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Wilsdruffer Tageblatt Das Wilsdruffer Tageblatt ist das zur Veröffentlichung der amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauptmannschast Meitzen, des Amts gerichts und des Stadtrats zu Wilsdruff, des Forstrentamts Tharandt und des Finanzamts Nossen behördlicherseits bestimmte Blatt für Bürgertum, Beamte, Angestellte u. Arbeiter Anzeigenpreis- die »gespaltene Raumzeile 20 Rpfg., die 4 gespaltene geile der amtlichen Bekanntmachungen 40 Reichs» psennige, die »gespaltene Reklamezeile im textlichen Teile I RM. Nachweisungsgebühr 20 Reichspsennige. Borge« schrieben- Erscheinung---, -. , „ - tage und Platzvorschristen werden nach Möglichkeit Fekttsfirclftert Amt Böllsükuff Nr. 6 berücksichtigt. Anzeigen annahme bisnorm.iouhr. — - " -— Fgr die Richtigkeit der durch Fernrus übermittelten Anzeigen übern, wir keine Garantie. Jeder Rabattanfpruch erlischt, wenn der Betrag durch Klage eingezogen werden mutz oder der Auftraggeber in Konkurs gerät. Nationale Tageszeitung für die Landwirtschaft, Das »Wilsdruffer Tageblatt" erscheint an allen Werktagen nachmittags 5 Uhr. Bezugspreis monatlich 2,— AM. Nei Haus, der Postbestellung 1,80 AM. zuzüglich Bestellgeld. Einzelnummern 10 Npfg. Alle Postanstalten und Post- ftder Zeit Bestellungen end, Wochenblatt für Wilsdruff u. Umgegend ?ege^?'Jm Falle^höherer «-malt, Krieg od. sonstiger — l Betriebsstörungen besteht- «em Anspruch auf Lieferung der Zeitung oder Kürzung des Bezugspreises. Rücksendung eingesandter Schriftstücke erfolgt nur, wenn Rückporto bciliegt. Nr. 36 — 93. Jahrgang Telegr.-Adr.: „Amtsblatt" Wilsdruff-Dresden Postscheck: Dresden 2640 Sonnabend, den 11. Februar 1933 MW WWMHrW « SMMt Gasometer in die Lust geflogen - Ueber 50 Tote, 300 Schwer- u. 1200 Leichtverletzte In Neunkirchen (Saargebiet) ereignete sich ein außerordentlich schweres E^plosionsunglüü, das sich in seiner ganzen Ausdehnung zunächst nicht übersehen ließ. Der größte Gasbehälter des Saargebiets, der ein Fassungsvermögen von 120 000 Kubikmeter besitzt, 80 Meter hoch ist, einen Durchmesser von 45 Meter hat und eine Grundfläche von 1550 Quadratmeter bedeckt, ist aus bisher noch ungeklärter Ursache in die Luft ge flogen. Der gewaltige Luftdruck hat große Teile der Stadt und selbst einige Dörfer in der näheren und weiteren Umgebung der Stadt schwer in Mitleidenschaft gezogen. Die Straßen der Stadt sind mit Glas scherben und Dachziegeln dick übersät. Es gibt kaum eine Fensterscheibe in Neunkirchen, die nicht zerstört ist. Das WcrkgeLände ist von Polizei- und Gcndarmerie- bcamtcn scharf abgesperrt, so daß es noch nicht möglich ist, das Unglück in seiner ganzen Tragweite zu übersehen. Vor allen Dingen fehlen noch nähere Angaben über die Zahl per Toten und Verwundeten. So viel steht fest, daß die Hospitäler und Krankenhäuser der Stadt Neunkirchen bereits bis zur höchsten Lei st u n g s s ä h i g k e i t in Anspruch genommen worden sind. Die Detonation wurde bis nach Mannheim, Karls ruhe, Landau und Heidelberg gehört. Schwere Verwüstungen in Neunkirchen. Durch die Explosion des großen Gasbehälters der Neunkirchener Eisenwerke sind im Werk selbst und in der Stadt Neunkirchen großeVerwü st ungen an gerichtet worden. Mehrere in der Nähe des Gasometers liegende Häuser sind e i n g est ü r zt. In anderen Häusern sind die Decken eingestürzt und haben die Bewohner indieTiefegerissen. Zahlreiche Personen wurden auf den Straßen durch hcrunterstürzende Glasscheiben, Dachziegel und Steine schwer verletzt. Ganze Fensterrahmen wurden durch die furchtbare Gewalt der Explosion herausgerisscn und durch die Lust geschleudert. Einige Straßen machen den Eindruck, als ob dort der Krieg gewütet habe. In der Stadt herrscht un geheure Erregung. Man kann sich noch nicht an nähernd ein Bild von dem Ausmaß des Unglücks machen. Um 19.15 Uhr erfolgte eine weitere kleinere Explosion, die in einem Umkreis von 20 bis 30 Kilo meter um Neunkirchen noch vernommen wurde. Die Hauptcxplosion wurde einerseits bis Köln, andererseits bis Basel vernommen. In Baden hatte man den Eindruck, daß ein neues schweres Erdbeben statt- gesunden habe. Man hat die Befürchtung, daß die Gefahr noch nicht vorüber ist, so daß noch niemand an die Explosions- stätte herangelassen wird. Sämtliche Sani tätsmannschaften aus der Umgegend von Neun kirchen, aus Saarbrücken und anderen Städten des Saargcbiets sind zur Hilfeleistung angcforderl worden. Die Polizeiverwaltungen sind an gewiesen worden, die entbehrlichen Beamten zu Absperrungszweckcn zur Verfügung zu stellen. Bisher 50 Tote, 250 Schwer-, 450 Leicht verletzte. In Neunkirchen wurden bisher 50 Tote, 250 Schwer- und 450 Leichtverletzte gezählt. Das Bild der Stadt erinnert an eine schwere Beschießung während des Krieges. Zu den Toten und Schwerverletzten zählen nicht nur zahlreiche Arbeiter und Angestellte der Belegschaft des Werkes, sondern auch Frauen und Kinder aus den umliegenden Häusern. Sämtliche Lastkraftwagen aus Saarbrücken sind mit Tragbahren, Pechfackeln und son stigen Gerätschaften eingesetzt worden. Alle Krankenhäuser von Neunkirchen und der Umgebung bis nach Friedrichs- thal sind bereits mit Schwerverletzten überfüllt. Explosion einer Benzolfabrik? Die telephonische Verbindung Saarbrückens mit Neunkirchen ist noch nicht wiederhergestellt. Sämtliche zu ständige Beamte der Regierungskommission weilen in Neunkirchen an der Unglücksstelle. Wie verlautet, soll nicht der große Gasometer explo diert sein, sondern die Explosion soll sich inder B e n - zolfabrik der Hüttenwerke ereignet haben. Da weitere Explosionen erwartet wurden, haben viele Ein wohner von Neunkirchen die Stadt verlassen. In Mit leidenschaft gezogen sind in erster Linie die Häuser an der Straße nach Saarbrücken, die in nächster Nähe der Benzol fabrik liegen. Der erste amtliche Bericht. Die Regierunaskommission des Saargebieies gibt fol genden amtlichen Bericht heraus: Aus unbekannter Ursache erplodierte der große Gasbehälter des Neunkirchener Eisen werkes, Vorm. Gebrüder Stumm, Neunkirchen. Im An schluß daran geriet die Ben^olfabrik in Brand, und die in nächster Nähe liegenden Häuser stürzten ein. In weitem Umkreise wurden die Fenstsrs-Heiben beschädigt. Auch Todesopfer forderte die Erplosion, von denen bis fetzt 15 geborgen wurden. Ob weitere Tote unter den Trüm mern liegen, läßt sich im Augenblick nickt feststellen. Zahl reiche Verletzte, die unter einqestürUen Häusern oder aus der Straße lagen, sind in umliegende Krankenhäuser ein- aeliefert worden. Sanitäts- und Sicherheitsmaßnahmen sind angeordnet. Die zuständigen Behörden und Vertreter der Regierungskommission weilen an der Unglücksstätte. ck Zu der Erplosion wird weiter mitgeteilt, daß der ex plodierte Gaskessel im Jahre 1931 zur Gasfernversorgung des Saargebietes gebaut wurde. Er war einer der größten Gaskessel Deutschlands. Die in seiner nächsten Nähe befindliche Arbciterkvlonie mit 15 Doppelhäusern ist vollständig in Trümmer gelegt. Aus ihr allein wurden bis jetzt 25 Tote geborgen, doch ist anzunehmen, daß die Zahl der Toten aus diesen Häu sern über 100 beträgt. In der Nähe des Erplosionsherdes stehen die Benzol und Koksanlagen der Hüttenwerke jetzt noch in Flammen. Die Zahl der Toten aus der Belegschaft des Hüttenwerkes ist Weniger groß, als ursprünglich angenommen. Unge heuerer Sachschaden ist aber in dem Werk angerichtet wor den. In den Krankenhäusern der Umgebung sind ms jetzt 250 Schwerverletzte und etwa 1000 Leichtverletzte untergebracht. In einem Lichtspielhaus der Stadt stürzte durch die Explosion die Decke ein. Drei Personen wurden hier getötet und zahlreiche verletzt. Neunkirchen stellt mit rund 41000 Einwohnern eines der Industriezentren des Saargebietes dar. ck Jas Trümerseld ia Neunkirchen. Neunkirchen, 11. Februar, lleber das surchtbare Exposionsunglück in Neunkirchen erfährt der an der Unglücks stelle weilende Sonderberichterstatter der Telegraphen-Union noch folgende Einzelheiten:'Die Stadt Neunkirchen, die insge samt 42000 Einwohner zählt, bietet ein furchtbares Bild der Verwüstung und der Erregung. Ueberall ballen sich Menjchen- gruppen, die die Ereignisse der letzten sechs Stunden mit allen ihren Einzelheiten besprechen. Sanitätsautos durchkreuzen die Straßen der Stadt; Aerzte aus der ganzen Umgebung sind alarmiert worden, um an der Unglücksstelle die erste Hilfe zu leisten. Sämtliche Feuerwehren der ganzen Umgebung sind in Neunkirchen konzentriert, ebenso die Sanitätskolonnen, und verrichten ihre mühselige Rettungsarbeit. 500 Arbeiter sind mit den Aufräumungsarbeiten beschäftigt. Mit Sauerstoffge- blasen müssen die Verschütteten aus den zusammengestürzten Eisenkonstruktionen herausgeschweißt werden. Wie gewaltig sich die Explosion ausgewirkt hat, wird deutlich, wenn man er kennen muß, daß Teile des großen Gasometers und der meter- starken Rohrleitungen teilweise drei Kilometer weit ins Land geschleudert worden sind. Die Saarbrücker Straße, die zum Unglücksort führt, ist mit Eisenkonstruktionsteilen, Rohren und Gasometerverkleidungen übersät. In den weiter gelegenen Ort schaften Homburg, Zweibrücken, Wellesweiler, Bexbach, Fran kenholz, St. Ingbert usw. sind zahllose Fensterscheiben durch den ungeheuren Luftdruck eingedrückt worden. Kilometerweit ist der Gasgeruch zu verspüren. Auf den Landstraßen sind Kandelaber und Hochleitungsmaste umgeworfen worden Die in unmittelbarer Nähe des Gasometers gelegene Werk kolonie bietet ein Bild des Grauens. Die Häuser sind bis auf die Grundmauern dem Erdboden gleichgemacht worden. Auf den Straßen häuft sich das Hausgerät, das noch gerettet wer den konnte. Unter den Trümmern eines zusammengestürzten Hauses liegt noch eine ganze Familie begraben. Auf Türen als Tragbahren werden die Toten und Verwundeten heraus getragen. Unermüdlich sind die freiwilligen Helfer der Sani tätskolonnen am Werk, um zu helfen, wo noch zu helfen ist. Die Krankenhäuser der ganzen Umgebung bis nach Homburg sind mit Verletzen überfüllt. Gl'Mcherweise bewahrheiten sich die im ersten Augenblick aufgekommenen Gerüchte, - die von über 250 Toten wißen wollen, nicht. Nach ziemlich genauer Schätzung dürste die Zahl der Toten ungefähr 50 betragen- Sie ist nicht so hoch, weil die Betriebe zum Teil nur außer ordentlich schwach besetzt sind. Die meisten Toten liegen wohl unter den Trümmern der Häuser begraben. In einer Wirt schaft in der Saarbrücker Straße wurden durch einstürzende Mauerteile allein vier Arbeiter getötet. Die Zahl der Ver letzten läßt sich zur Stunde noch nicht feststellen. Groß ist natürlich die Zahl der Verletzten allein durch die einstürzenden Fensterscheiben und herabstürzenden Mauerteile. Die Gefahr, daß weitere Explosionen erfolgen, ist noch nicht ganz beseitigt, da unter dem brennenden Teil der Bcn- zolanlage noch einige mit Benzol gefüllte Tanks lagern, die natürlich noch jeden Moment in die Luft fliegen können. Nur der Geistesgegenwart eines Arbeiters war es zu verdanken, daß die Gasleitung sofort abgefperrt wurde. Dieser Teil der Anlage hätte nvch 18 Stunden automatisch Gas geliefert. Die Ausmaße der Explosion wären dann noch viel größer gewesen. Ueber die Ursache sind naturgemäß nur sehr vage Fest stellungen zu machen. Man vermutet, daß die Explosion des 120 000 Kubikmeter großen Gasbehälters, der allerdings nur 12 MO Kubikmeter zur Stunde der Explosion enthielt, durch die in der Benzolfabrik entstandene kleine Explosion etwa fünf Minuten vor sechs Uhr veranlaßt wurde. Nach einer anderen Lesart dürfte die Explosion dadurch entstanden sein, daß der Auspuff eines Motors einen Brand verursacht hat, der sich auf die Benzolanlage ausdehnte und diese zur Explosion brachte und in weiterer Folge den großen und den kleineren Gasometer in die Luft sprengte. Die Explosion, die, wie schon gemeldet, bis nach Karls ruhe und Mannheim zu verspüren war, hat selbstverständlich eine außerordentlich große Zahl Neugieriger herbeigelockt. In den Straßen Neunkirchens herrscht ein sehr reger Verkehr. Automobilkolonnen stauen sich in den Straßen. Polizei und Landjägerbeamte aus dem ganzen Saargebiet halten die Ord nung aufrecht. Glücklicherweise ist die Lichtanlage der Stabt intakt geblieben. Um v Uhr früh 45 Tote geborgen Mannheim. Die Bergungsarbeiten in Neunkirchen wurden die ganze Nacht über unter Einsetzung aller verfüg baren Kräfte fortgesetzt. Gegen 6 Uhr früh waren 45 Tote geborgen. Die Zahl der Schwerverletzten dürfte etwa 300 be tragen, die der Leichtverletzten ist mit 1000 bis 1200 nicht zu hoch angegeben. Die Gefahr weiterer Explosionen besteht nicht mehr. Seldie über sozialpolitische Aufgaben. Programmatische Ausführnngcn des Ncichsarbeits- ministcrs. Auf dem Prcsseempfang des Stahlhelm ergriff Reichs- arbeitsminister S e.l d t e das Wort und schilderte zu nächst die Vorgeschichte und die Bedeutung der Kabinetts bildung. Er führte ferner unter anderem aus: Wer -nick und meine Auffassung und meine Arbeit seit 14 Jahren kennt, Weitz, datz ich kein Sozialreaktionär bin. Die heutige deutsche Sozialpolitik, namentlich vom nationalen Stand punkt aus, mutz und wird weitergreifen. Sie -nutz den Arbeiter aus der Unsicherheit seiner Eristertz? herausführcn und ihm einen festen und gleichberechtigte« Standort ini Staate zuweisen. Das kann nur gelingen, wenn man auch den Arbeitnehmer für voll nimmt und ihm seine Rechte gewährt. Nicht nur aus der Stellung des Reichsarbeitsministers heraus, sondern aus meiner ganzen Lebenseinstellung unterstreiche ich noch einmal ein Bekenntnis zu dem gewordenen sozialen Recht des Arbeitnehmers. Damit bin ich auch kein Feind des Arbeit- und Tarifrechtcs. Die Sozialpolitik hat ihre Auf gabe darin, bei der Neuordnung unserer Gesellschaft in Deutschland zu helfen. Die deutsche Sozialpolitik hat ihren Eigenwert. Von diesem Standpunkt aus hatte es schon seinen tieferen Sinn, wenn man die sozialen Fragen im Reichsarbeitsministerium zusammengefatzt hat. Man wird sehr sorgfältig überlegen müssen, ob und was man etwa herausnimmt. Aber auf keinen Fall darf der organische Zusammenhang auch auf diesem Gebiet zerstört werden. Selbstverständlicherweise ist eine gute Sozialpolitik nui eine solche, die Rücksicht nimmt auf die Erfordernisse und Notwendigkeit der Wirtschaft. Ich sehe nicht Kamps zwischen Wirtschaft und Sozialpolitik, sondern Polarität, siir mich entwickelt sich aus dem überspiel des sozialen und des wirtschaftlichen Standpunktes erst das Heraus-- kristallisieren des Edelsteines, das ich als deutsches Leben bezeichne.