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Bariton: Wie es Nacht wurde, wollt’ es schon nicht recht mit mir fort, und nun schlagen sie den Zapfenstreich, den ich sonst an Deiner Seite zu hören gewohnt bin, und mein Verlangen, Dich zu sehen, wird schmerzlich. Ich bin aur alle Weise Dein. Chor: Neigung aber und Liebe durch so viele Zeiten sich erhalten zu sehen, ist das allerhöchste, was dem Menschen gewährt sein kann. Bariton : Ich danke Dir für den Brief, wenn er mich gleich auf mehr als eine Weise betrübt hat. Ich zauderte darauf zu antworten, weil es in einem solchen Falle schwer ist, aufrichtig zu sein und nicht zu verletzen. So muß ich mich denn doch entschließen, schriftlich von Ihnen Abschied zu nehmen. Ich habe kein größeres Glück gekannt als das Vertrauen gegen Dich, sobald ich es nicht mehr ausüben kann, bin ich ein andrer Mensch und muß in der Folge mich noch mehr verändern. Lebe wohl. Das Wort steht absolut im Vordergrund des musikalischen Geschehens dieser Kantate; den Sinn des Textes und damit den Inhalt des Werkes will die Musik dienend hervorheben, ihn emotional Überhöhen. Mit hochpoetischem, feindiffe renziertem Ausdruck, der an die Expressivität eines Alban Berg denken läßt, auch überzeugend im Treffen der deutschen Sprachdiktion, hat der Komponist die Gefühlsskalen und -Spannungen, von denen der Text kündet, ins Musikalische gehoben. Liebesglück, Sehnsucht, Treue, aber auch Unruhe, Ängste, Zweifel (wie sie sich in den Worten der Frau von Stein „Ob’s Unrecht ist, was ich empfinde" ausdrücken), schließlich Trennungsschmerz, Abschied - all das wird in der ein drucksvollen sprachlichen und musikalischen Lyrik dieser Kantate ausgesagt. Bewundernswert, wie die Intimität der literarischen Vorlage, die für den Kompo nisten auch autobiographische Bedeutung besitzt, ins Allgemeingültige gewendet ist. Das ist fraglos ein Verdienst der ebenso subtilen wie raffinierten Partitur Tadeusz Bairds, die verschiedenste, auch neuartige technische Mittel (z. B. Aleatorik, Cluster, aufeinandergelegte Klangmixturen, Differenzierungen ein und desselben Tones, tonloses Flüstern des Chores u. a.), die aber für den Hörer nicht von Belang sind, zu klanglicher Homogenität und vor allem zu zwingender aus drucksmäßiger Dichte führt. In dem gewissermaßen „durchkomponierten" Stück kommt dem anspruchsvollen solistischen Part die führende Rolle zu, der Chor hat die Aufgabe eines zurückhaltenden Kommentators zu erfüllen, der vielschichtige Orchestersatz mit seiner sensiblen Dynamik, aber auch seinen ungestümen Kon trasten schafft das klangliche Fundament. Als schönster Nachklang der vierhändigen Walzer für Klavier op. 39 (1867), mit denen sich Johannes Brahms in Wien eingeführt hatte, haben die kostbaren Liebeslieder-Walzer zu gelten, die in zwei Sammlungen op. 52 und 65 nach Versen aus Georg Friedrich Daumers (1800-1875) „Polydora" 1868 bzw. 1875 entstanden. Diese Stücke, in denen der Walzer- bzw. Ländler rhythmus stets deutlich zu spüren ist, haben dem Komponisten nächst den „Ungarischen Tänzen" außerordentliche Popularität bei den Musikfreunden eingebracht, so daß er später einen Teil davon mit Orchesterbegleitung versah, nachdem die Originalfassung „für vier Singstimmen mit Pianoforte zu vier Händen" bestimmt war. Brahms hat hier im Anschluß an Johann Strauß, dessen Walzer er überaus schätzte, und Franz Schubert das „Tanzlied" gewissermaßen aus seiner Sicht erneuert. Kaum je hat er wieder so freudig und scherzhaft musiziert wie etwa in den innig-sentimentalen Weisen „Die grüne Hopfenranke“ und „Wenn so lind dein Auge mir”, so tänzerisch ausgelassen wie in „Rede Mädchen, allzuliebes” oder so deftig-burschikos wie in „Nein, es ist nicht auszukommen mit den Leuten". Besonders eindrucksvoll ist auch das „Am Donau strande, da steht ein Haus", mit dem unsere Auswahl ausklingt. Das Klavierkonzert Nr. 1 d-Moll op. 15 von Brahms gehört zu den Jugendwerken des Meisters. Es wurde in seiner Urform als Sonate für zwei Klaviere entworfen (1854), auch Pläne für eine Sinfonie hatte der Komponist ursprünglich damit verbunden. Die ersten Aufführungen des dann endgültig zum Klavierkonzert umgestalteten Werkes fanden mit Brahms als Solisten kurz nach einander Anfang 1859 in Hannover und im Leipziger Gewandhaus statt, wobei es allerdings besonders in Leipzig zu einem völligen Durchfall des Konzertes kam. Die Gründe für diese überaus schlechte Aufnahme der ersten bedeutenden Orchesterschöpfung des jungen Brahms bei seinen Zeitgenossen mögen beson ders darin zu suchen sein, daß es sich hier nicht um eines der üblichen Virtuosen konzerte, sondern um ein rein sinfonisch angelegtes Werk handelte, bei dem das Klavier — kein virtuos konzertierendes Soloinstrument mehr — ebenso wie die anderen Orchesterinstrumente der sinfonischen Entwicklung nutzbar gemacht wird. Daneben mögen auch die Monumentalität und die dramatische Schroffheit besonders des ersten Satzes, der unter dem Eindruck des Selbstmordversuches des verehrten Robert Schumann geschrieben sein soll, zunächst befremdet haben. Und doch müssen wir in diesem Werk eines der großartigsten Beispiele seiner Gattung erblicken, das uns durch seine Einheitlichkeit und Intensität, durch seine düstere Größe und seinen starken Gefühlsreichtum aufs tiefste zu fesseln vermag. Der erste Satz (Maestoso) wird mit dem großartigen Hauptthema des Orchesters eröffnet. Nach einem Zwischenspiel und einer kontrapunktischen Steigerung setzt das Klavier piano espressivo mit klagenden Terzen- und Sextengängen ein. Sparsam begleitet das Orchester. Die ernste, schmerzliche Stimmung konzentriert sich. Dann erklingt — im Klavier allein — das edle zweite Thema, das zu Brahms' schönsten Einfällen gehört. Das Orchester greift die Melodie auf, das Klavier umspielt sie figurativ. Die Durchführung bemächtigt sich dieses Materials und nündet in einer Verarbeitung des Hauptthemas. Düster klingt die Reprise aus. Wie faszinierend die melodischen Entfaltungen, der großflächige Aufbau, der herbe Mollklang des Satzes wirken, läßt sich kaum mit Worten sagen. Der Einsatz des Soloklavieres erfolgt sinfonisch-konzertant und stellt an den Solisten höchste physische Anforderungen. Andere Gefühlsbereiche eröffnen sich schon mit dem zweiten Satz (Adagio), den Brahms ursprünglich — wohl im Gedenken an Schumann — mit „Benedictus, qui venit in nomine Domini" überschrieben hat. Ein innig-gesangvolles Geigenthema steht im Vordergrund des Satzes. Einen weiteren edlen Gedanken bringt das Klavier. Die Anlage des Adagios ist dreiteilig. Der mittlere Teil wird von eie gischen und schmerzlich-trotzigen Stimmungen beherrscht. Die variierte Wieder holung des ersten Teiles — mit einer Kadenz des Klavieres — schließt im Pianissimo. Das Rondo-Finale (Allegro non troppo) steht inhaltlich im Gegensatz zu den vorangegangenen Sätzen. Rhythmisch und melodisch begegnet fast ungarischer Schwung. Kraftvoll, stürmisch setzt das rhythmisch pointierte Hauptthema ein. Welch ein Kontrast schafft dazu das wunderschöne zweite Thema in F-Dur, das besonders wirkungsvoll in einer fugierten Episode mit Klavier und Horn zum Ausdruck kommt. Die Gestaltung des Rondos meidet insgesamt belastende Problematik. Nach einer konzertanten Kadenz verklingt das Werk mit hellem Dur-Klang. Dr. habil. Dieter Härtwig (•hilhanmoooi 2. ZYKLUS-KONZERT 1971/72 Programmblätter der Dresdner Philharmonie — Spielzeit 1971 72 — Che’fdirigent: Kurt Masur Redaktion: Dr. habil. Dieter Härtwig Druck: veb polydruck Werk 3 Pirna - 111-25-12 3 ItG 009-93-71