Volltext Seite (XML)
Wöchentlich Erscheinen drei Nummern. PeinumeratlenS- Preis 22; Tgr. (^ Thlr.) vierteljährlich, 3 Thlr. für da« ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man pränumerirt aus diese- Deiblalt der Tilg. Pr. Staat«- Zeitung in Berlin in der Expedition (Mohren-Straße Nr. 34); in der Provinz so wie im Auslände dei den Wvhllödl. Post-Aennern. Literatur des Auslandes. Berlin, Dienstag den 24. Mai 1836 o Rußland. Die Rusten am Balkan. t?l«s dem Tagebuch« eines Artillerie-üsNjierS.) Die Bulgarci war »ns mit ihren zerstörten Moscheen, ihren bela gerten Festungen und ihrer Pest so sehr zuwider geworden, daß wir bereit waren, nicht nur die steilen Felsen des Hämus, des jetzigen Bal kans, zu ersteigen, sondern auch ewig aus ihnen, mitten unter Wol ken und Stürmen, umgeben von den Schallen der Helden aller Zeiten und zwischen den Hüllen Rtimclischcr Hirten zu leben, um nur befreit zu werden von der Einförmigkeit der Steppen, von den ausgedehnten Parallelen mit ihren Breche- und Demontir-Batterieen, und hauptsäch lich von der Orientalischen Porste und Pest. Diese weite Steppe zwischen der Donau und dem Balkan, die man die Bnlgarei nennt, mit allen ihren Weinreben und Lclbäumcn und ihren majestätischen Meeres-Wo gen, entsprach unseren Erwartungen nicht, Krankheiten, Mangel an Le bensmitteln, halbzerstörte Kantonnirungs-Quartiere, Erinnerungen an die glücklichen Tage in unserer Heimalh und ein trüber Winter machten uns Alle mürrisch und verdrüßlich : die heitersten Gesichter ballen elwas Düsteres und wie mil einem Nebel Umzogenes. Man mnßlc die Festung Kustcndschi gesehen haben, in der wir einen ganzen Winler saßen, um sich einen Begriff von unserem Abscheu gegen die Bulgaren und die Bulgare! zu mache». Ohne Zwciscl ist der Französische Schriftsteller Balzac der größte Mann unserer Zeit in Beschreibung von Schmutz und Feuchtigkeit; ich wage cs aber, zu behaupten, daß auch seine mäch tige Einbildungskraft nicht im Stande wäre, etwa» schmutzigeres und feuchteres zu erschaffen, al« diese unausstehliche Festung. Einige kleine hölzerne Scheunen, ohne Zusammenhang und Ordnung hier und dort zerstreut, eine Menge, von Feuersbrünsten geschwärzter Schornsteine, Haufen von Steinen und halb in Trümmern liegende Moscheen, mitten auf schmutzigen unregelmäßige» Plätzen, die man vom Morgen bi« zum Abend mit halbwilden Treibern, Kameelen und Büffeln bedeckt stehl — da« ist das Innere von Kustendschi. Ei» tieser Grabe» und 4 Bastio nen, mil beeilen, unregelmäßigen Embrasuren, aus denen verrostele Ge. schütze von verschiedene» Kaliber», Nalione» und Zeilen hervorblicken, von der einen Seile, und von den drei anderen ein steiles vom schwar zen Meer bespülle« User, — das ist di« Außenseile. Es schien, al« ob diese phantastisch« Befestigung nur für un« dem Meer und de» Nebeln enlstiegen wäre, beim in ganz Kustendschi gab c« keine andere Einwoh ner, al« Russische« Mililair. Scheunen ohne Decken und Dielen, nur mil einem dreieckigen Dach, welches anstatt Schornsteine nur Oeffnun- gen Halle, um den Rauch durchzulaffen, waren unsere Quartier«, die wir, dicht an einander gedrängt, bewobnien. Diese feuchten, fast durch sichtige» Wohnungen boien, namentlich Abends, einen höchst malerischen Anblick dar. Z» der Mitte der Scheune brannte ein große« Feuer, und nebenbei standen einige von Rauch geschwärzte Theekeffel, i» denen trü bes Brunnenwasser kochte; nicht weit emstrnt von diesen schreckbaren Theekeffcln standen im Halbzirkel, wie eine Borpostenkette, Gläser von verschiedener Form und Größe; jeder Offizier batte sich anstatt eine« Stuhls den bequemsten Stein oder Baumstamm ausgesucht. Der Rauch vom Holz und vom Taback zog in großen grauen Wolken in der Scheune »mber 2" diesem Rauch vernahm mau Debatten über ernste und ko mische Gegenstände, Erzählungen über Gefechte mit den Türken und Begebenheiten bei einer Quadrille oder einem Eolillon, Detail« über die letzte Herbst-Eampagnt, Gesänge und Leclamationen in fast allen Euro päischen Sprache». Hierzu denke man sich die verschiedenen Trachten der Offiziere: einer saß da, in einen Tscherkessischen Mantel (Burka), ei» anderer i» einem kurzen Tatarischen Leibrock (Archaluk), ei» dritter in voller Uniform; mehrere trugen Ueberröcke und Mäntel nach Euro päischem Schutt». Eine jede dieser Scheunen hätte mit großem Effekt auf einem Gemälde des Babylonischen Thurmbancs angebracht werden können. Diese räucherigen Abende mit ihre» unaufhörlichen Erzählun gen und ihren Erinnerungen an vergangene srobe Tage, erhöhten noch unsere qualvolle Langeweile. Entfernt seh von mir jeder Gedanke daran, auch nur im mindesten an der Ehrbarkeit und Sittenreinheit meiner Gefährten, Aljähriger Offiziere, zu zweifeln — aber die Pflicht des Histo riker« gebietet e« mir, zu sagen, daß es uns sehr schwer ward, während 7 Monat nicht ein einziges Frauenzimmer zu sehen; jeder von uns über zeugte sich i» diesem Äinlrr durch bittere Erfahrung davon, daß ein Männer-Leben ohne Gesellschaft weiblicher Wesen — eben so wenig werth ist, als die Grammatik de« Herrn """off, obgleich in derselben viel vom weiblichen Geschlecht die Rede ist. Hätte unsere Batterie noch einige Monate in Kustendschi bleiben müssen, so bin ich überzeugt, daß wir da« Schicksal der Scythen würden beneidet haben, die Venu« in ihrem Zorn irgendwo in diesen Gegenden in Weiber verwandelte. Es ist un möglich, sich da« Gräßliche einer solchen Entbehrung in Winter-Cam- pagnen vorzustelle». Zunge Osfizicre, die nicht lange erst ihre strenge gelehrte Eraminttung«-Kommission und die trockene Theorie der Arlillcric- Wiffenschäfte» verlassen hatten, überließen sich halb sinnlos düsteren Träumereien, — und jeder durchirrte mit seinem Ideal den ganzen Tag hindurch die Wälle, Bastionen und die steilen User des Schwarzen Meere«, und ließ seine Seufzer in dem Gebrüll« der Wogen verhallen, durch welch« die Bulgarci ein höchst betrübte« Ansehen erhielt. klebrigen« war es nicht da« erstemal, daß sich Russen in der Bul- garei langweilten. Auf dem Marsch läng« den Usern der Donau sangen uns unsere alten Soldaten oft ein allen B«ttran«n, die unter Kamensky, Kulnsoff und Langeron gedient hatten, bekanntes Lied vor, in welchem nnter Anderem die Strophe vorkam: „Wer nicht jenseits der Donau war, der kennt kein Herzeleid." Nicht Zeder saßt den Sinn der Dich tung diese« melancholischen Liede«; um chn recht zu begreifen, mußte man mit uns einen Winter in Kustendschi zugebracht haben. Aber der Frühling, der bezaubernde orientalische Frühling herrsch!« schon außerhalb der Mauern unserer Festung. Der Groß-Wesir, sein Geschütz, sein Gepäck und alle Munition der großen Armee in den De- fileen von Kulewtscha hinterlassend, verschloß ec sich in Schumla. Der letzte Rest der feindlichen Truppen ward geschlagen und zerstreut Si- listria fiel. Die Straße zum Balkan war der Russischen Tapferkeit ge öffnet. Welches Herz, nachdem wir von den Gränzen der Moldau, durch die trüben Welle» der Donau, durch Kugeln, Kartätschen und Grana ten ins Reich Mahmud « gedrungen waren, schlug nicht hoch aus dei dem Gedanken, daß nach einer Stunde — nach zwei — unsere Fabnen in einem Lande wehen würden, „wo die bvpresse und die dnnklc Mvrlhe sprießt!" Und al« diese herrliche Stund« da war, konnten wir, nach dem wir un« mehr al« 1« Moiiate in der öden und prosaischen Bul. garei gelangweilt batten, nicht ander« al« uns den ersten Eindrücke« „des entfernten und schönen Landes", das unsere Phantasie mit den glänzendsten Farben au«geschmückt Halle, ganz bingeben; Rumelien stand vor unseren Blicken da wie ein reiches und üppiges Land. Am S. Zuli bezog unser Corps, gegenüber Derwisch-Dschavan, ein Bivouac und machle sich fertig, um, unler d«m Hagel Türkischer Ku geln und Kartätschen, bei Anbruch de« nächsten Tages die über den Kamlschik geworfenen Pontons zu passiren. 12 Stück Geschütz unserer Batterie standen ausgepflanzt; die an de» Deichsel» gespannten Pferde drängten sich, wieherten und schlugen au«; die Soldaten saßen gruppen weise um'« Feuer und schienen sich einander ihre letzte«, anspruchlosen Verfügungen zuzuflüstern; die dejourirenden Artilleristen, mit brennenden Lunten iii den Händen, gingen zwischen dem Geschütz hi» und her.... Ein hoher Wald verbarg unserem Auge den Balkan und die Türkischen Retranchement« auf dem rechten Ufer des reißende» n»d trüben Kaml schik; und nur das einförmige Geräusch der Wellen, da« mil dem ent fernte» Rusen der Schildwächen zusammcnfloß und uns an den unver meidlichen Ucbergang erinnette, erweckte in Zedcm, anstatt der zeithcrigen Hoffnung und der Erinnerung an vergangene Freuden, ernstere Ge danken an einen anderen Zustand ohne Erinnerung und Hoffnung. Nichl« bringt uns so schnell'dazu, Menschen zu seyn, als die Annähe rung des Tode«. An diesem feierlichen Abende, wo alte Artilleristen, leise unler sich sprechend, mil ihren Pulvcrkasten beschäftigt waren und Stöcke mil Lunten umwickelten, — al« der Znsanlcrist mit einem Gebel auf den Lippen, sich kreuzigle und sein Gewehr lud, — al« von Fronte zu Fronte der lakonische Befehl überging — „mit Tagesanbruch zum Schlagen bereit zu seyn", wer legte da nichl vor dem unerbittlichen Richltrstuhl seine« Gewissens Rechenschaft ab von seinen Handlungen? Wer war nichl in sich selbst vertieft bei dem Gedanken, daß er vielleicht zum letztenmal die Strahlen der Abendsonne sah, die in der Dunkelhett des Waldes »löschten? An diesem Abende trug da« Antlitz eines Zedrn den bestimmten Abdrzick seiner geheimsten Gedanken. Zch glaube, daß sogar die Grützkecher, die sich nicht denen zuzäblen konnten, denen das Schicksal einen ruhmvollen Tod Vorbehalten hatte, unwillkürlich und mit schwerem Herzen daran dachten, daß sie vielleicht auf ewig von ih ren Kesseln würden getrennt werden, au« denen sie für sich den besten Theil der groben, aber für sie erquickenden Nahrung — oder ihr Leben — geschöpft batten — indem für sie die Nahrung beide Begriffe in sich schließt, — Leben und Grütze. WaS mich betrifft, so fühlte ich auch in mir eine allgemeine Hin neigung zum Nachdenken Auch ich, aus einem Manltl liegend und mich mit dem Ellbogen auf die Speichen eine- Lafette».Rades lehnend, dachte an dies«« und jene«. Die Erinnerung»! erschienen mir, mit