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keit, Pathos oder Schwermut. Die Quellen, aus denen Tschaikowski hier unter anderem schöpfte, sind das Volkslied und der Volkstanz seiner Heimat. Betont durchsichtig ist die Instrumentation, die beispielsweise auf Posaunen verzichtet. Aus der Orchestereinleitung wächst das großartige, tänzerische Hauptthema des stimmungsmäßig einheitlichen ersten Satzes (Allegro moderato) heraus, das dem ersten Teil des Konzertes, teils im strahlenden Orchesterklang, teils in Umspie lungen der Solovioline, seine faszinierende Wirkung verleiht, während das zweite, lyrische Thema demgegenüber etwas in den Hintergrund tritt. Auf dem Höhe punkt des Satzes steht eine virtuose Kadenz des Soloinstrumentes, dem das ganze Konzert überhaupt höchst dankbare Aufgaben bietet. Der zweite Satz (Andante) trägt die Überschrift: Canzonetta. Kein Wunder darum, daß das Hauptthema innigen Liedcharakter besitzt und die Stimmung dieses Satzes weitgehend trägt, ohne dem geschmeidigen Seitenthema größeren Raum zu geben. Unmittelbar daran schließt sich das Finale (Allegro vivacissimo) an, das vom Solisten ein Höchstmaß an geigerischer Virtuosität in Kadenzen, Passagen. Flageoletts usw. verlangt. Das formale Schema des Satzes ist etwa mit ABABA zu umreißen. Beide Themen haben nationales russisches Profil. Das erste wächst aus der übermütigen Orchestereinleitung heraus, das zweite, tanz artige, wird von Baßquinten begleitet. Unaufhörlich stellt der Komponist die Themen vor, elegant und formgewandt variiert. Strahlend endet der tempera mentgeladene Schlußsatz des Konzertes, das zweifellos eine der überragendsten Kompositionen Tschaikowskis ist. Das 1910 in Paris durch das Djagilew-Ballett uraufgeführte Ballett „Der Feuervogel" gehört zu den beliebtesten Schöpfungen Igor Stra winskys, des am 6. April 1971 im Alter von 89 Jahren in New York ver storbenen Meisters. Die aus diesem Werk zusammengestellte Konzertsuite hat sich wegen ihres bestrickenden Klangzaubers und ihrer lyrischen Verhalten heit. die mit barbarischer Wildheit wechselt, einen Stammplatz im Repertoire vieler Orchester der Welt errungen. Von der Suite gibt es drei Fassungen: die von 1910 für sehr großes Orchester, die heute erklingende von 1919 für mitt leres Orchester, ganz dem Zuge der Sparsamkeit nach dem ersten Weltkrieg und der Entwicklung Strawinskys folgend, und die von 1945 für normales Orchester mit einigen Instrumentationsretuschen. Die Fabel des Balletts folgt einem russischen Märchen vom Prinzen Iwan, der im Zaubergarten des Menschenfressers Kastschei dem Feuervogel begegnet, ihn einfängt und gegen Überlassung einer Feder wieder freiläßt. Gefangene Prin zessinnen tanzen im mondbeschienenen Park, Prinz Iwan verliebt sich in eine von ihnen, der er trotz aller Warnungen ins Schloß folgen will. Der Zauberer Kast schei tritt ihm entgegen, um ihn in Stein zu verwandeln. Der durch die Feder herbeigerufene Feuervogel verrät dem Prinzen das Lebensgeheimnis des Zau berers. Der Prinz tötet ihn und befreit dadurch alle Gefangenen und Ver zauberten. Die geliebte Prinzessin ist eine Zarentochter, mit der er sich verlobt. Die Suite gibt die wichtigsten Episoden des Balletts wieder. Die Introduktion (Einleitung) läßt den Zaubergarten aufblühen. Eine Figur wächst aus dunkler Tiefe (Violoncello, Kontrabässe) zu einer lyrischen Melodie der Oboe. Die Far bigkeit, durch eine zauberhafte Instrumentation hervorgerufen, versetzt den Hörer sofort in eine märchenhafte Stimmung. Ein bunter Vogel, der Feuervogel, schwirrt plötzlich in diesem Zaubergarten umher. Das Schwirren, durch spielerische Figuren zweier Flöten und einer Klarinette, durch Tremoli und das Pizzicato der Streicher, durch Glissandi des Klaviers und der Harfe unterstrichen, ist musikalisch äußerst suggestiv gestaltet. In einem Pas de deux (Tanz zu zweien) wird die Begegnung des Prinzen mit dem Feuervogel geschildert. Dann tanzen die ver zauberten Prinzessinnen (Scherzo). Ein Rondo erzählt von der aufkeimenden Liebe des Prinzen zu der schönsten Prinzessin. Hier hat Strawinsky eine Oboen melodie von anmutiger Süße geschaffen. Ihr steht eine Violinmelodie von ähn- i'cher Lieblichkeit und lyrischer Verhaltenheit zur Seite. Aber der Zauberer Kastschei bannt zunächst alle in seine höllischen Fänge; der barbarisch-wilde Tanz, in dem, nach einem Wort Debussys, die „rhythmische Gewaltherrschaft" der Musik beginnt, hat etwas Brutales an sich, durch Schlagzeugpassagen und synkopische Me'odiefetzen gekennzeichnet. Hier sind die Ansätze, die später im „Sacre du Fdntemps" zur Vorherrschaft gelangen, die den Rhythmus in den Vordergrund rücken. Strawinsky läßt auf dieses entfesserte Stück ein Wiegenlied des Feuervogels folgen, das nicht nur durch den gewaltigen Kontrast, sondern auch durch den bestrickenden Liebreiz der Melodie (Fagott) einen tiefen Eindruck hervorruft. Eine Hymne krönt die Ballettsuite, in der er allen moskowitischen Prunk und Reichtum aufleuchten läßt, so wie ihn auch viele der alten Märchen Rußlands enthalten. Die Hornmelodie steigt über die Violinen und Flöten immer hoher empor, wird immer reicher harmonisiert und immer verführerischer im Klang ausgestattet. Sie wird metrisch vom Drei-Halbe-Takt zum Sieben-Viertel- Takt umgewandelt, und vor der endgültigen Steigerung werden durch Klavier- und Harfenakkorde, durch Pauken und tiefste Instrumente Glockeneffekte erzielt. Musikalisch wird der Eindruck einer gewaltigen, feierlich-großartigen Prozession im alten Rußland hervorgerufen. Strawinsky ist in diesem Werk Folklorist, nicht nur, weil seine Melodien Volkslied charakter haben, sondern auch, weil die Harmonik so spezifisch russisch ist, der Klang (trotz aller impressionistischen Anklänge, die aber auch bei Rimski-Korsa- kow zu finden sind) den Zauber des Rußlands der alten Märchen beschwört und der Rhythmus die Kraft dieses großartigen Landes und Volkes zum Ausdruck bringt. 806 Dresden, Alaunstr. 36-40 teiltet* teilt i'ßeltE (Lee III/9/92 JtG 039 34 7*