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WSchinUich <rs<d-in-n tret Nummern. Prznumerstionr- Prei« 22) Sgr. (j Tblr.) »ier'eljährgch, ! Thlr. für dnS g-mjk Jahr, ohne Er- döbung, in allen Theilen her Preußischen Monarchie. Magazin für die Man rrSnumerirs auf hießs Liieraiur-Llait in Berlin in der Expedition der Allg. Pr. SkaalS-Zeirung (FriedrichSffr. Nr. sT); in der Provinz so irie in> Tndlande bei den WohllSb!. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. 114 Berlin, Mittwoch England. - Geschichte des Londoner Straßen-Ansrufs. Roch gestern tobte in London der Lärm der periodisch wiever- kehrenden constiiutionellen «aturnalien, aber dieser Lärm war eher Geheul als Geschrei zu nennen. Zn diesem Lärm brach die politische Stimme des Volks hervor, die schreckliche Stimme, wenn sie vor einem jener Stürme aufbraust, wie der, welcher RomuleeS wegraffte. Aber gestern proklamirtc diese Stimme bloß die neuen Mitglieder des Parlaments, theils Tories, theilS Whigs. Eine Geschichte-des politischen Geschreis in London würde zugleich eine Geschichte der Englischen Revolutionen sepn, denn es giebt wohl keine Phgse der selben, wo das Volk, d. h. das Volk der Straße, das Volk, welches heult und schreit, nicht seine Stimme abgegeben hätte. Aber London hat noch eine andere Stimme als die der Politik, und diese kann einer Skizze der gewerblichen und Handels-Revolutionen der Haupt stadt zur Grundlage bienen. Bor vierhundert Jahren trieben die Mitglieder der bedeutendsten KaufmannS-Eorporationen ihren Handel auf den öffentlichen Plätzen wie gewöhnliche Hausircr; sie riefen ihre Magren vor ihren Läden und auf den Straßen aus. In Eheapsive sah man eine ganze Kaufmanns- Bevölkerung, welche unaufhörlich und in allen Tonarten rhreSammt- und Seidenwaaren anpricS. In der Umgegend von Westminster war Ler Lärm weniger groß. Wo man sich hinwendete, horte mau schreien: „Wollen Sie verkaufen? Wollen Sie wechseln? Hier sind feine Hüte zu verkaufen! Hier Brillen!" Brillen vor oer Erfindung der Buchdruckerkunst! Der Absatz kormte nicht bedeutend sepn; aber Westminster war damals der Sammelplatz der Gesetzeskundigen und der Prozessirenden, welche die Hieroglpphen der Englischen Gesetze studiren mußten. Dort ging der Luitenhändler, der sein Fäßchen unter dem Arm trug, mit majestätischen Schritten auf und ab, indem er rief: „Hüne vvrüing ink, gonrlomcn!" Aber auch für die Damen war gesorgt, für sie wurde gerufen: pins, prett> wo,nun!" — Gute Stecknadeln, schöne Damen! — .,Nmm Gremi!" — Pari ser Zwirn! — „Velvet anü tuflhizZ" — Sammi und Taffet! Die Straßen waren damals wahre Bazare, wo nicht nur die Kaufleute als Herren schalteten, sondern wo auch alle Gewerbe frei geübt wurden: sie zeigten ein pittoreskes und belebtes Bild, welches Hogarth den Stoff zu seinem „wütenden Musikus" gegeben hat. Der Stuhlflcchter, Oki ckuw-e to.menü! hatte seine Werkstatt unter freiem Himmel aufgeschlagen, eben so der Kesselflicker, der jedem Vorübergehenden seinen Keffclstickerwitz: „.Luv evork tue ckukn Om>- per?" Haben Sie Arbeit für Hans Kupfer? an den Kops warf. Unter der Regierung der Elisabeth erklärte der Gemeinoe-Rath auf Veranlassung der Klagen, welche die Bürger gegen die Eorpora- tionen erhoben, daß Lie Straßen und Plätze der Stadt für die Eir- culation bestimmt sepcn und nicht als Verkaussplätze dienen konnten. Im siebenten Jahre der Regierung Karsss i. verklagte dieselbe Be hörde die hausirendcn Kaufleute als übelthäterische und trotzige Menschen, aber die Sitten der Zeit duldeten alle Unordnungen, und erst tKS4 wagte man gegen Vie Hausirer «inzuschreiten. Man stellte sie in eine Kategorie mit den Dieben und Bettlern. Drese Strenge, die Lurch den Rech der Ladenbesitzer hervorgerusen wurde, war übri gens ganz unnütz. Die Repressiv-Maßregeln blieben ohne Folgen, weil die Hausircr sich mit den Polizei-Beamten abzufinden wußten und ihr Geschält nach wie vor trieben. Ueberdies waren die Läden so schlecht versehen, daß man die herumziehenden Händler kaum ent behren konnte. Diese wurden freilich allmälig verdrängt, aber nicht durch die ausgesetzten Strafen, sondern durch Lie Pracht und Leu Reichthum der Läden. Die Trödler, Lie nicht weniger-Lärm mach ten, haben dasselbe Schicksal gehabt. Die Eisenträmer haben ihre Wanderungen einstcllcn müssen, eben so wohl wie die alten Weiber, welche die Köchinnen aufforderten, die Fleischtöpfe zu schäumen und von den Ragouts das Fett abzuschöpfen. lcckekenmutl' Kave Hm makt? Habt Ihr Speisereste zu verkaufen, Ihr Mädchen?" Nur die Kleiverhändler haben sich erhalten; aber es sind nicht mehr vw grotesken Erscheinungen von sonst, die mit drei Hüten aus- stasfirt waren, in jedem Arm einen betreßten Anzug trugen, im Gürtel zwei oder drei silberne llhrcn zu Hänge» hatten und außerdem noch mit Nappieren, Mandolinen und langen Spanischen Röhren be packt waren. Der jetzige Aleiderirödler Hai weder Haltung noch Originalität; er ist ein schmutziger und ekelhafter Mensch von un heimlichem Aussehen, mit zerlumpten Kleidern, der unsicheren Schrit den 22. September 1841. tes durch die Vtraßen wankt und nur einen dumpfen Brustton aus« stößt: „Oki cloevrol" (Alte Kleider.) Es giebt keinen elendere» Anblick als den Londoner Kleidertrüoler in seiner jetzigen Gestalt. Der Pariser Kleidertrödler hat noch ein gewisses munteres Wesen, er trägt die Rase im Winde und dreht den Kopf auf den Schultern wie eine Wetterfahne. Seine Augen scheinen alle Fenster zu befra gen, während feine Lippen die Aufforderung absummen: „Habile! Kabir»,! mareüumü ü'babir»!" Der Londoner Trödler geht immer mit gebeugtem und unbeweglichem Haupte einher; sein Gang ist langsam, seine Augen sind halbgeschloffen; er scheint in das tiefste Nachdenken versunken und über die Wandelbarkeit des menschliche» Schicksals nachzndenken. Aber man glaube nur ja nicht, daß er schlaft; er spielt die Rolle Ler Kaye, die den Mäusen auflauert. Sein Blick ist aus alle unterirdischen Küchen gerichtet, denn hier findet er die reichste Beute; er lauert jeder Bewegung der Köchin oder Kammerfrau auf. Wenn er ein altes Kleidungsstück erhascht hat, so muß man sehen, mit welchen gierigen Augen er seine Beute mustert, mit welcher Hastigkeit er sie hin und her wendet und sie eiapackt. Die alten Kleider werden gesäubert und gewaschen und dann in einen klebrigen Stoff getaucht, der den schwächeren Stellen wieder eine gewisse Festigkeit giebt und es möglich macht, sie wieder mit dem Schein der lange entbehrten Wolle zu versehen. Zu diesem Zwecke wird der aufgefrischte Rock, wenn er noch naß ist, mit einem feinen wolligen Pulver bestreut, welches BerfahrSn auch bei den Sammttapeten angewendet wird. Derselbe wird sodann eine Zierde von Vkonumuik-utceoc oder schmückt einen Bewohner von Australien. In den Straßen von London findet man jetzt nicht mehr die armen Teufel, welche unter der Last ihrer schwarzen und schweren Säcke einhergingen und von Thür zu Thür riefen: „small eom»!" (kleine Kohlen.) Die Verkäufer von Holzscheiten sind ebenfalls ver schwunden, eben so wie ihre getreuen Gefährten, die Holzhauer. Jetzt, wo wir so reichlich mit Brennmaterialien versehen sind, Ivo «n> Dampfschiffe und Wagen uns unaufhörlich Steinkohlen von Newcastle zuführcn, lächeln wir mitleidig über eine so armsellge Aushüife und begreifen nicht, wie unsere Väter sich damit begnügen konnten. Aber im fünfzehnten Jahrhundert hatte das Parlament die Erdkohle mit einem Bann belegt, und das Holz war theuer; die Krämer und Bürger von London lebten ärmlich, und für die Heizung war sehr schlecht gesorgt. Die Wohnungen waren damals wenig gegen die cinkringende Kälte geschützt, und die aus einander klaffen den fichteneu Bretter, welche den Fußboden bildeten, waren noch mit keinen, Teppich bedeckt. Glücklich waren noch diejenigen, welche beim Schrei Gnueen! saniere! ihre Schubfenster öffnen und sich rin Bund Stroh heraufdringen lassen konnten. Zn einem der Statute Heinnch's VII. wird den dienstchuenven Offizieren anempfohlcn, -aS Schlafzimmer LeS Königs jeden Abend mit frischem Stroh bestreue» zu lassen. Jetzt haben alle Krämer von London kostbare Teppiche in ihren Wohnungen. Der Ruf: „Eine Sänfte, he!" (8e<!an Ku!) versetzt uns ins fünfzehnte Jahrhundert. Damals sah man in den engen und schlecht- gepflasterten Straßen von London noch keine Wagen; das Pferd war das einzige Transportmittel vornehmer Leute; die Sänfte warffür Damen, Kranke und Greise bestimmt. Aber die Sänfte wurde durch den Wagen verdrängt. Gegen I.RM fingen die höheren Stände in London an, sich desselben zu bedienen, und Z» Jahre später erließ das Parlament die berühmte B:ll, welche den Gebrauch der Wage» beschränken sollte. Vornehme Leute fuhren nur, und da das Reite» aus der Mode gekommen war, so. gingen die Edellente, welche weder Wagen noch Dienerschaft halten konnten, zu Fuß. In allen Straße» Warrn damals schon dienstfertige Wesen, welche den armen Ldelleute» zurtefen : „Meine Herren, lassen Sie Ihre Schuhe wichsen." Die Eier wichse trat so an die Stelle des schwarzen Steins der Bürger Ler Citp, denn uian ries damals: „Ich habe schwarze Steine, um Pan toffeln und Schuhe zu schwärzen." Die. Anlegung der Trottoirs, das Wichsen mit der Bürste und der iuuner mehr um sich greisende Eomfort haben den xliovc-black verdrängt; am Ende des achtzehnte» Jahrhunderts, ist der Straßen - Stiefelputzer eine gefallene Macht. Wo wäre jetzt ein Eommis oder Schreiber, der nicht mit Zackirte» Schuhen ausgiuge? Die wunderbaren Provuctioncn von Hunts mnv Warren werden jetzt in glänzenden Wagen durch die Straßen ge fahren, -welche die Dorübergeheuxen mit Köth bespritzen. So sehr haben sich die Zelten geäuderi! Auch die vorsorgliche Empfehlung deS cvatckman: „Junge Mädchen, zündet Eure Lichter an, erleuchtet Eure Laternen! es ist