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Ließen daran die Enthüllungen der „Norddeutschen" über die Lügen der panslawistischen Presse und über die hinter hältige Politik Rußlands vor und während des Orient- krieges keinen Zweifel mehr bestehen, so deuten die jetzigen Aenßerungen der „Kölnischen", also eines gou- vernementalen Blattes, über die angeblichen Enthüllun gen des Generals Leflö und die Erklärungen des un garischen Ministers Tisza auf eine hochgradige Span nung. Die „Kölnische" schreibt nämlich: „Wenig oder gar nichts Neues hat Herr v. Tisza beigebracht, da ihm vor Wochen schon Jemand in der „Nordd. Allg. Ztg." alles bis in die kleinste Kleinig keit voriveggenommcn hatte, sodaß ihm nur übrig blieb, zu bestätigen: und zwar alles einschließlich der sprichwörtlichen russischen Vertragstreue. Nachdem nämlich Gortschakow durch genau festgesetztes Abkom men sich die Neutralität Oesterreichs im Krieg gegen die Türkei gesichert und die Früchte derselben bis auf die Neige gepflückt hatte, da schloß er den berühmten Vertrag von San Stefano, der die Bestimmungen jenes Abkommens kurzer Hand über den Haufen warf. Durch das entschiedene Vorgehen Englands bekam dann Oesterreich Muth und Macht, gegen diesen Vertrag Verwahrung einzulegen und Rußland zur Annahme des Berliner Congresses zu zwingen. Daß es dann der Berliner Congreß war, der Oesterreich unter ge wissen Voraussetzungen das Mandat zur Besetzung Bosniens und der Herzegowina gab, ist bekannt; be kannt ist aber auch, daß Rußland lebhaft für dieses Mandat eintrat, welches beim Widerspruch Rußlands einfach nicht ertheilt worden wäre. Daß der russisch - österreichische Vertrag vom Januar 1877 die Besetzung der türkischen Provinzen durch Oesterreich unter ge wissen Voraussetzungen enthalten habe, bestreitet Herr v. Tisza nicht, und darum kann denn auch die Ge schichtschreibung jetzt die türkenfreundlichen Reden der Herren Andrassy und Tisza, die sie über ihre Orient politik vor und während des letzten Türkenkrieges hielten, der richtigen Würdigung unteriverfen. Daß die Türkei nicht nur nicht außer Stande gewesen, die Ruhe und Ordnung in jenen Provinzen aufrecht zu halten, die überhaupt nur durch bezahlte österreichische Umtriebe gestört wurde, sondern daß sogar die Tür kei allein in der Lage gewesen wäre, die Ordnung zu wahren, das hat Oesterreich bei seinem Einmarsch blutig erfahren, da die ganze Bevölkerung, Türken wie Christen, sich den Oesterreichern widersetzte und erst nach verzweifelter Gegenwehr niedergeworfen wurde. Die Galgen, die der Feldzeugmeister Philippovich vor Serajewo errichtet und gespeist hat, die Standgerichte, die er über die Leute abhalten ließ, welche unter der Herrschaft des Sultans lieber sterben als unter der jenigen Oesterreichs leben wollten, die haben es blutig in das Buch der Geschichte eingetragen, ob Oesterreich berufen war, Ruhe und Ordnung in den türkischen Provinzen zu stiften, oder ob die Herren Andrassy und Tisza Werkzeuge der großslawischen Politik und der Mehrung des Reiches um jeden Preis gewesen sind. Die Früchte dieser Politik sind ja inzwischen klar zu Tage getreten; ihre Ursachen und ihre wirk lichen Urheber kennen wir heute endlich auch. Wenn Herr v. Tisza, der seine Magyaren ja kennt, mit der Phrase sich einen guten Abgang machte: Unmöglich kann eine Politik schlecht gewesen sem für unser Land, welche den Panslawisten mißfällt," — so ist dagegen zu bemerken, daß ja gerade mit den damaligen Pan slawisten diese Politik gemacht wurde, und daß die Leute, denen sie am meisten mißfällt, weil sie am schlimmsten unter den Folgen derselben leiden, durch aus keine Panslawisten sind. Wenn man vier Armee corps mobil machen mußte, um ein von seinem recht mäßigen Herrscher aufgegebenes armseliges Land sich zu unterwerfen und dann mit Blei und Galgen die Ordnung herzustellen gezwungen war, so sollte man doch endlich klugerweise aufhören, davon zu reden, daß man nicht um sein Machtgebiet zu erweitern, sondern um Ruhe und Ordnung aufrecht zu erhalten, nach Bosnien marschirt sei. Dergleichen geht nicht nur wider das Gefühl, sondern wider den gesunden Verstand. Daß Rußland eine Zeit lang daran gedacht hatte, eine Verständigung mit Frankreich derjenigen mit Oesterreich vorzuziehen, geht aus den Enthüllungen des Generals Leflö hervor, die darthun, daß man im Jahre 1875 nicht weit von dem Ziele entfernt war, dem man jetzt an der Seine wie an der Newa so leidenschaftlich zustrebt. Nur scheint es, daß Rußland mit seinen wahren Plänen sich nicht hervorzuwagen getraute, daß vielmehr der französisch-russische Bund damals unter dem Vorgeben hatte geschmiedet werden sollen, Deutschland wolle über Frankreich hersallen. Die bestimmte Erklärung Deutschlands, daß es nicht daran denke, Frankreich anzugreifen, vereitelte damals den russisch-französischen Plan. Damals lebte eben noch Kaiser Alexander II. Heute glaubt man in Pe tersburg es nicht nöthig zu haben, zu einer so plumpen Verleumdung Deutschlands seine Zuflucht zu nehmen, um Mißstimmung gegen Deutschland hervorzurufen; heute nimmt man an, es genüge dazu schon die Lüge, Deutschland habe auf dem Berliner Congreß falsches Spiel gespielt. Ob Frankreich den panslawistischen Liebeswerbungen wird widerstehen können, wollen wir abwarten. Darin haben die allianzlustigen französischen Blätter allerdings recht: die Lage ist genau wie 1875. Deutschland denkt nicht daran, Frankreich anzugreifen, wie es damals nicht daran dachte, und Rußland spe- kulirt heute darauf, daß Frankreich ihm die Kastanien aus dem Feuer hole, wie es damals darauf spekulirte. Darum die große Geschäftigkeit der russischen Diplo matie, um Frankreich Rathschläge zu geben, wie es seine Mmisterkrisis am besten bewältigen werde. Die selbe geht so weit, daß der russische Botschafter in Paris, Baron Mohrenheim, wiederholt zu einflußreichen Leuten in Paris sich dahin geäußert hat, der Czar würde das Fallenlassen Boulangers sehr tadelnsiverth finden. So meldet uns unser Pariser Berichterstatter in bestimmtester Form. Nun wohl; wir haben mit russischer Dankbarkeit Erfahrungen gemacht, Oesterreich macht sie jetzt gleichfalls, und Frankreich hat die Ge legenheit noch vor sich, möge es zugreifen wenns ihm gelüstet. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Am Dienstag Vormittag hörte der Kaiser die laufenden Vorträge und ließ sich von dem Kriegsmini ster auf dem inneren Hofe des Palais mehrere neu construirte Train-Wagen der Infanterie vorstellen. Trotz des naßkalten Wetters begab sich der Kaiser nach dem Tempelhofer Felde und besichtigte daselbst die zweite Gardeinfanteriebrigade. Nach der Entgegennahme mehrerer militärischer Meldungen kehrte er ins Palais zurück und hatte dort vor dem Diner noch mehrere Conferenzen. Zur Theilnahme an der großen Früh jahrsparade sind der Prinz-Regent von Braunschweig, Herzog Albrecht von Würtemberg und der Großherzog von Toskana, Erzherzog von Oesterreich, in Berlin angekommen. Ueber das Befinden des deutschen Kronprinzen wird nunmehr authentisch das Nachstehende bekannt gegeben: Es ist richtig, daß der Kronprinz an einer starken anhaltenden Heiserkeit leidet; richtig ist auch, daß die ärztlichen Untersuchungen das Vorhandensein einer Wucherung ergeben; dagegen ist es nicht zutref fend, wenn mitgetheilHnM), daß diese Wucherung einen bösartigen Charakter "oder daß sie durch Opera tion entfernt worden sei. Es hat vielmehr die auf Grund gemeinsamer Untersuchung stattgehabte Bera- thung ärztlicher Autoritäten dahin entschieden, daß die im Halse constatirten wucherischen Bildungen bösarti ger Natur nicht seien und daher von einem operativen Eingriffe abgesehen werden könne. Das Befinden des Kronprinzen ist fortgesetzt ein befriedigendes. Derselbe ' hat guten Appetit und Schlaf; nur ist ein Sichfern- l halten von öffentlichen Acten angerathen, sonst geht > und fährt der Kronprinz mit den Seinigen spazieren. Dem römischen Journal „Fanfulla" wird berichtet, der Papst habe auf das eigenhändige Schreiben des Kaisers Wilhelm, in welchem ihm dafür gedankt wurde, daß er gelegentlich der letzten Wahlen den Katholiken empfohlen habe, für das Septennat einzutreten, geant- ! wertet, er habe dies im Interesse der Aufrechthaltung s des Friedens gethan, welche von allen Regierungen s Europas heiß gewünscht werde. Der Reichskanzler Fürst Bismarck hat sich noch nicht definitiv entschieden, ob er der Nordostseecanal feier in Kiel beiwohnen wird. Er macht das von seinem Gesundheitszustände abhängig. Feldmarschall Graf Moltke kam am Montag von ' Kreisau nach Breslau und wohnte der dortigen Con- ' ventssitzung der schlesischen Genossenschaft des Johan niterordens bei. Graf Solms-Sonnenwalde, bisher deutscher Gesandter in Madrid, ist von dort abberufen. Er wird bekanntlich Botschafter in Rom. Boulanger's Anhänger in Paris suchen sein Blei ben als Kriegsminister besonders durch Verbreitung der Nachricht durchzusetzen, die deutsche Reichsregierung dringe auf Boulangers Entfernung. Wie es da mit steht, geht aus folgender Berliner Zuschrift an die „Pol. Corr." hervor: „— —Wenn kein besseres Argument für die Nothwendigkeit von Boulangers Ver bleiben im Ministerium gefunden wird, als daß sein Rücktritt eine feige Conzession an Deutschland bedeutete, so beweist die Haltung Deutschland's Frankreich gegen über seit 1871, daß die deutsche Regierung mit jeder französischen Regierung, mit der sie seit siebenzehn Jahren zu thun gehabt, gute Beziehungen unterhielt. Der Verkehr mit gewissen französischen Staatsmännern mag in der Form ein leichterer sein, als mit anderen; es ist aber noch sehr die Frage, ob es nicht leichter ist, mit einem offenkundigen Gegner zu verhandeln, als mit einem geheimen. Was den General Boulanger anbetrifft, so hat man sich in politischen Kreisen Deutsch land's um seinen Deutschenhaß nicht bekümmert, ihn vielmehr nur als militärische Kapazität geprüft und als solche nicht sonderlich bedenklich gefunden. In den genannten Kreisen wird daher sein Verbleiben eher gewünscht, als gefürchtet. Boulanger's Experi mente sind die Gewähr dafür, daß Frankreich, so lange er an der Spitze der Armee steht, seine alte finanzielle