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üviSmMiäi eAcktinm drei Nummern. Prönumir^uonö-Preis 22j Südergr. (j ZHIr.) vierreijShrlich, THIr. für da« ganze Iadr, ohne Erhöhung, m anen Theilen der Preußinen Monarchie. Magaz'" Pränumerationen werden von ieder Buchhandlung (in Berlin bei Veil u. Comp., Iagerstraße Nr. 25). so wie non allen Königl. Poü 'Aenuern, angenommen. für die Literatur des Auslandes. s/ 125 Berlin, Sonnabend den 18. Oktober 1845 Frankreich. Dahlmann's Geschichte der französischen Revolution Ist Weltgeschichte die Erzählung derjenigen Begebenheiten, welche in ihrer Aufeinanderfolge die Menschheit zu der Stufe geführt haben, die sie gegen, wärtig einnimmt, und liegen den Handlungen, die in den Gang der Welt- »reignissc eingreifen, Ideen zu Grunde als Ursachen, entwickeln sich Ideen aus ihnen als Folgen, so wird die Thätigkeit des Geschichtschreibers daraus aus- gehen müssen, jene Verkettung von Ideen zur Anschauung zu bringen. In der Erkenntniß dieser Entwickelung liegt die Fruchtbarkeit der Geschichte. Die Begebenheiten selbst, die Thatsachen, bald lückenhaft erscheinend bei unvollständiger Uebcrliefcrung, drängen sich bald, zumal an Wendepunkten der Völkergeschicke, in solcher Fülle, daß selbst dem geübteren Auge daS We sentliche vom Unwesentlichen, das Wichtigere vom Unwichtigeren zu scheiden schwer wird. In der Auswahl, Ergänzung und Gruppirung zeigt sich des Historikers Kunst. Wenn man aber versucht hat, die künstlerische Ausgabe mit der des Ge- schichtschreibers überhaupt zusammenzuwcrsen und beide als identisch darzu- stellcn, indem man behauptete, vor der höheren Pflicht der Unparteilichkeit müsse das eigene Urtheil zurückstehen, so hat man die Wahrheit einem trügerischen Scheine geopfert. Denn selbst in der möglichst ungeschminkten und objektiven Darstellung des Geschehenen ist ein vorgängiges Urtheil, eine mehr oder min der bewußte Neigung zum Für oder Wider enthalten. Und gesetzt auch, es wäre in künstlerischer Hinsicht das Vollendetste geleistet, so hätte der Geschicht schreiber dennoch nicht vollkommen mit dem ihm verliehenen Pfunde gewuchert. Denn der Gegenwart gehört das gcsammtc Erbe der Vergangenheit, und der Historiker hat die Aufgabe, einem Jeden zu seinem Rechte an demselben zu verhelfen. Weit entfernt, aus Menschcnfurcht oder gar aus anderen noch unlautcrern Gründen seine Meinung zu verbergen, muß er als Priester des Wahren, Guten und Schönen laut und vernehmlich seine Stimme erheben, dem schwächeren Geiste Anstoß und Richtung geben und drncn, für welche die Geschichte nicht vorhanden zu sepn scheint, denen, die ihr Ange freventlich dem Lichte der Wahrheit verschließen, frei und ehrlich ins Gewissen reden, auf daß ihnen die Erkenntniß werde oder doch keine Entschuldigung bleibe. Fordern Durchdringung der Idee, künstlerische Darstellung der Begeben heiten und ehrenhafte Gesinnung im Vereine für den Geschichtschreiber die Palme, so gebührt sie unserem Dahlmann für seine Geschichte der fran zösischen Revolution. Drohende Wolken hängen am politischen Himmel, ge fährlicher höhlt sich täglich der Boden unter den Füßen der Gesellschaft: es bedurfte eines solchen Mannes, um zur gegenwärtigen Stunde dem deutschen Vaterlande die Geschichte der großen Umwälzung des Nachbarlandes vorzu- halten. Er bezeichnet die Aufgabe, deren Lösung ihm gelungen, auf der ersten Seite seines Buches: „Unsere Jugend hat ganz Recht, wenn sie von ihren Alten verlangt, sic sollen ihr diese schwierige Zeit auslegen Helsen, den Weg ihr zeigen, welchen sie selber in den Jahren der Kraft, manchmal ab irrend, aber mit Ehre gingen. Sie will zu jenen Staudpnnltc» hinauf ge fördert sepn, wo die düster verworrenen Trümmerhaufen zurücktretcn vor den ernsten Grundzügen eines Neubaues der Geschichte, weichen «ine unbegreiflich hohe Wallung unter Wehgeschrei zur Welt bringt. Wer auf diesem Pfade sich irgendwie entzieht, nach Art der Buhlerinnen halb zeigt und halb ver birgt, da aufhört, wo er anfangen sollte, Ereignisse häuft, wo es sich darum handelt, die herbe Frucht der Selbsterkenntniß zu pflücken, der mag bequem sich im Vaterlande betten und überall, wo eS hoch hergeht, willkommen sepn, allein ein echter Jünger der Geschichte, »in Mann der Wahrheit, ein Freund Deutschlands ist er nicht." ES ist nicht dieses OrteS, dem Werke zu folgen in seinem ganzen Ver laufe vom Niedergänge Ludwig's XI V. bis zum Aufgange der Republik: nur Einzelnes berührend, hier und da anhaltend, wollen wir unsere Leser, die eS noch nicht kennen sollten, aufmerksam machen, zumeist des Verfassers eigene Worte bewahrend. Revolutionen werden nicht gemacht, ganze Völker können nicht in An klagestand versetzt werden. Wann und warum entstanden solche Umwälzungen? Dann und darum entstanden sie, wenn und weil Regierungen hinter der Bit- düng und den Bedürfnissen der Völker so weit zurückblieden, daß die Span- nung zum Nisse kommen mußte. „Frankreich war in seinem Uebcrgewichte auf dem Festlande durchaus an die Stelle unseres armen Deutschlands getre- ten, und daS blieb unverkennbar das Werk seiner einheitlichen Königsmacht. Allein ein großes Gelingen der Menschen und ihr Uebermuth sind, wie es scheint, für immer unzertrennliche Wandnachbarn. Der vierzehnte Ludwig verstieg sich übermülhig in das Gebiet der nicht mehr beherrschten Dinge, ver- langte auch Glaubenseinheit in seinem Reiche und trieb die Andersgläubigen fort. Daneben rundete er auf deutsche Unkosten sein Frankreich vollends ab; weil er aber gar nicht aufhörcn wollte zu erwerben, bewaffnete er am Ende den Wclttheil wider sich und vereitelte die Arbeit seiner Minister, welche un ermüdet fortfuhren, neue Quellen des Wohlstandes zu eröffnen. Bei dem Allen stand der Herr doch zuletzt auch in der Abendsonne seines Lebens strah. lend da, schied ungebeugt von seinem Hofadel, welcher ihm das Volk be- beutete und der in dankbarer Vergeltung auch nicht müde ward, fern von seinen Landsitze» dem Winke herrischer Augenbrauen zu dienen. Nach der inneren Wunde des Gemeinwesens batte Niemanv ein Recht zu fragen, als der majestätische Greis, der nicht danach fragte. Einmal verrieth sie sich zwar in den Worten, welche der König wenige Tage vor seinem Ende zu seinem Urenkel, der ihm folgen sollte, segnend sprach: „Ahme mir nicht nach in der Lust an Krieg und Bauten, trachte die Lasten deines Volkes zu erleich. tern : es ist mein Unglück, daß ich es nicht konnte." Das will sagen: „daß ich eS nicht der Mühe werth hielt." Denn niemals durfte bei dem Prunke seiner Feste, auch in den letzten trüben Jahren nicht, da der Tod Ludwig's Haus verödete, etwas davon durchblicken, daß damals in den Staatskassen das Geld für die Nothwcndigkeiten der Verwaltung fehlte. Wo freilich der Staat in seinem Fürsten enthalten ist, da ist der Ueberfluß am Hofe die erste Notbwendigkeil und die letzte: alles Andere gilt für Nebenwcrk." Rach Ludwig's XI V. Tode lhat sich der Abgrund der Finanzen drohender aus, die auswärtige Politik vermochte ihren hohen Standpunkt nicht lange mehr zu behaupten, der Nationalstolz ward lies gekränkt vom Regimente frecher Lüste. Die öffentliche Meinung in weltlichen Dingen begann eben damals sich zu entfalten. Montesquieu pries Englands Verfassung, Rousseau flüchtete sich aus der verderbten Zeit in einen Naturzustand und lebrte die Berechtigung, ihn näher zu führen, Voltaire bekämpfte daS vaterländische Herkommen in Staat und Kirche mit ätzendem Spott. „Fügt man zu diesen drei hervor ragenden Köpfen noch den genialen Diderot hinzu, so erkennt man recht deutlich, daß der vierzehnte Ludwig bei weitem höhere Güter als blos industrielle an- tastete, damals als er seine fleißigen Reformirten ausstieß. Denn er schreckt mit ihnen das Asyl für eine unabwendbare Entwickelung der menschlichen Geisteskräfte ab, welche sich in dieser bedächtig prüfenden Glaubensform un. schädlich hätte ablagern können. Der Protestantismus ist ja nun einmal be gnügt, wo man ihn auch allenfalls duldet, der Katholizismus dagegen will die Alleinherrschaft führen, und Ludwig's Dragoner verhalfen ihm dazu. Aber herrscht denn am Ende eine Kirche wirklich, von welcher sich die ersten Köpfe der Nation mit Trotz und Geringschätzung adwende»? Ganz anders stand auch diese Sache im deutschen Reiche. Denn in demselben achtzehnten Jahr, bundcrte trug der deutsche Reichsboden vier groß begabte Männer, welche ihr gediegenes Wesen aufrichtig hinstrtlcn durften wie eS war, unbekümmert darum, wie eS zu den GlaubenSsatzungeu stehe, welche» der wcstphälische Friede Schutz verleiht: Winkelmann, Lessing, Göthe und Schiller. Pflanzer dieser edlen Gattung konnte» allein auf einem Boden gedeihen und ihre unsterblichen Früchte zeitigen, ans welchem der Protestantismus ein Recht dcS Dasepns hat und sich zugleich mit dem Katholizismus friedlich eingewödnen und ausgleichen soll, da dann der unwiderstehliche Werth solcher sicheren Naturen den seichten Verketzerungstrieb nach beiden Seiten zu Boden wirft. WaS diese deutschen Männer, nicht ohne heißen Kampf zwar, aber ohne Verbitterung ihres lichten Inneren überwanden, die Hindernisse, welche dumpfer Glaubenseifer einer edlen Geistesbildung entgegengesetzt, a» dielen Klippen scheiterten jene starken Geister Frankreichs, und «s schlug hier die verwandte Richtung in den Witz des GrimmeS und eine giftige Leichtfertigkeit um, weil sie keinen erlaubten Boden fand." Ludwig XVI. war zwar wohlwollenden Charakters und sittlich rein, auch leidlich unterrichtet, aber ünbehülflich und schwach, unfähig, in so bewegten Zeiten die Zügel zu führe». An der eigenen Familie besaß er statt eines Bei- standeS eine Hemmniß. Gemahlin, Brüder und Tanten griffen zum Schaden des Ganzen und vor Allem des Königs in die Regierung ein, schufen und be herrschten Minister und mochten ihren Eigensinn und ihren Unverstand selbst vor der äußersten Nothwendigkeit nicht beugen. Doch saßen im ersten Ministerium zwei Männer von Talent, Einsicht und Charakter, die das unbe dingte Vertrauen des ganzen Volkes genossen, Turgol und MaleSherbeS. Warum vermochten auch sie nichts auszurichten? „AuS dem einfachen Grunde,