Volltext Seite (XML)
Nr. 145. Amtsblatt Sonntag, den 26. Juni 1S10. 1. Beilagt. Die deutsche Turnerschast und das Heer. Um die Mitte des Monats Mai beging in St. Quentin der 1873 gegründete Bund der französischen Turnverein« sein 36. Stif tungsfest. 5000 turnende Mitglieder waren zur Stelle. Zwei Minister, darunter der des Krieges, ein halbes Dutzend anderer Gene rale, Präfekt und Unterpräfekten, Senatoren und Abgeordnete der Kammer gaben der Veranstaltung durch ihre Teilnahme eine besondere, amtliche Wethe. Der Kriegsminister, General Brun, feierte in einem „vibrant discours" die hohen Verdienste der französischen Turnerschast. Sie habe, so sagte er, die Zahl ihrer Vereine auf 1250 gebracht, mit mehr als 350 000 Mitgliedern. Sie habe die Schönheit und unwiderstehliche Kraft gemeinsamer AnstrenAng begriffen und übe dadurch ihre er zieherische Wirkung aus. Die Regierung werde ihr« erfolgreiche Arbeit für die Vorbereitung zum Militärdienst nach wie vor zu würdigen wtfl-m. „Seien Sie überzeugt," so schloß er, „daß der Krtegsmiiitfier von Herzen aus Ihrer Sette steht. Er kennt Ihre Wünsche; er versteht Ihre Bestreb ungen und wird bemüht sein, Sie völlig zufrieden zustellen." Der deutschen Turnerschaft ist es nieyt so leicht geworden wie ihrer französischen Kol legin, sich eine gewisse amtliche Anerkennung zu erringen. Sie konnte sich zwar seit vielen Jahren als größte Vereinigung zur Förderung deutscher Wehrkraft und vaterländischer Jugenderziehung be zeichnen. Aber man bekümmerte sicy nicht um sie und wußte darum auch nur wenig von ihren Ein richtungen und ihren Zielen. Viele wollten über haupt nicy'is von der Türnerschaft wissen, mit deren Namen sie die Vorstellung von demokratischer und antimonarchischer Gesinnung verbanden. Es mar wie eine Reminiszenz an den ja doch auch als Demagogen verfolgten Turnvater Jahn, dem einst — lind zwar mit Recht — vorgeworfen wurde, „die höchst gefährliche Lehre von der Ein heit Deutschlands aufgebracht zu haben!" Erst in neuerer Zeit hat sich das einigermaßen geändert. Die Regierungen, besonders die preu ßische, und zumal das preußische KrieKmini- stertUm, haben der Deutschen Turnerschast schließ lich doch ihre Aufmerksamkeit zugewendet. Auch sonst haben einzelne hervorragende Persönlichkeiten, wie der Generalfeldmarschall Graf v. Haeseler, sich ihrer Sache angenommen. Es wurde anerkannt, daß die „Deutsche Turnerschast", Hand in Hand mit dem „Zentralausschuß für Voliis- und Ju- gendspiele" und mit dem „Deutschen Turnlehrer verein", zum Wohl der schulentlassenen Jugend eine segensreiche Tätigkeit entfaltet, und daß sie zur Hebung der Wehrkraft unseres Volkes in wirk samer Weise beiträgt. In diesem Sinne hat der Kriegs-Minister General b. Heeringen kürzlich der Deutschen Turnerschast „für die bisher auch zum Besten des Heeres geleistete Arbeit" seinen Dairk ausgesprochen und ihr kundgetan, daß Unteroffi ziere und militärische Vorturner künftig an den Hebungen der Turnvereine werden teilnehmen j dürfen. Das ist ein Beweis von Anerkennung und Vertrauen, der in weiten Kreisen der Turnerschast Freude hervorgerufen und ihrem 84jährtgen, noch immer tatkräftigen Vorsitzenden, Geheimen Sani tätsrat Dr. G o e tz in Leipzig, eine wohlver diente GenUgtuiung bereitet haben wird. Die „Deutsche Turnerschast" zählte, diese Ziffern seien noch einmal wiedergegeben, am 1. Januar 1909 8607 Vereine mit 902 210 männlichen Mitgliedern; sie stellte im Herbst 1908 nicht weniger als 33 300 waffenfähige junge Män ner, also etwa die Zahl der Streitbaren eines mobilen Armeekorps zum deutschen Heere. Damit wird die Leistung der französischen Tur- nerschaft schon zahlenmäßig jedenfalls weit übertroffen. Die Hauptsache aber ist, und das sollte nachgerade in allen Kreisen der Nation besser gewürdigt werden, daß die „Deutsche Tur nerschaft" auf streng nationalem Bo den steht und sich der früher hier und da auf tretenden sozialdemokratischen Elemente völlig ent ledigt hat. Die „Deutsche Turnerschast" Pflegt, wie cs in einem Schreiben voM 23. Januar d. I. an d«n Krtegsminister heißt, die höchsten Tugen den des Soldaten, Vaterlandsliebe und Köntgs- treue; sie arbeitet unermüdlich an der Erziehung unserer Jugend zu mutigen, kraftvollen und aus dauernden Vaterlandsverteidigern. Ich weiß nicht,, so fragt Litzmann in der „Tgl. Rdscy.", ob unter den im Lager von Mas- sillan bei Nimes der Nässe eines Gewitterregens wegen meuternden 80 Reservisten, oder unter den anderen 600, die aus dem Lager von Ruchard bei Tours eine gemeinsame Eingabe an General Brun gerichtet haben sollen, um die Verlegung ihrer Waffenübung „in eine gesundere Gegend" herbeizusühren — sich Mitglieder des französischen Turnerbundes befinden. Von unserer minder ver wöhnten Deutschen Turnerschast, die noch kein Mi nister mit „vibrierender" Stimme gefeiert hat, wis sen wir, daß sie ihre Aufgabe, die Jugend zu Willensstärken Männern zu erziehen und die Weich lichkeit zu bekämpfen, mit allem Ernste verfolgt. Und daruni müssen wir hoffen und wünschen, nicht, daß ihr ähnliche pomphafte Feste und Reden höchster Würdenträger bereit werden, wie der fran zösischen Kollegin, Wohl aber, daß ihr wie dieser in allen ihren vaterländischen Bestrebungen die tat kräftige Unterstützung der Regierung und des Par laments zuteil wird. Jahresbericht der Gewerdetammer zu Chemnitz. Soeben ist der Jahresbericht der Gwerbekammer zu Chemnitz für 1909 «rschienen. In einem allge meinen Uebelbl ck über die Lage dk« H a n d - werk-, Gewerbes und Kleinhandels wird wie folgt berichtet: Das Johr 1909 hat für die wirtschaftliche Lage deS Handwerks, Gewerbes und Kleinhandels im all gemeinen wesentliche Veränderungen nicht gebracht. Wenn eS auch im großen und ganzen an Aufträgen nicht fehlte, so war der Nutzen, der dem Handwerker für seine Arbeit blieb, doch meist ein bescheidener und er stand jedenfalls nicht immer im Einklänge mit der aufgewendeten Mühe, den hohen Löhnen und gestiegenen Materialpreisen. In den verlchie- denen Ortschaften deS KammecbezirkS gestaltete sw der Geschäftsgang in den einzelnen HandwerkSzwetgen, der oft von rein lokalen Vorgängen abhängt, mit unter sehr verschiede». Ein allgemeiner Ueberblick läßt sich daher nur schwer geben. Die Bautätigkeit ist nach den eingegangenen Berichten, von einigen Ausnahmen natürlich abge sehen, etwa« lebhafter gewesen al« im Jahr zuvor, sodaß die Bauhandwerker über Mangel an Aufträgen nicht zu klagen hatten. Auch im Bekleidungsgewerbe war vi lfach eine klein« Besserung zu verspüren; ünen ganz merklichen Aufschwung nahm nach jahrr- langem Stagnieren insbesondere die im oberen Erz gebirge vertretene Posamentenbranche, der nicht ohne günstige Rückwirkung auf die Handwerker daselbst blieb. Weniger befriedigend lagen die Verhältnisse für die NahrungSmittelgewerb«; da« Bäckerhandwerk litt unter der bei zahlreichen Rohmaterialien, als Weizenmehl, Zucker, Butter, Mandeln usw., einge- tretenen Preissteigerung, während da» Fletscherhand- werk durch die anhaltend hohen Preise für Schweine, m't denen die Verkaufspreise für Fleischwaren nicht immer Echrit halten konnten, beeinträchtigt wurde. Ungünstig war auch die Lage für den Kleinhandel, dem namentlich die Warenhäuser und Konsumvereine schweren Schaden zufügen. So ergibt sich im großen und ganzen für dar Handwerk, Gewerbe und de» Kleinhandel dasselbe Bild wie schon dar Jahr zuvor. Nicht unerwähnt darf schließlich der Umstand bleiben, daß im Berichts- jahre zwei ReichSgesetze erlassen wurden, die für da« Handwerk von Bedeutung find, einmal dar Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vom 7. Juni 1909, und zum andern dar Gesetz über die Sicherung der Bauforderungen vom 1. Juni 1909. Da« Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb wird hoffentlich auf dem Gebiete deS Ausverkauf«, weien«, auf dem sich im Laufe der Jahre ganz er« hebliche Mißstände gezeigt hatten, Wandel schaffen, b londeir nachdem sich die höheren V rwaltungS- behörden erfreulicherweise haben bereit finden lassen, zum Zwecke der Durchführung der HZ 7 und 9 de« GsetzeS Bestimmungen zu erlassen, die verlangen, daß vor der Ankündigung eine« jeden Ausverkauf«, mit Aurnahme der Saison- und Inventurausverkäufe, aei der OrtSpoltzeibehörde über den Grund de« Buk- aerkauf« und den Zeitpunkt seineL Beginne« Anzeige -rstaltet, sowie ein Verzeichnt« der auSzuverkaufender Waren eingereicht wird und daß ferner niemand im Kalenderjahr mehr al« zwei Saison- und Inventur- aus Verkäufe, und zwar nr r in der Zeit vom 1. Januar bi« mit 15. Februar und vom 1. Juli bi« mit 12. August mit einer Höchstdauer von 14 Lagen veranstalten darf. Da« Gesetz über die Sicherung der Baufort ec ungen, das nach jahrelangen Bemühungen vom Reichstag endlich verabschiedet und am 1. Juni 1909 erlassen wurde, ist im Juni deS Berichtsjahres nur mit seinem ersten Teil, der die allgemeinen Sicher- «ngSmaßregeln behandelt, soweit sie der Bauherr persönlich zu erfüllen hat, in Kraft gesetzt worden, während der zweite Teil deS Gesetze», welcher durch Eintragung deS BauoermerkS oder Hinterlegung einer Drittel» der Baukosten die dingliche Sicherung der Bauforderungen bezweckt, nur dann wirksam werden kann, wenn er durch lande»herrltche Verordnung für bestimmte Gegenden vorgeschrieben wird. Ueb«r die Folgen der Inkraftsetzung de» zweiten Teil!» de« Gesetze» find die Meinungen zurzeit »och geteilt, auch innerhalb der Kammer, die indessen mft 16 gegen 8 Stimmen beschlossen hat, die Einführung de» in Rede stehenden Gesetzabschnitter beim König lichen Ministerium der Innern zu beantragen. Möge die Entscheidung der Regierung in dieser Frage zum Segen der Bauhandwerk« aurfallen! Der Anseudürmtur«. ES hat eine Mär aur alter Zeit Zu unr sich fortgesponnen — Man kennt st« im Lande weit und breit, Die Mär vom Jugendbronnen. Zur Tommerrzeit verlassen Tausende von Meu chen ihren lieben heimatlichen Herd und ziehen nach weltberühmten Bädern. Hier tauchen sie ihre Glie der in die heilsamen Gewässer oder trinken dar Wasser munter sprudelnder Quellen. Andere be geben sich an da» unendliche Meer und wiegen sich auf den salzigen Wogen, welche die Flut an di« Küste treibt. Biele kehl en der Meeresküste den Rücken und steigen hinauf auf die blauen Spitzen der Mtttel- und Hochgebirge — Ueber Berge, über Klüfte, Die ermüdeten Glieder zu baden In den erfrischenden Strömen der Lüste. Sie alle glauben, den Jugendbrunnen gefunden zu haben, und Jugendfrische, Jugendkraft und jugend liche Fröhlichkeit müßten fortan alr treue Genossen mit ihnen durchs Leben gehen. Mancher Uebel mag an diesen Orten beftitigt worden sein, manch unge lenker Bein mag seine Beweglichkeit wieder gewonnen -oben, allein von der geträumten Jugend ist nicht« W spüren. Mit dem Eintritt in die alte gewohnte Zeben-weise stellen sich ost die mancherlei Beschwer den in höherem Grade ein. Da kleidet man sich nun vom Kopf btr zur Sohle in reine Wolle; da trinkt man vertrauenSsrlig die bittersten Arzneien, die Marktschreier alr Uni- versalheilmittel autposaunt haben. Keine Aurgabe st zu hoch, wenn er gilt, Jugendfrische und Gesund heit zu erwerben. So suchen alle nach dem Jugendbrunnen der alten Sage — und sie finden ihn nicht. Die Jugend, wir dürfen nur unsere Knaben und Mädchen beobachten, offenbart sich in einem egen Triebe nach Bewegung. Laufen, Springen, Tanzen, Klettern, weithin schallende Fröhlichkeit find die Lebenräußerungen der Jugend. Streben nach Ruhe, verminderte Schaffensfreudigkeit, Ernst und Trübsinn, der Verfall der Kräfte kennzeichnen dar Altcr. Nach dem alten Sprichwörter 30 Jahr ein Mann, 40 Jahre wohlgetan, 50 Jahre Sttllestand, 60 Jahr gehtS Alter an, sollten Körperfrische und Lust zu Leibesübungen den Mann bi« zum 60. Jahre auSzeichnen. Betrachten wir uns die Mehrzahl der Männer in den 30er und 40er Jahren, so bemerken wir eine geflissentliche Scheu vor jedem Sprunge und Laufe, vor jeder Anstrengung der Arme, die über die ve- rafttärigkeit hinauLgeht. Biele würden eS im Vanne von allerhand Standeroorurteilen geradezu lächerlich finden, wenn man Leistungen dieser Art von ihnen Ernas Geschick. Roman von Helene Freifrau v. Falkenhausen-TrautSkirchen. Jj (Nachdruck verboten.) In dieser Weis« verging Tag um Tag, einem Uhrwerk gleich. Schon wurde der 12. Oktober vom Block kalender herabgerissen, man rüstete zum Einzug in die Winterguartiere. Giuletta aber, die schöne, glückliche junge Frau, welche jetzt bald auch Mut ter zu werden hoffen konnte, begann zu kränkeln; die grüßte Liebe und Pflege konnten es nicht ver hindern, daß sie dahinzuwelken schien, und nichts, nicht einmal Roderichs Erscheinen erheiterte mehr ihr blasses Gesichtchen. „Ich habe sie vernachlässigt," sagte er reue voll und befragte in Wien die ersten Aerzte. „Heimweh" war deren Ausspruch, „es wird besser werden, wenn sie ihr Kind in ihren Armen wiegen wird." Und — es wurde besser — aber nicht auf lange. Als das Kind das erste Zähnchen bekam, und aiuf den Ruf des Kuckucks in den Dombacher Wäldern zu achten begann, erbleichle wieder die junge Mutter imd sagte schwermütig: „Roderik, ik mus Italia gehn!" Da brachte er sie und die kleine Marietta nach Italien, mit der Absicht, ehemöglichst mit ihr wieder in seine Heimat zurückzukehren. Aber immer mehr und mehr zog sich seine Abwesenheit in die Länge. Mond verging um Mond, Gtuletta wollte nichts hören von „Donback" und „Wien", Roderichs Briefe klangen immer sehnsulGvoller, endlich schrieb er, er kehre allein zurück. 4. Kapitel. Der Schlag der Schwarzwälder Uhr klang heil durch die erleuchtete Halle. Eine zarte Mädchengestalt, in ein duftiges, clfenbeinfarbiges Kleid von weichem Crepe ge hüllt, stand vor der Haustür. An ihrem Busen nistete ein dichtes Sträußchen von dunkelroten Rosen während ihr herrliches Haar teils über ihren Nacken herabfiel — teils gleichsam eine gol dene Krone über ihrem anmutigen Haupte bildete. Erwartungsvoll blickte sie hinaus in die finstere Nacht, denn sie freute sich unbeschreiblich, den teuren Bruder, den sie nun schon so lange hatte ent behren müssen, wieder zu sehen und wie Erna so dastand und die Augenblicke bis zu seiner An kunft zählte, empfand sie die Wohltat solcher ver ständnisinnigen Beziehungen, wie die ihrigen zu Roderich waren, in bollem Maße. Sie erinnerte sich an alle ihre Bekannten, sand aber nirgend etwas Aehnliches, und Pries sich um so glücklicher, in dem Bruder den Freund zu be sitzen, Und auch ihm. die beste Freundin sein zu können. Dies entsprach ihrer reinen Seele sovoll- konnnen, daß es ihr junges Leben ganz aus- füklte und befriedigte. Endlich hörte sie einen Wagen, der im näch sten Augenblick vor der Tür stillstand, und aus welchen: Roderich heraussprang, um ihr in die Arme zu fallen. Er schien unendlich heiter, ja mehr als das, wahrhaft glücklich sah er aus, als er die Schwe ster ans Herz drückte, und dann vorivärtS eilte, die teuren Eltern zu umarmen. Der sonst so ernste, fast finstere junge Mann lachte und scherzte heute ununterbrochen; froh rieb er sich die Hände, als er am trauten wohlbe kannten Kaminfeuer stand und sagte: „Wie woyl tut mirs, daß ich mich wieder Roderich nennen — daß ich wieder Laute höre, daß ich bei Euch, Ihr Lieben, bin!" „Und sie?" fragte die Mutter. „Ich glaube nicht, daß sie wiederkommt. Sie hat mich nie geliebt; es war ein« Laun«, sie bleibt in ihrem Lande!" Das sagte er ganz heiter. Die liebevolle Mut ter aber beklagte tief seine verfehlte Wahl und lächelte nur, um ihm die reine Freude des Wie dersehens nicht zu verderben. Ihm fiel« ohnehin der Vater als sehr verändert auf. Dieser schien gebeugter und sein Blick sorgenschwer. Rodericy fragte teilnahmsvoll, ob ihm etwas fehle, er aber scherzte die bange Frage hinweg, verließ jedoch schon bald den frohen Kreis, um an seinem Schreibtisch zu arbeiten, wie er es stets bis tief in die Nacht hinein zu tun Pflegte. Ziffern waren es und Rechnungen, bei wel chen er so lange verweilte. Oesters fuhr er auf seine nahegelegene Besitz ung und kam jedesmal etwas beruhigt von dort zurück. „Die Saaten stehen wunderschön," sagte er zu seiner Frau, „die Ernte wird uns retten, so schlecht wir sonst cnrch stehen mögen!" „Komm, Erna, komm hinaus mit mir!" rief Roderich vom Garten unten der Schwester zum Fenster zu, „laß uns einen ordentlichen Spazier gang machen durch Wald und Flur. Der Regen hat die Lust etwas abgekühlt und mir ist heute o wonnig zu Mute, als es Adam einst hätte sein nüssen, wenn er in das Paradies zurückgekehrt wäre!" Fröhlich nickte ihm Erna zu und rüstete zum Spaziergang. Draußen war der Mai wonnig her- eingebrochen, die Sonne glitzerte im Bach und schimmerte hell durch das zarte Grün der Bäume, die Falter flatterten aus den in Blüte stehenden BäuMen hin und her und so ging alles seinen Gang, ohne darasif zu achten, daß ein schönes, junges Weib seinen Gatten verlassen hatte; achtet, er doch selbst nicht darauf und war er glsich der Mailuft so sorglos mid leicht. In geradezu übermütiger Stimmung plau derte und scherzte er toll durcheinander. Plötzlich aber wurde er etwas ernster und sagte: „Ich denke mir ost, Erna, daß Du nicht meine Schwester werden, sondern eigentlich mir zur Frau hättest bestimmt sein sollen." „Mag sein, ich glaube aber doch!" „Wer weiß!" scherzte sie. „Nun, Feen gibt es leider keine, welch« Dich aus meiner Schwester zu meiner Frau umtvandeln könnten. So will ich mir lieber den glückliche» Tag nicht mit törichten rmd noch dazu verstimmen den Betrachttingen verderben." Da blickte sie wieder ernst und bekümmert zu ihm empor und fragte unvermittelt: „Sage, Roderich, was wird denn das werden mit Deiner Ehe?" „Was es werden sdll, Erna? Jetzt wird eS nimmer anders, es ist mir wie beim Erwachen aus einem langen, bösen Traum. Man ist ja dann froh, daß er nur ein Traum war, und so bin auch ich froh, meinem früheren Leben, meiner früheren Umgebung wiedergegeben zu sein." „Wie kannst Du froh sein, armer Roderich, ich glaube nicht, daß Du es bist." „Doch! Ich bin es wahrhaftig. Stehst Du, vor dem verhängnisvollen Rausch aus dem detck- würdigen Fest im Palast Tirregiano war es nie nieine Absicht gewesen, mich zu verheiraten, viel mehr wünschte ich mir, niemals Verhältnisse zu ändern, in welchen ich ganz glücklich war. Nun ist Giuletta aus eigenem Antrieb fort, ich bin somit Vater, Mutter und Schwester wiedergegeben. Mas ist also für mich denn jetzt anders geworden als früher."