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Dienstag Nr. 123. —— 1 August 1843 ! Deutsche Allgemeine Zeitung. »Wahrheit und Recht, Freiheit und GesetzI «--erblick. tvsutschlan». svon der Donau. Die spanischen Wirrenvr. List über den Wetteifer der deutschen Staaten. — Hofrath Behr darf nach Damberg ziehen. — Suspension des Bäckerzunftzwanges im Kreise Grünberg. Lübeck. Die Unruhen. «Hamburg. Die Reform. PreuGen. sAerlin. Beisetzung der Leiche des Prinze» August. ««Ker- lin. Die Juden sprechen ihren Dank statt durch eine Adresse, durch eine Stiftung aus. Das Referat auf dem rheinischen Landtag über die Juden. Portugal. «Lissabon. Der Herzog vonLcrceira soll abgehcn wollen. General Ramorino ist verwiesen. Der Patriarch-ist Cardinal worden. Spanien. Die Truppen des Generals Narvaez und Zurbano haben fraternisirt. Man erwartet die Uebergabe Madrids. «Paris. Espar tero hat sich selbst verlassen. Der General Narvaez. Barcelona. G-o-britannien. Die Erklärungen Peel s in Betreff Irlands. Ge ringe Vermehrung der Truppen in Irland. Der angebliche Geiz des Herzogs ».Wellington. «Dublin. O'Connell in derRepealassociation. Frankreich. Der Globc über die spanischen Vorgänge. Artesische Brunnen. Nachrichten aus Algerien. « Von der Rhone. Eine ab geschmackte und unwürdige Schrift des Bischofs von Belley. Schweiz. « Von der nördlichen Schwrisergrenje. Der Bericht über die Communisten. Hcrwegh. Atzorbamertka. « Vom Thio. Das Schullehrerseminar zu Philipps burg. Die Bedrängniß der deutsch-lutherischen Kirche. Handel und Hn-Uftrie. Leipsig. Bahnfrequenz. Berlin. Ankündigungen. Deutschland. der Donau, 24. Jul. Die vulkanischen Bewegungen auf der iberischen Halbinsel sind auch für Deutschland in so mancher Beziehung von hohem, nahegehendem Interesse. Es stellt sich dabei so recht augen scheinlich heraus, welche geringe Bürgschaft für gediegene liberale Entwicke lung die bWess nach'beUr Maßstabe des LidttalismuS gcmesscüen Ver fassungsformendarbieten. Denn wäre mit letztern Alles geschehen, dann hätte Spanien wahrscheinlich den Vorzug vor den meisten europäischen Staaten verdient. Ja es ließen sich hin und wieder bereits Stimmen hören, welche mit höhnischem Seitenblick auf Deutschland zu verstehen gaben, aus der Wiege der Inquisition sei die Preßfreiheit hervorgc- kommen, und sie schienen ziemlich geneigt, die Windstille, welche die Regierung Espartcro's begleitete, für ein zuverlässiges Zeichen der Ruhe und Ordnung, der gesicherten Freiheit anzusehen. Wie überwiegend richtig bewährte sich dagegen der Blick manches genialen Staalsmanns, welcher zu der vorgeblichen Pacification der Halbinsel ungläubig den Kopf schüttelte und sich die Ueberzcugung, daß Spanien noch eine Reihe gewaltsamer Entwickelungen durchzumachcn habe, nicht rauben ließ! Die Eigenthümlichkeiten eines Bolksgeistes sind allemal stärker als die glühendsten Wünsche der Progressisten. War cs denn auch gedcnkbar, dieses in starren Aberglauben und Trägheit versunkene, durch eine grundschlechte politische Erziehung verdorbene Volk werde blos durch manche Trefflichkeit seiner ursprünglichen Anlage sich unverweilt aus dem Schlamme, worin es noch vor einem Jahrzchcnd lag, hcr- auszuarbciten im Stande sein? Und wenn auch dies im Allgemeinen möglich wäre, so bildet der Genuß der größtmöglichen politischen Frei heit sicher nicht das geeignete Mittel. Ueberlaßt einen heißblütigen und obendrein verwahrlosten Jüngling sich selbst und seinen ungezügelten Neigungen, und sehet zu, wohin cs mit ihm kommen wird! Es fällt uns deshalb nicht im geringsten bei, die Fehler, ja mehr noch die Sünden und Laster aller spanischen Regierungen zu entschuldigen; al lein wir können unS eben so wenig entschließen, die Spanier glücklich zu preisest, weil sie sich der strengen Vormundschaft entzogen und nunmehr im politischen Wirbeltanze herumrascn. Die sranzösischen Radikalen, die Freunde und Meinungsgenossen des National, werden vielleicht zum ersten Male mit ihrem für in- fallibel gehaltenen Princip der Volkssouverainetät uneins, und wicwol sie eine ausgemachte, imposante, ja bereits siegreiche Erhebung der Massen vor sich sehen, so schieben sic doch die Schuld des gesammten Ereignisses auf die listige Intervention Frankreichs, und scheinen es beiweitem kläglicher als erfreulich zu finden. Sie fühlen wol in ihrem Innersten französisch genug, um es .sehr angenehm zu finden, wenn der bisherige Einfluß Englands beseitigt und der Frankreichs dafür sub- stituirt werden könnte. Aber sie erkennen zugleich, daß ihr politisches System durch die Wendung der Dinge wesentlich compromittirt wor den, wenn nämlich die Beglückungstheoric, welche sic wenigstens für den größten Theil der europäischen Völkerzustände anwendbar erklär ten, im Nachbarlandc so schlimme Früchte trägt, dann wahrlich! ist cs den Unbefangenen nicht zu verargen, wcnn sie von dieser wilden Jagd nach Freiheit mit Widerwillen sich abkehren und zur Lehre des gemä ßigten Fortschritts, der organischen Entwickelung sich bekennen. Espartero hat in der That nichts verbrochen, als daß er von der ihm rechtlich zustchendcn Prärogative Gebrauch machte und ein unbe liebtes Ministerium ernannte. Neber den Kreis der Verfassung hin- auszugehcn machte er nicht im entferntesten Miene, und seinen Geg nern waren constitutionclle Mittel aller Art an die Hand gegeben, um das Ministerium baldigst zu sprengen. Wenn sic sich dessenungeachtet nicht auf diese Taktik beschränkten, sondern ohne Zögern zur Insur rektion und zum Pronunciamiento griffen, so bewiesen sie dadurch au genscheinlich, daß in ihrer Mitte die Heiligkeit des Gesetzes noch im mer nicht zu einem politischen Lcbensprincip erhoben worden. Der Ab solutismus ist dort, und wol nur dort, vollkommen berechtigt, wo diese Idee nicht ins Blut der Nation übergegangen ist. Wo das Volk sich selbst nicht zu mäßigen und selbstbewußt zu lenken gelernt hat, da be darf cs wol unstreitig eines Führers. Die absolute Gewalt und die herrschende Kirche stehen in diesem Fall auf gleicher Bcrcchtigungsstuse; der übernatürliche Ursprung, welchen sich beide vindiciren, umkleidet sie mit höherer Autorität, und doch sind sic im Grunde betrachtet die Spiegelbilder des Gesetzes und der höchsten Ueberzeugung, welche sich das Volk im geläuterten Zustande selbst schaffen soll. Die Achtung vor dem Gesetze, dieses Palladium alles politischen Glücks, finden wir vor der Hand Nur in wenige» Staaten ausgebil det, und diese erfreuen sich liberaler Verfassungsformen bereits so lange, daß wol das Volk auf dem Wcgc der Praxis zur Klarheit über die Unerlaßlichkcit derselben gelangt sein konnte. Dieser praktische Weg ist jedoch blutig, dornenvoll, und die Nation, welche ihn wandelt, kann sich obendrein leicht bis zum Rande furchtbarer Abgründe verirren. Cs gibt einen zweiten, räthlichern und verläßlichem Weg, um zu demsel ben Ziele zu gelangen, und das ist der Weg der allgemeinen Bildung, der Volkserziehung! Diese Bildung darf und soll jedoch keine cinsei- lige sein; was nützt cs, wcnn der Jüngling von der Universität mit einer Masse abstrakter Anschauungen im Kopfe scheidet, während das Gros der Bevölkerung von einem politischen Principe so wenig als von der Gravitation der Wellkörper versteht? Wenn aber die unter sten, die zahlreichsten Schichten der Gesellschaft den neuen Geist nicht fassen, wol gar zur Caricalur verzerren, und dabei nicht so viel sitt liche Kraft in sich hegen, um die crfoderliche Zurückhaltung zu üben: wer möchte es da wol empfehlenswerth finden, die Massen zu schran kenloser Freiheit zu entzügeln und sich fernerhin selbst zu überlassen, damit sie vielleicht in einem gefährlichen, autodidaktischcn Processe sich nutzlos verzehren ? Unmöglich, solcher Rath kommt nicht aus dem Herzen besonnener Menschenfreunde. Wer wollte die Heiligkeit und die Macht des verjüngenden Hau ches, welcher gegenwärtig alle Staaten des Abendlandes durchzieht, verkennen? Wer vermäße sich, zu läugnen, daß in demselben Maß, als die Ideen des Fortschritts im Gcmüthe der Nationen fester zu wurzeln beginnen, auch die Pflicht der Negierungen wächst, alle Be dingungen ihrer scgensvollcn Blüte zu fördern? Wir gehören demnach bestimmt nicht zu Denjenigen, welche den Stillstand oder gar den Rück schritt wünschen; allein es soll eben ein wahrhafter, zweckdienlicher Fortschritt sein, was da erstrebt wird, und cs gibt leider eine Art allzu heftiger, politischer Bewegung, welche weit eher dem Veitstänze gleicht. In dieser Lage befindet sich gegenwärtig das arme, ringende Spanien. Man müßte über Welt und Menschen und politische Verhältnisse in schwerer Täuschung befangen sein, wollte man vielleicht vermuthcn, aus dem jetzigen ChaoS der unsittlichen Gcsetzverachtung und der gcwalt- thätigen Leidenschaft könne und werde eine vernünftige Ordnung der Dinge hervorgehen. Die unbedingten Gönner einer jeden politische