Volltext Seite (XML)
Fünfundzwanzig Fahre Deutscher Gtüdtetag Achte Saupiveeiammimg ln Dreien Der „Deutsche Städtctag", der Knsammenschlntz der deut schen Städte, der als solcher »2 NtMionen Menschen ersaßt, trat heute morgen in Dresden im großen Saal des Aus- stellungöpalastes zu seiner achten Hauptversammlung zusammen» die gleichzeitig der Feier seines 28jährigen Bestehens gilt. Bon Dresden ging einst der Gedanke zur Gründung ans; der scinerzeitige Oberbürgermeister Dr. Beutler gab die Anregung, und zwar aus der Versamm- lung deutscher Städte anläßlich der Städtcauöstellung zu Dresden im Fahr« 1888. Damals stand aus der Tagesordnung als erster Punkt: „Die sozialen Ausgaben der deutschen Städte". Auch heute stehen soziale Fragen im Vordergründe, nur daß sie jetzt mit erdrückender Schwere lasten . . . Als Präsident Dr. Mulert die Hauptversammlung er öffnet-, konnte er neben den Vertretern kleiner, mittlerer und größerer Städte zahlreiche Ehrengäste begrüßen, unter ihnen Vertreter der Reichsregierung, der preußischen Landes regierung, den preußischen Innenminister Dr. Waentig, Sachsens Ministerpräsidenten Schi eck und den sächsischen Iiiianzmintster Dr. Hedrich, den Neichsbankpräsidenten Dr. Luther, scrucr Persönlichkeiten aus den Parlamenten des Reiches und der Länder, Vertreter der Wirtschaft, des Handels, der Wissenschaft und befreundeter Verbände, nicht zuletzt auch den greisen Bürgermeister Wibaud iAmster- -amj, der trotz seiner 77 Jahre noch aktiv an der Verwaltung der Stabt Amsterdam tetlnimmt. In seiner Ansprache „Fünfundzwanzig Jahre Deutscher Städte tag" sührte Präsident Dr. Mulert etwa folgendes aus: Die deutschen Städte haben das Schicksal der Nation mit erlebt und mitgetrage». Mit Dankbarkeit begrüßt der Stüdtetag die Städte des besetzt gewesenen Gebietes als befreit in seinen Reihen, und gibt der Hossnung Ausdruck, daß auch die Städte aus dem deutschen Saarland in Bälde wieder frei zur Mitarbeit bei ihm erscheinen können. Der Deutsche Städtetag will die Städte als kulturelle und wirtschaftliche Mittelpunkte in ihrer Lebendigkeit und Ini tiative erhalten wissen. Er erstrebt eine Selbstverwaltung nicht nur nach Form, sondern auch nach Inhalt. Eine solche muß Bewegungö- «nd Handlungsfreiheit haben. Die Stellung der Städte im Staat hat sich in den letzten 25 Jahren, insbesondere aber in der Kriegs- und Nachkriegs zeit, grundlegend gewandelt. Immer stärker wird die ge meindliche Arbeit durch Reichsmaßnahmen unmittelbar be einflußt. Das Schicksal der Gemeinden ist ein allgemein deutsches Problem geworden. Das Mißverhältnis zwischen materiellem Einfluß des Reichs und formaler Zuständig keit der Länder äußert seine ungünstige Auswirkung fast bei jedem die Gemeinden berührenden wichtigen Reichsgesetz und ist die Ursache für viele die Gemeinden einengenden Bindungen. Aufgabe des Deutschen Städtetages ist es, in der täglichen Mitarbeit bei Gesetzen und Verordnungen des Reichs, den Bedürfnissen der örtlichen Selbstverwaltung die notwendige Beachtung im einzelnen zu sichern, darüber hinaus aber dar aus hinznwtrkcn, daß bei der kommenden Reichsreform die jetzigen Mängel im Rcichsausbau auch, soweit sie die Ge meinden in der untersten Instanz betreten, beseitigt werden und damit den Gemeinden neben Reich und Ländern eine staatsrechtliche Stellung eingerZumt wird, die sie voll zur Erfüllung ihrer Aufgaben sähig macht. Wie gegenüber Reich und Staat, so beherrscht der Gedanke der Gcmetnschastsarbeit auch die innere Arbeit des Städte- tagcs, bei der er es als seine Aufgabe ansicht. seinen Mit gliedern sowohl i» grundsätzlichen Fragen, wie auch aus den verschiedensten Arbeitsgebieten im Einzelsalle mit Rat und Tat zu Helsen. Der Gedanke der Zusammenarbeit beherrscht die Stellung des Städtetagcs sowohl den anderen kommu nalen Spitzcnverbänden gegenüber als auch bei seiner Ein stellung zu den großen Verbünden des Wirtschafts lebens. Der Städtctag betrachtet es als seine Ausgabe, in gegenseitiger Verständigung durch entsprechende Fühlung nahme wirtschaftliche Fragen zu fördern und dabei die Be dürfnisse der Allgemeinheit zur Geltung zu bringen. Nur aus den Bedürfnissen der örtlichen Gemeinschaft heraus ist cs möglich, eine Entscheidung darüber zu treffe», welche wirtschaftlichen Ausgaben von einer Gemeinde in Angriff genommen und wie sie dnrchgefllhrt werden sollen. Die Gemcinwirtschas« soll ans sozialen und gemeinde- politischen Gründen im allgemeinen nur da eingreisen, wo dies im Intcrcsse einer gleichmäßigen, sozial trag baren «nd wirtschaftlich zweckmäßig ansgcbauten Ver sorgung der Bevölkerung liegt. Die organisatorische Ueberwinbuna der schwierigsten Ausgabe der Gegenwart, des Problems der ArbettS- losigkeit, ist durch das LoStrennen aus dem engen Zu sammenhang mit der gemeindlichen Arbeit wesentlich er- schwert. Die stärkste Einschränkung der Selbstverwal tung liegt nach wie vor aus dem Gebiete der Finanzen, lieber Einnahmeseite und AnSgabeseite entscheide» schließlich in Wirklichkeit nicht die Organe der örtlichen Gemeinschaften in eigener Verantwortlichkeit, sondern da» Parlament »es Reiche«, die Parlament« der einzelnen Länder und daneben noch eine ganze Anzahl von der Gemeindeverwaltung losgelöster Einzelstellen. Dadurch wurde der echte Kern der gemeindlichen Selbstverwaltung, die sinanzielle Sclbstverantwort- lichkeit der Gemeinden, immer mehr verwischt. Die selbstverantwortltche Beschlußfassung bei der Ein kommensteuer ging durch Reichsgesetz verloren, die Be weglichkeit der Rcalsteuern und der Werktarise erstarrte teils unter dem verstärkten Zugriss der Länder, teils infolge über hoher Inanspruchnahme. Staatspolitische wie dringendste kommunalpolitische Notwendigkeiten verlangen die Wieder herstellung echter finanzieller Eigenverantwortlichkeit. Die Gemeinden müssen wiederum die Fähigkeit erhalten, Ein nahmen und Ausgaben in eigener Verantwortlichkeit i» ein richtiges Verhältnis miteinander zu bringen. Können die Städte ihre Ausgaben aus sozialem, wirtschaft lichem, kulturellem Gebiete nicht mehr erfüllen, so sind damit auch die wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen Grundlagen nicht nur der Menschen zerstört, die ihr Leben in städtischer Um gebung verbringen müssen, sondern die des ganzen Volkes. Das mögen namentlich auch alle die bedenken, die durch eine Abdrängung der Städte vom Kapitalmarkt zugleich eine wirt schaftlich gerechtfertigte Besserung des Lebensstandards städti scher Bevölkerung htntanhaltcn. Die Arbeit, die die deutschen Städte in den letzten 25 Jah ren vollbracht haben, mar größer und vielseitiger als in jedem früheren Zeitabschnitt. Die deutsche gemeindliche Selbstver waltung hat in der ihr eigentümlichen Zusammenarbeit zwischen gewählten Vertretern der Bürgerschaft, dem ehren amtlichen Element und dem Berufsbcamtentum die ihr aus der Zeit heraus erwachsenen Ausgaben zu erledigen gemußt. So war auch Einstellung und Ziel der Städtetagsarbcit in den ersten 25 Jahren und wird es auch für die kommenden Jahrzehnte bleiben: Dienst für die deutschen Städte, Dienst am deutschen Volke. Ministerpräsident Schieck begrüßte den Städtetag namens der sächsischen Staats- rcgierung: Freude, Stolz und Dankbarkeit empfindet die sächsische Staatsregierung, weil der Deutsche Stäbtetag, besten hohe und weite Bedeutung uns soeben wieder durch die Worte des Präsidenten Dr. Mulert vor Augen geführt worden ist. in Sachsens Hauptstadt zu seiner Iubiläumstagung zu sammengetreten ist. Aufrichtigen Glückwunsch entbietet ihm die sächsische Regierung zu dem, was er in 25jähriger Arbeit geleistet hat. Was die deutschen Städte unter dem Drucke der Verhält nisse durch eine oftmals allzusehr aus den Tag gerichtete Ge setzgebung, im Widerspruche mit den Verheißungen des Von der Nachrichtenstelle der Staatskanzlci wird folgen des mitgctcilt: Das Gcsamtministerium hat die bereits angekündigte Notverordnung über die Gemeinde-Bier st euer, -Bürger st euer «nd «Getränkesteuer sGemeinde» steucrnotverordnnngs am SS. September durch Verkündung im Sächsischen Gesetzblatt Nr. 21 in Krast gesctzt. Es glaubte sich dazu verpflichtet aus Grund der Verordnung des Reichspräsidenten vom 28. Huli 1888, deren Durchsührung sür die sächsischen Gemeinden der Regierung vcrsastnngsmäßig obliegt. Die sächsische Gemcindesteuernotverordnnna führt die Biersteuer obligatorisch sür alle Gemeinden ein. sic beteiligt die Bezirksverbände an dem Ertrag und läßt die Verwaltung der Biersteucr sür die bezirkSzngchörigen Gemeinden im Interesse der beteiligten WirtschastSkreise und der Gcschäftsvereinfachung in den Händen der Bezirksver- bände. Als Landcösatz der B ti r g e r st e u e r werden die von der Verordnung des Reichspräsidenten zwingend vorgcschrie- benen Mindestsätze cingesithrt lk RM. jährlich bei Einkom men von nicht mehr alS 8888 NM., gestaffelt bis zu 1888 RM. Bürgerstcuer bei einem Einkommen von mehr als 888 888 NeichSmarkj. Die Negierung würdigt die verschiedenen, im Zwischen» auSschuß des Landtags vorgcbrachten Bedenken; an gesichts der ständig «nd beängstigend wachsenden Rot der Gemeinden, di« insbesondere aus der dauernd zunehmenden und weit über dem ReichSdnrchschnitt liegenden Zahl der WohlfahrtSerwerbö- losen beruht, hält sie aber den Erlaß der Notverordnung s ü r dringend geboten. Es kann sür die nächste Zeit nicht damit gerechnet werden, daß die Belastung der Gemeinden «nd Bezirksverbände durch die WohlsahrtserwerbSlose« «nd Krisen?« rsorgennter- stütznngsempfänger geringer wird. I« Gegenteil, die Be- lastnug sttr die «nsgabe» wir» steigen» »ährend di« Leist«». Weimarer Verfass» ngs Werkes, an Selbstverwal tung eingeb üßt haben, das müssen, das werden sic wiedcrerhalten Vor allem müssen sie wiederbekommcn die finanzielle Selbst- verantwortung. Wegen der großen Zukunstsaufgaben, an denen der Städtetag mitzuwirken berufen ist, brauche ich nur das Wort „R e i ch s r e s o r m" auszusprechen. Er arbeitet tatkräftig mit am Erlasse einer deutschen Städteordnung. Die andere große dringliche Ausgabe, die auch ich nochmals er wähnen will, ist und bleibt der Finanzausgleich und, was vielleicht noch wichtiger ist, der Finanzhoheits- a u s g l c i ch. Unter Führung des Gemeindetages und seiner tätigen Mitwirkung ist in Sachsen die Selbstverwaltung in den Apparat der K o m m u n a l a u s s i ch t eingeschaltet. Träger der Gemeindeaufsicht sind die Beschiußbehördcn und die Gemeindekammer. Ein Drittel der Mietzinssteuer wird vom Wvhnungsbaustock verwaltet. Dem notwendigen Aus gleich der Mängel, die sich bei der Zuweisung der Reichs- und Landesstcuern für die Gemeinden ergeben, dient der Lasten ausgleichstock. Bei allen diesen Behörden und Ausschüssen wirken die Vertreter der Selbstverwaltung mit. und seit kurzem ist der beim Sächsischen Gemeinoetag und dem Ver band der Bezirksverbände gemeinschaftlich gebildete Kredit- ausschuh wirksam der Aufsicht über die kommunale Finanz gebarung vorgeschaltet worden. Vielleicht kann und möchte diese Entwicklung in Sachsen für die Gestaltung der Ver hältnisse im ganzen Reiche von gewissem Einfluß sein. Als dann der preußische Innenminister das Rednerpult betrat, wurde er mit lebhaften Pfuirufen empfangen: Worte wie „Beamtenschinder", „Arbeitermörder", „Polizeibüttel" wurden laut, und die Rede wurde ständig von Zwischenrusen unterbrochen. Innenminister Prof. Dr. Waentio führte aus: In einer Zeit der Not haben die deutschen Städte die Vorzüge der Selbstverwaltung, Sclbstverantwortung, Tat kraft und Anpassungsfähigkeit gezeigt. Eine solche Ver gangenheit gibt uns die Gewähr, daß sie auch die Prüfungen der Zukunft siegreich überstehen werden. An den Erfolgen der Selbstverwaltung hat der Deutsche Städte tag hervorragenden Anteil. Das preußische Mini sterium des Innern hat in langer Tradition stets die Auf fassung vertreten, daß vornehmste Aufgabe der Kommunal- aussicht nicht die Kontrolle der Gesetzmäßigkeit, nicht der staatliche Eingriff bei einem Versagen der Selbstverwaltung, sondern die verständnisvolle Betreuung und Vertretung der ge« der Arbeitslosenversicherung — wenigstens in Sachsen — schon bei einem gewissen Bcharrungszustand angelangt sind. Bei der Finanzlage des Staates sowie gegenüber der Erklärung der maßgebenden Rcichsstellen, daß sür dieses Rechnungsjahr eine sinanzielle Hilfe für die Gemeinden vom Reiche in keiner Form mehr zu erwarten sei, bleibt allein die sofortige und tunlichst erschöpfende Anwendung der Verordnung des Reichspräsidenten. Eine Ver zögerung der Einführung der Notverordnung bis zur cnb, gültigen Beschlußfassung des Landtags wäre nicht zu ver antworten gewesen. Der monatliche Ausfall sür die Gemein den des Landes würde allein bet der Biersteucr rund drei, viertel Millionen NM. betragen. Auch für die Bürgerstcuer und die Gctränkesteuer der Gemeinden mußte aus dem gleichen Grunde sofort die Möglichkeit der Einführung eröffnet werden. Die einzige Regelung in der Notverordnung, die nicht der zwangsläufigen Ausführung der Rcichsvcrordnung dient, ist die obligato rische Festlegung der Biersteucr sttr alle Gemeinden deS Landes unter Mitbeteiligung der Bezirksverbände, denen auch die Verwaltung obliegt. Für diese Regelung spreche« aber überwiegende Gründe der Zweckmäßigkeit, die die kom munalen Stellen und auch die beteiligten WirtschastSkreise als richtig anerkennen werden. Sic schützt die Haushalte der Bezirksverbände vor plötzlicher Unordnung, dient dem not wendigen Ausgleich und ermöglicht die Beibehaltung des bis herigen einfachen Erhebungsapparates. Einem besonders »orgetragenen dringlichen Wunsch a«S den beteiligten Wirtschaftskrisen hat die Regierung aus Au» regung der Wirtschaftspaktes im ZwischenanSschnß des Land tags dahingehend Rechnung getragen, daß die Biersteuer tu den Gemeinden an der tschechoslowakischen Grenze wegen der dort herrschenden Konkurrenzverhältnisse nach den alten Sätzen weiter erhoben werden kann, wenn die Gemeinde — gegebenenfalls mit Zustimmung des Bezirks, verdandes - diese« Wnnsch ausspricht. Die sMssslhe Si«wer«»mmg in Rast gesetzt Gmsührunv -er Gemein-e Biersteuer, -Düryersteuer un- 'Getränkesteuer