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und Tageblatt Amtsblatt fiir die königlichen und Wüschen Behörden zn Freiberg und Brand. Lerantwortlicher Redakteur Iuliu» vrauu iu Freiberg. » 33. Jahrgang Erscheint jeden Wochentag Abend« 6 Uyr für de« « - Inserate »erden bi« Vormittag« 11 Uhr angenom- - M Doimerstag, den 2^. September. 1881. Wetter-Progaose für Douverstag, dm 29. Se-temver: Abnehmende Bewölkung, Temperatur weuig verändert, zunächst noch einige Niederschläge, dau« trocken. Vie Rede Sennigsen's in Hannover. Am Sonntag hat der Führer der national-liberalen Partei, Herr von Bennigsen, im Börsensaale zu Hannover vor einer großen national-liberalen Versammlung seine Auffassung der augenblicklichen politischen Lage in einer ausführlichen Rede entwickelt. Von besonderer Bedeutung sind aus der letzteren die Erläuterungen, mit welchen der Redner die einzelnen Sätze des hannover'schcn Wahlauf rufs, der an und für sich nur von lokalem Interesse ist, begleitete. „Die hannover'schcn Abgeordneten, sagte Herr v. Ben nigsen. haben immer, ihrer Stammesnatur folgend, einen mäßigenden Einfluß auszuüben gesucht, um die Nachwir kungen des altpreußischen Verfassungskonfliktes abzuschwä chen : sie haben sich durch keine Angriffe von rechts oder von links darin irre machen lassen. Es liegt im hanno- vcr'schen Charakter der Zug der Gerechtigkeit, auch Andere gelten zu lassen, so weit sie in ihrer Sphäre berechtigt sind. Wir haben niemals die liberalen Forderungen für die allein berechtigten gehalten; denn jede Verfasfung be ruht auf der Ausgleichung der liberalen und der konser vativen Interessen, und nur da, wo diese Ausgleichung gelingt, ist auf dauernde gesunde Zustände zu rechnen. Dagegen ist im Wechsel der Zeiten bald die liberale, bald die konservative Richtung vorzugsweise berechtigt, der Gesetzgebung ihren Stempel aufzudrückcn. Da war es denn natürlich, daß die liberale Partei einen vorwiegenden Einfluß gewann, als gerade nach ihren langjährigen For derungen die deutsche Verfassung gegründet wurde, wäh rend diesen die konservativen Parteien bisher offen wider strebt hatten. Wie von den Parteien zur Rechten, erfuhren wir auch vielfachen Widerstand von der zur Linken von uns, von der Fortschrittspartei; wenn cs nach deren Dok trinen gegangen wäre, hätten wir niemals eine norddeutsche, eine deutsche Verfassung, eine große Justizgesctzgebung rc. erhalten. Wenn die Parteien nicht so viel Patriotismus haben, mit anderen Parteien und mit der Regierung zu sammenzuwirken, dann giebt es keine festen Zustände in der Gesetzgebung. Wir wollen also froh sein, daß es uns gelungen ist, die Verfassung und die Gesetze mit besonderem Einfluß der liberalen Partei in's Leben zu rufen; aber nicht immer hat diese den Anspruch auf vorwiegenden Einfluß. Auf den von ihr geschaffenen Grundlagen ist ein an deres Geschlecht erwachsen, welches weniger auf die liberalen Prinzipien als auf die materiellen Interessen sein Augen merk richtet, und letzteres muß jetzt auch die liberale Partei thun. Die jetzige konservative Strömung kommt daher, daß die bisherigen Parteien sich nicht genug um die im Volke vorhandenen Unterströmungen bekümmert haben. Darin liegt gerade die hohe Bedeutung des Reichskanzlers, daß er ein so feines Gefühl für solche Strömungen hat; es ist aber zu betonen, daß er dieselben nicht selbst ge schaffen hat, sondern sie nur benutzt und fördert, und da mit treibt er einen Keil in die alten politischen Parteien. Wie sich die Verhältnisse weiter entwickeln werden, wissen wir nicht; doch können wir auf die Zukunft vertrauen, weil die Zustände bei uns noch weit gesunder sind, als in anderen Staaten; die Steuerkrast ist noch mäßig ange spannt, und auch die wirthschaftliche Krisis hat keinen tiefen Schaden zurückgelassen. Noch ist im Volke ein fester Rechtssinn und ein festgewurzeltes Gefühl für monarchische Institutionen vorhanden, und dies ist für uns ein großer Segen; wir haben hierin einen Schatz, der Deutschland noch über manche Krisis hinüberführen kann. (Beifall.) Man hat in neuerer Zeit die materiellen Interessen den politischen vorgczogen; zu besonders lebhaften Kämpfen hat die Frage wegen der Zolltarife geführt. In dem Programm des Berliner Zentral-Wahlkomitecs ist cs be stimmt ausgesprochen, daß Zollfragen nicht die Unterlage für politische Parteien bilden sollen noch können. Die deutschen Vcrhältnisie im Norden und Süden sind noch so sehr verschieden, daß die Partcibildung nach Zollfragen Deutschland politisch zerreißen würde. Vielmehr gilt cs, diese Verschiedenheiten zum Ausgleich zu bringen. Diese Ueberzcugung hat sich mehr und mehr Bahn gebrochen und ist fast Gemeingut geworden. Es hat sich heraus- gcstellt, daß nichts gefährlicher ist, als Zollgesetze, wenn sic einmal da sind, bald wieder umzustoßcn; besser ist ein fehlerhafter, aber dauerhafter Tarif, als ein guter, der aber rasch wechselt; ja vielleicht war cs ein Vorzug des alten Zollvereins, daß dessen Tarife so schwer zu ändern waren. Jetzt sind ja Aenderungen viel leichter; jedoch die Ueberzcugung macht sich mehr und mehr geltend, daß dem Zolltarif die Zeit für eine ehrliche Probe gelassen werden muß. Nur das Eine steht schon jetzt fest: weder die ge hofften Vorthcile, noch die gefürchteten Nachtheile sind in dem erwarteten Maße eingctreten, und das ist natürlich, weil auch die höchsten der neu cingeführten Zölle das Maß der in anderen Staaten und früher bei uns selbst geltenden Zölle nicht überschreiten. (!!) Die national liberale Partei hat dem Zolltarife nicht zugestimmt;-aber sie hat dafür zu sorgen, daß jetzt nichts Wesentliches an demselben geändert werde, bis er die ehrliche Probe be standen hat, und zwar ebenso wenig an den Industrie-, wie an den landwirthschaftlichen Zöllen. Denn es wird sich erst nach einer Reihe von Jahren genau beurthcilen lassen, was gut und was schädlich ist. Deshalb ist Ruhe und Sicherheit für eine längere Reihe von Jahren zu verlangen und sind Experimente zu vermeiden. Seit Jahren hat sich der Reichstag und der Landtag mit der Steuerreform zu beschäftigen gehabt. Die bis herigen Staatseinnahmen fließen wesentlich aus direkten Steuern unter Schonung der indirekten Steuern; jene lassen keine merkliche Erhöhung mehr zu, und doch sind neue Anforderungen unabweisbar an den Staat herangc- tretcn. Die nationallibcrale Partei hat sich der Erkennt- niß nicht verschlossen, daß neue Mittel herbeigcschafft werden müssen; sie hat aber nicht, wie die Fortschritts partei und die Ultramontancn, diese neuen Mittel durch Beschneidung des Militärctats schaffen wollen. Die Aus gaben für letzteren sind ja schwer und deren Ermäßigung erwünscht, doch würden Erleichterungen in der Wehrpflicht wesentliche Ersparungen nicht zur Folge haben. Wir müssen einmal nach unserer geographischen Lage stets darauf gefaßt sein, nach rechts und links hin Front zu machen; wir wissen aus Erfahrung, was uns diese Rüstung Werth ist. Unsere Militärvcrsasfuug ist nicht nur eine gute Schule und ein festes Band für das ganze Volk, sondern auch eine Versicherung gegen Störung des Friedens (Beifall); diese ist zwar kostspielig, aber doch noch weit billiger, als wenn wir ungerüstet vom Feinde überfallen würden. Wir wissen jetzt, daß wir jedem anderen Staate für sich gewachsen sind und daß uns die Leitung unserer auswärtigen Politik vor Koalitionen schützt. Zur stärkeren Anspannung der Steuerkraft sind nicht die direkten, sondern die indirekten Steuern in's Auge zu fassen. Damit ist bereits der Anfang gemacht worden und es wird darin fortzufahren sein, wenn nöthig. Aber außerdem sind auch die direkten Steuern von den ihnen anhaftenden Mängeln zu befreien und dabei die unteren Klassen zu erleichtern, die Reicheren und namentlich das Kapital stärker heranzuziehen. Außerdem werden die stark überbürdeten Gemeinden entlastet werden müssen, wofür sich nach einem alten Vorschläge der liberalen Partei aus den 60er Jahren, den später die Regierung angenommen hat, die Ueberweisung der halben Grund- und Gcbäude- steuer an die Gemeinden empfiehlt. Es wäre zu wünschen, daß mit diesen Reformen endlich ernstlich angcfangcn würde; aber die aufgctauchten Projekte sind so verwickelt und so flüssig, daß noch kein Anfang zu sehen ist. Das Einzige, was bisher geschehen, ist der 14-Millionen-Erlaß, welchen aber die Bevölkerung nicht als ernstliche Erleich terung empfunden hat. Es wäre zu wünschen, daß die Durchführung der Reformen in den nächsten Jahren mit Energie und Ausdauer in die Hand genommen werde und dafür die Ueberfülle vager Projekte schwinde. In schwieriger Lage befindet sich der Handwerkerstand, namentlich durch Zunahme der Vagabondage und der Landarmen. Auch die liberale Partei muß untersuchen, ob dies noch eine Nachwirkung der wirthschaftlichen Krisis oder durch die bestehenden Gesetze verschuldet ist; deren Acnderung würde in diesem Falle nicht abzuweisen, aber deshalb würden nie die Grundsätze der Gewerbe-, Zug ¬ und Verchelichungsfreiheit aufzuaeben sein. Dieselben waren ja in Preußen schon seit Jahrzehnten Gesetz und wurden 1867 nur auf das übrige Deutschland aus gedehnt. Die Lage des Handwerks gegenüber der Großindustrie ist schwer; wir sind ihm deshalb gern behilflich, soweit dies ohne Antastung der Gewcrbefreiheit möglich, wie wir dies in den letzten Jahren durch wiederholte gewerbliche Gesetze bewiesen haben. Sollte die Gesetzgebung in einer unglücklichen Stunde die Gcwcrbefrcihcit antasten, die Gewerbetreibenden selbst würden baldigst ihre Wiederher stellung verlangen; diejenigen, welche jetzt ihre Beseitigung verlangen, haben den früheren Zwang nicht mehr gekannt. Es soll wohl eine neue korporative Organisation des Handwerks geschaffen, jedoch nicht au der Gcwerbefrciheit gerüttelt werden. (Beifall.) Gerade in der letzten Zeit ist das Verhältniß zwischen Staat und Kirche viel erörtert worden; es scheint eine gewisse Wandlung des bestehenden Verhältnisses, das für alle Bctheiligten unerträglich geworden wax, in Aussicht zu stehen- Es ist vom Gang nach Kanossa die Rede ge wesen; wir wollen jedoch lieber abwarten, wie sich die Dinge entwickeln. Ich kann nicht glauben, daß ein Mann wie Fürst Bismarck, der mit der Regelung der Verhält nisse zwischen Kirche und Staat ebenso wie mit der Grün dung des Reiches persönlich verknüpft ist, muthwillig die unveräußerlichen Rechte des Staates preisaiebt. (Beifall.) Die Gefahr liegt vielmehr darin, daß Fürst Bismarck im Gefühl seiner mächtigen Person ohne Gesetz mit persön lichen Vollmachten, die er anwenden oder ruhen lassen kann, auskommen zu können glaubt; aber im Laufe der Zeit kommen weniger starke Persönlichkeiten, die in schwachen Stunden leicht zu große Zugeständnisse machen. Deshalb ist zu wünschen, daß das Verhältniß zwischen Kirche und Staat in festen gesetzlichen Formen geregelt sei; die bestehenden Gesetze können in unwesentlichen Einzel heiten geändert werden, jedoch ohne Verzicht auf die prin zipiellen Punkte; E Preisgebcn der Position des Staates wird von unserer Partei nicht gebilligt. (Beisall.) Weit bedenklicher ist das Verhältniß der Schule; hier ist eine Verständigung zwischen Ultramontanen und Orthodoxen weit leichter zu erzielen; hier wird deshalb in den nächsten Jahren die größte Wachsamkeit geboten sein, zumal bei dem Mangel eines Schulgesetzes und der sich daraus er gebenden Freiheit der Verwaltung. Die Lage ist für die Liberalen eine besonders schwie rige; wir haben die Sezession zu bedauern gehabt und müssen uns sagen, daß für ein Zusammengehen mit der Fortschrittspartei zu positivem Wirken in der nächsten Zukunft kein Platz sein wird; die Fortschrittspartei wünscht dies selbst nicht; ihre exklusive Behandlung der Politik würden wir uns nie aneignen können. Wir müssen unsere volle Selbständigkeit ebenso nach links, wie nach rechts und der Regierung gegenüber behaupten. Der alte gesunde Zustand des Zusammenwirkens mit ihr ist nicht mehr vorhanden; in dieser Krisis können wir nicht lange bleiben ohne schwere Schädigung der Gesammtheit. Hoffen wir, daß sich die Regierung bald entschließt, wieder mit einer festen Mehrheit nach festen Plänen zu wirken. Wann das wieder der Fall sein wird, ist nicht abzusehen. Einstweilen müssen wir — und ich scheue mich nicht da vor — müssen wir für uns selbst stehen- Dazu ist erfor derlich, daß die Partei fest in sich zusammenhält, daß sie weiß, was sie will und daß sie im Reichstage wie im Landtage in bedeutender Zahl vertreten ist. Möglich, daß wir diesmal noch einige Sitze verlieren, wenn auch eher ein Gewinn zu erwarten ist. Aber jedenfalls wird die Partei ihren Platz behaupten, weil sie nicht entbehrt werden kann, denn eine maßvolle Mittclpartei ist unter allen Umständen nöthig, sie ist fest begründet im bürger lichen und bäuerlichen Mittelstände. Ganz besonders nöthig aber ist sic in unserem jungen Reiche; ginge sie jetzt unter, sie würde alsbald wieder entstehen. Also lassen Sie uns das Vertrauen nicht verlieren, und wenn wir dieses behalten und energisch in die Wahlen eintreten, werden wir den uns gebührenden Platz im Parlamente finden und bewahren für bessere Zeiten!