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Nr. 98. 14 Aecemkn 186S. Mmßag, Dresde«, in der Expedi tion, kUMeißn. Gaffe Nr. S, zu Haden. Ein unterhaltendes Blatt für den Bürger und Landmann. Erscheint jeden Dienstag und Freitag früh. Redigirt unter Verantwortlichkeit des Verlegers C. Heinrich. Politische Weltschau. Deutschland. Wir haben wiederholt auf das neue Bundesgesetz verwiesen, welches die Unternehmer von Eisen bahnen, Bergwerken und Fabriken in vorkommenden Fällen zum Schadenersatz verpflichten soll. Gerade die in unserem engeren Vaterlande stattgefundenen großen Unglücks katastrophen rechtfertigen es jedenfalls, wenn wir im Nachstehen den nochmals auf den spezielleren Inhalt des Entwurfs, mit dem sich jedenfalls der nächste Reichstag schon beschäftigt, eingehen. Der darüber vom Justiz-Ausschuß des Bundesrathes erstattete Bericht empfiehlt nämlich für das zu erlassende Gesetz folgende Grundsätze: I. Für Eisenbahnen: 1) „daß im Schadensfälle (also bei Tödtungen und Verletzungen von Personen) die Verschuldung des Betriebes vorausgesetzt wird, die Gesellschaft mithin ohne Weiteres als ersatzpflichtig gilt, wenn sie nicht den Beweis der eigenen Verschuldung deS Beschädigten, oder aber der höheren Gewalt zu führen vermag;" 2) „daß den Eisenbahnen untersagt ist, diese ihre gesetzliche Verpflich tung zum Schadenersätze zu ihrem Vortheile durch Reglements oder Verträge im Voraus auszuschließen oder zu beschränken;" 3) „daß im Falle die Beschädigung den Tod zur Folge hatte, den Hinter bliebenen, zum mindesten den Alimentations-Berechtigten, ein Anspruch auf Schadenersatz zusteht;" endlich 4) „daß die Ersatzpflicht der Eisen bahn-Unternehmung sich nicht auf Kur- und Begräbnißkosten beschränkt, sondern den gesammten VermögensVerlust in sich begreift, den der Beschädigte durch seine zeitweilige oder dauernde Arbeitsunfähigkeit, beziehungsweise dessen Hinterbliebene durch den Verlust ihres Versorgers erleiden, und daß die Größe deS Schadenersatzes durch billiges Ermessen deS Richters festzustellen ist." II. Für den Bergbau: Beim Bergbau kann nach Ansicht deS Ausschusses der Grundsatz unter 1 in gleicher Strenge insofern nicht wohl zur Anwendung kommen, als hier „die Unfälle oftmals die Folge deS Einwirkens von Elementen und Naturkräften sind, welche sich auch der sorgfältigsten Kontrole entziehen," weil ferner hier „die selbständige Thätigkeit des Arbeiters einen viel größeren Antheil am Betriebe hat, als bei Eisenbahnen." Aus diesen Gründen läßt daS königlich sächsische Berggesetz und eben so das großherzoglich sachsen- weimarische dm Bergwerksbesitzer nur für Verschuldungen seiner Offizianten, nicht für solche seiner Arbeiter hasten, das königlich sächsische noch mit der Einschränkung auf „grobe Verschuldungen." Der Ausschuß glaubt sich dieser Auffassung anschließen zu müssen, hauptsächlich auch aus der Rücksicht, weil den Bergwerksbesitzern die Beiträge, die sie jetzt zu den wesentlich mit zur Unterstützung verletzter Bergleute bestimmten Knappschaftskassen zahlen (zwei Fünftel des Ge- sammtbetrageS) billiger Weise nicht länger angesonnen werden könnten, wenn man dieselben außerdem noch für daS Verschulden jedes einzelnen ihrer Arbeiter haftbar machen wollte. Daher hat sich der Ausschuß, was den Bergbau betrifft, für den Grundsatz erklärt, „daß im Schadens fälle nicht, wie bei den Eisenbahnen, eine Verschuldung des Unter nehmers ohne Weiteres angenommen werden kann, der Beweis der Ver schuldung vielmehr von demjmigen zu erbringen ist, der sich auf dieselbe al- Grund seines Anspruches beruft." III. Für Fabriken: Bei den Fabriken soll der Unternehmer ebenfalls nur für Verschuldungen seiner Angestellten zu haften haben, LimmvUrei-igsttr Jahrgang IV. Lnartal insbesondere aber für Nichtbeobachtung polizeilicher Vorschriften, wenn dadurch eine Körperverletzung herbeigeführt ward. Die Grundsätze unter 2, 3 und 4 rücksichtlich der Eisenbahnen dagegen gelten gleich mäßig auch für den Bergbau und die Fabriken. Preußen. Gewissermaßen als Demonstration gegen den bekannten v. Lippe'schen Antrag im Herrenhause haben dle Abgg. Miquel und Lasker im Abgeordnetenhause beantragt: die Kom petenz des norddeutschen Bundes auf das gesammte bürger liche Recht auszudehnen. Am 10. d. M. wurde dieser An trag mit großer Majorität angenommen. Auch die Fortschritts partei stimmte dem Anträge zu, nachdem Abg. Virchow den Standpunkt derselben in Folgendem auseinandergesetzt hatte: „Wir haben die Bundesverfassung nicht angepriesen, haben da gegen gestimmt; da sie aber da ist, so muß auf ihrem Boden die weitere Entwickelung des nationalen Lebens angestrebt werden. Wir sind nicht blind gegen die Bedenken einer Ausdehnung des Artikels 78, mit dem Alles zerstört werden kann, was noch von lokaler Freiheit übrig ist. Wollte man ernstlich einen Bundes staat, so war dieser Artikel nicht gerechtfertigt; ich bin für ein größeres Maß von Lokalfreiheiten. Andererseits ist das in der Verfassung nicht vorgesehen, was gemeinschaftlich geschaffen werden muß. Freiheit können Sie dem Volke nicht geben, weil der Machthaber an der Spitze des Bundes keine Freiheit geben will; in allen neuen Provinzen gehen die Sachen täglich schlechter. Den Mi nistern kann man nicht beikommen; ja — da muß man dem Volke mindestens auf materiellem Gebiete etwas geben. Und Sie leugnen doch nicht, daß das Volk Rechtsgleichheit will; darum ist der Antrag, der ja keine Freiheit giebt, auch für die Konservativen opportun. Um in friedlicher Richtung vorwärts zu gehen, bedarf es täglicher Arbeit, muß man immer auf dem Posten sein. Und das Abgeordnetenhaus muß seinen Ausspruch thun, weil nur Preußen verantwortliche Minister hat, der Bund nicht; der hat einen Kanzler und einen Pseudominister; hätte dieser das Recht, in preußischen Angelegenheiten mitzustimmen, so würde ich darin eine Verletzung unserer Verfassung sehen. Will man aus solchen Zuständen herauskommen, so muß man verantwortliche Bundesminister machen. Hoffentlich werden die Antragsteller wahr machen, was sie einst erklärt, daß nämlich die Bundesverfassung sehr entwickelungsfähig sei. Ich sehe eine Schwäche in der Entwicklungsfähigkeit und betone die Entwicke lungsbedürftigkeit. Eine Verfassung, an der man immer ändert, ist ein Element der Unruhe und ist nicht befriedigend für die Entwickelung." — Nachdem sich daö Abgeordnetenhaus zu matt herzig erwiesen, einem im ganzen Lande verhaßten System energie voll entgegenzutreten, hat der Wahlausschuß des Marienwerder- Stuhmer Kreises eine Petition um Entlassung des Kultus ministers v. Mühler an den König gerichtet. Diesem Vor bilde wollen zunächst die Berliner Beznksvereine folgen, um König Wilhelm ans Herz zu legen, daß die Entlassung dieses Mannes ein durch Preußens Wohlfahrt gebotener Schritt sei. Man hofft, daß aus allen Theilen des Landes die Petitionen so zahlreich eingehen werden, um Erfolg von ihnen erwarten zu können. Es fragt sich nur — und wir bezweifeln dies — ob der König überhaupt nur von irgend einer dieser Petitionen Notiz nehmen wird. — Nach der „Prov.-Korresp." wird der 9S