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Eonnahen-, 2L. August 1928 Reichskanzler MMer M nach Seal Der Beschluß »eS Kabinetts Berlin. 24. August. Das Reichskablneti hat flch In seiner heutigen Sitzung dahin entschieden, datz für den durch feinen Gesundheitszustand bedauerlicherweise noch behinderten Reichsminister des Auswärtigen der Reichs kanzler selbst die Führung der deutschen Delegation für die diesjährige Völkerbundsversammlung ln Genf über nehmen wird. Der Reichskanzler beabsichtigt, zur Er öffnung der Bundesversammlung, die am 3. September slaltfindet. in Genf einzulreffen. Die Dauer feines dortigen Aufenthalt» wird vom Verlauf der Tagung ab nehmen wird. Allerdings wird sich der Reichskanzler erst zu der Vollversammlung de» Völkerbunt:r (3. Sep tember) nach Genf begeben, während bei der Rats tag u n g die deutsche Delegation der S'-atssekrelär des Auswärtigen Amtes, v. Schubert, führen wird, während des Urlaubs Dr. Stresemanns wird der Reichs kanzler Müller als stellvertretender Außenminister fungieren. In politischen Kreisen wird Wert auf die Feststellung gelegt, baß die Entschließung des Reichskanzlers, selbst nach Genf zu fahren, nicht in erster Linie auf die Frage der Nheinlandräumung zurückgeht. Zwar wird Reichskanzler Müller den Außenminister naturgemäß auch bei den Be- sprechnngcn vertreten, die. wie jedesmal, so auch zweifellos jetzt neben dem eigentlichen Völkerbuudssitzungen stattftndcn werden. Bor allem aber fährt der Kanzler wegen beL Völkerbundes selb st nach Genf, weil das deutsche Volk in einer so großen und wichtigen Versammlung, an der die hervorragendsten Führer des Auslandes teilnehmen, eben falls durch einen verantwortlichen Staatsmann vertreten sein muß. Das gebietet nach der Auffassung politischer Kreise auch schon die Rücksicht auf dis kleineren Staaten, mit denen wir Zusammenarbeiten, und die bekanntlich immer den größten Wert auf die Respektierung des Völkerbundes durch die sogenannten „Großen" zu legen pflegen. Reue Erholungsreise Dr. Stresemanns Berlin, 24. August. Wie von unterrichteter Seite ver lautet. hat die neuerliche Untersuchung Tr. Stresemanns er geben, daß die als Folgrwtrkung seiner Erkranknng und der darauffolgenden Karlsbader Kur vorhandene Schwäche nur durch einen neuen mehrwöchigen Erholungsurlaub behoben werden kann, der den Minister von jeglicher Arbeit sernhält. Es ist daher, wie von zuverlässiger Seite verlautet, damit zu rechnen, das, NeichSaußenminister Dr. Stresemann nach seiner Pariser Reise erneut einen mehrwöchigen Er holungsurlaub antritt, der den Minister dann wohl mit Sicherheit seiner völligen Gesundung entgegenfithrcn dürfte. Ueber den Ort und den Zeitpunkt seines Aufenthaltes ist eine Entscheidung noch nicht getroffen. ikoimars will keine RäumungSer-rterung lD r a h t m e l d u n g unserer Berliner S ch r i s t l « t t u n g > Berlin, 24. August. Ueber die Art und Weise, durch die Frankreich die von Dr. Stresemann beabsichtigte Erörterung der Näumungsfrage zum Versacken bringen will, machen jetzt die Pariser Blätter neue interessante Angaben. Zunächst wirb die sehr wichtige Mitteilung gemacht, daß der französische Ministerpräsident Poincars die Rhetnlandfrage mit Dr. Stresemann be- sprechen werde. Die französischen Blätter geben zu er- kennen, daß dies dem französischen Außenminister überaus angenehm sei, da er so sagen könne, er sei unschuldig daran, wenn das Besatzungöproblem nicht vom Flecke komme. Briand, dessen Meisterschaft ja darin besteht, daß er sich durch kluge Taktik um fest formulierte Zusagen herumdrückt, glaubt auf diese Weise wohl die Möglichkeit sich sichern zu können, trotz des Verbleibens der Besatzung dann weiter den Friedens apostel zu spielen. Poincars soll nun die Absicht haben, dem dentschcn Außen» minister darzulegeu, daß die Räumung der Nheinlande von der Frage der interalliierten Schulden und der Festsetzung einer endgültige» deutschen Rcparationöfumme nicht zu trennen sei. Da nun aber interalliierte Schulden und Reparationszahlungen mit der BesatznngSfrage nichts zu tnn haben, «eil der Versailler Vertrag die Besatzung nicht als Mittel zur Sicherung der deutschen Dawes- lcistnngcn vorgesehen hat, und weil die Frage, ans welche Weise Frankreich seine Kriegsschnldea loswird, Deutschland nicht baS geringste angeht; so ergibt sich die Tatsache, daß Poincars jede Erörterung der Räumungssraae von »orvherei» einfach unmöglich mache« will. Frankreich will eben mit der uebernahme der Führung der deutsch - französischen Politik durch Potncars an Stelle BriandS— dem nun die erwünschte Gelegenheit gegeben ist, sich von der aussichtslos gewordenen An näherungspolitik zurückzuziehen — Deutschland klarmachen, daß es auch in Genf anläßlich der Völkcrbundstagung auf nichts zu hoffen hat. Vielleicht liegt auch Poincarö jetzt nichts mehr an einem Näumnngsgeschäft, weil er glaubt, ohne finanzielle Sonderleistungen Deutschlands auskommen zu können. Deutschland aber steht durch die Weigerung Poincarös, die Rhcinlande zu räumen, vor einer gänzlich neuen Lage in seiner AusgleichSpolttik gegen, über Frankreich. Seipel Führer -er österreichischen Delegation Genf, 24. August. Die österreichische Delegation wird, wie jetzt offiziell bekannt wird, auf der Vollversammlung des Völkerbundes durch den Bundeskanzler Seipel geführt wer den. Man erwartet, baß Seipel persönlich mit den Mitglie dern des Finanzkomitees des Völkerbundes Fühlung nehmen wirb, um die gegenwärtig ruhenden Verhandlungen über die österreichische Jnvestitionsanleihe wieder in Gang zu setzen. ii S A.-Memtkaiidum über bie Nttttnstürkr Kellovv wir- es -er englischen un- französischen Regierung überreichen Der amerikanische Staatssekretär bei Briand Washington, 24. August. Die Zeitschrift „Foreign AfsairS" will erfahren haben, daß Kellogg ein vom Präsident Coolidge und dem Ches des Admtralstabs, Hughes, ausgearbeitctes Memorandum mit auf die Reise gegeben worden sei, in dem Amerikas Mindestforbernngen hinsichtlich der Frage der ftlottcnstärke enthalten sein sollen. Kellogg habe Anstrag, dieses Memorandum der englischen und französischen Regie rung zu unterbreiten. Zwar wird in der Umgebung Kelloggs auch weiterhin er- klärt, baß der Staatssekretär nur in der Unterzeichnung des Kriegsächtungspaktes den einzigen Zweck seiner Pariser Reise sehe. Doch diesen Erklärungen ist wenig Glauben zu schenken. Denn Kellogg wird wohl bei dem Zusammentreffen mit eng lischen und französischen Ministern nicht nur höfliche Redens arien auStauschen, sondern sich gewiß auch Klarheit über das für Amerika so beunruhigende Flotte nabkommen verschaffen wollen. Trifft die obige Meldung zu, so ist gewiß damit zu rechnen, daß Kellogg in Paris die maritime Niistnngssrage anschnetdet, wenn auch eine große Aussprache erst später stattfinden wirb. Ebenso ist der Gedanke nicht von der Hand zu weisen, daß KelloggS Reise nach Irland genau wie der amerikanische Schiedsvertrag in Aegypten der Beginn eines weiteren politischen Gegenzuges zum Flotten- abkvmmen ist. Daß die U. S. A. unbedingt aus rückhalt- lose Veröffentlichung der englisch-französischen Ver- einbarungen dringen werden, dafür zeugt ein ncner, der dritte scharfe Leitartikel der „World", gegen die Geheimnis, krämerei der britischen Negierung in der Frage der Flotten verständigung. Er weist darauf hin, baß der Weltkrieg zum großen Teil durch die Geheimnistuerei Englands und Frank reichs über ihre damalige Dntonts oorckial« und infolge des dadurch in Deutschland erzeugten Argwohns entstanden sei. Jetzt werde der gleiche Argwohn in Berlin, Nom und Washington erzeugt, und cö sei daher hohe Zeit, daß man aus London und Paris befriedigende Erklärungen erhalte. Paris, 24. Aug. Ueber Kelloggs Ankunft in Le Havre wird noch gemeldet: Nach Verlassen des Dampfers „Jsle de Fränce" wurden Staatssekretär Kellogg und Gemahlin, der kanadisch« Ministerpräsident Mackenzie King und deren Gefolge von dem Bürgermeister der Stabt und dem Präsekten des De- partements Scine-JntSrteur begrüßt. Der Bürgermeister überreichte Kellogg im Namen der Bevölkerung einen gol- denen Federhalter» wobei er dem Wunsche Ausdruck gab, daß der KriegsverzichtSpakt von Kellogg, sowie von den Vertretern der anderen Nationen mit diesem Federhalter unterzeichnet werde. Der Federhalter trage die Devise „8i vis pacom pur» pncem". Die neue Devise, die die alte verdrängt habe, daß, wer den Frieden wolle, den Krieg vorberetten müsse. Den Krieg vorzubereiten, sei nicht schwer. Schwerer sei es, den Geist für die Erhaltuim des Friedens vorzubereiten. An den kanadischen Ministerpräsidenten Mackenzie King gewendet, gedachte der Bürgermeister der Hilfe, die die kanadische» Truppen Frankreich währenddes Kriegesgebrachthätten, und über reichte ihm eine goldene Medaille. — Kellogg dankte dann für bas Geschenk des goldenen Federhalters und versprach, daß mit ihm der KriegSverzichtspakt unterzeichnet werden solle. Der Gemahlin des Staatssekretärs Kellogg wurde von der Tochter des Bürgermeisters ein prachtvolles Blumengcbinde überreicht. Zum Schluß wurden die fran zösische, die amerikanische und die kanadische Nationalhymne gespielt. Die Staatsmänner trugen sich dann in das Goldene Buch der Stabt Le Havre ein, worauf sie um 7,1ö Uhr den Zug nach Parts bestiegen. Staatssekretär Kellogg begab sich Freitag nachmittag in Begleitung des amerikanischen Botschafters Herrick ins französische Außenministerium, wo er Briand seinen Antrittsbesuch machte. Nahezu Stunden verblieben die beiden Staatsmänner im Zimmer Brtands. Briand ver abschiedete sich darauf sehr herzlich von Kellogg. Kurze Zeit darauf erwiderte Briand in der amerikanischen Bot schaft den Besuch Kelloggs. Um » Uhr nachmittags empfing Briand den japanischen Vertreter für die Paktunterzeichnung, Grafen Uschtda. Washington bestätigt amtlich, baß unmittelbar nach der Unterzeichnung des Kellogg-Paktcs in Paris Einladungen an sämtliche übrigen Nationen zur Paktunterzeichnung ergehen werben. Die Statsaufstelluny 1S2M« und Steuerpläne Sozialdemokraten und Demokraten hatten gemeinsam dem von dem verflossenen Finanzmtntster Köhler auf. gestellten Etat für 1928/20 die Zustimmung versagt, mit der Begründung, baß er die früheren Reserven restlos aufgezehrt und zum Ausgleich die Einnahmcansätze trotz beginnender Er- müdung der Konjunktur wesentlich erhöht habe. Die demo- krattschen Budgetverwcigerer gerieten dabet in Widerspruch mit ihrer eigenen Presse, die seinerzeit bei der Vcröffent- lichung des Entwurfs dem Minister wegen des von ihm be tätigten energischen Sparwillens hohes Lob gezollt und eS ihm namentlich als Verdienst angercchnct hatte, daß er mit der Geheimniskrämerei der Vergangenheit gebrochen und zum ersten Male dem Reichstage reinen Wein über die so- genannten Töpfe der Rcichssinanzverwaltung eingeschenkt habe, indem er eine genaue Uebcrsicht über die Kassenbestände, die Entwicklung des Bctriebömittelfonds und die unver- wendeten Einnahme- und Ausgabercste auf den Tisch des Hauses niederlegte. Nach dieser Aufstellung war am 81. März 1928 noch ein Kassenbestand von 622 Millionen Mark, also über eine halbe Milliarde, vorhanden, der freilich jetzt be reits auf 247 Millionen zusammengeschmolzen ist. Nun stehen die demokratischen und die sozialistischen Kritiker vor der schweren Aufgabe, ihren finanziellen Befähigungsnachweis, den sie bisher nur durch negative Kritik zu betätigen be müht waren, auf dem dornigen Gelände der Praxis zu er bringen. Die demokratische „Franks. Ztg." gibt angesichts dieser Lage dem neuen sozialistischen Finanzminister Hilser- ding den Rat, auf dem von Dr. Köhler mit so viel Erfolg bcschrittenen Wege der Finanzehrlichkeit und Sparsamkeit mit noch größerer Energie fortzuschreiten und damit der Tendenz zu einer unkontrollierbaren Ausgabenwirtschaft zu begegnen. Ueber diese nachträgliche Anerkennung seiner Wirksamkeit von links her. die Len ihm von derselben Seite bereits früher gezollten Beifall verstärkt, kann der deutsch- nationale Vorgänger -es sozialistischen Herrn Hilferütng immerhin mit einiger Genugtuung quittieren. In den Ruf nach Sparsamkeit wird natürlich jeder mit voller Ueberzeugung einstimmen, der selbst mitten im wirtschaftlichen und beruflichen Leben steht und den harten Steuerdruck am eigenen Leibe verspürt. Wenn man freilich die Finanzlage zunächst nur von der Einnahmenseite her be trachtet, so lassen sich gewisse günstige Momente nicht ver- kennen. Der Juli hat sogar einen Einnahmerekorb aufzu- wcisen mit einer Milliarde und 82 Millionen Mark. Auch für die kommenden Monate dürfte mit hohen Ergebnissen zu rechnen sein, da die gute Konjunktur trotz vereinzelten Ab schwächungen noch anzuhaltcn verspricht. Außer der Ein kommen- und der Körperschaftssteuer weist die Umsatzsteuer ebenfalls steigende Erträge auf, und ebenso haben die Zölle in den ersten vier Monaten des Finanzjahres das Etatssvll um ein gutes Stück überschritten. Dieser Stand der Ein nahmen ist ein Beweis dafür, daß Dr. Köhler nicht so, wie es seine Kritiker auf der Linken darstellten, im Unrecht war, wenn er die Einnahmen für den laufenden Etat höher an setzte. Ein Fchlschlag könnte nur dann eintreten, wenn die Konjunktur im weiteren Verlaufe des Finanzjahres sich rasch erheblich verschlechtern sollte, was normalerweise nicht be fürchtet zu werben braucht. Die Mehreinnahmen dürfen aber nicht zu Trugschlüssen verleiten. Es ist Loch nicht so. daß baS Plus -er NcichSkasse schlechthin zugute käme, vielmehr ge bühren von den direkten Steuern 75 Prozent des Gesamt aufkommens und von der Umsatzsteuer 80 Prozent den Ländern. Außerdem ist kein Verlaß darauf, daß das ganze nächste Finanzjahr ebenso gesegnet sein werde wie bas jetzige. Ferner ist zu bedenken, daß die Wirtschaft kategorisch die end liche Berücksichtigung ihres Verlangens nach fühlbarer Steuersenkung fordert, un- daß daher durch eine Reform nach dieser Richtung eine Verminderung der Einnahmen in Aussicht steht. Endlich darf nicht übersehen werben, daß auch der nächste Etat nicht um die Notwendigkeit herumkommen wird, die Ueberschüsse des ordentlichen Etats mit zur Deckung der außerordentlichen Ausgaben heranzuziehen. Unter diesen Umständen ergibt sich schon jetzt ein sicherer Fehlbetrag im ordentlichen Etat in Höhe von 600 Millionen Mark. Aus den Ueberschüssen des Jahres 1927 sind im laufenden Etat 125 Millionen eingestellt, und weitere 176 Millionen ergaben sich 1927 als Münzgewinn aus der Prä- gung von Silbermünzen. Diese einmaligen Einnahmen von insgesamt 800 Millionen fallen im nächsten Etat fort, und außerdem ergibt sich auf Grund des Beginns der DaweS- Normaljahre eine Steigerung der Reparationslast gegen daS Vorjahr um 800 Millionen Mark. Die Erhöhung der DaweS.Tribute fällt zu sammen mit der gleichzeitig vom französischen Finanzministe rium in einer für das Parlament bestimmten Denkschrift gemachten Feststellung, baß nach Abzug der Kosten für die BesatzungSarmco und die Kriegsbeschädigten sowie der Kriegsschuldenraten für England und Amerika von den deutschen Daweszahlungen ein Nettobetrag von einer Mil- liarde Franken für das nächste Budget üvriggeblieben sei. Damit kann nun Frankreich seine Aufrüstung finanzieren, ohne baß eS, wie die Denkschrift hervorhebt, seine Steuern zu vermehren braucht. Bei uns dagegen schießen neue Steuerpläne üppig ins Kraut. Nach Informationen der Linkspresse wird das Spiritusmonopol, das bereits den ver- flossenen Reichstag beschäftigte, sicher wieberkehren. Ferner soll im Vordergründe der Erwägungen eine Erhöhung der