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Voiglliindihher Anzeiger. Amtsblatt für das Königliche Bezirksgericht zu Plaue«, sowie für die Königlichen Gerichtsämter und Stadträthe zu Plauen, Pausa, Elsterberg, Schöneck und Mühltroff. DreiusMebenzigster Fahrgang. Verantwortliche Reoaction, Druck und Verlag vou Moritz Wieprecht in Plauen. Dieses Blatt erscheint wöchentlich viermal, und zwar Dienstags, Mittwochs, Donnerstags und Sonnabends. Jährlicher AbonnemeutSpreiS, welcher pr»oi»w«- rauäo zu entrichten ist, auch del Beziehung durch die Post, 1 Thlr. 26 Ngr. — Annoncen, die bis Vormittags II Uhr eingehen, werden in die Tags darauf erscheinend« Nummer ausgenommen, später eingehende Äunoncen finden in der nächstfolgenden Nummer Aufnahme. — Inserate werden mit I Ngr. für die gespaltene LorpuS-Zeile berechnet. Einzeilige mit 2 Ngr. — Für die auswärtigen Köniz!. Gerichtsämrer und Stadträthe, für welche der Boigtländische Anzeiger Amtsblatt ist, bestehen die Geschäftsstellen in Pansa bei Herrn Jul'us Guido Lorenz, in Elsterberg bei Herrn F. W. Feustel, iu Schöneck bei Herrn Eduard Meyer, in Mühltroff bei Herrn Lhaufseegelder-Einuehmer Holzmüller. Sonnabend. IAO. 3«. August 18SS. Politische Zeitbetrachtungen. 3. Die ersten vierzig Jahre Louis Napoleons 1808 — 1848. (Fortsetzung und Schluß.) Königin Hortense fühlte in ihren Adern den starken Pulsschlag des kreolischen und des französischen Blutes. Von mütterlicher Seite war sie bekanntlich Kreolin. Ihre Mutter, die Kaiserin Josephine, war auf der französischen Kolonie Mar tinique in Westindien geboren, die Tochter der reichen Pflanzerfamilie Tascher de la Pagerie; früh kam sie von dort nach Frankreich, wo sie mit dem Vicomte Alexander Beauharnais in erster Ehe vermählt wurde. Diese Verbindung Josephinens mit Beauharnais hatte im Anfang viel Aehnlichkeit mit dem spä- tern Verhältnisse ihrer Tochter Hortense zu König Ludwig. Auch dort wurde der Bund gegen die Neigung der Verlobten und im Widerspruch gegen ältere Gefühle geschlossen, und die Folge war in der damaligen sittenlosen Gesellschaft dort wie hier dieselbe; die Ehe war lange unglücklich und durch thatsächliche Trennung zerrissen. Josephine kehrte mit ihrer kleinen Tochter Hortense für eine Reihe von Jahren zu ihren Eltern auf Martinique zurück, während der Vater seinen kleinen Sohn Eugen bei sich in Frankreich behielt. Später fand eine Versöhnung statt, Mutter und Tochter kehrten zur Wiedervereinigung der Familie, zum Gatten und Vater zurück. Da kam die Revolution mit ihren Schrecken, und wenig fehlte, daß nicht beide Eltern ihre blutigen Opfer wurden. Alexander Beauharnais, der Großvater Louis Napoleons, hatte an der Umgestaltung Frankreichs in der ersten Nationalversammlung mit Eifer mitge wirkt und nachher mit Ehren als General für die Vertheidigung seines Landes die Waffen getragen. Er gehörte dem freisinnigen, für die neuen Ideen des Jahrhunderts empfänglichen Theile des französischen Aoels an, der die Pflichten gegen das Vaterland über die gekränkten Standesvorurtheile stellte. Änigen Adeligen, die ihn, während er die Alpenarmee befehligte, zur Auswanderung verleiten wollte, entgegnete er: „Geht Ihr zu Euren Prinzen; mein Platz ist in Frankreich; meine Pflicht als Soldat gebietet mir, die Feinde des Staates zu bekämpfen; nie werde ich die Waffen gegen mein Vaterland tragen." Aber während der Schreckensregierung, im Fieberwahnsinn der Revolution, blieb auch er nicht verschont; die Anklagen blinder Parteiwuth, als hätte er sich in der Vertheidigung seines Landes einer verräterischen Nachlässigkeit schuldig gemacht, brachten ihn ins Gefängniß und am 23. Juli 1794 aufs Schaffst, vier Tage vor dem Sturze Robespierres. Am Tage vor seiner Hinrichtung schrieb er an seine Gattin: „Es schmerzt mich, von einem Vatcrlande zu scheiden, das mir theuer ist, und für das ich mein Leben tausendmal gern dahingegeben hätte; nicht genug, daß ich ihm meine Dienste nicht mehr widmen kann, soll ich auch noch im Scheiden den Verdacht eines schlechten Bürgers mit mir ins Grab nehmen. Dieser Gedanke zerreißt mir das Herz und heißt mich, Dir mein Andenken an zubefehlen; wirke für die Ehrenrettung desselben, indem Du zeigst, daß mein Leben, welches ganz dem Dienste des Landes und dem Triumpfe der Freiheit und Gleichheit geweiht war, alle gehässigen Verdächtigungen in den Augen des Volkes widerlegen muß. Ich werde ruhig sterben; mit wehmüthigen Erinnerungen zwar an meine theuersten Bande, aber mit dem Muthe, der einer freien Seele und einem reinen Gewissen eigen ist." Auch seine Gattin entging nur mit Mühe dem Schaffst; im Gefängniß erfuhr sie zufällig aus einer Zeitung den Tod ihres Mannes und mußte jeden genblick gewärtig sein, daß ihre Kerkerthüre sich nur öffnen würde, damit die Wittwe dem Vorangegangenen in den Tod folge. Aber die letzte Nacht vor Robespierre's Sturz brachte ihr die Freiheit. (27. Juli 1794). Es ist bezeich nend für die Denkweise dieser Frau und ihrer Zeit, daß sie später beim Rück blicke auf die damalige Rettung sich des Ausdrucks bedient: „Sollte ich glauben, daß mein Stern mich dießmal vom Verderben entfernt hielt, um mich in der Folge die Launen des unbeständigen Glückes noch besser empfinden zu lassen?" Zwei Jahre später reichte die gerettete Wittwe des Hingerichteten Beauharnais dem General Bonaparte die Hand (8. März 1796), der ihr 8 Jahre darauf, 1804, die kaiserliche Krone ans das Haupt setzte. Diese blutigen Erinnerungen aus der Revolutionszeit hatten für die junge Seele Ludwig Napoleons ohne Zweifel eine große Bedeutung. Sie vergegen wärtigten ihm das Bild seines Großvaters, wie er voll edler Begeisterung für die innere Befreiung und die äußere Unabhängigkeit seines Landes auf dem Schlachtfelde und im Rathe der Nation kämpfte, um dann in der Entfesselung der Parteiwuth sein Haupt unter das Beil des Scharfrichters zu legen. Und aus dem beredten Munde seiner Großmutter, der Kaiserin Josephine konnte er die Schreckensscenen der Pariser Gefängnisse und der Revolutionstribunale mit den lebendigen Farben selbsterlebter Erfahrung schildern hören. So mochte das Beispiel seiner Großeltern ihm zu gleicher Zeit eine gewisse Sympathie für die Ideen der neuen Zeit und einen tiefen Abscheu gegen die anarchischen Orgien der Revolution einflößen. Vielleicht haben wir in diesen verwandtschaftlichen Ein flüssen einen psychologischen Anhaltspunkt für den Enthusiasmus, den LouiS Napoleon in seinen früheren Jahren für die politischen Freiheitsideen der Zeit, sogar in republikanischen Formen, zur Schau trug und wohl anfangs auch wirk lich hegte. Leitet es uns vielleicht auf eine sichere Spur seines inner» Ver ständnisses, wenn wir in ihm gleichsam zwei Naturen unterscheiden, dem Genius der beiden Nationen ensprechend, die sich in seiner Abstammung und in seiner Erziehung kreuzen: von mütterlicher Seite her die Ideen und das Blut Frankreichs, von der Familie Bonaparte dagegen die italienische Erb lehre; von dort die ritterlichen, edelmüthigen Regungen eines Beauharnais, von hier die unausrottbaren Naturtriebe des politischen Ehrgeizes und der un übertroffenen Kunst, die Menschen zu durchschauen und zu benutzen, wie sie seinem Onkel Napoleon I. innewohnten? In diesem Sinne könnte man in den verschiedenen Perioden Louis Napoleon's bald mehr den französischen, bald wieder mehr den italienischen Geist vorwalten sehen, und nicht selten ließe sich von einem innern Kampfe des Franzosen und des Italieners, des Beau harnais und des Bonaparte, mit hoher Wahrscheinlichkeit sprechen. Bis jetzt sind wir zum Behufe einer in die Tiefe gehenden Würdigung von LouiS Na poleon jenen höchst bedeutsamen Beziehungen des Charakters zur natürlichen Abstammung nachgegangen und haben uns mit der geistigen und sittlichen Eigenart der Eltern und Großeltern vertraut machen müssen, um die feineren Faden zu erforschen, die von dort herüber und hinüber spielen. Nun kehren wir zum Verlaufe seiner Schicksale zurück. Noch ehe man des Neffen 6. Geburtstag feiern konnte, sollte unter dm gewaltigen Stößen der sich gegen Napoleon erhebenden Nationen der zauber haft entstandene Bau seines Weltreiches Zusammenstürzen. Schon sah mau im März 1814 die unübersehbaren Schaaren der fremden Sieger heranbrausen, da mußte auch Hortense in größter Eile mit ihren Kindern Paris al- eine Flüch-