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Nr. L8V V. Iahrgautz Sonnabend den SV. August LV1Q Erscheint tüglich nachm, mit Nuk^nhme der Sonn- und Festtage. AnSgabe l.r Mit »Die Zeit in Wort und Bild- dtertcljührlich. 2,l0 ^ I» Dresden durch Boten 2,40 In gLiij Deutschland srei Hau» 2.H2 AuSaab« N.i Ohne illnitrlerte Beilage diertelj >,8« 2». I» Dresden d. Boten 2,10 In ganz Deutschland frei HauS » 22 ^ -««nzel.Hr. lt» 4 - Z-itungSpretSl. Nr. «858. Unabhängiges Tageblatt für Wahrheit, Recht und Freiheit Inserat« werden die »gespaltene Petitzeile oder deren Raum mit 18 ^.Reklamen mit 80 U die Zeile berechnet, bet Litederholungen entsprechenden Rabatt Vnchdruckerei, Redaktion und WcschäftSktellei LreSdeu. Ptllnttzer Strafte 4». — Fernsprecher ISSN Für Rückgabe unverlangt. Schriftstücke kein» Verbindlichkeit Redaktions-Sprechstunde: 11—12 Uhr. ^s'fs'isLksncj imcj labsnc! l)s'6cl0-^i8b66s'6N Ve s^kuacl 15 ^fsnnißs. Gerling L siock5troti, llresäen. 8iscisniskdr> In slisn Sikwttsilsn- lt>b Liberale Steuerlegenden widerleg der Abgeordnete Dr. Arendt im „Tag" (Nr. IN vom 18. Juli 1910) und stellt damit vor aller Welt fest, daß die liberale Presse und die liberalen Redner das deutsche Volk im letzten Jahre auf unverantwortliche Weise zu täuschen versucht haben. Dr. Arendt behauptet von sich, daß er an allen Verhandlungen zwischen den Block- Parteien lebhaften Anteil genommen habe und daß daher „keiner , ?r an den Verhandlungen beteiligt gewesenen libe ralen in d sreisiunigen Abgeordneten irgend eine Berich tigung i leiner Darstellung wird geben können". Wir glauben l is au >, denn eimal war Dr. Arendt der eifrigste Blockfreutd au der Rechten und dann eignete er sich auch gut zum .lnre mndler; wir wissen zudem, daß er sich alle nur erden'lick Mühe gegeben hat, um den Block bei der Reichsfinai;rc orm beieinander zu halten. Wenn nun dieser eisrize Blockunterhändler auch nicht viel neue Tat sachen mitteib kann, so sind seine Feststellungen doch wert voll, weil sie ben von dieser Seite stammen. In welcher Richtung gebe > nun diese? 1. Der gesamte Liberalismus wollte 6 00 Millionen Mark neuer Steuern be willigen. Entgegen anderen Behauptungen, die man als „Legenden des Liberalismus" bezeichnet, schreibt näm lich Dr. Arendt folgendes: „Tatsächlich waren alle Block parteien einschließlich des Freisinns darüber einig, daß dein Reiche 600 Millionen Mark neue Einnahmen erschlossen werden mußten. Die freisinnige Partei hatte die Höhe dieses Bedarfes ebensowenig bemängelt wie eine andere bürgerliche Partei. Ebenso bestand eine volle Ueber- cinstimniung aller bürgerlichen Parteien einschließlich des Freisinns, daß 100 Millionen Mark durch Besitzsteuern, 400 Millionen Mark durch indirekte Steuern aufzubringen seien. Nur unter dieser Voraussetzung konnten die Frei sinnigen dem Blockkompromiß zustimmen. Denn dieses fetzte die Summe der Steuern aus Einkommen, Vermögen und Erbsckmst auf 100 Millionen Mark fest, welche die Einzelstaaten für das Reich erheben sollten. Durch die Zu stimmung zum Blockkompromiß haben demnach die Frei sinnigen die Tatsache — die bei den damaligen Verhand lungen übrigens gar nicht strittig war — zweifelfrei fest gelegt, daß ihnen 100 Millionen Bcsitzsteuern genügten, und Laß sie mithin 400 Millionen indirekte Steuern zu be willigen bereit lvaren." Diese Feststellung ist zutreffend. Daneben halte man aber die Tatsache, daß die neue Mehr heit 310 Millionen Mark indirekte und 135 Millionen Mark an direkten Steuern genehmigt hat und dann die liberale Hetze wegen der indirekten Steuern. 2. Tie Liberalen haben die Ablehnung der Erbs aftssteuer mit verschuldet. Diese lhochinteresia > Feststellung macht der reichsparteiliche Ab geordnete in ckgenden Worten: „Die Liberalen haben dem Blockkompro ß zugestimmt, das der Erbschaftssteuer nicht Vorarbeiten, ndern das sie beseitigen sollte. Eben um die Finanzrefori durch den Block zur Annahme zu bringen., einigten sich cke Parteien, die streitige Erüschafts- steuer au znschalten und statt ihrer den Einzel- staaten die Erhebung der Besitzsteuer zu überlassen. Die Liberalen ha sich auch nicht „alle Mühe gegeben", die Erbschaftsstem r zur Annahme zu bringen, sie sind viel mehr an ihr-1 Ablehnung fast ebenso schuld wie die Leitung des Bundes der Landwirte. Bei der ersten Lesung der Neichsfinanzreiorm wurde bekanntlich die Erbschaftssteuer gerade von der Linken sehr sckprf bekämpft. Die National liberalen erklärten, daß sie sie einstimmig ablehnen und an ihrer Stelle die Reichsvermögenssteuer fordern würden. Der Freisinn erklärte, auch seinerseits die Vermögenssteuer vorzuziebcn. In der Finanzkommission fiel die Erbschafts steuer mit allen gegen 6 Stimmen-. Hätte die Linke von vornherein die ausschlaggebende Bedeutung der Erbschafts steuer klar erkannt und hätte sie den von vornherein ver- fehlten Versuch der Reichsvermögenssteuer („wir werden sie durchsetzen", sagten mir damals liberale Führer) unterlassen, so wäre die starke Strömung zugunsten der Erbschaftssteuer innerhalb der deutschkonservativen Fraktion, die zeitweise den dritten Teil der Fraktion ausmachte, wahrscheinlich siegreich gewesen Ganz bestimmt wäre das aber der Fall gewesen, wenn die Linke rasch und entschlossen Sicherheit für das Zustandekommen der Finanzreform überhaupt bot." Auch diese Darstellungen stimmen. 3. Die Liberalen verursachten das Schei tern des Blockes. Solche brüderlichen Auseinander setzungen würden unS zwar wenig angehen, sind aber in diesem Zusammenhangs recht interessant, zumal sie er kennen lassen, welch schwierige Situation das Zentrum vor fand. Dr. Arendt sagt darüber: Gerade das Verhalten der Liberalen in der Finanzkommission war es, das den block freundlichen Flügel der Konservativen daran verzweifeln ließ, daß mit der Linken das schlechthin notwendige Werk überhaupt zustande kommen könnte. Bewilligungsbereit stand das Zentrum daneben. Im „Tag" habe ich damals warnend die Stimme erhoben. Ich habe der Linken vor gehalten, daß eine Verständigung der Rechten und des Zen trums über die Finanzreform möglich, eine Verständigung der Linken und des Zentrums unmöglich sei. Die drohende Gefahr ist den führenden Liberalen oft und nachhaltig vor gestellt, sie überschätzten aber leider die Stärke ihrer Position, indem sie den Opfermut Bülows unterschätzten. Sie hielten sich für unentbehrlich und glaubten, ihre Be dingungen vorschreiben zu können. Da bot die unvorher gesehene Abstimmung über die Liebesgabe bei der Brannt weinsteuer nicht die Ursache, sondern den Anlaß zum Scheitern des Blockes. Gerade über die Liebesgabe '.rar eine Verständigung zwischen der Rechten und der Linken so gut wie gesichert. Die Linke wollte sich mit einer Herab setzung der Liebesgabe befriedigt erklären, die Rechte war mit dieser Herabsetzung einverstanden. Selbst über die Sätze der Verständigung hatten die freikonservativen Unterhändler eine Vereinbarung fertig. — Da wurden die bestehenden Sätze mit den Stimmen des Zentrums und der Polen in der Kommission angenommen. Das Ergebnis war kein endgültiges, die Führer der Linken wußten, daß die deutschkonservative Partei trotzdem in die Herabsetzung willigen würde, man glaubte aber ein agitatorisch sehr wertvolles Moment gefunden zu haben. Noch zwischen der zweiten und dritten Lesung im Plenum ist führenden Natio nalliberalen von berufenster Seite mitgeteilt worden, daß die Deutschkonservativen bereit seien, einer Herabsetzung der sogenannten Liebesgabe zuzustimmen, wenn die National liberalen die Finanzreform dann annehmen würden. In diesen! Falle hätte auch, das war den Parteien bekannt, Fürst Bülow im Amte bleiben können. Die Antwort der Nationalliberalen aber lautete: „Zu spät!" Da siegte eben schon der Aerger der Liberalen über ihre Niederlage und so gingen sie weiter. 4. Der Liberalismus in selbstmörde rischer Opposition. Das ist zwar keine Neuigkeit, aber doch interessant, wie Dr. Arendt die heutige Lage schildert: „Man zwang die Konservativen förmlich in das Bündnis mit dem Zentrum hinein, statt alles zu tun, um dieses Bündnis zu hindern und den alten Block lebensfähig zu erhalten. Denn der politische Einfluß des Liberalismus hängt, nachdem die Massen teils sozialistisch, teils agrarisch, teils klerikal geworden sind, davon ab, daß eine sozialdemo kratisch-klerikale Mehrheit vom Reichstage serngehalten wird. Das aber ist nur möglich im Bunde, aber nicht in Feindschaft mit den Konservativen. Das Verderblichste der Berliner-Tageblatt-Politik hat der Freisinn einst selbst ein gesehen, jetzt folgt er leider diesen verhängnisvollen Irr wegen. .Da indes Schaden klug macht und der schwerste Schaden nicht ausbleiben kann, so hoffe ich, daß die Linke sich wieder auf sich selbst besinnen und erkennen wird, daß ihr berechtigter politischer Einfluß dessen volle Geltendmachung ich im Interesse des Staatswohles wünsche und fordere, nur Seite an Seite mit der nationalen Rechten erreichbar ist. Der schwere Fehler, den die Linke bei der Reichsfinanz reform beging, indem sie sich der trügerischen Hoffnung hingab, eine Auflösung des Reichstages und bei den Neu wahlen eine Mehrheit der Linken erreichen zu können — diese Illusionen sind nun durch die Nachwahlen grausam zerstört. Mit der Hetze gegen die Reichsfinanzreform, die teils übertrieben, teils illoyal war, wollte man liberalen Wind säen und man erntete sozialdemokratischen Sturm. Der Wunsch der Linken, die Rechte zu schwächen, ist gewiß begreiflich, aber vom liberalen Standpunkte doch nur so lange berechtigt, wie dadurch die Linke selbst gestärkt und nicht geschwächt wird. Die konservativen Mandate gehen aber nicht in liberale, sondern in sozialistische Hände über, und dank der dadurch entstandenen Erbitterung der Kon servativen werden dann auch liberale Mandate an die Sozialdemokraten fallen. Das Endergebnis ist ein Reichs tag mit einer so starken Sozialdemokratie, daß damit nicht zu regieren ist, und die Gefahr der ernstesten inneren Krisen. Die Konservativen sind dann vielleicht ein kleines Häuflein, aber das Häuflein der Liberalen wird noch kleiner und ganz einflußlos sein. Was uns not tut, das ist daß Rechte und Linke zum Heile des Vaterlandes sich wieder -usammenfinden." Daß Dr. Arendt wieder einen Block wünscht, überrascht uns nicht; aber gerade seine Bäume wer, den nicht in den Himmel wachsen. Für seine anderen Dar legungen sind wir ihm vom Zentrumsstandpunkte aus sehr dankbar. Politische Rundschau. Dresden, den IS. August 1910. — Zu de« Poseuer Kaisertagru haben polnischen Blättern zufolge von geistlichen Würdenträgern Einladungen zur Festtafel erhalten: der Weihbischof Dr. Likowskt und Dom propst Dr. Wanju ra aus Posen, sowie zwei Mitglieder des Gnesener Domkap'talS. Die Namen der letzteren werden in der polnischen Presse nicht genannt. — Der Großherzeg von Hessen wird am 22. August in Friedberg eintreffen, um dort persönlich sämtliche An ordnungen für den Zarenbesuch zu prüfen. Am 23. August trifft die Zarenfamilie in WolfSgarten ein. Am 25. August wird sich das Herrscherpaar zusammen mit dem Grobherzog und seiner Gemahlin nach Friedberg begeben. — Der Reichsanzeiger gibt die Ernennung des Staats- sekretärs des Auswärtigen Amtes, Wirtlichen Geh. Rats v. Kidrrleu-Wächter zum Bevollmächtigten zum BundeSrate bekannt. — Der in Bremen so jäh aus dem Leben geschiedene Präsident von Chile, Moutt, wird seine letzte Ruhestätte in Deutschland, und zwar in Berlin finden. Die Leiche des Präsidenten wird in der Hedwigskirche aufgebahrt werden. An einem noch festzusetzenden Tage der nächsten Woche soll daselbst eine Feierlichkeit stattfinden, die mit allen einem Staatsoberhaupte zukommenden militärischen und sonstigen Auszeichnungen verbunden sein soll. — Bei der Laudtaglersatzwahl im zweiten Wahlbezirk dcS Regierungsbezirkes Allenstetn, die in Allenstein statt fand. wurden insgesamt 377 Stimmen abgegeben. Davon entfielen auf Eczpriester Romahn-Rössel (Zentrum) 375 und auf Privatdozent Dr. GigalSki-Braunsberg (Zentrum! 2 Stimmen. Elfterer ist mithin gewählt. — Aus Anlaß deS großen Brandunglücks, daS die Weltausstellung in Brüssel betroffen hat, sprach der Deutsche HaudelStag der Ausstellungsleitung sein herzliche-Beileid aut — ReichStagSkaudidatur de» Herrn v. Gerlach. In der Generalversammlung deS Allgemeinen Volksvereins in Marburg wurde der bekannte Herr v. Gerlach als Reichs tagSkandidat aller linksstehenden bürgerlichen Parteien vo? geschlagen. Der Vorstand des Allgemeinen Volksverk-Ins soll sich mit dem Liberalen Volksverein zu Marburg w egen der baldigen Regelung der Kandidatenfrage in Verbindung setzen. In der Versammlung wurde hervorgehoben, daß der jetzige Abgeordnete Dr. Böhme zwar sein Mandpt nicht niedergelegt habe, aber keine Lust zu haben scheine, in dem Wahlkreise wieder zu kandidieren. Und wenn er kandi diert. dann fällt er sicher durch, dafür werden die Zentrums- Wähler sorgen. — Die Gründung einer Propagaudagesellschaft für dir deutschen Kolonien wird jetzt amtlich bekannt gegehrr Zweck des Unternehmens ist eS. die Kenntnis von unsere deutschen Kolonien durch Abhaltung von Vorträgen u>i ähnlichen Veranstaltungen im deutschen Volke zu erweitern Von Hamburg aus sollen durch das ganze Deutsche Nein Vortragende gesandt werden, die in den einzelnen Städte Vorträge halten. An der Spitze deS Unternehmens sieb', eine Anzahl erster Kaufleute Hamburgs. DaS erinne stark an den Flottenverein. Wenn es sich nur um Auf klärung handelt, dann ist die Sache gut und nützlich, aber wir sind gegenüber solchen Gründungen sehr mißtrauisch und raten unseren Lesern ab. sich hierbei zu beteiligen. In Wahlzeiten wenden sich solche Vereine stets gegen das Zentrum. — Ueber die südwrstafrikanischen Diamantenfunde ver öffentlicht die „Tägl. Rundschau" in ihrem Unterhaltungs teile interessante Schilderungen, die mit ihrer Haltung im politischen Teile gar nicht übereinstimmen. Ein Reise- bericht schildert die Bemühungen der Schürfer, in Deutsch' land Geld zu erhalten: „Stauch und seine Genossen hofften auf ihre eigens Firma Lenz. Durch die Firma Lenz waren sie als Beamte der kolonialen Eisenbahnbau- und Betriebsgesellschaft nach Südwestafrika gekommen. Sie wollten aus Anstands- und Pflichtgefühl heraus ihre Firma an den seltenen Funden beteiligen. Die reiche Gesellschaft würde wohl leicht die 40 000 Mark, die nötig waren, zum eigensten Vorteile ein schießen. Ein Vertrag wurde aufgesetzt, je 20 Prozent Anteil behielten sich Stauch, Nissen und Weidtmann vor, 40 Prozent übertrugen sie an ihre Firma. Ueber den Ver tragsentwurf äußerte sich die Firma sehr befriedigt. Die notwendigen weiteren 40 000 Mark wagte sie aber nicht und den Harrenden wurde das Wort „Abgelehnt" telegra phiert. Da nahm Nissen seine letzten 40 000 Mark und legte sie still hin. „Hier! Weiterarbeiten!" Anfang August trat Stauch wegen Erteilung der Abbaurechte mit der Kolo nialgesellschaft in Unterhandlung, am 21. September wurde ihm für seine 64 Schürfkreise Abbaurecht erteilt. Bevor es indessen so weit kam, hörte Stauch noch einmal das Wort: Abgelehnt." So ging eS in der Tat. Don Berlin aus wurde zuerst nicht ein roter Heller riskiert. Erst als man die hohen Werte erkannte, stellte sich das Großkapital ein und Dern- burg half mit, daß dieses den Rahm abschöpfen konnte. — Priester und Presse. Die liberale und sozialdemo- kratische Presse scheint von einem Tobsuchtsanfalle befallen worden zu sein, weil es in Ueberlingen 39 wackere, pflicht bewußte Priester gewagt haben, das frivole Treiben des liberalen „Seeboten" gegen Christentum, Papst, Bischöfe und Klerus ins rechte Licht zu rücken und vor diesem Blatte zu warnen. Man beliebt nun, das ganz berechtigte, Pflicht- gemäße Vorgehen dieser Geistlichen so hinzustellen, als handle es sich um eine Agitation für das Zentrumsorgan in Ueberlingen, und zieht dann dementsprechend über die „Preßagenten und GesckMSvertreter" deS Zentrums in der