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4. PHILHARMONISCHES KONZERT 1970/71 Komponist seit 1970 alsMitarbeiter der Entwicklungsdramaturgie der Deutschen Staatsoper Berlin tätig - in ähnlicher Weise wie Siegfried Matthus für die Komische Oper Berlin wirksam wird. Rainer Kunads bisherige Werkliste umfaßt verschiedene Bühnenwerke, Kantaten, Orchester- und Kammermusik sowie zahlreiche Musiken em Oratorium, zu Schauspielen und Fernsehspielen. Sein schöpferischer Durchbruch erfolgte mit den Aufsehen erregenden Einaktern „Bill Brook" und „Old Fritz", die 1965 erfolgreich von den Landesbühnen Sachsen uraufgeführt wurden. Seitdem hat der Komponist, der stilistisch in der Auseinandersetzung mit der Orff-Schule begann, mehr und mehr die Merkmale einer persönlichen Handschrift ausge prägt. Kunad möchte sein Publikum auf suggestive, faszinierende Weise an sprechen. Er geht dabei kompromißlos und kühn zu Werke mit der ihm eigenen rhythmischen Vitalität, seinem ausgesprochen expressiven Willen - kurz mit einer Haltung, die eine ungemein aktivierende Kraft besitzt. Seine erwiesene musik dramatische Begabung hat inzwischen Äquivalente auf sinfonischem Felde ge ¬ funden. Nun hat er sich erstmals auch mit dem Genre des Solokonzertes aus ¬ einandergesetzt und — wie nicht anders zu erwarten war — auf sehr persönliche . über sein heute zur Uraufführung gelangendes neues und originelle Weise Werk schreibt Rainer Kunad: Das Klavierkonzert, 1969 entstanden, ehrenvoller Auftrag der Dresdner Philharmonie zu deren 100. Geburtstag und diesem Klangkörper zugeeignet, ist der erste Teil einer Konzerttrilogie, die ausschließlich den Tasteninstrumenten gewidmet ist. Der zweite Teil, ein .Konzert für Tasteninstrumente', faßt die ver schiedenartigen Tasteninstrumente zusammen (Cembalo, Klavier, lonica, Cele ¬ sta), während der dritte Teil für die .Königin der Instrumente', die Orgel, kom ¬ poniert sein wird. Die Form des Klavierkonzertes läßt sich mit dem Bau einer Pyramide vergleichen: vom Pianissimo aus erfolgt ein Aufstieg bis zu einem Fortissimo-Gipfelpunkt, dem Zentrum des Werkes, der wieder auf den Ausgangspunkt zurückgeführt wird. So entstehen sieben Abschnitte, die nahtlos miteinander verbunden sind und diesen Aufbau demonstrieren. Es korrespondieren miteinander der erste und siebente Teil, der zweite und sechste Teil, der dritte und fünfte Teil, während der vierte Teil das Zentrum darstellt. Dieses Bauprinzip habe ich bereits in der Oper ,Bill Brook' angewendet, und es zeigt sich daran die Verwandtschaft zwi schen szenisch-dramatischem und dramatisch-konzertantem Geschehen. Es war meine Absicht, das .Virtuose' stets als organischen Bestandteil der musi ¬ kalischen Substanz zu betrachten. Die sieben Abschnitte des Werkes erwachsen aus einer thematischen Grundgestalt, deren Höhepunkt durch konsonierende Klänge angezeigt wird. Solchermaßen will der Versuch verstanden sein, virtuose Entfaltung des Soloinstrumentes und inhaltliche Konzeption in Übereinstimmung zu bringen. - Spielzeit 1970/71 - Chefdirigent: Kurt Masur Programmblätter der Dresdner Philharmonie Redaktion: Dr. habil. Dieter Härtwig - 111-25-12 3,2 ItG 009-40-71 Druck: veb polydruck, Werk 3 Pirna „Sin ¬ in allen Konzertsälen der Welt gilt Ludwig van Beethovens Es-Dur o p. 5 5 als eines der populärsten sinfonischen f o n i a e r o i c a Meisterwerke der musikalischen Weltliteratur. Die einzigartige Größe dieses Werkes ist breitesten Hörerschichten vertraut, die immer wieder begeistert werden von der Idee und dem wahrhaft revolutionären Kraftstrom dieser Musik. Es ist daher kaum mehr notwendig, in einem Einführungstext formale Einzelheiten von Beethovens „Dritter" anzuführen: es sollte darum mehr das große Ganze, das Epochale dieses einmaligen Werkes herausgestellt werden. Fast legendär schon ist die Entstehungsgeschichte der Sinfonie. Beethoven, noch aus seiner Bonner Zeit ein glühender Anhänger von Aufklärung, Demokratie und der Französischen Revolution, empfing 1798 von General Bernadotte, dem Wiener Gesandten der französischen Republik, die Anregung, ein großes Musik- Ehren des Revolutionsgenerals Bonaparte zu schaffen und ihm zu widmen. Begeistert griff Beethoven den Vorschlag auf, doch zögerte er mit der werk zu Hilnarnoonio Ausführung so lange, bis die Werkidee einer ihm vorschwebenden Heldensinfonie mehr und mehr in ihm reifte, und er auch die technische Meisterschaft zu einem solch großen Vorhaben besaß. Erst im Jahre 1801 sind Skizzen für den Trauer ¬ marsch und das Finale nachweisbar. Die genaue Konzeption und schließliche Ausarbeitung seines Projektes begann Beethoven erst 1803 und beendete sie im Mai 1804. Zweifellos hatte der Meister in Bonaparte den ersehnten Freiheits ¬ helden und Vollstrecker einer neuen gesellschaftlichen Ordnung gesehen, ver ¬ merkte er doch auf dem Titelblatt seiner neuen Sinfonie: „Geschrieben auf Bonaparte. Doch als sich am 18. Mai 1804 der erste Konsul der französischen Republik zum Kaiser ausrufen ließ, tilgte Beethoven, grausam enttäuscht über die Wandlung seines Idols zum Tyrannen, die Widmung und überschrieb das fertige Werk nun Heroische Sinfonie, komponiert, um das Andenken eines großen Mannes zu feiern". Darin aber liegt auch die ganze programmatische Idee des Werkes begründet, die Idee vom Heldentum eines von republikanischen das ganz allgemein Tugenden erfüllten großen Mannes, in dessen Erscheinung sich Beethoven die fortschrittlichen politischen und gesellschaftlichen Ziele seiner Zeit repräsentiert vorstellte" (K. Schönewolf) gestaltet, nicht etwa Episoden aus dem Leben Bona ¬ partes. Erstmals ging Beethoven in der „Eroica" — als Konsequenz seiner revo ¬ lutionär-demokratischen Weltanschauung — von einer bestimmten programmati ¬ schen Idee aus. Diese wiederum hatte zur Folge, daß er zu neuartigen künstleri ¬ schen Lösungen kam, ohne dabei etwa die sinfonische Tradition aufzugeben. Dieses Neue, Epochale der schon rein umfangmäßig ungewöhnlichen 3. Sinfonie bewirkte auch, daß die Uraufführung des Werkes am 7. April 1805 im Theater an der Wien selbst bei den innigsten Anhängern Beethovens keineswegs auf vollstes Verständnis stoßen konnte. Ungewohnt aber erschien Beethovens Zeit ¬ genossen nicht so sehr das scheinbar Maßlose einer bis dahin unerhörten Musikentladung", sondern mehr noch die neue Ordnung dieser Sinfonie, die das bei Haydn und Mozart Gewohnte unermeßlich steigerte. Es war, kurz gesagt, die erstmals konsequent angewandte Technik der durchbrochenen Arbeit", ein thematisch-motivischen Materials, das differenziertes Entwicklungsprinzip des seinerseits zur Entfaltung neuer, erweiterter Proportionen bedurfte. Das sinfo nische Schwergewicht ist auf die wesentlich erweiterte Durchführung nament lich des ersten Satzes, gelegt; auch die abschließende Coda hat an Profil und Bedeutung gewonnen. Denkt man an Beethovens 1. und 2. Sinfonie, so werden die Unterschiede gegen ¬ über der 3. deutlich: der beträchtliche Sprung vom Einfachen zum Komplizierten in geistiger, formaler und instrumentatorischer Hinsicht. Die schroffen Disso nanzen und wilden Ausbrüche, die unerwarteten Modulationen verleihen dem ersten Satz seine bestechende Wirkung. Einmalig in der gesamten sinfonischen Literatur ist wohl die Trauermusik des zweiten Satzes. Zum ersten Male voll mit seinen „ Eroica ausgeprägt ist Beethovens Scherzotyp im dritten Satz der hartnäckigen Wiederholungen und dämonischen Steigerungen, die im Trio durch romantischen Hörnerklang unterbrochen werden. Variationsform und Kontra punktik bestimmen schließlich die ungewöhnliche Anlage des Finales mit seinem Dr. habil. Dieter Härtwig tänzerisch-sieghaften Ausklang.