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Wichentli» erscheinen drei Nummern. Pränumeration-- Preil 22j Silbergr. t! Tblr.) vierteljährlich, Z LHIr. für da« ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden ron jeder Buchhandlung (in Berlin bei Beit u. Comp., Jägc-ssrake Nr. 28), so wie ron allen König!. Poss-Aemtcin, angenommen. Literatur des Auslandes. .1/ 89 Berlin, Sonnabend den 26. Juli 1843. England. Briefe von der Reise. VII. Die Londoner „Season". — Da« Land in der Stadt. — Dat Kolosseum. — Bildhauerkunst und Malerei in England. — Die Ausstellungen der könlgl. Akademie und in Westminster- Hall. — Die Düsseldorfer Schule inkognito in London. — Portrait einiger Ponrait«. — Di« Maler d-S verlorenen Paradicfe». — Turner'« Nencdig. — Deutsche in der britischen Marine. — Der neue Parlamcntibau. — Preis- Aufgaben in der ZreSco- und Oclmalerci. Nach London war ich gerade während der „Season" gekommen, wie hier die schönsten Monate des JahreS: der Frühling und ein Theil des Sommers, genannt werden, die die fashionadle Welt niemals auf dem Lande, sondern immer in der Hauptstadt zubrmgt. Erst gegen den Herbst geht man nach Brighton oder anderweitig ausS Land, um dort bis zu Weihnachten zu ver- weilen, und so verkehrt man denn, der Mode zu gefallen, die Lebensweise in den verschiedenen Jahreszeiten, wie man sie zu den einzelnen Tageszeiten verkehrt, indem man des Abends zwischen 7 und 8 Uhr Mittagbrod ißt, bis tief in die Nacht hinein entweder im Parlament oder in Gesellschaftskreisen zubringt und endlich den Morgen so wie den angenehmsten Theil des Vor» mittags verschläft. Und der Mode zu gefallen lebt hier nicht blos die söge, nannte Aristokratie, sondern Alles, was für etwas Vornehmeres angesehen seyn will, al- es wirklich ist, und darum sich bemüht, der Aristokratie auf Schritt und Tritt zu folgen — also nächst dieser rin großer Theil der ver mögenden und auch in England immer mehr zu Bedeutung kommenden Mittelklasse. Glücklicherweise aber findet die so viel nachgeahmte englische Aristokratrie ihre Befriedigung nicht blos in Vergnügungen und Zeitvertreiben, sondern auch sie ist von jenem, die britische Nationalität charakterisirenden Gedanken durchdrungen, den Nelson in dem berühmten Worte zusammen gefaßt: „England erwartet, daß jeder Engländer seine Schuldigkeit thue." Mitten in dieser „Season" von großen Levers, Cercles, Pferderennen, Park- fahrten, Konzerten und italiänischen Opern ragt doch über Alle- hinweg die britische Flagge, die Jeden auf seine Thätigkeit für sich selbst sowohl als für des Landes Größe und Wohlfahrt hinweist. Nicht die Stabt also geht auf das Land während des Sommers, wie bei uns, sondern umgekehrt das Land kömmt in die Stadt, so daß Jeder, der nur einigermaßen zur Gentrp gehört: d. h. jeder Gutsbesitzer, hier ein HauS — wenn auch ilt der Regel nur von zwei bis drei Fenstern Breite, der durch schnittlichen Normalsronte aller Privathäuser der Hauptstadt — während der Season zu seiner Verfügung hat. Dieses Hereinströmen so vieler Fremden, das durch die Eisenbahnen noch mehr begünstigt wird, macht eS auch begreif- lich, daß die unzähligen Orte, die hier täglich den Schaulustigen geöffnet, ungeachtet der mitunter sehr hohen Eintrittspreise (zur Oper und zu Konzerten eine Guinee und eine halbe Guinee, zum Kolosseum Z Shig. am Tage und 8 Shill. des AbendS) während der ganzen Season so gefüllt sind, als ob sie seit gestern erst dem Publikum zugänglich wären. Einer der am meisten be- suchten und in der That sehr anziehenden Orte ist eben das auch äußerlich als ein Tempel im edelsten Stpl sich darstellende Kolosseum im Negents-Park, das zwar schon seit mehreren Jahren besteht, aber im gegenwärtigen eine neue Erweiterung und Verschönerung erhalten hat. WaS mich darin am meisten angezogen, waren nicht die außerordentlich großartigen Spielereien: nicht die hohe und ladprinthartige Tropfsteingrottc, in der man sich eben so zu verirren sürchtet, wie in der bei Mastricht, nicht das SchweizcrhauS mit seinen Aussichten auf die soliden, keineSwegeS blos decorationSartigcn Gletscher, so wie auf die Felsenpartieen, von denen ein in jeder Minute zehn Eimer er gießender, der Natur auf das täuschendste nachgeahmter Wasserfall in ein breites Bassin herabstürzt, nicht die Spaziergänge zwischen den majestätischen Ruinen griechischer und römischer Tempel, ja auch nicht einmal das hier viel- angestaunte Panorama von London bei Mondschein, das uns, von der Kuppel der St. Paulskirche aus gesehen, die Themse mit allen ihren Brücken und den belebtesten Theilen der Hauptstadt zeigt, wobei unter Anderem das bewegliche Licht des Mondes in den Wellen der Themse, so wie das Flimmern der am Himmel stehenden Sterne und endlich der Dunst der Londoner Atmosphäre auf eine wunderbare Weise nachgeahmt ist; — nein, was mich bei weitem mehr, als alles das anzog, war der mittlere runde Saal, ip welchem die Meister werke, der plastischen Kunst Englands — Gruppen und Gestalten aus der Ge- schichte GroßbritanienS von der Königin Boadicäa an bis auf die Zeit Can- ning'S und Watt's, des ersten Anwenders der Dampfmaschine — rings herum unter hohen Rundbogen aufgestellt, vor welchen ein Kranz von schlanken jonischen Säulen gezogen, zwischen denen abermals Gruppen oder breite Piedestale mit liegenden Figuren aufgestellt sind. ES sind in dieser Samm lung englischer Bildhauerarbeiten nicht bloS viele entweder dem Besitzer des Museums gehörende oder käufliche Gegenstände von großem Werth, sondern auch die Modelle zahlreicher in den Privatbesitz üdcrgcgaugener oder al- öffentliche Denkmäler aufgestellter Kunstwerke; ja die plastischen Künstler scheinen eine Freude darin zu finden, hier ihre Arbeiten in so geschmackvoller Umgebung und Beleuchtung unter den Augen des Publikums zu wissen. England besitzt in seinen zahlreichen Gotteshäusern keinerlei Gemälde; da. gegen sind bekanntlich die großen Kathedralen von Westminster und St. Paul, so wie viele andere Kirchen im Lande, mit den Denkmälern seiner Helden und Staatsmänner, seiner Dichter und Gelehrten geschmückt. Dieser, der Bild« Hauerkunst zu Theil geworbene Vorzug hat ihre Ausbildung in England unge mein begünstigt, und zwar zum Nachthcile der Malerei, die hier, wenn man einige große Genremaler, wie Hogarth und Wilkie, auSnimmt, nur noch im Portrait Ausgezeichnetes geleistet") und auch jetzt nur wenige Namen, wie Landseer, Stanfield, Eastlake, aufzuweisen hat, die in der Landschaft--, Marine- und Geschichtsmalerei neben den gleichzeitigen niederländischen, deutschen und französischen Malern genannt zu werden verdienen. Welcher Reichthum dagegen von Meistern und vielversprechenden Schülern in der Skulptur! Die Namen Bailp, Westmacott, Marshall, JoneS, Legrew sind im Auslände freilich wenig genannt und bekannt, denn sowohl sie selbst als ihre Kunstgenoffen sind für GroßbritanienS Denkmäler und Verschönerungen von Kirchen, Schlössern und öffentlichen Plätzen so sehr in Anspruch genom men, daß ein Werk von ihnen niemals seinen Weg nach dem Kontinent findet, während Italiens, Deutschlands und Frankreichs Meister, ja selbst der große Bildhauer aus Dänemark, nur allzu oft auf Bestellungen aus England warten mußten, um ihre Lieblings-Entwürfe auSzuführcn; wir sind jedoch überzeugt, daß, wenn man in Deutschland Gelegenheit hätte, die Skulpturen.Ausstellung im britischen Kolosseum zu sehen, die Begriffe dort über den Standpunkt der Kunst in England ganz anders sich gestalten würden, als sie meistens unter uns verbreitet sind, da wir den Engländern zwar einen außerordentlichen Sinn für alle mechanischen, aber keinen für höhere künstlerische Arbeiten zugestehen. Nicht minder anziehend, wenngleich nicht in lo geschmackvollem Arrange ment wie auf dem Kolosseum, sind auch die Skulpturen auf den beiden während der „Season" eröffneten Kunst-Ausstellungen der königlichen Akademie und in der großartigen „Westminster-Hall", die zwischen den alten und den jetzt in der Vollendung begriffenen neuen Parlamentshäusern so wie der West. minster-Abtei gegenüber gelegen ist. Aber, wie gesagt, nur die Skulpturen flößen hier Achtung vor der Kunst ein, die Malereien dagegen und die Zeich- nungen — mit Ausnahme der Architekturen — sind kaum der Mühe wcrlh, daß man sie betrachtet. Auf der Ausstellung der königlichen Akademie, die im rechten Flügel des großen Gebäudes der National.Galerie stattfand, waren 1470 Arbeiten von etwa 800 lebenden Künstlern, unter deren Namen ich auch manchen deutschen wahrgcnommcn: so dcn des Herrn I. Jacob, eines Schülers der Berliner Kunst-Akademie, der von Paris nach London herübergckommen und hier sehr viele fashionable Portraits zu malen scheint. Von berühmteren Ausländern hatten nur Verboekhoven iu Brüssel und Eckhout im Haag Einiges eingesandt. Düsseldorf hatte, wenn auch keine Vertreter im Geiste, doch mehrere Schüler hier, die sich zwar nicht zu Meister Wilhelm Schadow so wie überhaupt nicht zu ihren deutschen Mustern bekannten, die jedoch, vor ein Künstler.Geschwornengcricht gestellt, sicher einer Felvny schuldig und sowohl deshalb als der Pfuscherei halber, mit der sie ihre Vorbilder bestohlen, zur Verbannung aus dem Gebiete der Kunst verurtheilt würden. Sohn'S „HylaS", Bendemann'S „trauernde Juden" und „JercmiaS", so wie Mücke's „heilige Katharina", sind nämlich in dem „Hossas csuglw sleopmg rb« rvater nz-mpk," von einem gewissen I. Z. Bell, in den „Jvvr, Ismeming over rke ruin» ok Jerusalem" von M. Carton und in eines Herrn W- E. Frost „Lsbrins" (die, nach Milton'S ComuS, von den Waffernpmphen nach der Halle des NercuS getragen wird) auf ganz unerhörte Weise nach gemalt, ohne daß einer dieser Herren auch nur im entferntesten sein Vorbild angegeben. Kopieen sind freilich von den Ausstellungen der Akademie statuten. mäßig ausgeschlossen; in diesen Kopieen ist jedoch deS Originales Gedanke und dessen Ausführung so entstellt, daß wir uns nicht wundern, wenn mit 'j Wess und Fue-lv haben nur relativ, nämlich al« die dessen unter dcn englischen Historienmalern einen Werth.