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Nr. 8V Sonnabend, de« v. April 1SLO v. Jahrgang MlhslscheUolksMna «Kchel»! tägllch nach«, mit Ausnahme der Sonn- und Festtage. ^ „DleIett >„ Wort und Bild- dierteliLhrli» Te'."ch7a„dGe.V2.5sÄ. °"<> ^ In ga^ vttSaabe N.! Ohne Illustcterte Beilage Viertels. 1.80 D'-Lben d. Bolen 2,10 In aani,DeuNLIa^dkel Unabhängiges Tageblatt für Wahrheit, Recht «nb Freiheit Inserat« werden die «gespaltene Petttzeile oder deren Raum «tt LL ^.Reklamen mtt SV Ü die Zeile berechnet, bet Wiederholung«» entsprechenden Rabatt. Bnchdrmkrrel, Redaktion »ud GefchäftSstelle« Dresden, Pillut-er Strafte 4». — Fernsprecher 1SVV JA» Rückgabe unverlangt. Schriftstücke kelo« VerblndlstSkett Redaktion»-Sprechstunde: 1t—12 Uhr. ^lllkilvt, ln »Hon Sdadttvllss, ^uas i"/Ml-KscK, .O^z^neee! Mr- Ivr»^ X-' kt« vessSsn. rvkn,pk»al,vr tlr. 2841, S»32. 4820, 24k». »878, 4788, 888. Sozialdemokratische Arbeiter- sreundlichkeit. Leipzig, den 7. April 1910. In einer der größten Aktiengesellschaften der Provinz Sachsen ist eine Streikbewegung im Gange, die von Ber liner Agitatoren inszeniert und geleitet wird. Die Fabrik besteht seit nahezu 25 Jahren und hat keine Arbeitcrun- ruhen gesehen, bis dieselben auf künstlichem Wege in den Betrieb hineingetragen wurden. Charakteristisch für die Art und Weise, wie heute Streiks entstehen, ist die Forderung der Arbeiterschaft: 1. Die Fabrikleitung muß dafür sorgen, daß sämtliche Arbeiter der sozialdemokratischen Organisa tion beitreten: 2. Mißliebige Beamte und Werkmeister sind zu entlassen. Es klingt unglaublich, daß Hunderte von Arbeitern um einer derartigen Forderung willen ihre ganze Existenz auf das Spiel sehen. Wohlverstanden, nicht eine an sich verständliche und meistens auch lösliche Lohnfrage bildet den Kern des Streites, sondern eine reine Machtfrage, die in ihrem ersten Teile die Arbeiter gar nicht interessiert, sondern nur die Fremdlinge angeht, die sich nngernfen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gedrängt haben, um ihre eigenen, egoistischen, machtsüchtigen Pläne zu ver folgen. Die Arbeiter haben ausdrücklich erklärt, daß sic mit den Löhnen zufrieden seien und dieserhalb in keine Er örterungen einzutreten wünschten. Kein Wunder auch, denn die betreffende Fabrik zahlt die höchsten Löhne am Orte, sie ist mit allen nur denkbaren hygienischen Neuerun gen versehen und besitzt soziale Einrichtungen, wie sie außer ordentlich selten und eben nur in Aktiengesellschaften zu finden sind. Jeder Arbeiter erhält im Sommer Ferien, die ihm voll bezahlt werden, jeder Arbeiter erhält an Weih nachten doppelten Lohn, ältere Arbeiter weit mehr, die Krankenkasse wird voll von der Fabrik bezahlt. Vor weni gen Monaten erst erfolgte ans eigener Initiative der Direk tion eine Lohnerhöhung, die sämtlichen in der Fabrik be schäftigten Personen zugute kam und die das General unkostenkonto ganz erheblich belastete. Und gerade diesen Betrieb, der von außerordentlich wohlmeinenden, feinge- bildeten und allen berechtigten Wünschen der Arbeiter sym pathisch gegcnübcrstehendcn Direktoren geleitet wird und als Musterbetrieb gelten kann, hat der neu ins Leben ge rufene Verein für seine gefährlichen Experimente ausgesucht. Man sieht daran wieder einmal so recht deutlich, daß cs den „Freunden der Arbeiterschaft", den Herren Sozial demokraten, durchaus nicht um die Hebung und Besserstel lung der arbeitenden Klasse zu tun ist, sondern um die Ver hetzung der Massen, die als Spielzeug für die eigenen egoi stischen Zwecke benutzt werden. Man frägt sich unwillkür lich, ob es möglich ist, daß im 20. Jahrhundert ein derarti ger frivoler Streik inszeniert werden kann, ob es möglich ist, die Massen so zu verhetzen und mit Blindheit zu schla gen, daß sie willenlos das Wohl und Wehe ihrer Familien fremden Schwätzern anvcrtraucn. Und zudem unter wel chen Verhältnissen. Die Organisation ist vor wenigen Wochen neu ins Leben gerufen worden, sie hat also noch nicht einen roten Pfennig in der Kasse und will einer Fabrik gegenüber einen Streik w-agen, die Millionen besitzt und außerdem vom Verbände der Industriellen jeden Tag, an dem-die Arbeit ruht, eine große Summe ausgczahlt erhält. Der Kampf ist also von vornherein aussichtslos, weil die Waffen ungleich und die Kräfte in einem entsetzlichen Mißverhältnis sind. Er kann nur dazu dienen, die Arbeiter zu ruinieren, unzufrieden zu machen und die Betonung des Herrenstandpunktes gewaltsam in eine Fabrik zu tragen, die bisher im Zeichen einer schönen Harmonie, einer bei nabe familiären Eintracht gestanden hat. So viel muß -och jedem vernünftigen Arbeiter klar sein, daß die An- stcllung und Abberufung von Beamten ausschließlich Sache der Fabrikleitung ist und daß hier schon ans prinzipiellen Gründen ein Nachgeben seitens der Direktion unmöglich ist, denn im anderen Falle wären ja die Folgen geradezu verhängnisvoll. Wenn heute die Entfernung eines Beam ten dnrchgcsetzt würde, so könnte morgen die Entlassung eines Direktors, übermorgen die Auflösung des Aufsichts- rates verlangt werden. Ebenso unmöglich ist die Erfüllung der zweiten Forderung. Die Fabrikleitung kann rechtlich und sittlich keinen Arbeiter zwingen, einer bestimmten Or ganisation beizutrctcn und sie wird dies erst recht nicht ckun, wenn sich diese Organisation als eine Art Ober kontrollstelle über die Fabrik etablieren und Rechte anmaßen will, die ihr gar nicht zustehen. Die Berliner Schwätzer kennen die Antwort ganz genau, die ihnen von der Fabrik- leitung gegeben werden wird: „Wir lehnen jede Verhand lung mit der Organisation ab, sind aber bereit, unsere Ar beiter selbst zu höre»." Bestehen diese dann auf ihrer For derung, so werden die Fabriken geschlossen, sämtliche soziale Einrichtungen (Sommerferien, Weihnachtsgeschenke usw.) aufgehoben und Lohnsätze eingeführt, wie sie ortsüblich sind. Der Ort ist viel zu klein, als daß Hunderte von Arbeitern dort anderweitig Beschäftigung finden könnten, und so wird sich dann die Sache entwickeln, wie sie sich bei derarti gen aussichtslosen und richtig vom Zaune gebrochenen Streiks immer entwickelt. Die Arbeiter werden bedin gungslos die Arbeit wieder aufnehmen, aber nur zum Teil wieder eingestellt werden. Tie anderen liegen dann buch stäblich auf der Straße, wo sie darüber Nachdenken können, wo die wahren Freunde zu finden sind. Diese sind dann natürlich über alle Berge, denn wenn die Sache schief geht, verschwinden diese Herren schneller, als sie gekommen sind. Sie bieten ihre wohlfeilen, wortreichen Phrasen nur da an, wo sie gefüllte Börsen sehen und auf eine gute Bezah lung hoffen dürfen. Hungernde und darbende Arbeiter überläßt man ihrem Schicksale. Es gäbe ein Mittel, diesen gewissenlosen, erbärmlichen Verführern das Handwerk zu legen, wenn das deutsche Strafgesetzbuch folgenden Satz enthielte: „Wer einen anderen durch Vorspiegelung falscher Tatsachen ins Unglück stürzt, haftet mit seinem Vermögen für den diesem zugefügten Schaden. Bei Vermögens losigkeit hat eine entsprechende Freiheitsstrafe einzu- trcten." .V. Ik. Politische Rundschau. Dresden, den 8 April 1910. — Die Feierlichkeiten in Jerusalem. Im Laufe des Freitagvormittags besichtigten Prinz und Prinzessin Eitel Friedrich in Jerusalem die Grabeskirche, wo sie außer von den drei Patriarchen auch vom Custode di terra santa empfangen wurden. Auf dem Rückwege zum Oelberge statteten sie dem Gouverneur in der Davidsbury einen län geren Besuch ab. Für den Nachmittag wurde ein Spazier gang auf dein Oelberge beabsichtigt, wobei die dort ge legenen Gebäude, so das russische Haus, die Himmelfahrts- kapelle und die Patcrnosterkirche besichtigt werden sollen. Für Sonnabend ist ein Ausflug nach Bethlehem und ein Besuch der Templerkolonie in Jerusalem geplant. — Das preußische Abgeordnetenhaus hat am Donners tag wieder seine Sitzungen ausgenommen. Auf der Tages ordnung stand als erster Punkt die erste Beratung des Ge setzentwurfes betreffend Abänderung des Gesetzes betreffend das Staatsschnldbnch. Der Entwurf fand im Hause eine gute Aufnahme und wurde nach einer Befürwortung des Finanzininistcrs von Nheinbaben nach kurzer Debatte der Biidgetkoimnission überwiesen. Alsdann trat das Haus in die fortgesetzte Beratung der Bauverwaltnng ein. Eisen bahnminister von Brcitenbach nahm hierbei Gelegenheit, über das Eisenbahnunglück bei Mülheim ausführlich zu berichten. Die folgenden Debatten hatten zum Mitttel- pimkte die Schiffahrtsabgaben. Die Weitcrberatung findet am Freitag 11 Uhr statt. — Das preußische Herrenhaus beabsichtigt die erste Lesung der Wahlrechtsvorlage am 15. April zu beginnen. Die Wahlrecht!kommission des Herrenhauses wird ihre Arbeiten sofort in der dritten Aprilwoche aufnehmen, sodaß noch vor Himmelfahrt im Herrenhause die Schlußlesung der Vorlage stattfinden kann. — Der preußische Minister l». Moltke will aus den bekannten Gesundheitsrücksichten tu Pension gehen. Dieser Tage weilte er in Westfalen, wie es heißt, um ein Gut zu kaufen. Jetzt wird außerdem gemeldet, daß er sich längst mit dem Gedanken getragen habe, nach Erledigung der Wahlreform aus seinem Amte auSzuschciden. — Apotheker mit» Reichsversicherungsordnung. Am 13. April wird zu Berlin eine außerordeniliche Haupt versammlung des deutschen Apothekervereins stattfinden, die sich mit dem Entwürfe der Rcichsverstcherungsordnung beschäftigen wird. — Die Verhandlungen der Arbeitgeber für das Bau gewerbe begannen am Donnerstag nachmittag im Architck- tcnhanse zu Berlin. Anwesend waren 34 Mitglieder des Vorstandes: vertreten waren sämtliche deutschen Großstädte. Ten Vorsitz führte der königliche Vaurat Felisch. Wie der „Berl. Lokalanz." erfährt, wurde gegen die gegenwärtige Lage, wie sie durch die Resolution der Bauhandwcrker gegen die Dresdner Beschlüsse des Bundes geschaffen worden ist, eingehend erörtert; insbesondere wurde darüber beraten, welche Maßnahmen jetzt infolge der Ablösung der Tarifver träge zu treffen seien. Die Beschlüsse des Bundes werden vorläufig nicht veröffentlicht werden, und zwar wird hier mit einem besonderen Wunsche des Staatssekretärs des Neichsamtcs des Innern Rechnung getragen, der heute versuchen wird, Einigungsverhandlungen zwischen Arbeit gebern und Arbeitnehmern herbeizuführen. Um diese vor urteilsfrei führen zu können, besonders aber, um nicht ln die Reihen der Arbeiter eine gewisse Beunruhigung zu bringen, sollen die Beschlüsse des Arbeitgeberbundes bis auf weiteres geheim gehalten werden. Es wird also von der ursprünglich geplanten Veröffentlichung eines Commu- niqu6s Abstand genommen werden. — Es bestätigt sich, daß den Vertretern der Arbeitgeber, sowie den Zentralverbänden der Arbeiter eine Einladung des Reichsamtes des Innern zugegangen ist, sich am Freitage im Laufe des Vormittags zu einer Einigungskonferenz im Neichsamte des Innern einzufiuden. Als Vermittler ist von der preußischen Re gierung der Negierungsrat Wietefeld ausersehen worden. In informierten Kreisen herrscht die Ansicht vor, daß der Vorstand eine Massenaussperrung nur in gewissen Tei len des Reiches dekretieren wird. Hauptsächlich dürfte Süd deutschland, Rheinland, Westfalen, sowie die Provinzen Schlesien, Posen, Ost- und Westpreußen und das König reich Sachsen als Aussperrungsgebiet in Frage kom men. Die lokalen Verhandlungen dagegen, die in Berlin zu Anfcmg dieser Woche geführt wurden und mit Beginn nächster Woche fortgesetzt werden sollen, lassen es hoffen, daß es hier zu einer Einigung zwischen den Interessen der Arbeitgeber Und der Arbeiter kommen wird. Auch in München sollen beide Parteien einem Vergleiche durchaus zugcneigt sein. — Eine Reklamation an Herrn Dernburg. Unter der Ueberschrift: „Die versprochenen Handelskammern" schreibt die „Deutsch-Südwestafrikanische Zeitung": „Wo bleiben sie, die Exzellenz Dernburg in Wind huk und Swakopmund uns als gewichtige, wertvolle Glieder des SelbstverwaltungSauSbaucs versprach, die Handelskammern? Keine wichtige, das kaufmännische Leben berührende neue Vorlage wollte der Staatssekretär vor den Landesrat bringen — sagte er uns gelegentlich einer Anfrage wegen der LandungSverhältnisie in Swakop mund —. die nicht zuvor von den in Betracht kommen den Handelskammern durchberateu und gebilligt worden sei. Man hat sich im Kolonialamte wieder besonnen und hält offenbar die Kammern nicht mehr für so not wendig, wie damals, als man uns gute Laune machen wollte. Auf eine Anfrage bekam eine Gruppe Swakop- munder Kaufleute jetzt die Antwort, die Absicht des Gouvernements gehe zurzeit nicht dahin, im Verordnung-- Wege eineZwangsorganisation zu schaffen und ihr Satzungen aufzuerlegen. Die Handelskammern sollten freie Ver einigungen der Interessenten bilden. Damit ist auch zu verstehen gegeben, daß ihnen kein offizieller Charakter beigelegt werden solle. Es entspricht dies nur dem. was wir im letzten Jahre in der Angelegenheit: Aufbau der Selbstverwaltung erfahren mußten. Seitens des Gou vernements empfiehlt man in dem gleichen Schreiben den Swakopmundern die Satzungen der „Kaufmannschaft Windhuk" zur Beachtung, die auf breitester Grundlage Kaufleute. Industrielle und Gastwirte umschließen." Die Unzufriedenheit mit der Dernburgschen Politik wächst auf der ganzen Linie. Es wäre Sache des Reichskanzlers, sich um die Massenbeschwerden einmal zu kümmern und für Remedur zu sorgen. — Ein Luftgeschbuch. In der Rundschau der Deutschen Juristenzeitung schreibt Justizrat Dr. Stranz: „April, April! hätte der Leser noch vor wenigen Jahren gerufen, wenn die Rundschau am 1. Ap.il von einem Lustgesetzbuch ge- sprachen hätte. Aber die Zeiten ändern sich. Ein eomitä juricki^ua iutsrnatioual poiar la ckelsntto ckv I'aviatiou, gegründet am 1. Januar 1910 unter Mitwirkung franzö sischer und deutscher Juristen, sieht die Schaffung eines Luftgesetzbuches als seine Hauptaufgabe an. Den deutschen Sonderausschuß hat kein Geringerer als Graf Zeppelin der Schätzung der Vercinsziele und Bestrebungen versichert, zumal „Zeppelins Luftschiffe schon au vielen Orten unter den verschiedenartigsten Umständen den Mangel an gesetz lichen Vorschriften für ihre Rechte und Pflichten empfunden hätten." Schon liegt der Entwurf eines Luftgcsetzbuches vor. den der Pariser Rechtsanwalt Delayen verfaßt hat. Er enthält vier Teile: Zivil-, Handels-, VerwaltungS- und Strafrecht der Luftschiffahrt. Die gesetzliche Regelung des LuftrechtS, auf deren Notwendigkeit sofort nach dem ersten großen Fluge Zeppelins hier hingewiesen wurde, scheint also kein Luftschloß zu bleiben." — Die Wirkung der Einsuhrscheine. Das Neichsschatz- amt hat die mehrfach in Aussicht gestellte Denkschrift über die Einfuhrscheine dein Reichstage zugestellt, ohne daß es seinerseits selbst dazu Stellung zu der schwierigen Frage genommen hätte. Aber diese Denkschrift ist sehr lehrreich, sie entspricht einem Wunsche des Zentrums. Wertvoll ist das Schlußergebnis: „1. Die Erteilung und Anrechnung von Einfuhrscheinen ist an und für sich für die Reichskasse nicht nachteilig. 2. Eine Beeinträchtigung deS Zollaufkom mens kann eintreten, wenn und soweit die Ausfuhr, für die die Scheine erteilt werden, nicht eine Ersatzeinfuhr von Getreide von gleichem oder höherem Zollwerte wirtschaftlich notwendig macht. Ein solcher Ersatz liegt stets vor, und Schädigungen sind ausgeschlossen bei Fruchtarten, bei denen zur Deckung des Jnlandbedarfes die inländische Erzeugung nicht ansreicht. Dies trifft, abgesehen von Hafer und Rog gen, bei allen in Betracht kommenden Fruchtarten zu. 3. Bei Hafer hat sich im Erntejahre 1907/08 ein bedeutender Ausfuhrüberschuß ergeben, der durch eine gleichwertige Er- satzcinfuhr nicht ausgeglichen ist. Im folgenden Ernte- jahrc und im ersten Teile deS jetzt laufenden hat sich wieder ein Einfuhrüberschuß ergeben. 4. Bei Roggen zeigte sich