbstmord einer Schauspielerin. Würzburg, 17. Juni (Tel.) Zn den hiesigen Glacisanlagen hat sich die Schauspielerin Huckauf aus Wien erschossen. Diebstahl im französischen Kriegsministerium. Paris, 17. Juni. (Tel.) Vor einiger Zeit wur den aus dem Kriegsministerium drei Posten alter wertvoller Teller aus einem Schlank gestohlen. Der einzelne Teller repräsentiert einen Wert von 110 Franken. Der Diebstahl erregte großes Aufsehen, und die Polizei stellte die eingehendsten Nachforschungen an. Diese haben gestern zu dem Resultat geführt, daß die Verhaftung des Täters vor genommen werden konnte. Als Dieb wurde der Sohn des Silberbewahrers im Kriegs ministerium, ein Soldat vom 5. Eenicregiment in Versailles, namens Grose, ermittelt. Als Komplicen wurden in Paris seine Geliebte, ein Fräulein Michan, und ein Rechtsanwaltsschreiber, namens Eerbaut, so wie zwei Zwischenhändler hinter Schloß und Riegel gebracht. Auf der Suche nach dem Mörder. London, 17. Juni. (Tel.) Die Londoner Geheim- polizei ist der „Daily Mail" zufolge durch die ita lienische Behörde ersuchr worden, alle Maßnahmen zu treffen, um die nach den Vereinigten Staaten ab gehenden Dampfer daraufhin zu untersuchen, ob even tuell der Mörder der im C o m e r S e e aufgefundeiien Amerikanerin Porter sich in einem englischen Hajen aushalte. Maa glaubt allerdings in italienischen Polizeikreisen nicht, daß er Italien verlassen hat,son dern nimmt an, daß er ebenfalls im Comer See ertrunken ist. Das Geschenk des Papstes. Rom, 17. Juni. (Tel.) Die dem Papst von Menelik geschenkten zwei Löwen sind gestern ge storben. Durch Erbmassen verschüttet. Serajewo, 17. Juni. (Tel.) Bei Erdarbelten wurden 24 Mann des 11. und 10L. Infanterieregi ments durch Erdmassen verschüttet. Zwei Soldaten wurden sofort getötet, einer ist schwer, mehrere leicht verletzt. Oss psrsüies üer Wiener Kinder. (Nachdruck verboten.) Wien, im Juni. Schönbrunn. Das ist das Dorado der Kinder sehnsucht, ihr Tal der tausend Nachtigallen, trotz des Gewiehers und Gebrülles, Geklappers und Gekräch zes, Gestöhns und Gejauchzes, das sich Tag und Nacht wie eine Decke, wie eine dünne Membran über diesen Park spannt Den Kindern klingt es wie holdeste Musik. Und mit der prickelnden Lust der Erwartung, die uns das Stimmen der Instrumente gibt, nähern sie sich dem Eingang in das Wunderreich. Deutlich hören sie aus dem Gewirr die Klangmotive bevor zugter Lieblinge heraus. An schönen Frühsommer tagen fliegt dann die Alarmbotschaft die lange breite Allee vom Menagerieeingang bis zum kaiserlichen Schloß hinab: Heut ist der Löwe schon heraußen. Das ist ein Wiederauftreten, dem man voll beglückender Erwartung entgegensieht, wie wenn die MUdenburg die Isolde singt. Ganz still, demütig fast und mit verhaltenem Atem stehen die Kinder vor seinem Käfig. Andacht und Ehrsucht scheuen sich, diese königliche Gelassenheit zu stören, die von unserer Anwesenheit keinerlei Notiz nimmt. Keiner von all den dreisten Buben und Mädeln traut sich, ihm Futter zuzuwerfen. Sie stehen und staunen; und der Begriff „majestätisch" wird ihnen Erlebnis, wie vielleicht kein zweites Mal mehr in ihrem ganzen Leben. In einem Winkel liegt breitspurig das Weibchen. Er aber, „der König der Tiere , geht in sicheren Kreisen längs der Gefäng- niswände. Ohne Blick für sie, ohne Blick für uns. Schwere Pläne, tiefe Probleme scheinen ihn zu be schäftigen. Wundervoll fest sitzt der gewaltige Schädel auf dem schlanken Leib, der nur Knochen, Sehnen, Muskeln, keine Fetteile hat . . . Rundum geht der Löwe in seinem Käfig. Doch er merkt ihn nicht, merkt uns nicht, merkt sein Weibchen nicht. Er ist ganz in sich gesammelt Manchmal aber bleibt er jählings stehen, schleudert den lästigen Gaffern einen Blick von solch verzweifelter Verachtung, von so erhabener Traurigkeit, so rachgieriger Derletztheit zu, daß man unwillkürlich noch einen Schritt zurückweicht, daß man unwillkürlich denkt: Entschuldigen Siel Und im tiefsten beschämt über seine indiskrete Schaulust geht man weiter. Kleine, witzig« Aeuglein blinzeln uns zu. Hier haust Bruder Jmmerlustig, Meister Petz, der erklärte Liebling der Wiener. Er torkelt auf seinen Beinen, als hätte er gerade beim Becher ein klebriges getan. Proletische Gefühle burschikoser Weinlaune verbinden uns mit ihm. Er ist sehr vergünat und seine kleinen Gäste in Kniehöschen und Knierückchen amüsieren sich. Gegen die Spaßhaftigkeit seiner Geh- und Stehver suche auf den Hinterbeinen, gegen das Kunststück, die Brotstücke mit dem Maule zu erhaschen, gegen den perfiden Witz des Eisbären, urplötzlich in seine Meerpfiitze zu springen und uns das Schmutzwasser ins Gesicht zu spritzen: gegen all diese Finessen eines sozusagen zivilisierten Tierlebens, das sich im Verkehr mit dem Menschen gebildet hat — dagegen schneiden selbst die Lockungen des Wurstelpraters schlecht ab, bleiben sogar die Leistungen der Affen ohne Beachtung: vielleicht, weil sie zu wirklich, zu menschenähnlich sind und der Kinderphantasie zu geringen Entfal tungsraum lassen. Sie sind für den Menschen nicht nur, wie Nietzsche es ausdrückte, ,,ein Gelächter und eine tiefe Scham", sondern auch ein furchtbares, ent zauberndes Grauen vor seinem Ursprung. Etwas Be klemmendes, Gespenstisches liegt darin, hundert ver traute Handgriffe wiederzuerkennen, denen jeder In halt, jede Bedeutung genommen ist, die nur leere Form sind. Und dennoch fasziniert dieses unglaub liche Geschick. Raimund stand einst hier, in Gesell schaft Grillparzers, und konnte sich an Ausdrücken be wundernden Entzückens nicht genug tun, er ließ ein mal über das andere ein „Da schaun's her", „Das ist aber großartig", „Das muß aber schwer sein" auf flattern, bis ihn Grillparzers verbitterter Sarkasmus unterbrach: „Hat's Ihnen einer g'schafft?" Die däumlinggroßen Schönbrunner Habitues wissen Gott sei dank noch nichts von Darwin und Nietzsche, Ertllparzer und Raimund. Sie wissen nicht, daß uns der Affe viel näher steht als der Bär. Und Meister Petz ist ihr Liebling, der Inbegriff aller irdischen Heiterkeit, das Paradies auf Erven. Schon darum, weil er so klug ist, immer bereit zu sein, sich weder Sommers noch Winters ihrem Vergnügen entzieht. Der Traum von diesem Sonntagsausflug ist das Sprungbrett ihrer Phantasie, von dem sich ihre Seelen über alle Feindseligkeiten des Einmal eins und Alphabets hinüberschwingen. Und gäbe es neben der Statistik der wirklich ausgeübten Ve- schäftigizngen auch eine Statistik der ersehnten Berufe (die es nur darum nicht gibt, weil sie für das Wesen der Menschen viel kennzeichnender märe, aber auch viel ergreifender: ein Friedhof toter Ideale), dann stünden selbst die beliebtesten Ziele kindlichen Stre bens, die Metiers der Lohnkutscher, Kondukteure und Zuckerbäcker hinter dem am heftigsten begehrten Beruf eines Tierwärters in Schönbrunn zurück. Aber man irrt, wenn man annimmt, daß nur die Buben hier ihre Lebensaufgabe zu finden hoffen. Ein Arbeits gebiet, das in dem Zeitalter der leidigen Gleichberech tigung ausschließlich dem Manne offen stünde, käme bei Tausenden von vornherein in Mißkredit. Ich kannte ein neunjähriges Mädchen, das die Zeitungs nachricht, ein Elefantenbaby habe das Licht der Schönbrunner Tierwelt erblickt, zu dem Entschluß ver lockte, sich als Kinderfrau bei dem glücklichen Eltern paar zu verdingen. Die Stadt der Tiere in der Stadt der Menschen, die durch barbarisches Verhängnis genau so einge fangen, mit ihrer Sehnsucht nach Weiten genau so Wohnhaus an Wohnhaus gepfercht leben, übt einen geheimnisvollen Zauber auf die Kinderseele. Sie ist der Zentralpunkt ihres Sehnens, wie für den Tou- risten das Matterhorn, für den Muselmann Mekka, für den Kunstfreund Italien, für Peary der Nordpol. Und man kommt viel leichter zur Erfüllung. Das ist ja das gesunde Glück der Jugend, daß ihre Wünsche so leicht Wirklichkeit werden können. Die Kinder haben Phantasie, wir aber sind Phantasten. Das Ge wöhnliche ist für sie noch voll von Wundern. In das Alltägliche spinnt ihre Phantasie tausend Geheimnisse und Rätsel. Und Schönbrunn ist sicher nichts Alltägliches. Kann es denn den billig Denkenden erstaunen, wenn die Frage der Eltern am Sonntagabend: „Wohin gehen wir morgen')" nur immer diese eine Antwort findet: „Nach Schönbrunn", und einem allzulang ge- gehnten:,,Schon wie—ie—ieder?" mit der Bitte be gegnet wird: „Nur noch diesmal, nur noch dies eine Mal, dann gehen wir nicht mehr hin!" Keiner weiß, wann es das letztemal war. Heute nicht und da mals erst recht nicht. Und cs ist gut so; ist gut, daß uns das Schönste immer unvermerkt entgleitet. Don diesem unvermerkten Entschwinden leben wir. l)' . Hans VV anlock. * * Da» Jubiläum der Goethe-Gesellschaft. Für die diesjährige 25. Tagung der Goethe-Gesellschaft heute und morgen in Weimar ist ein ganz besonderes Programm aufgestellt worden. Die offiziellen Deran- staltungen sind folgende: Heute nachmittag 5 Uhr: Feier auf dem Friedhöfe anläßlich der Enthüllung des Grabdenkmals Almas v. Goethe: abends 7 Uhr im Saale der Armbrust-Schützengesellschaft: Gemein schaftliches Festmahl. Morgen vormittag Ilsi/» Uhr: Generalversammlung: nachmittags von 4 Uhr ab: Kostümfest im Trefurter Park mit dramati schen und musikalifchen Aufführungen, veranstaltet von den Weimarer Künstlern unter Mitwirkung von Damen und Herren der Weimarischen Gesellschaft. Abends Ausführung der ,,Fischeri n" mit der Musik von Corona Schröter aus dem natürlichen Schauplatz an der Ilm. Die Geister der ehemaligen Bewohner des Tiefurter Schlößchens — Herzogin Anna Amalia, Wieland, Fräulein von Eöchhausen — werden dem Feste die Weihe der Anmut und der reinen Natur- sreude verleihen. Fast sämtliche Teilnehmer werden im Kostüm erscheinen, denn es soll eine Versamm lung dargestellt werden aus der Zeit und im Geiste von „Wilhelm Meisters Lehrjahren" (1775—1800). Richt nur die Hauptfiguren dreies durch den Züricher Fund gegenwärtig besonders aktuellen Werkes sollen erscheinen, sondern das in dem Roman entworfene Bild der verschiedenen Eesellschastsschichten, Adel und Bürgertum, Offiziere und Soldaten, Schauspieler und Seiltänzer usw. soll auf den Wiesen und in den Laub gängen Tiefurts lebendig werden. Ein anderer Kristallisterungspunkt wird das zur Aufführung be stimmte „Jahrmarksfest von Plundersweilern" sein. Bei anbrechendem nächtlichem Dunkel wird die Feier ihren Höhepunkt finden durch die Aufführung von Goethes Singspiel „Die Fischerin", das hier im Jahre 1782 zuerst aufaesührt wurde. Das Stück wurde damals an den Ufern der Ilm in der Nähe der Brücke und auf dem durch zahlreiche Fackeln und Lampen magisch erleuchteten Flusse selbst daracstellt. — So hängt freilich ein großer Teil des Gelingens dieses seltenen Festes allein vom Wetter ab. * Max Grube, dem Leiter der Meininger Hof bühne, verlieh der König von Sachsen das Komtur kreuz des Albrechtsordens. R. VV. Regierungsrat Pro«. H. No. in Graz, der erfolgreiche Üebertrager des Gabelsbergerjchen Steno arapyiesystems auf das Italienische, feiert morgen' seinen 75. Geburtstag. * Das erste Theater. Am Sonntag ist in Cs« tinje im Beisein des Fürsten Nikolaus in festlicher Weise das erste Theater in Montenegro eröffnet worden. Das Theater hat den Charakter eines Hof theaters und führt offiziell den Titel „Fürstlich mon tenearinische» Theater". Als Eröffnungsvorstellung wurde das Drama „Die Zarin des Balkans" ge geben, dessen Verfasser — Fürst Nikolaus von Mon« tenegro ist.
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