Volltext Seite (XML)
Sächsische Slaalszeümg Staatsan^eiger für Erscheint Werktags nachmittag- mit dem Datum de» ErscheinungStage». Bezugspreis: Monatlich S RM. Einzelne Nummern 15 Pf. Schriftleitg. u. Geschäftsstelle DreSden-A. 1, Gr. Zwingerstr. 16. Ruf 1457« u. 21 295. Postscheck-Konto Dresden 2486 / Staatsbank - Konto 674. den Zreiftaat Sachfen Anzeigenpreise: 32 mm breite, 3 mm hohe Grundzeile oder deren Raum 35 Pf., 66 mm breit im amtlichen Teile 70 Pf., Reklamezeile 1 RM. Ermäßigung auf Geschäftsanzeigen, Familiennachrichten und Stellengesuche. Schluß der Annahme vormittag» 10 Uhr. Zeitweise Nebenblätter: Landtags-Beilage, Ziehungsliste der Staatsschuldenverwaltung, Holzpflanzen-BerkausSliste der Staatsforstverwaltung, verantwortlich für die Schriftleitung: OberregierungSrat HanS Block in Dresden. Nr. ISO Dresden, Mittwoch, 5. August Oie Rundfunkrede des Reichskanzlers. Berlin, 4. August. Reichskanzler vr. Brüning hielt heute abend 7.30 Uhr im Rundfunk folgende Rede: Heute vor sechs Wochen habe ich mich schon einmal von dieser Steve aus an das deutsche Volk gewandt. Damals standen wir unter dem Eindruck de- historischen Schrittes de- Herrn Präsidenten Hoover, durch den Deutschland auf ein Jahr von der Zahlung der Reparation-Verpflichtungen befreit werden sollte. Gleich damals habe ich vor der Illusion gewarnt, daß wir bei Annahme dieses hochherzigen Planes über die Gesamtheit der uns bedrängenden Nöte hinweg seien. Dieser Sorge hat die Entwicklung der Zwischenzeit recht gegeben. DaS deutsche Volk hat die über alle Schichten hereingebrochene schwere Prüfung mit vorbildlicher Ruhe über sich ergehen lassen und seinen natürlichen Sinn für Ruhe und Ordnung bewährt, der die verdiente Anerkennung der Welt gefunden hat. Die deutsche Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, von der Reichsregierung über die Gescheh nisse der letzten Wochen unterri chte-t zu werden, zumal die bcrusene Volksvertretung, der Deutsche Reichstag, in staatsmännischer Einsicht dem Wunsch der Reichsregierung gefolgt ist und von einer Sommertagung. tn. die1en.rrtsenmolulLN. Abstand genommen hat. Die Reichsregierung mußte in den vergangenen Monaten in ihren Maßnahmen, vor allem in der Reparationspolitik, ohne Rücksicht aus Agitationsbedürfnisse behutsam Vor gehen, weil sie sich gewisser, in der Lage unsere» Geldmarktes bedingter Gefahren bewußt war. Diese Politik wurde vielfach nicht veistanden. Daher haben sich für Außenstehende die politischen und wirtschaftlichen Ereignisse in den letzten sechs Wochen geradezu überstürzt. Der Hoover-Plan ist in seinem wesentlichsten Inhalt Wirklichkeit geworden, wenn auch seine mehr wöchige Verzögerung schwere Rück wirkungen auf die deutsche Wirtschaft ausgeübt Hai. Die in diesen Wochen erfolgte Entziehung kurzfristiger ausländischer Kredite in Milliardenhöhe aus den deut schen Banken bedeutet für unsere Volkswirtschaft einen plötzlichen und gefahrvollen Blut verlust. Starke Störungen des Zahlungs verkehrs und Erschütterungen des gesamten Wirtschaftslebens waren die naturgemäße Folge. Ein bedeutsamer Fortschritt ist aber alb Ergebnis dieser Krisis unverkennbar. Heute ist sich die gesamte Welt darüber einig, daß die Geschicke der Völker miteinander auf das engste verflochten sind, daß Störungen im Organismus eines so großen Wirtschaftölöipel- wie Deutschland nicht ohne ernste Folgewirkungen auch im Ausland bleiben können. Kein Politiker kann mehr die Richtigkeit des Satze- bezweifeln, daß die Rot eines Volke- nicht der Vorteil der an deren sein kann. Vor sechs Wochen sagte ich deshalb, daß das Gedeihen Europas und der Welt davon abhänge, daß diejenigen, die ein tragisches Geschick im Weltkrieg zu Feinden werden ließ, nunmehr weitsichtig zu den Entschlüssen sich aus- rafsten, welche die gemeinsame beklemmende Not von ihnen fordert. Ich sage insbesondere, daß sich die Deutsche Regierung bewußt sei, welche wichtige Rolle der znkünsiige« Gestaltung der «ezikhungeu zwischen Frankreich und Deutschland zusällt. Aus solchen Erwägungen, die trotz aller Hinder nisse in steigendem Maße bet den entscheidenden Faktoren sich durchzusctzen beginnen, ist er in zwischen zu dem deutschen Staatsbesuch in Paris gekommen, dem sich alsdann die Sieben- Mächte-Konferenz in London anschloß. Dieser Konferenz folgten die Besuche der amerika nischen und englischen Staatsmänner in der Reichshauptstadt. Morgen abend begebe ich mich, einer Einladung der italienischen Regierung folgend, in Begleitung de» Herrn Reichs- außenminister» nach Rom. Hoffentlich werden wir demnächst den in Pari» aufgenommenen deutsch-sranzösiscken Gedankenaustausch bet dem Gegenbesuch der französischen Staats männer in Berlin in freimütiger Weise sort- setzen. Die Ergebnisse dieser außenpolitischen Be sprechungen sind naturgemäß nur erste Schritte auf einem Wege, an dessen Ende nach unserer Hoffnung eine dauerhafte internationale Kooperation stehen soll. Zwischen den Erstlingsergebnissen solcher Zusammenkünfte und den durch die dringende Not erregten Hoffnungen wird immer eine schmerzliche Distanz bestehen. So sehr ich dieses Gefühl verstehe und würdige, so bedauerlich wäre es doch, wenn solche Anfangs enttäuschungen imstande wären, den entschlossenen Willen Deutschlands zu hemmen, aus dem be schrittenen und auf die Dauer allein auSsicht?- Berltn 5. August. Die Rundfunkrede des Reichskanzler» wird von fast allen Blättern sehr ausführlich wieder- gegeben und auch eingehend besprochen. Die „voff. Zeitung" nennt die Rede einen übe,—di« jüngste T^rgangep- heit. Bedeutsamer sei aber das Aktions programm für die Zukunft. Es sei inhalts schwer in zwei Worten zusammengefaßt: in ter- nationale Kooperation. Die Rede sei ein erneutes Bekenntnis zu den Strese- mannschen Grundsätzen einer deutschen Außenpolitik. DaS „Berliner Tageblatt" betont daß vr. Brüning seinen entschlossenen Willen erklärt habe, auf dem Wege der Verständigung, der mit den Besuchen in Paris und London beschritten wurde, weiter zu gehen. Tie Rede sei nicht bürokratisch gewesen, sondern habe vom ersten bis zum letzten Wort einen erfreulich populären Tongehabt. Tie „Germania" bezeichnet als Charakteristi kum der Rundfunkrede Brünings die Zer störung falscher Illusionen und Er ziehung des deutschen Volkes zu klarer und nüchterner Beurte ilung der politischen Und wirtschaftlichen Realitäten. Der Satz, den der Kanzler in seiner gestrigen Rundfunkrede geprägt habe: „Fremde Hilse er fährt nur der, der sich zunächst selbst zu helfen weiß und damit das Vertrauen der Ilmwelt ge winnt", bezeichnet das Programm unserer Zukunft. Dieser Wille zur Selbsthilfe habe aber eine Voraussetzung, und der Kanzler habe das am Schluß seiner Rede in wirkungs vollster Form betont, nämlich die Zusammen fassung aller Kräfte, die bereit sind, „einer ausbauenven Staatspolitik rückhaltlos und uneigennützig Hand und Herz zu weihen." Der „Börsenkurier" spricht von dem „kEvntor germani»«". Erfreulich sei, daß in dem Ab schnitt, der den diplomatischen Verhandlungen der letzten Zeit gewidmet ist, weder zu viel noch zu wenig sei. Die Erkenntnis, daß alle Nationen jetzt gemeinsame Gesahr bedroht, sei ohne eine Vergeudung von Pathos als ein wichtiger Fortschritt charakterisiert. Im Zusammenhang mit den Ausführungen des Kanzlers über die vor- beugenden Maßnahmen bei der Wiederaufnahme de» Zahlungsverkehr- nennt das Blatt die Ver sicherung sehr bedeutsam, daß damit kein Schlag gegen da» freie Bankgewerbe geführt werden soll. Die „Deutsche Allgemeine Zeitung" sieht in der Rede einen guten technischen Rückblick über die letzten Wochen und einen Appell an da» Ber- antwortungsbewußtsein de- deutschen Volkes. Die „VSrfenzettung" kritisiert ebenso wie die meisten Recht»blätter die Bemerkung de-Kanzlers über seine SteIlung zum Volks entscheid. — Mit seiner Rede /cheine vr. Brüning die Absicht verbunden zu haben, brüSk für die Sozialdemokratie zu optieren. Der „Lokalanzeiger" ist der Ansicht, daß der Ton der gestrigen Kanzlerrede sehr viel gedämpfter wirke al- der seine» eisten Appell- an die Welt. Di« „Dentfche Tageszeitung" und die „Deutsche Zeitung" nennen di« Red« eine Enttäuschung. reichen Wege weiterzugehen Was das bisher auf der Londoner Konferenz erzielte Ergebnis anlangt, so wiederhole ich Bekanntes, wenn ich sage, daß zunächst der an die Reichsbank bewilligte 400-Millionen-Kredit für drei Monate erneuert worden ist, daß durch gemeinsamen Beschluß der beteiligten Regierungen und durch Einwirkung auf die heimischen Banken weiterer Abzng von Krediten aus Deutschland verhindert worden ist und daß schließlich ein Komitee erster Banksachverständiger in den nächsten Tagen beraten soll, um die Frage weiterer deutscher Kreditbedürfnisse zu prüfen und geeignete Vorschläge zu machen. Sine durchgreifende Finanzhilfe großen Stils ist — ich trage keine Bedenken dies festzustellen — damit einstweilen nicht erreicht. In der deutschen Öffentlichkeit wurde da und dort Die kommunistische Zeitung „Berlin am Morgen" spricht von einer „feierlichen Eröffnungsrede aus Anlaß der Wiederaufnahme deS Zahlungsverkehrs". O Französisch« Kommentar«. Paris, 5. August. Die Rede des Reichskanzlers wird von der gesamten Morgenpresse wiedergegeben und zum Teil auch bereits kommentiert. Im allgemeinen wird ihre Bedeutung hervorgehoben und vor allen Dingen werden die Stellen unter strichen, die von der Notwendigkeit einer Verständigung zwischen Frankreich und Deutschland handeln. Nach dieser Richtung nennt man die Rede eine mutige Rede, die Rede eines Staatsmannes, der die Offenheit und Loyalität, die er während seines Aufenthaltes in Paris gezeigt hat, völlig bestätigt. Die Hoffnung, daß bei dem kommenden Besuch der fran- zösischenStaatsmännerinBerlin andere bedeutendere moralische Ergebnisse erzielt würden als die in London, wird von seilen des „Petit Journal" alS eine Hoffnung be zeichnet, die deshalb ihren Wert habe weil sie am Vorabend der Reise des Reichskanzlers und des ReichsaußenministerS nach Rom klar zum Aus druck bringe, welchen Wert die Regie rungskreise in Deutschland aus die Fort setzung der direktenAussprachen zwischen Frankreich und Deutschland legen. Tie radikale Zeitung „Oeuvre" lobt ander Rede, daß vr. Brüning kaltblütig und ent schlossen die Dinge dargelegt habe, wie sie wirk lich seien. Die radikale Zeitung „La RSpu- bliqne" schreibt, die Rede stelle einen „HymnuS" an das Vertrauen und an die internationale Solidarität dar. DaS sei allerdings eine etwas konventionell gewordene Sprache, aber nützlich. Der Reichskanzler habe nicht unrecht, Wenner die deutsch-französische Zusammenarbeit suche. Wenn vr. Brüning nicht nur sür daS deutsche Volk, sondern auch für das französische Volk gesprochen habe, dann habe er die rechten Worte ausgesprochen. Nur die Eoth-Presfe erhält — wie immer — daS Mißtrauen gegen Deutschland «rotz der klaren Definierung der Probleme durch den Reichs kanzler aufrecht. * Vi« amerikanisch« presse zur Tiede. New York, 5. August. Die Morgenblätter bringen die Rede Vr. Brüning» im vollen Text, wobei „Times" in einem mit dem Litel „Deutschland Hilst sich selbst" überschriebenen Leitartikel die Fortschritte hervorhebt, die da» deutsche Volk bereit» in der Erholung von der plötzlichen Panikstimmung und der Maßnahme zur Behebung der Finanzkrise gemach« habe. „Herald Tribune" und „Times" melden ferner im Zu sammenhang mit den bereits gestern gemeldeten Bankierkonserenzen, man erwarte in hiesigen Bank- kreisen, die Ba seler Konferenz werde eine Revision deS youngplanS empfehlen. von einer umfassenden Ausländsanleihe gesprochen und der deutschen Reichsregierung der Vorwurf gemacht, daß sie aus mißverstandene« Prestige-Gründen den Anleihegedanken nicht ernst genug verfolgt Hätte. Dieser Auffassung ist die Reichs regierung bereits mit Nachdruck entgegengetreten. Ich stelle erneut fest, daß eine große Ausländsanleihe augenblicklich und für geraume Zeit außerhalb der real- politische« Möglichkeit liegt. Hierfür gibt es verschiedene Gründe. EinHindernis liegt insbesondere in der Tatsache, daß zu einer solchen Anleihe die Garantie mehrerer großer Länder verlangt wird, deren Zusage zu erreichen, teils aus staats rechtlichen, teils aus finanztechnische« Gründen zurzeit ausgeschlossen ist. Darum ist erneut Deutschland und seine Wirtschaft auf Selbsthilfe und auf das Vertrauen in seine eigene Kraft an gewiesen. Niemand möge hierbei die Be sorgnis haben, daß diese Stellungnahme der Reichsregierung der Ausfluß eines über spitzten Nationalismus sei. Keiner kann von der Internationalen Interessen- Verflochtenheit 'aller Länder über zeugter sein als die Reichsregierung. ES ist ausgeschlossen, daß wir Deutschland mit einer chinesischen Mauer umgehen könnten, innerhalb der das deutsche Volk, unter Befriedigung seiner eigenen Bedürfnisse, aus schließlich eigenem Handel und Wandel nachgehen könnte. Deutschlands Wirtschaft ist und bleibt auf enge handelspolitische Zu sammenarbeit mit dem Ausland angewiesen Ohne Zaudern ist die Reichsregierung schon vor und während der Pariser und Londoner Ver handlungen daran gegangen, die Folgerungen aus dieser Sachlage zu ziehen. Einen gewissen Abschluß haben die erforderlichen ersten, mehr technischen Sanie rungsmaßnahmen am vergangenen Sonn abend gefunden. Ich erwähnte vorhin die Schwierigkeiten, in die ein Teil der deutschen Großbanken durch die Plötzliche, Abziehung großer Posten kurzfristiger Kredite gekommen war. Bei der Bedeutung, die die Großbanken in der gegenwärtige« Struktur unseres Bankwesens, sür die deutsche Ge samt Wirtschaft haben, waren schnelle Entscheidungen der Reichsregierung notwendig. Sie kennen di« Maßnahmen, die vor wenigen Wochen hinsichtlich der Darmstädter und Nationalbank unl in den letzten Tagen hinsichtlich der Dresdner Bank ergriffen worden sind. Auch in perso neller Hinsicht werden geeignete Schritte erfolgen. Die Einschiebung von vankseiertagen gab der Reichsregierung und den beteiligten Wirt- schastskreisen die Möglichkeit, mit Sorgfalt und im engen Zusammenwirken mit der Reichsbank und berufenen Sachverständigen des Inlandes und Auslandes alle die Maßnahmen vorzubereiten, die für eine planmäßige Wiederingang setzung des Zahlungsverkehrs erforderlich waren. Ein wesentliches Glied in der Kette solcher Maßnahmen war die Schaffung der Akzept- und Garanttebauk, die als neuer Garantieträger der ersten deutschen Bankhäuser erst die Voraussetzung schuf, die Reichs bank durch Hergabe einer weiteren Wechselunter- schrist zur Herausgabe der erforderlichen Noten instandzusetzen. Durch die letzten Entschließungen vom vergangenen Sonnabend wurde erreicht, daß vom morgigen Mittwoch an der Geld umlauf im Bar- und Überweisungs verkehr bei den Banken wieder in Gang gesetzt werden kann. In Verbindung da mit waren einschneidende Bestimmungen zur Verhinderung der Kapitalflucht und für den Verkehr mit ausländischen Devise« erforderlich Au» derSchärfe der Bestimmun gen, die bis zur Festsetzung von Zucht hausstrafen bet ehrlosem Verhalten und ichweren Verstößen «egen diese Vorschriften gehe«, Das Preffe-Echo der Neichstanzlerre-e.