Volltext Seite (XML)
setzt sich der verklärte, melodische Gesang des Soloinstrumentes fort. Nach der Durchführung kehren in der Reprise die musikalischen Haupt- und Nebengedanken wieder, vom Orchester wesentlich getragen. Figurenreich ist der Part der Violine, der schließlich in die Solokadenz mündet. Der Schlußteil - mit seiner besonderen Berücksichtigung des zweiten Themas - schließt mit einem schwungvoll-energischen Aufstieg der Geige. Romanzencharakter besitzt das anschließende G-Dur-Larghetto, dessen erstes Thema, von ge dämpften Streichern angestimmt, zu den Hörnern, Klarinetten und Fagotten überwechselt und von Passagen und Trillern der Solovioline kommentiert wird. Ein zweites lyrisches Thema ge sellt sich nach einem Höhepunkt hinzu, von der Geige vorgestellt. Mit einer Kadenz leitet das Soloinstrument zum Rondofinalc (Allegro) über und übernimmt sogleich mit einem fröhlichen, dreiklangsbetonten Hauptthema die Führung, die es nunmehr durchgehend dem „Refrain“ des Orchesters gegenüber beibehält. Der tänzerische Elan dieses Satzes, der formal zwischen Rondo und Sonatensatz steht, durch heitere und auch lyrische Episoden und Einfälle aufgelockert, ist von geradezu mitreißender Wirkung. Die virtuosen Lichter des beglückenden Finales erzeugen den Eindruck eines bunten Wirbels. Mit energischen Akkorden verklingt das Werk. Peter Tschaikowski, der große russische Meister, schrieb wie Beethoven und Brahms lediglich ein Violinkonzert, das allerdings wie deren Werke gleichfalls zu den Glanzstücken der internationalen romantischen Konzertliteratur gehört. Das in Ausdruck und Stil charakte ristische, eigenwüchsige Werk, in D-Dur stehend, wurde als op. 35 Anfang März 1878 in Clärens am Genfer See begonnen und zwei Wochen später bereits vollendet. Tschaikowski widmete das ausgesprochene Virtuosenstück ursprünglich dem Geiger Leopold von Auer, der es aber zunächst als unspielbar zurückwies und sich erst viel später für das Werk einsetzte. Die Uraufführung wagte schließlich Alexander Brodski am 4. Dezember 1879 in Wien unter der Leitung Hans Richters. Unfaßbar will es uns heute erscheinen, daß das Werk vom Publikum ausgezischt wurde! Die Presse war geteilter Meinung. Der gefürchtete Wiener Kritiker Dr. Eduard Hanslick, Brahms-Verehrer und Wagner-Feind, beging mit seiner Rezension des Tschai- kowski-Konzertes wohl einen seiner kapitalsten Irrtümer. Er schrieb u. a. „Da wird nicht mehr Violine gespielt, sondern Violine gezaust, gerissen, gebleut. Ob es überhaupt möglich ist, diese haarsträubenden Schwierigkeiten rein herauszubringen, weiß ich nicht, wohl aber, daß Herr Brodski, indem er es versuchte, uns nicht weniger gemartert hat als sich selbst. . . Tschaikowskis Violinkonzert bringt uns zum erstenmal auf die schauerliche Idee, ob es nicht auch Musikstücke geben könnte, die man stinken (!) hört.“ Haarsträubend, schauerlich mutet uns heute dieses Fehlurteil Hanslicks an, das der Komponist übrigens jederzeit auswendig aufsagen konnte, so sehr hatte er sich darüber geärgert, während das Konzert inzwischen längst zu den wenigen ganz großen Meisterwerken der konzertanten Violinlitcratur zählt. Das Werk wird durch eine kraftvolle Männlichkeit im Ausdruck, durch eine straffe Rhythmik gekennzeichnet und ist betont musikantisch ohne Hintergründigkeit, Pathos oder Schwermut. Die Quellen, aus denen Tschaikowski hier u. a. schöpfte, sind das Volkslied und der Volkstanz seiner Heimat. Betont durchsichtig ist die Instrumentation, die beispielsweise auf Posaunen ver zichtet. Aus der Orchestereinleitung wächst das großartige, tänzerische Hauptthema des stim mungsmäßig einheitlichen ersten Satzes (Allegro moderato) heraus, das dem ersten Teil des Konzertes, teils im strahlenden Orchesterklang, teils in Umspielungen der Soloviolinc, seine faszinierende Wirkung verleiht, während das zweite, lyrische Thema demgegenüber etwas in den Hintergrund tritt. Auf dem Höhepunkt des Satzes steht eine virtuose Kadenz des Soloinstru mentes, dem das ganze Konzert überhaupt höchst dankbare Aufgaben bietet. Der zweite Satz (Andante) trägt die Überschrift: Canzonetta. Kein Wunder darum, daß das Hauptthema innigen Liedrharakter besitzt und die Stimmung dieses Satzes weitgehend trägt, ohne dem geschmeidigen Seitenthema größeren Raum zu geben. Unmittelbar daran schließt sich das Finale (Allegro vivacissimo) an, das vom Solisten ein Höchstmaß an geigerischer Virtuosität in Kadenzen, Passagen, Flageoletts usw. verlangt. Das formale Schema des Satzes ist etwa mit ABABA zu umreißen. Beide Themen haben nationales russisches Profil. Das erste wächst aus der übermütigen Orchestereinlcitung heraus, das zweite, tanzartige, wird von Baßquinten beglei tet. Unaufhörlich stellt der Komponist die Themen vor, elegant und formgewandt variiert. Strahlend endet der temperamentgeladene Schlußsatz des Konzertes, das zweifellos eine der überragendsten Kompositionen Tschaikowskis ist. Dieter Härtwig LITERATURHINWEISE: Vetter: Der Kapellmeister Bach (Potsdam 1950) Faksimileausgabe: Die Brandenburgischen Konzerte (Leipzig 1950) Volkmann: Beethoven in seinen Beziehungen zu Dresden (Dresden 1942) Petzoldt: Tschaikowski, Erinnerungen und Musikkritiken (Leipzig 1961) Mitteilungen Im Silvesterkonzert am 31. Dezember 1962 gastiert die bekannte polnische Koloratursängerin Bogna Sokorska. Warschau. Der Dresdner Komponist Otto Reinhold erhielt von der Dresdner Philharmonie einen Kompositionsauftrag für eine Konzertante Musik für Flöte, Bratsche und Orchester. Das Werk soll in der nächsten Konzertsaison zur Uraufführung gelangen. Im 5. Zykluskonzert am 12. und 13. Januar 1963 spielt Ion Voicu. Bukarest, das 2. Violinkonzert von Prokofjew. Mit demselben Solisten wird die Dresdner Philharmonie das Werk für den VEB Deutsche Schallplatten auf nehmen. Professor Heinz Bongartz wurde vom Sinfonieorchester des Leipziger Rundfunks eingeladen, die 6. Sinfonie von A. Bruckner und das 3. Klavierkonzert von B. Bartok mit dem Londoner Pianisten Peter Walfisch zu diri gieren. An der Deutschen Oper am Rhein, Düsseldorf, ist für den 25. April 1963 die deutsche Erstaufführung der Oper „Die Nase“ von Dmitri Schostakowitsch vorgesehen. 6. Außerordentliches Konzert 1962/63 6236 Ra 111-9-5 1262 1,6 It-G 009/54/62