Volltext Seite (XML)
Wöcdtlnlitk erstl.tintn drci N>'mm^rn. ^fänumtraoons» Vnis 2-2; Sar. (j 2dlr) vielte jLbrllck, «t 2d.lr. tue ts» ganle Iadr. ob ne Er. Höbuna, in allen '^keilen -er Dreninscben Monarcdie. Magazin für die Man vränumerirt ans diese- ^ileratnr-Blatt in Berlin in der Erredition der ÄUq. Br. C la.nS- Zeitung (Zriedricksilr. Nr. 72); in der ^rovin; so »vi^ im Auslande bei den Wodllöbl. Pon - Aemrern. Literatur des Auslandes. Berlin, Frei tcig den 6. November 1840 Belgien. Die Stadt Lüttich und der Charaltcr ihrer Bewohner. In seinem herrlichen Roman „Quentin Durward" läßt Walter Scott vie Lütticher Flamänvisch sprecht». DaS ist aber ein gewal- tiger Jrrthum.°) Hätte Walter Scott einen Lütticher befragt, so würve er erfahren haben, daß in Lüttich Franzostsch und Wallonisch gesprochen wirv, denn Vic Lütticher sind nichts weniger als Flamän- der, sonvcrn setzen eine Ehre darein, für so Wallonisch als möglich jn gelten. Man weiß, was ein Wallone ist. DaS Wallonische — auf Holländisch welches „Gallisch" bedeutet") — ist be ¬ kanntlich das Belgische Französisch, Es wervcn so die Belgier des Hennegau'S, der Provinz Ramur, des Llmburglschcn lind des Landes Lüttich genannt. Das Wallonische Idiom stammt offenbar vom gallischen her, wie das Flamänvischc von der Deutschen Sprache. Wir brauchen hier bloß an eine allgemein bekannte Sache zu er innern, nämlich daß in den Augen des Wallonen nichts verächtlicher ist als ein Flsmänder, so wie in den Augen veS FlamänverS nichts tiefer steht als der Wallone. In Flandern sagt inan: „Dumm wie ein Wallone", unv im Wallonischen Belgien: „Dumm wie ein Fla- mänder." Eine rührende Uebereinstimmnng! Von allen Städten Belgiens liegt Lüttich der Deutschen Gränzc am nächsten. Nur acht Meilen trennen es von Aachen. Die schöne große Tuchfabrik VervierS, in der 4fl,t)M Hände beschäftigt werden, kaffen wir ganz aus dem Spiel, den» binnen Jahresfrist, sobald die Eisenbahn die Französische Gränzc berührt, wird VervierS nur noch «ine reiche Vorstadt der alten Residenz der Ebnroncu scpn. Unter allen Städten Belgiens aber ist gerade diese so nahe an Deutsch land gelegene, dieses Lüttich, am meisten Französisch. Ein auSgc- jcichneter Schriftsteller sagt von dem Lütticher Arbeiter: „Liesest der dem Französischkli so ähnliche Wallonische Tppus; ein verstau- diger und feinfühlender Menschenschlag, der sich nicht vcrmiethet, wohl aber hingiebt; lenksam und treu, wenn man sie richtig nimmt und ihre Rechte achtet; aufsässig und empörerisch, wenn inan sic unterdrückt." WaS hier von den Arbcitcrn Lüttichs gesagt ist, gilt auch von den Lütticher Bürgern. Sic sind Franzosen im ganzcn Sinn des Wortes und der Sache; eifersüchtig auf ihre Rechte, fanatische Freihcitsfrcunde, auf Ruhm wie versessen, sorglos» höchst vergnügungssüchtig, Liebhaber von Spektakel unv Püffen, von letzte ren freilich mehr l» aktiver, als in passiver Beziehung, beherzt unv Prahlerisch, kitzlich im Punkt der Ehre, reizbar, zänkisch unv spott- küchtig, übrigens aber die besten Menschen von der Welt. Am besten konnte man den Lütticher VolkScharaktcr im Jahre l83's zu Brüssel kennen lernen. Bekanntlich herrschte in Belgien zu Anfang dieses Jahres ein Instand flüchtiger Aufregung. Sehr hoch gestellte Personcn hatten, ohne Zweifel zur Kurzweil für die Nation, «ine kleine Komödie arrangirt, die anfangs „Muth unv Ausdauer" hieß, nachher aber den ihr cigcntlich geziemenden Titel: „Viel Lärm um Nichts" annahm. Diese Komödie machte zuerst um so mehr Glück, als sie vortrefflich gespielt wurde unv eine unglaubliche Täuschung hcrvorbrachtc. Man glaubte wirklich, daß cS sich nicht um eine liebenswürdige Dichtung, sondern um die ernsteste und wichtigste Thatsache handle. Alles, was Belgien an gebildeten Männern besitzt, ließ sich von dem wahren und natürlichen Spiel der geschickten Darsteller dieser Aufführung fortrcißcn. Ja noch mehr, eS gab eine» Augenblick, wo sich ein völliges KricgSficbcr zeigte, als vaS Volk auf dem Theater: „Zu dcn Waffen!" rufen hörte. Es ging dem Publikum, wie in jenen Theatern, wo man sich nicht da mit begnügt, Beifall zn klaischcn, sondern mithandclnd in das Schau spiel cingreift, Wurfgeschiltze und Flüche auf den Vcrräther schlendert und dem Schlachtopfer in Thräncn gebadet Muth zuruft: so rannten auch hier die Zuschauer zu ihren Flinten, wiederholten wie unsinnig ') Indessen dock niebt w groß, als «cnir andere des deriilimten Schotten, der ln seinen „Brieten Paul s" erjalue, dan die Preuße», die an der Schlacht von t!a Belle Alliance (Waterloo» TbeU genommen, „Preußisch" «esorewen hätten. "i Wir »erweisen i» dieser Bestehung an, die kürzlich erwähnte Schrat von rawj, „die Unechtheit der vitder?,»»»'§". Darin wird inner Anderem nachgewiesen, dan die Silbe rv»l, die bei den Celten <--> lautete, so viel als -äremd" bedeute und von den Einheimischen überall solchen Lanbschasten dc<- gelezt wurde, in denen „ch fremde anaelledelt hatten, wie selb», „Gallien", womit Gatte», Galiven, Wales, WalliS, WäUchland, Wallonen «. ver- wondt ill. das Gcschrci: „Zu dcu Waffen, zu den Waffen!" sangen die Mar seillaise unv die Brabaiwonue und wollten frisch draus loS schlagen. Es kostete große Mühe, diesen Monomanen begreiflich zu machen, daß sic sich geirrt und daß sie auf ihrcn Plätzen zu bleiben hätten, statt so mir nichts, dir nichts in die Komödie cinzusallcn. Endlich gelang cs, vie Verstänvigcrcn zu bcichwichngcn. Auverc abcr wollten sich vurchaus nicht zur Vernunft bringcu lassen, sondern erklärten laut unv scst, daß sie solche Acffcrei nicht liebten, und daß dcr Scher; leicht einen sehr tragischen Ausgang nehmen könnte, wenn man cs sich noch einmal rinkommcn licßc, sic zu foppen. Am Ende gab man sich indeß zur Ruhe. In dem Augenblick nun, als die Komödie gerade im besten Gange war, untcrnahmcn cs eifrige Patrioten, zur Hülfe der Re gierung herbeizucilcn, vie sie schon schlagfertig glaubten, unv die sie im Kampfe nicht allein lassen wollten. Wie abcr ihr zu Hülfe kommen? Sollte man sich auf Ermunterungen beschränken? Over galt es zu handel»? War es nölhig, ihr ins Gcvächtniß zu rufen, vaß man gute, wohlgewctzte Degen habe nnv treffliche Flinten, die nur darauf warteten, abgcfeucrt zu wcrkrn? Oder war cs besser, zuzuschen, ob sie nach Hülfe verlange? Das war die Frage. ES kamen ihr,r also von Antwerpen, eS kamen ihrer von Ostende, von Charleroi, von Gent, von Lüttich, mw Alle fragten sich: Was sollen wir thlin? Man hielt eine erste Versammlung, in der gewaltig viel gesprochen wurde. Bloß die Lütticher sagten kein Wort. Nach drei oder vier Stunden langen Bcrathungcn, in deren Verlauf man sich zn dcn höchsten politischen Gesichtspunkten »erstieg, beschloß man, daß nichts beschlossen wervcn sollte, daß man abcr ganz sicher in dcr zwciteu Zusammenkunft ettnas beschließen wolle, das heißt, wo mög lich. Man war cbcn im Begriff, sich zu trennen, da öffneten die Lütticher rum crstcnmale den Munv und sagten: „Es "scheint, die Stunde ist noch nicht grkvmmcn. Also wollen wir nach Hause zu- rückkchrcn, wo wir zu thun haben. Ihr Anderen mögt nur immer bcrathschlagen. Sobald dcr Augenblick zum Schlagen erschienen scpn wird, braucht Ihr »ns bloß ein Zeichen zu geben." So sprachen sie und gingen davon. Da haben wir die Lütticher! Und was sic heutzutage sind, das waren sic vor fünfhundert Jahren gerade cbcu. Das Sprüchwort bleibt allzeit wahr: „So wie die Alten snugeu, so zwitscherten die Jungen." ES mag morgen des Tages, was der Himmel verhüte, eine Revolu tion in Belgien ausbrcchcn, cs mag ein Kriegslärm erschallen, und man wird lehr balv scheu, daß die Lütticher von 184» noch ganz die von 1382 sind. Aus Lüttich auch stammte jene tapfere Trüm mer dcr Kaiserlichen Armee, jener berühmte Stelzfuß, der während dcr Rcvolution von 183» weidlich auf die Holländische» Bataillone einhieb. Zu allen Zeitcn haben rwci Worte hingereicht, die Lütticher in Aufstand zu dringen; die Worte: „Keine Privilegien mehr!" Mit diesen bclvcn Woricn trieb Karl der Kühne sie alle Augenblicke zur Empörung. Zwischen ciner so reizbaren Bevölkerung unv cincm so stolzen und leidenschaftlichen Fürsten gab es gleichsam einen fortwäh renden Zweikampf auf Tod und Leben, dcn die bcidcn Gegner nur so lange unterbrachen, als ihr Blut in Strömen floß, den sic abcr gleich wieder aufnahmcn, sobald die Kräfte ihnen zurllckkehrtcn. Und wohl zu merken, obgleich stets geschlagen, legte die Stadt sich doch nicmalS zum Ziel. Kaum dcn Schrecken dcr Plünderung entgangen, erhob Lüttich sich von neuem und forderte, das Schwerdt in der Faust, seine Privilegien zurück. Bei keiner Stadt hat Vas demokratische Element sich stärker, hartnäckiger, ungestümer gezeigt; von keiner wurde auch dcr bloße Anschein von Despotismus tiefer verabscheut, unablässiger bekämpft. Als Beispiel mag dienen, daß die Lütticher Citadellc in den mu> Jahren, die sie bcstcbt, sechsmal von den Ein wohnern der Stadt zerstört wurde. So lange sie sich nicht als die Stärkeren fühlen, lassen sic dieselbe stehen; bietet sich aber eine Gelegenheit dar, mit einiger Aussicht aus Erfolg zu kämpfen, so be mächtigen sie sich ihrer, und sogleich ist die Citadclle dem Boden gleich gemacht. Leider war diese Citadclle eine Art von Phönix und stieg immer wieder empor. Als diese unverwüstliche Bastille zum erstenmal nmgcstürzt wurde, begleiteten höchst sclisamc, wunderlichc, man möchte sagen komische Umstände ihren Fall. Es war im Jahre 125«. Seit einem Jahre erst stand die Citadclle, sie batte noch kaum Dienste geleistet. Hein- reich von Geldern hatte sie vollendet. Eine furchtbare Garnison hielt sie besetzt. Die Bürger liebten die Garnison nicht schr, die Citadelle aber haßten sie vollkommen. Sie entschlossen sich, mit