Volltext Seite (XML)
1857. Mittwoch) von 11 Februar. Redlgirt unv verlegt von C. M. Gärtner in Schneeberg und Schwarzenberg. , Die Tabaksdose. (Fortsetzung.) Zuweilen gab es wohl Augenblicke, ja selbst Stun den, wo ich meine schöne, reich ausgestattete Wohnung mit meinem Dachkämmerlein, meinen reinen Mokka nebst dem Zwie backe mit meinem dünnen Milchkaffee und dem Dreierbrötchen, meine jetzige Mittagstafel an Suppe, Fleisch, Braten, Ge flügel, Fisch, Mehlspeisen und Wein mit meiner sonstigen Hausmannskost, mein Flaumfederbctte mit meiner harten Strohmatratze vertauschen zu können wünschte. Allein — zwing dich, Israel, — dachte ich dann und es ging wieder. Außer der Abwartung meines Lehramtes mußte ich dem gnä digen Herrn beim Weinabziehen Helsen, seine Rechnungsbücher durchsehen,' seine Pferde, Hunde und Truthühnerzucht beloben, obschon ich von davon so wenig verstand als wie der Esel vom Lautenschlagcn. Der gnädigen Frau diente ich als Vor leser in langweiligen Stunden und als Mitspieler zu vier Händen am Pianosorte. Für die Köchin schrieb ich Rezepte aus Kochbüchern ab, für das Stubenmädchen Briese an ihre Aeltern und Verwandten (das Fertigen von Liebesbriefen ver weigerte ich mit aller Entschiedenheit), dem Diener lehrte ich Französisch lesen, dem Kutscher die Regula quinque und dem Gärtner half ich die Gänge, Beete und Geleite wieder in Ordnung bringen, welche meine wilden Zöglinge zertreten und niedergerissen hatten. So ging es einen Monat lang, wenn auch nicht ganz nach meiner, doch zu meiner Hausge nossen Zufriedenheit. Da ich außer dem Vorschuhen meiner Stiefeln und dem Ankäufe eines neuen Uhrschlüssels weiter keine Ausgabe gehabt hatte, so überrechnete ich schon voll Freuden, daß ich noch über die Hälfte meines Monatsgehalts meinem Gläubiger zuwenden könnte. O ihr Seifenblasen ix- Ltschen Glücks! Wehe dem, der aus euch seine Hoffnung, seine Freude baut! Am vorgestrigen Tage war es, wo mein Prinzipal mit seiner Gemahlin und den Kindern zu Thier- schau nach Ottenstadt fuhren, von woher sie erst am Spät abende znrückkehren wollten. Mein Prinzipal zwar übertrug mir beim Scheiden so viele Arbeiten, daß ich darüber bis in die dritte Nachmittagstunde wie ein Dachs sitzen mußte. Dann aber war ich um so froher, da auch die Mutter des gnädigen Herrn, welche nicht mitgefahren war, sich zu einem Besuche bet dem nächsten Rittergutsnachbar anschickte und ich sonach für des Tages Ueberrest mein eigner und freier Herr zu sein glaubte. Bevor die Frau Obristin ging, kam sie erst auf mein Zimmer, wo ich eben die letzten Zeilen für meinen Herrn Prinzipal niederschrieb, um mir die strenge Ueberwa- chung der im Schlosse zurückblcibcnden Dienerschaft ans Herz zu legen. Während mein Inneres vor Freuden ausjauchzte, gelobte mein Mund mit größtem Ernste den unverbrüchlichsten Gehorsam gegen die Befehle der Frau Oberstin. Diese ging. Alle im Schlosse Zurückgebliebenen — ich mit ihnen — blickten der dahin Wandelnden nach, bis sie bor demSchlvß- bose aus unsern Augen entschwand. Jetzt begreift ich, daß dieser Ausgang der Frau Oberstin nichts als eine Kriegs list war, um mein« Treue und die Aufführung der Dienst leute während der Abwesenheit ihrer Herrschaft auf die Probe zu Fellen. DaS Erste was ich, mich allein glaubend, that, war, La ich den überlästigen Rock auszog und mich längelang auf mein Sopha hinstreckte. Das war nun eben nichts Abson- derlicheS. Dennoch war das Gefühl, mich einmal von jedem Zwange frei zu wissen, ein ungemein wohlthuendeS. In mei ner heitern Stimmung summte ich den Marsch ans.Weber- Oberon her, den ich gestern vierhändig mit der gnädigen Frau gespielt hatte. Da öffnete sich unvermuthet meine Zimmer- thüre und Feldner, der Gärtner, trat herein- Hinter ihm ward eine Mädchengestalt sichtbar, welche halb mit Gewalt noch eine zweite nach sich zog. »Ihre Jungfer Schwester, Herr Magister!" sprach der Gärtner lächelnd, „und deren gute Freudin. Sie wolle» Sie besuchen, Herr Magister!" Der Mann ging nach diesen Wor ten und Bertha hing an meinem Halse, ehe ich mir- ver sah. Dies that sie sonst nicht, allein ich entschuldigte diese« Verstoß gegen meinen Stand, weil mich Bertha längere Zeit nicht gesehen und ich mit meinem Rocke zugleich mein geist liches An- und Aussehen ausgezogen hatte. Aber wi« be stürzt ward ich, als ich in der Freundin und Begleiterin meiner Schwester eben dieselbe Enkelin meiner vormaligen Auswärterin erkannte, welche meiner Ruhe einst so gefährlich geworden war. Jungfer Lenchen stand verschämt und blöd« von fern und schien lieber wieder gehen als bleiben zu wol len. Bevor sie aber das Erstere aussühren konnte, eilte Bertha zu ihr hin und die Hocherröthende an der Hand zu mir führend, sprach sie: „Lieber Friedrich, das ist die Schwester meine- Bräu tigams, wenn Du nämlich nichts dagegen einzuwenden hast. Unsere Mutter bat bereits ihre Einwilligung gegeben — ich bin gekommen, Dich noch um die Deinige zu bitten. Helene hat mich aus viele- Bitten hierher begleitet, weil ich nicht allein mich hergetrauete. Ihr Bruder und mein Bräutigam hat seit vier Monaten bet uns als Geselle gearbeitet. Näch stens wird er Meister und übernimmt unser Geschäft. Die Mutter behalten wir bei uns und diese freut sich schon darauf, daß sie sich nicht länger mit den Gesellen herumärgern muß." Laut dieser Erklärung wurde ja Lenchen eine nahe Ver wandte von mir. Wie doch Kleider Leute machen können! Lenchen in. ihrem netten Kattunkleide und ihrem deutschen Strohhute nahm sich allerliebst und zehntausend Mal schöner aus als meine gnädige Prinzipalin in all ihrem Putze und Schmucke. Vor lauter Beschauen und Bewillkommnen vergaß ich ganz meinen Rock wieder anzuziehen. . Meine Schwester, ein junges Ding von achtzehn Jahren und ganz unerfahren, thauete gar bald auf und begann ihte Späße und Neckereien zu treiben. Sie unterwarf jeden Gegenstand - in meinem Zim mer einer genauen Besichtigung nnh fragt« nach dessen Zwecke. Auf einmal entdeckte der Wildsang auf einem Pfetlertischchen die porzellanene Schnupftabakdose der alten Frau Oberstin, welche diese in ihrer Vergeßlichkeit in meinem Zimmer zurück- ! gelassen hatte. Ehe ich et verhindern konnte, h'gtte Bertha die Dose geöffnet, eine Prise genommen und davon ihrer j künftigen Schwägerin aufgedrüflgen. In diesem AugMMtz,