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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.10.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-10-14
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18961014011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896101401
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896101401
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1896
-
Monat
1896-10
- Tag 1896-10-14
-
Monat
1896-10
-
Jahr
1896
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Netlamen unter dem Nedaetionrstrich (4go- spalten) öO^Z, vor den Familieunachrichte» (K gespalten) 40 Gröber» Schriften laut unserem Prei». »rrzeichaiß. Tabellarischer und Zissermatz auch höherem Tarif. Gtztra »Beilagen (gefalzt), nur mit de» Morgen - Auögabe, ohne Postbefördrrung ^l KO.—, mit Postbefördrrung 70.—. Zinnahmeschluß fiir Anzeigen: Abrud-Ausgabe: Vormittag« 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet« an die Expedtttaa zu richten. Druck nnd Verlaa n->n K. Polz ln Leipzig SV. Jahrgang Rußlands Machtstellung in Europa. («in «Pils» zu »er Sarrnreise.) SS Für da» Verbältniß Rußlands zu den europäischen Mächten hat der Besuch de» Zaren bei den verschiedenen Höfen etwas wesentlich Neues nicht gebracht. Es war für den, der die europäische Politik nach ihrer nothwendigen Entwickelung verfolgt und nicht lediglich auf einzelne Worte oder einzelne Ereignisse hervorragenden Werth legt, auch schon vor der Zarenreise kein Geheimniß, daß Rußlands Be ziehungen zu Großbritannien recht küble, zu den beiden Kaiserreichen gute und zu Frankreich sehr herzliche seien. Eines aber haben die Zarenrrisen darzethau, einerlei, ob der Zar in Wien oder in Breslau oder in Balmoral oder in Paris weilte: Daß Rußlands Stellung in Europa gegenwärtig eine so mächtige ist, wie sie e« bisher in diesem Jahrhundert noch nicht gewesen ist. Rußlands Einfluß in Europa war in diesem Jahr hundert ein sehr wechselnder; neben Zeiten bedeutenden Ein flüsse« sehen wir Zeiten eines erheblichen Niederganges. Der Fürstencongreß zu Erfurt 1808, die Zähre 1848—1853, sowie die Jahre 1866—1875 stehen in einem erheblichen Gegensätze zu den dreißiger Jahren, zu den fünfziger Jahren und zu dem Ende der siebziger Jahre. Es ist ein eigen artiger Zufall, daß Rußland jedesmal nach großen orienta lischen Berwickelungen an Einfluß einbüßt, in den Zwischen« Zeiten seine bedeutende Stellung aber immer wieder zurück gewinnt. So hervorragend nun auch die Machtstellung Rußlands in den Zeiten deS Erfurter Congresses, der deutschen und der österreichischen Revolution und de« deutsch österreichischen und deutsch-französischen Krieges war, so muß doch zugegeben werden, daß der Einfluß, den es gegen wärtig in die Waagschale wirft, rin noch bedeutenderer ist. Worauf beruht dieser Einfluß? E« ist zweifellos, daß Rußland» Reichlhum an hervorragenden Diplomaten ihm viele Erfolge eingebracht hat, ebenso viele beinahe, als die Ungeschicklichkeit seiner Gegner; eS ist nicht minder zweifellos, raß Rußland in lwirtbschaftlicher nnd kultureller Hinsicht mächtig fortschreitet; es versteht sich schließlich von selbst, daß ein Staat von 80 Millionen Einwohnern eine große politische Bedeutung besitzt, aber all diese Momente wurden die hohe Bedeutung deS russischen Einflusses auf die Geschicke Europa nock nicht genügend erklären. Wenn alle Welt heutzutage auf jedes Wort, daß der russische Zar ausspricht, achtet und es in dem einen oder anderen Linne auslegt, so hat Rußland diese so schmeichel hafte Beachtung vor Allem der französischen Revanche lust zu verdanken. Die Unfähigkeit der Franzosen, sich mit gegebenen Verhältnissen abzufinden, hat cS nothwendiz ge macht, daß ganz Europa seit 25 Jahren in Waffen starrt; sie hat eS veranlaßt, daß der Dreibund sich zusammenschloß, nm dem berufsmäßigen Friedensstörer die Lust, den Frieden Europas muthwillig zu gefährden, zu benehmen; sie hat endlich die Verbindung Rußlands und Frankreichs bervorgerufen, denn da« republikanische Frankreich würde nie daran gedacht haben, dem autokratischen Rußland sich in dieser Weise zu nähern, wenn eS nicht von Rußland die Erfüllung seiner Wünsche erhoffte. Dadurch ist für Rußland eine Situation geschaffen, wie sie vorzüglicher nicht gedacht werden kann. Es ist in der Lage, seinen Zielen im Osten nachzugeben, ohne zu be fürchten, daß ibm eine der kontinentalen Mächte in den Arm fällt, oder daß diese Mächte sich zusammenlhun, um ihrer seits eine aktive Nolle in Asien zu spielen. Man erinnert sich, daß der Fall eineß coalirten Zusammengehens euro päischer Mächte in Asien nicht nur eine müßige Combination ist, sondern schon in die Wirklichkeit übersetzt worden ist. Man denke nur au den gemeinsamen Krieg, den Frankreich und England gegen China führten. Der Gefahr, durch eine derartige Verbindung in seinen Plänen gestört zu werden, ist Rußland jetzt überboben, einmal, weil Frankreich schon mit Rücksicht auf daS Vcrhältniß zu Rußland nicht einseitig mit England zusammen in Asien vorgehen kann, und zweitens, weil die kontinentalen Mächte durch die Nothwendigkeit, gegen französische Gelüste auf der Hut zu sein, noch weniger al« sonst Neigung haben, ihre Kräfte durch Aspirationen im Osten zu zersplittern und außerdem dadurch Rußlands Gegner schaft hervorzurusen. Durch diese Situation bat also Ruß land als einzigen Gegner bei seinen asiatischen Bestrebungen England gegenüber und es ist in der vortheilhaften Lage, gegen diesen Gegner, wenn eS darauf ankommt, sich mit voller Kraft zu wenden. Rußland hat also ein hobeS Interesse daran, den gegenwärtigen Zustand zu erhalten. Wollte eS sich den französischen Revanchebestrebungen geneigt zeigen, so würde damit — daran kann die französische Stimmung, die sich jetzt wieder bei der Anwesenheit deS Zaren hervorgewagt hat, keinen Zweifel lasten — der Krieg oerbeigefübrt sein. Der Ausgang eine« solchen Krieges aber wäre für Rußlands Pläne unter allen Umständen nachtbeilig. Unterliegt der Zwei bund, so ist Rußlands. Macht geschwächt und Englqnd kann alSdann seinen Vortheil daraus ziehen, umsomehr als ver Dreibund ihm dann im Interesse der Schwächung Rußland« behilflich dabei sein würde. Siegt aber der Zweibund, sc würde Rußland, das ja auf europäische Erwerbungen nicht ausgebt, keinen Vortbeil haben, wohl aber den Nachtbeil, daß cS im Westen und Südwester» erbitterte Feinde haben würde, die ihm ein energisches Betreiben der asiatischen Pläne zur Unmöglichkeit machen würden, weil es jederzeit seine Truppen macht an der Westgrenze bereit halten müßte. Man ersieht daraus, daß eine Veränderung des gegenwärtigen Zustandes für Frankreich möglichenfalls einen Vortbeil, für England unter allen Umständeti einen Vortheil, für Rußland unter alleu Umständen einen Nachtheil bedeuten würde. Durch diese Sachlage ist zugleich die Grenze de» russischen Einflusses gezeigt. Rußland kann, wenn anders e« seinen Vortbeil wahren will, nicht nach Belieben Krieg oder Frieden herbeiführen, sondern es muß den Frieden in Europa aus recht zu erhalten suchen. Rußlands Friedenspolitik ist also nickt nur auf die persönliche Friedensliebe des Zaren, son dern auf eine politische Nothwendigkeit für Rußland zurückzufübren. AuS dieser Thatsache ist aber für die kontinentalen Mächte die Lehre zu entnehmen, daß sie, um den Frieden zu erhalten, eS nicht nöthig haben, Rußland unter allen Umständen nachzugeben. So wenig erwünscht und angemessen e« wäre, Rußland ohne Noth zu reizen, so wäre e« auch nickt nur unwürdig, sondern der Lage der Verhält nisse nach überflüssig, unter Schädigung der eigenen Interessen Rußland zu weit entgegcnzukommen. Von diesem Gesichtspunkte wird sich auch, daran ist kein Zweifel, Deutschland bei den Verhandlungen über dieZollschwierig- keiten leiten lassen. „Der Zar dictirt der Welt seinen Willen'" hat in den letzten Tagen in widerlicher Selbsterniedrigung ein fran zösische« Blatt gesagt. Die nichtfranzöstscken Politiker haben glücklicherweise eine andere Auffassung und so hoch sie auch den Einfluß Rußland» veranschlagen, so wissen sie doch wohl, baß auch dieser Einfluß seine natürlichen Grenzen hat, die von Rußland um so sicherer werden respectirt werden, als sie sich mit dem wohlverstandenen Interesse Rußlands voll kommen decken. Deutsches Reich. L Berlin, 13. Oktober. AuS einer Zuschrift de« Herrn Negierungsrath« Bormann an die „Bossische Zeitung" ent nehmen wir mit Befriedigung, daß die Förderer des Planes einer ostafrikanischen Centralbahn geneigt sind, den Bau der Strecke bis Mgororo al« völlig selbstständiges Unter nehmen behandeln zu lassen. Wir haben den Eindruck, daß hierdurch der Plan selbst recht wesentlich gefördert werden könne. Die Strecke bis Mgororo liegt innerhalb der, wenn man so sagen darf, wirthschaftlich erschlossenen Zone. Betreffs dieser Strecke, die einen fruchtbaren und klimatisch gesunden Tbeil des Landes mit der Küste verbindet, in ihrer Dodenbeschaffenheit bekannt ist und eine geordnete Verwaltung besitzt, sind die Voraussetzungen für einen Bahnbau überall andere, al« betreffs de« Hinter landes. Die Kostenanschläge für den Bahnbau und die Rentabilitätsberechnungen sieben hier auf festerer Unterlage, und das allgemeine Bedürfniß der Bahn läßt sich besser beurtbeilen. Es zeugt nur von bösem Willen, wenn tue »Voss. Ztg." den billigen Prei« des brasilianischen KaffeeS mit dem Preis vergleicht, der heute noch für einen, übrigens zugestandenermaßen qualitativ unvergleichlich besseren, ostasrika- nischen Kaffee bezahlt werden muß. Im HandelStheil wußte die „Voss. Ztg." s. Z. sehr wohl zu unterscheiden, wie viel billiger ein Product angeboten werden kann, wenn e« durch geordnete Verkebrsgelegenbeit dem Weltmarkt angeschlossen ist, al« wenn eS mühsam Hunderte von Kilometern weit ans Karren gefahren oder vonSchwarzen getragen werden muß. Was für die Goldfelder Australiens recht war, darf un« für die Plan tagen bis Mgororo billig sein. Wir glauben denn auch, daß dieses Stuck der Bahn, für sich selbst genommen, so viel leichter als wirthsckaftlich nützlich nachgewiesen werden kann, um eine Zinsgarantie dafür beim Reichstag durchzusetzen. Denn hier ist auch die Besorgniß ganz ausgeschlossen, daß das Reich eines Tages die Bahn übernehmen müßte, nur damit sie nicht eingeht und verrostet; und hier ist es einfach abgeschmackt, wenn die radikalen Gegner jeder colonial politischen Unternehmung das Volk gruseln machen wollen, alS werde die Zinsgarantie von etwa einer halben Million Mark jährlich dem Steuerzahler schließlich „Hunderte von Millionen" kosten. * Berlin, 13. Oktober. Die ofsiciöfe Meldung, daß bei der Con vertirung der 4procentigen Reichs- und preußischen Staatspapiere auf 3Vrprocentige mit Milde und Schonung vorgegangen und besonders die Labe der Witt wen und Waisen von Beamten und Osficieren berücksichtigt werden solle, war von einigen Blättern so gedeutet worden, daß diesen Wittwen und Waisen eine Entschädigung zugekackt sei. Dem treten die „Berl. Pol. Nackr." durch folgende Ausführung entgegen: „Ein solcher Versuch einer Entschädigung gewisser Classen der Bevölkerung, Stiftungen und gemeinnütziger Anstalten würde wohl undurchführbar sein, hätte auch kaum eine innere Berechtigung, da Niemand einen Anspruch gegen den Staat auf eine höhere Verzinsung erheben kann, als sich nach der dauernden Gestaltung des Geldmarktes al« angemessen erweist, hier umso weniger, als durch die beabsichtigte Convertirung ein CapitalSverlust kaum eintritt. Auch wäre die Grenze, bei Weicker eine solche Ent schädigung beginnen nnd aufhören sollte, unmöglich zu finden. Auch bei früheren Convertirungen hat man weder in Preußen, noch in anderen Ländern jemals hieran gedacht. Wir glauben daher nicht, daß eine derartige Absicht der StaalSregierung besteht, und fassen die obige Notiz dahin auf, daß bei Gelegenheit der Convertirung in Er wägung genommen werben soll, die Wittwen- und Waisen-Pensionen der Beamten und Ofsiciere, welche in vielen Fällen, wie allgemein anerkannt ist, recht niedrig sind, einigermaßen auszubessern. Für die Zukunft wird eS in dieser Beziehung eines Gesetzes bedürfen, während für die jetzt vorhandenen Wittwen und Waisen vielleicht durch Einstellung eines Dispositionsfonds ge holfen werden kann, welcher in Verbindung mit Len zu diesem Zwecke bereits vorhandenen Fond« dazu dienen würde, im Falle des Bedürfnisses angemessene Beihilfen zu gewähren. Ueber die Einzelheiten sind in dieser Beziehung Wohl noch keine bestimmten Beschlüsse gefaßt." F-urHetsn. Moderne Regie. Bon Camillo Heyden.*) Nachdruck verboten. „Bringen Sie das Wolfsfell herbei!" pflegte der Director und Regisseur einer Provinzbühne zum Theaterbiener zu sagen, und jeder Kenner seiner „Regiekunst" wußte dann, daß er beabsichtige, einen hocharistokratischen Salon auf die Scene zu stellen. Denn die« Wolfsfell und da« unglückliche Ergebniß eines Versuch«, die würdigen Züge des Herrn Direktor« mit dem Pastellstifte festzuhalten, waren die ge heiligten Abzeichen fürstlicher Wohnräume auf diesen Brettern. „Gute bürgerliche Zimmer" wurden durch einen Spiegel und zwei Phantasie-Landschaften, deren Sujet unklar blieb, gekennzeichnet; im Ucbrigcn reichte ein halbes Dutzend Stühle, zwei Tische, allenfalls noch eine Portiere und eine Decke völlig au«, um allen JnscenirungSaufgaben völlig zu genügen. So wurde vor einem, zwei Jahrzehnten Regie geführt. Und so stand r« nicht etwa nur an Schmieren und kleinen Provinztheatrrn: auch da« königl. Schauspielhaus in Berlin zeigte noch bi« tief in die 80er Jahre hinein Zimmer von beleidigender Kahlheit, Zimmer, dir dem Zuschauer nie den Gedanken anfkommen ließen, daß Menschen sie bewohnten, Zimmer, die ganz nach dem tragen Schlendrian der über kommenen Regiekunst gestellt waren und in Stücken von Moser und Lindau, Freylag und Benrdix gleichmäßig wieder kehrten. Seither ist ein gewaltiger Umschwung auf dem Gebiete der Regie eingetrrten. Eine künstlerische Revolution bat be gonnen, deren weitere Entwickelung für die künftige Ge- ftaltung unseres Theaterwesens von geradezu unabsehbarer Bedeutung sein muß. Der erste Anstoß zu dieser Umwälzung ging von den Meiningern au«. Herzog Georg, beleidigt durch die unschöne Dürftigkeit der Bühnen-AuSstattung, stellte da- Princip auf, daß die Scenen stet« «in geschlossene« und schönheitsvolles Bild geben müßten, ein Bild, daß nach dem Gesichtspunkte der Stilechthrit zu componiren sei. Er be rührte sich in seiner Auffassung einigermaßen mit Goethe, der die bildmäßige Wirkung der Scene so hoch dewerlhrtr, daß er einmal einen unglücklichen Zuschauer hinter den Coulisien, der in seiner Neugier den Kopf etwa» zu weit vorgestreckt batte, mit den Worten anoonnerte: „Man störe mir mein Bild nicht!" ES entstand also jene schnell berühmt gewordene Serie jener farbensatten Meininger Bühnenbilder, wie di« historischen Fotheringhay-Dcenerirn in der „Stuart" oder da« fckön« Gelehrten-Zimmer in der „Hexe". Aber hierbei konnte man nicht still stehen. Auch diese Räum« — Straßen, Schlösser, Zimmer — wäre» nicht die Wohnvlätze lebender Menschen, sondern glänzende Pracht- und Schaustücke, Bilderbogen. Da« modern« WahrheitS- *) Der Herr Verfasser »ar selbst al« Regisseur an einem große» dermch,« Hostheoter thatig. bedürfniß verlangte mehr. Stärker und stärker empfand man eS, daß jedes Volk, wie jeder Einzelne sich seine eigene Umgebung schaffe, daß eine jede bewohnte Oertlichkeit die Spuren ihrer Bewohner in taufend kleinen Zeichen trage. Die gleiche Empfindung äußerte sich in der modernen Dichtung. Die Menschen Ibsen'« und Björnson'S waren geradezu an gewisse Lokalitäten gebunden. Zu den „Gespenstern" gehörte glaubhaft und wirklich di« Fjordlandschaft, in den strömenden Regen gehüllt. Die „Neuvermählten" beruhten ja in ihrer Entwickelung zum großen Theile geradezu darauf, daß die peinlich-saubere, altmodische, pedantische Einrichtung de« alten Amtmannpaare- im Hause der Jungen genau wiederholt wird. Und dank folgten unsere deutschen Autoren nach und stellten ihre Menschen in charakteristische Interieur«, die mit Ein« von ihrem Leben und Wesen sprachen: Sudermann, Hauptmann, Halbe, v. Wolzogen. So ging's denn nicht mehr mit dem allen Schlendrian, eine ganz neue Aufgabe bot sich der Regie auf dem Gebiete der äußeren miss eu-sc-ve, die Aufgabe, auf der Bühne Stimmungsbilder zu schaffen, sie so zu gestalten, daß der Duft einer bestimmten Stimmung den Zuschauer sofort anweht, wenn sich der Vorhang über dem Bühnenbild« gehoben hat. Früher machte man zum Regisseur den ersten besten aus gedienten Mimen, der sonst zu nichts mehr gut war. Da geht nun nicht mehr an. Die Regie ist zu einer eigenen und eigenartigen Kunst geworden und der moderne Regisseur muß sich mit dem feinsten Verständnisse in den Charakter der dramatischen Personen zu versenkrn verstehen, um die hundert Kleinigkeiten erfinden zu können, die „Stimmung" machen. Der Oderstlirutenant Schwartz« in der „Heimath", der alte loyale Soldat, hat sicher sein Zimmer mit den Portrait« König Wilhelm'« und seine- ritterlichen Sohne« geschmückt, und vielleicht hängt an der Wand noch in GlaS und Rahmen von Anno 7V her die Depesche über die Schlacht, in der er mitgefochten. Im Pfarrdause Hoppe'«, dem Schauplatz der „Jugend", müssen blütbenweisr Vorhänge an den Fenstern von deutscher Reinlichkeit und ein paar Geraniumtöpfe von deutscher Gemülhlichkeit erzählen. Nora'« Möbel dürfen nicht in einem Stile gehalten sein, denn wir wissen, daß e« ibrem Manne lange recht schwer ging; langsam sind die Möbel zusammrngekauft worden, hier und dort, so und so. Im Heim de« Stadtmusikn« Miller e>wartet man die Silhouetten von Schwestern und Basen, Oheimen und Neffen, fein klein bürgerlich ordentlich gerahmt und streng symmetrisch gehängt. In solchen Einzelheiten muß sich der Unterschied der dramatischen Charaktere spiegeln. Der Raum de« unzufriedenen Baumert in den „Webern" ist dunkel, ist schmutzig (denn die Mädchen erklären ja, zu nickt- Zeit zu baden), ist schmucklo«. Beim gottesfürchtig,n Hilfe aber, dem strammen allen Soldaten, dem festen Freund von Ordnung und Recht, denken wir e» un» Heller, sauber; rin Jrsu-bildchen hängt wohl an der Wand, und rin areller Oeldruck vom Könige ist wohl auch da. In solchen Einzelheiten kann sich endlich auch der Fortgang der Handlung selbst «»«drücken. Wenn Magda (in der .Heimath") in« Elternhaus zurück gekehrt ist. dann muß in der peinlichen Ordnung dirs^ Hauses Unordnung und Willkür sich andeuten: hier ist ein Parfümfläschchen sieben geblieben, dort wurde ein hoch moderner Hut schnell hingeworfen und vrrräth den ein gedrungenen Schwarmgeist. Was hier an einzelnen kleinen Beispielen gezeigt wurde, das gilt ebenso für's Große und Ganze. Die unbewohnbar hohen, mit pomphaften Schnörkeln versehenen Zimmer, die die Regel waren, verschwinden. Die Höhe der Räume wird nach ihrem jeweiligen Charakter bemessen, und der „Zerbrockene Krug" spielt sich nicht mehr in einer palastäbnlichen Halle ab. Die hingeschmierten Fernsichten werden durch stimmungsvolle Landschaften ersetzt, wie sie unS z. B. bei Anzengruber'schen Stücken so oft entzücken, und mir scheint die Zeit nicht mehr fern, wo man die Hilfsmittel de« Panoramas zur Erhöhung der Illusion zu Hilfe nehme» wird. Der Dekorationsmalerei öffnen sich hier überall noch gewaltige, zum Tbeil noch kaum in Angriff genommene Aufgaben. Wir wollen im „Faust" an Marthe'« Gärtlein mit Sonnenblumen und Fliederbüschen, mit Rosenhecken und Stiefmütterchen-Beeten wirklich glauben können. Und der Wald, in dem sich „Hänsel und Gretel" verirren, muß als ein wirklicher Rauschewalv und Dämmer wald un« erscheinen. Hat aber der Regisseur ein glaubhafte- und stimmungs volles Bühnenbild hergestellt, so steht er erst vor dem zweiten großen Problem, dem delikateren Theile seiner Thätigkeit: der inneren Regie, der Schulung und Behandlung des Menschenmatrrial«. Für den Regisseur alten Stile« gestaltete sich freilich auch diese Aufgabe sehr primitiv: er setzte die Auftritte und Abgänge jedes Schauspielers und die „Stellungen" fest; und wenn er sich einer besonderen Bildung rühmte, dann machte er allenfalls gelegentlich darauf aufmerksam, daß Pylade« auch nach seinem Ableben den Accent nur ungern auf der zweiten Silbe trage, oder daß sich für die Anrede „Sir" die deutsche Aussprache nicht empfehle. Inzwischen ist mit Macht der Anspruch in den Vordergrund getreten, daß vor Allem der StimmungSgrhalt jede« Drama« geschlossen zum Ausdruck» gelange. Durch d>e Betonung dieser Auf fassung ist die Wichtigkeit de- Regisseur« ungemein gesteigert. Der moderne Regisseur muß der Aufführung einen einheit lichen Stempel aufkrücken; von ihm hängt e« ab, ob in der „Jungfrau" daS Visionäre und Traumdafte oder da« rein Historische zum Mittelpunkt gemacht wird, ob Ibsen'« „Ge spenster" auf den Seeltrikampf einer Mutter ober auf den TodrSkampf eine« Kranken hinausgespielt werden. Man erkennt unschwer, von weich' tiefgreifender Bedeutung folche Grundgedanken für die ganze Darstellung werden müssen, sie bestimmt e», auf welche Gestalten da» Licht gesammelt, welche Anlage den Charakteren gegeben wird, wie di« einzelnen Rollen zu einander abgrpaßt werden. Wird in der „Jungfrau" der Kern in dem Traumleben und der mystischen Sendung Johanna« entdeckt, so muß Johanna da« ganze Stück unbedingt beberrfchrn, muß di, Farbengebung leise und gedämpft sein, müssen dir historischen Ereignisse nur sozusagen wie em stilrchtrr Rahmen behandelt werden, während gerade sie bei entaegrngesetzter Auffassung da» ganze Stück mit Prunk und Pomp erfüllen und daher Johan,»'» luftig« Gestast drücken müssen. Und da« erwähnte Stück Ibsen « würde, wenn die Mutter in den Mittelpunkt gestellt wird — ein Versuch, der bisher in ausreichender Weise noch nicht gemacht worden ist —, von dem quälenden Charakter, der ihm sonst stet- anhaften wird, viel verlieren. Wie erreicht es nun der Regisseur, einem Stücke eine ge schloffene Grundstimmung aufzuprägen? Durch die Heraus arbeitung und Betonung der Gestalten und Scenen, in denen sich diese Stimmung ausspricht. Eine Gestalt gewinnt oder verliert an Bedeutung in der Oekonomie des DramaS, je nachdem sie von einem stärkeren oder schwächeren Darsteller gegeben wird. Man wird mit Rücksicht auf den Bruch im Ausbau „Cäsar'S" gut thun, die Figur des Diktators selbst schauspielerisch nicht zu scharf bervortreten zu lassen, damit das später unbedingt erforderliche Interesse für Drutu s diesem nicht von vornherein entwandt werde. Umgekehrt muß man in Jbsen'S Rätbselstücke „Dir Frau vom Meere" die geheimnis volle Gestalt des Fremden, so klein die Rolle auch ibrem Umfange nach ist, unbedingt einer ersten Kraft anvertrauen, weil sie für daS Verständnig deS Stückes von höchstem Belang ist. Nimmt man eine Scene in breitem Tempo, häuft man auf einen Theil oder eine Seite des Dramas äußeren Glan; oder besonder- scharfe Charakteristik, so wirkt sie natürlich als eine entscheidende Note. Ich babe Ausführungen der „Hermannsschlackt" aeseben, in denen das Eigenthümlicke und Fremdartige in den Sitten und Costümen der alten Germanen >o stark hervorgekehrt war, daß das Stück einen ethnographischen Cbarakler erhielt und sein eigentlicher Kern verdeckt wurde. Und hält man in Oswald'« KrankheitSscenen ein schleppendes Zeitmaß fest, so werden die „Gespenster" stet- ein pathologisches Drama bleiben. Um aber eine einheitliche Stimmung zu erreichen, ist für den Regisseur die energische Schulung des gesummten Sckau- spieler-Personals Voraussetzung. In Frankreich ist man langst in dieser Richtung vorgegangen. Hier wird der Bühnen künstler, und trüge er den berühmtesten Namen, von Regisseur und Autor scharf angrfaßt und in den Dienst des Ganzen gestellt. Bei un« ist man in dieser Beziehung zaghafter, gern läßt man dir hervorragenden Darsteller ihren eigenen Weg geben, und oft erreicht man dadurch eine ausgezeichnete Einzel rolle, aber ein schlechtes Zusammenpassen der verschiedenen Theile und Rollen de- Stückes. In dem Widerstande der Künstler gegen eine energische Erziehung durch den Regisseur liegt die größte Schwierigkeit für den Fortschritt »er Regiekunst im modernen Sinne. Aber unzweifelhaft wird diese Schwierigkeit überwunden werden. Denn der Regisseur al» ein bloßer Arrangeur gehört der Vergangenheit an; und die künstlerischen Bedürfnisse der Gegenwart erfordern auf dem Regiestudle feinsinnige und eigenartige Künstler, die selbstständig Bühnenwerke nachzudichten und kraftvoll und stimmung-reich in die theatralische Wirklichkeit zu übersetzen verstehen.
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