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21 Juni 18SS Zu beziehen durch alle Postämter des In- und Auslandes, sowie durch di« Expedition in Leipzig (Querstraße Nr. 8). Preis für das Bierteljahr 1'/, Thlr.; jede einzelne Nummer 2 Ngr. JnsertionSgebühr für den Naum einer Zeil« 2 Ngr. zugcbote stehen, das Glück, welches bisher die Verfolgung ihrer Plane be gleitete, dies Alles kann nur zur Ermuthigung dienen; eine unbändige Selbst- schähung thut das Uebrigr. - Wer möchte leugnen, daß die Union in Amerika für eine derartige Politik eine gewisse natürliche Berechtigung besitzt? Wer aber zugleich, dass Europa ein ebenso starkes Recht hat, sich seinen Besitz oder seipe-Lortheile zu wahren und ein übermäßiges Anwachsen der Union zu hindeM? Oder han delte cS sich im orientalischen Kampf gegen Rußland um etwas Anderes als um die Verhinderung einer übermäßigen Macht des Zar über Gebiete, die er schwerlich formell seinem Reich einvcrlciben, fahr bestimmt dagegen von seiner Gewalt abhängig machen wollte? Donau, Bosporus, Schwarzes Meer, Persien re. heißen hier die streitigen Punkte; Nicaragua, Mosquito, Landenge von Panama, Busen von Mexico: heißen sie dort. Hier wie dort ist die Anmaßiichkeit des jungen, machtvollen und eroberungssüchtigen StaatS die gleiche, hier wie dort deckst sich derselbe auf seine naturgemäße Aufgabe, auf sein EntwickclungSrecht. Und hier wie dort geht man — natürlich modificirt nach den verschiedenen Umständen — so ziemlich densel» den Weg. Auch Rußlayd begany, als es bei den europäischen Fragen noch bei seite liegen gelassen werden konnte, seine Eindrängung in das europäische Leben nicht mit herausfodernden Schritten. Solange in Amerika noch der Schwung und die Tradition des Befreiungskriegs nachwirkte und die beiden großen Parteien der Whigs und Tories das Regiment führten, haben sich auch die Vereinigten Staaten nach außen einer Politik befleißigt, welche große Verstöße gegen das Völkerrecht vorsichtig vermied. Je unbedingter in Rußland der Cäsaropapismus sein Princip zur Herrschaft gebracht und gesichert hatte, desto rücksichtloser wurde die äußere Politik gegen sremdcö Recht, desto häufiger suchte und fand man Gelegenheit, fremde Wirren für die eigenen. Intentionen zu benutzen. Handelt nun Nordamerika etwa an ders? Seitdem dort die oberste Gewalt nicht in bestimmten und festen Prin- cipien, sondern vorzugsweise in einer Schmeichelei für den heule so und morgen so ausgcdeutcten Begriff der Demokratie ihren Ankergrund sucht, hat sich ihre platte Nückfichtlosigkeit gegen fremdes Recht von Tag zu Tag gesteigert. Ganz natürlich. Denn um sich im Innern zu behaupten, mußte sie den nationalen Eitelkeiten und Leidenschaften immer unbedingter schmeicheln. Als Hort und Schirm der Freiheit, Selbständigkeit und Zukunft jedes Volksthums bezeichnet sich aber die Union mit demselben Recht, mit wel chem sich der Cäsaropapismus als einen Hort und Schirm des Legitimis mus und des Christenthums verkündet. Denn hier wie dort dient das Pro gramm ausschließlich zur Förderung eigensüchtigster Zwecke. Wie Rußland früher jeden Moment europäischer Aufregung und localer Verwirrung be nutzte, um mit plötzlich aufgegriffenen Streitfragen dem einen oder andern Staat neue Verlegenheiten zu bereiten und seine Einflüsse auf den Gang der dortigen Dinge zu verstärken; ähnlich stellt sich auch Nordamerikas Ver fahren in Europa und seinen eigenen Nachbarstaaten während der letzten Jahre. Mit Brasilien und Mexico, mit Oesterreich, Spanien, Frankreich, Griechenland band es in solchen kritischen Momenten, oft unter den nich tigsten Vorwänden und meist mit einer Heftigkeit an, die nothwendig schon zum Aeußersten hätte führen müssen, wenn ihr nicht auf der andern Seite eine Selbstbeherrschung und Mäßigung cntgegengetreten wäre, welche das Aeußerste vermied. Es kann hier nicht die Frage sein, welche Gründe und Nöthigungen für diese europäische Zurückhaltung maßgebend waren. Um so bedenklicher ist es vielmehr, wenn sie dem Bewußtsein der Ohnmacht gegen die Union entsprang. Denn sie wird deren aggressives Wesen nur steigern. Wie aber Rußland, um seine Ziele zu erreichen und trotz seines con- servativen Programms, auch das Bedürfniß und die Förderung revolutio- närer Bewegungen und Ideen nicht scheute, ebenso wenig ist Absolutismus und Despotismus für die Union ein Hinderniß ihrer Verbindung mit einer Macht. Um gegen England zu wirken, sehen wir sie während deS orien talischen Kriegs eine Sympathie für Rußland und Neapel entfalten, die möglicherweise und sogar nicht unwahrscheinlich zu einer Allianz mit dem Zarenreiche geführt hätte, wenn nicht Englands Nachgiebigkeit den Vor- wand zur Kriegserklärung hinwcggenommen und der plötzliche Friede mit der erbitternden Demüthigung, welche Rußland erlitt, das amerikanische Vertrauen von Petersburg abgelockt hätte. England bleibt aber naturge mäß derjenige europäische Staat, gegen welchen jenseit des Oceans die hef tigste Eifersucht blnbend herrscht. Wir wollen auch für Englands Gänge jenseit des Weltmeeres keineswegs da- Lob einer uneigennützigen oder hoch moralischen Musterpoliiik in Anspruch nehmen. Im vorliegenden Fall aber hat es sich jedenfalls bemüht, die Empfindlichkeit seines Rivalen möglichst zu schonen. Wird nun auch wirklich vorderhand der AuSbruch eine- englisch-ame- Nr. 143 Gonnabeyd. EeiP-ig. Die Zeitung «scheint mit Ausnahme de« Montags täglich und wird Nachmittags S Uhr aus gegeben. Dtiltscht Allgemillt Zeitung " ' .Wahrheit und Recht, Freiheit und Sesehl» Europa und Amerika, il. 'kZ'Leipzig, 20. Juni. Der Verfasser der „Europäischen Pentarchie" war «S, welcher schon zu Ende der dreißiger Jahre darauf hinwies, wie wunderlich es sei, daß die Publiciflik, welche sich gegen Rußland« Ausdeh nung nach dem Goldenen Horn ereifere, jene „nördliche Analogie" gar nicht beachte, welche Rußland nöthigen werde, auch nach dem Besitze des Sun de« und der Äelte zu trachten. Damals wollte der schlaue Schriftsteller im russischen Interesse den publicistischen Kampf gegen Rußlands türkische Absichten als eine Donquixoterie verhöhnen. Er Halle vielleicht selbst nicht daran geglaubt, daß diese „Analogie" so bald und gefahrdrohend offenlie- gen würde vor den Augen ganz Europas. Er halte vielleicht noch weniger geglaubt, daß die hohe Politik europäischer Großstaaten Momente eines sol chen UeberwiegenS momentaner Interessen und particularistischer Rivalitäten haben könnte, um da« bekannte Londoner Protokoll und das russische Erb folgerecht auf den dänischen Thron zu unteisiegeln. Nun es geschehen und die „freie Entschließung" Mitteleuropas sich in dem vom orientalischen Kriege gegebenen Momente nicht entschließen konnte, mit der Hand am Säbclgriff den vier moralisch unterstützten Garantiepunkten diese Garantiefoderung als vonciilio sine qng non bcizufügen: nun mußte freilich der orientalische Friede vom 30. März kommen, dessen Correctur durch den Aprilvertrag allerdings das Goldene Horn wol für lange Zeit vor dem russischen Dop^ pelkreuze schützen wird, aber seiner „Analogie" im Norden kein leisestes Hinderniß entgegenstellt. Wer über heute und morgen hinauöblickt, hinaus- blickt über momentane Velleitäten, Sympathien und DeüMstrationcn, der sieht dort eben eine kampf- und schlachtenteich« Zukunft unabwendbar kom men, wenn nicht EurppaL.Herz, unser Vaterland, zwischen dessen Groß- Maten Rußland den trennenden Keil bereits einschob, dereinst vollkommen der russischen Umklammerung verfallen und von Petersburger Bedingungen abhängig werden soll. Warum daran mahnen, da wir von Amerika und Europa sprechen? Es ist auch nur der Analogie halber. Als Peier im Newadelta die Pe ter-Pauls-Citadelle und auf der Kesselinsel Kronstadt anlegte, wer dachte daran, daß nach blos 200 Jahren schon die Plane für die dereinst russi schen Festungen Kopenhagen, Rendsburg re. würden in Betracht gezogen werden? Nun baut Amerika heute allerdings kein Schaufenster, um nach Europa zu. blicken. Aber offen, rückhaltlos und ernstlich drängt cs sich in die europäischen Wirren, während es sich in seinem Welttheile immer ent schiedener zum Alleinherrscher erklärt und zugleich Europa von seinen Gren zen abzuweisen beginnt. Als die Monroe Doctrin ganz Amerika als das na- türliche Gebiet der Union erklärte, hat Europa sich nicht darum gekümmert. So konnte es auch England nicht gelingen, mit dem sogenannten Bulwer- Clayton-Vertrage eine feste Norm für das beiderseitige Verfahren festzu- stellen. Denn ob auch im Princip einverstanden, nämlich in dem Princip, daß in Mttelamerika keine fremde Macht bleibenden Fuß fassen solle, deu tete Nordamerika dessen Stipulationen bereits sogar gegen England, als h'be dieses die Verpflichtung übernommen, von der Zeit des Vertragöab- schlusses an gar kein Gebiet, auch nicht das bis dahin besessene, zu bean- spruchen. Dagegen hat sich unterdessen die Monroe-Doctrin in der Anne xionspolitik praktisch und rücksichtlos weitergestaltet. Die Union ist immer größer, stärker, kräftiger geworden, die ihr nicht angehörigen Staaten Ame rikas immer schwächer, hinfälliger und haltloser. Die europäischen Colonien und Protectionslande können kein Gegengewicht gegen die wachsende Ueber- macht der Union bilden; früher oder später werden sie, wenn gegen das Mutterland erstarkend, dem Beispiele Nordamerikas folgen und sich selb ständig erklären. Oder wer möchte sich verhehlen, daß z..B. England be reits sehr ernstlich an eine solche Zukunft Canadas denkt? Die Union hat aber das natürlichste Interesse, jeden solchen Abfall von Europa mit allen Mitteln zu unterstützen, denn jeder unterstützt ihr Streben, die fremden Mächte mehr und mehr vom amerikanischen Boden wegzudrängen, jeder Abfall eignet ihr eine immer weitere materielle oder doch moralische Herr- schäft zu. Von einer höher« Auffassung, von völkerrechtlichen Principien und sittlicher Politik ist dabei wenig die Rede; gelingt nur, was man er strebt, so wird man mit dem Andern schon fertig. Ihr erster Schritt wird also in einem solchen Falle die sofortige Anerkennung deS abfallenden Staats sein. Bei der jetzigen Walker-Frage wurde bereits das Princip dieser An- erkennung jeder herrschenden Gewalt officiell aufgestellt, eine principiell frag lose Anerkennung der Macht, fraglos nach ihrem Ursprung und ihren Rechts titeln. Da« auch dies eine Entwickelung der Monroe-Doctrin, kann nicht in Abret« gestellt werden. Die geographische Lage, welche Nordamerika für di« meisten europäischen Staaten unangreifbar macht, seine ungeheure Ma- rine, die unerschöpflichen HülfSmittel, welche der Union in ihrem Innern