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Deutsche Allgemeine Zeitung. «Wahrheit und Recht, Freiheit und Ersetz!» Mittwoch, 21. December 1870. Inserate sind an haascnslem L Vogler in Leipzig oder an deren übrige Häuser zu senden. 3nserlion»gebühr sür ditEpaltenzeilet'/,Agr., unter Eingesandt r>/, Ngr. «r. L96. ' Leipzig. erscheint außer Sonntag« täglich. Preis vierteljährlich L Thlr., jede einzelne Nummer » Ngr. Leipzig, 20. Dec. Auf den gestrigen Tag war bekanntlich vielfach der Beginn des Bombardements von Paris vorauSgtsagt worden; daß eine solche VorauSverkün- digung auf einen ganz bestimmten Tag sich schwerlich verwirklichen werde, war vorauszusehen, da der Ter min für den Beginn einer derartigen militärischen Action sicherlich nicht im voraus öffentlich proclamirt werden wird. Andererseits sind aber allerdings, wie uns noch heute von guter Hand aus Berlin gemeldet wird, alle Vorbereitungen für das Bombardement in der umfassendsten Weise getroffen. Wir hatten auch schon gestern und heute früh eben darauf hindeutende Mittheilungen zu machen. Zm übrigen constatiren die neuesten Nachrichten vom Kriegsschauplätze den immer Weilern Vormarsch der deutschen Truppen in der Richtung von Le ManS. Ohne Widerstand sind dieselben bereits bis Epuisay vorgedrungen. Sogar nach französischen Berichten ist die frühere französische Loire arm ee bereits auf die Hälfte zusammengeschmolzen, und es scheint keinem Zweifel unterworfen zu sein, daß sowol in militäri schen Kreisen als inmitten der französischen Bevölke rung die Entmuthigung immer mehr um sich greift. Ein Brief Trochu'S an Gambetta, der in dem auf nassauischem Gebiete niedergefallenen Luftballon gefun den ward, läßt eben dies erkennen. Doch» verspricht darin, noch einen „letzten Versuch" mit einem Aus fälle zu machen; aber der Termin für diesen letzten Versuch ist seitdem auch schon längst abgelaufen. Was die Operationen unserer Truppen anbelangt, so soll, wie uns geschrieben wird, nach den neuesten Disposi tionen ihre Aufgabe weniger darin bestehen, das Oc- cupationSgebiet zu erweitern, als vielmehr nur die wichtigsten occupirtcn Punkte zu halten und zu con- solidiren, und solchergestalt in concentrirten Massen aufzutreten. Sogar die Besetzung von Tours ist unter diesen Verhältnissen zweifelhaft, zumal dasselbe für uns keinen Werth mehr hat, nachdem die Außenregie rung und die Truppen dasselbe in eiligster Flucht ver lassen haben. WaS die I. Armee unter dem General v. Man- teuffel betrifft, so soll sich dieselbe (der gleichen Quelle nach) zwischen Rouen und AmienS concen- triren. Auf dem östlichen Kriegsschauplätze haben die Garibaldianer, die in diesem Feldzüge eine ziemlich lächerliche Rolle spielen, nach vielwöchentlicher Unthätigkeit endlich wieder einen ihrer planlosen Kreuz- und Querzüge in Scene gesetzt bei Nuits (an der Straße von Dijon, dem Hauptquartier Werder'S, nach Beaune, wo ein großer Theil der Garibaldi'schen Freischaren concentrirt ist). Die badische Division, die Vorhut des Werdcr'schen Corps, rückte ihnen entgegen und warf sie nach heftigem Kampfe und unter Bei bringung großer Verluste nach Süden zurück; NuitS, das die Garibaldianer zu halten suchten, wurde er stürmt. Mit der Wiedereinnahme von Dijon, welche die Franzosen schon vor dieser Unternehmung als vollzogene Thatsache ausposaunt hatten, war es also wieder nichts. Der schweizer BundeSrath hat in einem sehr ausführlichen Aktenstück, daS er den beiden Räthen der Bundesversammlung vorgelegt, dessen Hauptzweck aber jedenfalls seine Veröffentlichung ist, den Nach weis zu führen unternommen, wie er in allen Be ziehungen und nach beiden Seiten hin mit völliger Unparteilichkeit die Neutralität der Schweiz in diesem Kriege gewahrt habe. Wenn sich alles in der Wirk lichkeit so verhalten hat, wie eS hier dargestellt wird, so scheint der BundeSrath gelhan zu haben, WaS er konnte. Daß in der schweizer Bevölkerung zum grö ßern Theile die Sympathien für Frankreich über wiegen, ist ja leider bekannt. Der nächste Anlaß zu jenem Schreiben (von dem wir ein kurzes Resumt schon früher gaben) ist wol eine Beschwerdeführung der norddeutschen Negierung wegen eines auf schwei zerischem Boden errichteten französischen Werbebureau gewesen. Noch spricht sich in jenem Actenstllck auch die schlecht- verhehlte Besorgniß aus, eS könne dem neuen mäch tigen Deutschland beikommen, nach dem Beispiel von Elsaß und Lothringen auch die dieSrheinischen Län- derstücke der Schweiz (Schaffhausen und Kleinbasel) sich einzuverlciben. Auch wird daran erinnert, daß die Stadt Mülhausen nicht eine ehemals deutsche, vielmehr eine schweizerische Stadt sei, die sich frei willig im vorigen Jahrhundert an Frankreich ange schlossen habe. Wir glauben nun freilich nicht, daß mit Mül hausen eine Ausnahme gemacht oder dasselbe statt an Deutschland an die Schweiz überwiesen werden könne (obschon vielleicht manche von unsern Fabrikanten, welche die Concurrenz ihrer mülhauser College» fürchten, am Ende dagegen nichts hätten), möchten auch be zweifeln, ob mit diesem Tansche den Mülhausern selbst gedient wäre. WaS aber die noch jetzt schweizerischen GebietStheile Schaffhausen und Kleinbasel betrifft, so dürfen sich unsere Herren Nachbarn im Süden, wie unbequem auch in mehrfacher Hinsicht diese Enclaven für unS sind, doch darüber beruhigen: so schlimm sind wir in der That nicht, wie man jetzt unS allerseits anzusehen scheint, daß wir so mir nichts dir nichts rings im Kreise herum an uns reißen sollten, was uns eben beliebte. Um bei dieser Veranlassung nochmals mit einem Worte auch auf die luxemburger Angelegenheit zurückzukommen, betreffs welcher in der Kammer deS GroßherzogthumS gestern interpellirt, jedoch von der Regierung noch keinerlei öffentliche Auskunft ertheilt wurde, so können wir das gestern Gesagte heute auf Grund einer Mittheilung aus guter Quelle wieder holen (s. jedoch unter Telegraphische Depeschen). Die Erklärung, daß, nachdem die militärische Neutralität Luxemburgs von dessen eigener Regierung preiSgege- ben worden ist, auch Deutschland an dieselbe sich nicht ferner gebunden halte, diese Erklärung hat mit der politischen Unabhängigkeit dieses Landes unmittelbar nichts zu thun, und an eine Einverleibung desselben kurzer Hand, wie man sie in Luxemburg zu fürchten scheint, wird sicherlich in Berlin am wenigsten gedacht. Die Nachricht eines wiener Blattes von dem be reits erfolgten Abschluß eines Privatübereinkom mens zwischen Rußland und der Pforte wegen deS Schwarzen MeereS dürfte mit Vorsicht aufzuneh men sein. Wenn Rußland vielleicht kein Bedenken trüge, auf dem Wege der einseitigen Behandlung dieser Frage (ohne Zuziehung der andern Mächte) noch weiter vorzugeben, so ist doch nicht wahrschein lich, daß auch die Pforte sich auf diesen Weg sollte hinüberlocken lassen, da sie damit leicht sich des Rück halts der Mächte auch für den Fall, wo sie eines solchen vielleicht benölhige, berauben möchte. Auch die Herrenkammer Badens hat die Bündnißverträge nahezu einstimmig genehmigt. In Würtemberg wurde der Landtag gestern mit einer Thronrede eröffnet, welche einen aufrichtig deutschen Geist athmet. Möge dieser Geist, der auch die Neu wahlen zur Volkskammer geleitet (sodaß in derselben nur eine ganz kleine Minorität von Gegnern deS Anschlusses sitzt), von dem wackern Schwabenvolke und seiner Regierung niemals wieder weichen! Die Norddeutsche Allgemeine Zeitung über die luxemburger Frage. DaS officiöse berliner Blatt spricht sich über die vielerörterte luxemburger Frage ungefähr so aus: Lurch den Vertrag vom 11. Mai 1867 wurde dem Großherzogthum Luxemburg von den europäische» Mächten Preußen, Großbritannien, Rußland, Oesterreich-Ungarn und Frankreich eine dauernde Neutralität unter der in Art. 2 des Vertrags ausgesprochenen Bedingung garantirt, daß Luxemburg verpflichtet sei, dieselbige Neutralität gegen alle andern Staaten zu beobachten. Nach dem Ausbruche de» gegenwärtige» Kriegs ist von Preußen der großherzoglichen Regierung auf ihren beson- dern Wunsch noch die Zusicherung am 17. Juli ertheilt worben, daß die Neutralität Luxemburgs geachtet werden solle, solange dieselbe von Frankreich respeciirt und selbst verständlich von dem Großherzogthum aufrecht erhalten bleibe. Diese Zusage ist von der königlichen Regierung in ge wissenhafter Weise beachtet worden. Sie verzichtete auf den im Interesse der Menschlichkeit sür nothwendig erachte ten Transport ihrer Verwundeten durch das luxemburgische Gebiet, weil Frankreich sich dagegen erklärte. Sie ließ sich in ihrer neutralen Haltung auch nicht wankend machen durch die von einem Theile der Bevölke rung des GroßherzogthumS in Wort und That gegen dor tige deutsche Beamte und Reisende verübten feindlichen Handlungen. Sie ging in ihrer Rücksicht gegen da» Großherzogthum noch weiter, als durch nächtliche Eisenbahnzüge von Luxem burg zur Verprovianttrung der von französischen Truppen besetzten, aber von einem deutschen Corps cernirten Festung Musikalisches aus Leipzig zur Beethoven-Feier. w Leipzig, 19. Dec. Als einer der Glanzpunkte in der Beethoven-Woche darf das neunte Gemand- hauSconcert gelten, in welchem die hier jedes Jahr besprochene „Neunte Symphonie" des großen Beetho ven zu Gehör kam. Die Ausführung deS mächtigen Werks war im ganzen eine recht gelungene und schwächte die Begeisterung für die geniale That deS TonschöpferS nicht ab, wenn auch eine strenge Kritik, welche bei dieser Gelegenheit taktlos erscheinen müßte, manches zu berühren finden würde. Das berühmte Gewandhausorchester mit den Herren Kapellmeister Reinecke, Concertmeister David und Röntgen an der Spitze, der wacker geschulte Chor und die Solokräfte: Frau Peschka-Leutner (Sopran), Frl. Boree (Alt), Hr. Rebling (Tenor), Hr. Gura (Bariton) bildeten zusammen einen Tonkörper voll Geist und Leben, welcher seine gewaltige Kraft im Schlußsätze im gan zen Umfange entfaltete. Im ersten Concerttheile diri- girte Hr. Kapellmeister Gustav Schmidt die „Corio- lan"-Ouverture und daS von den Herren Kapellmei ster Reinecke (Pianoforte), Concertmeister David (Vio line) und Hegar (Violoncell) mit bekannter Virtuosität vorgetragene Tripleconcert Op. 56, zu welchem daS Orchester die Begleitung in trefflicher Weise ausführte, gleichwie auch die Wiedergabe des herrlichen Werks „Meeresstille und glückliche Fahrt" die weihevolle Stimmung erhöhte. Ein Schwindler im Großen. Die Kölnische Zeitung berichtet Folgendes über den merkwürdigen Lebenslauf eines großartigen Schwindlers, einen Lebenslauf, der in Pirna in Sachsen beginnt und vorläufig in einem GefLngniß im ostindischen Archipel seinen unfreiwilligen Abschluß gefunden hat. Der Bericht lautet: lieber den Schwindler und Wechselfälscher Oswald Schmalz, aus Pirna gebürtig, der häufig fälschlich unter den Namen Graf v. AttemS, Gras v. Schönborn, Kapitän Stone rc. auftauchte und im August d. I. zu 10 Jahren Zuchthaus verurlheilt wurde, liegen jetzt genauere Einzel heiten vor. Das Schwindlerleben des rc. Schmalz beginnt im Som mer de» Jahres 1863, zu welcher Zeit er, 20 Jahre alt, aus Triest, Schulden halber, nach den Vereinigten Staaten von Amerika floh und dort in dem Heere der Nordstaateo Dienste nahm. Schmalz stammt aus einer sehr angesehe nen, geachteten sächsischen Familie, die zur Zeit seiner Ge burt in Pirna (Sachsen) wohnte; er erhielt eine wissen« schastliche, sür den Handel berechnete Erziehung und wurde später in einem Comptoir in Triest placirt, woselbst er auch noch die Handelsakademie besuchte. Schulden veranlaßten ihn, diese Stadt nach mehrjährigem Aufenthalte zu ver lassen und nach Amerika zu flüchten, woselbst er sich im Kriegsdienste der Nvrdstaaten so hervorthat, daß er bei dem 2. Massachusetts-Lavalerieregiment rasch zum Rittmeister avancirte. Nach der Beendigung des amerikanischen Kriegs machte er mehrfache, jedoch misglückte Versuche, in brasi lische Kriegsdienste zu treten, und mußte schließlich froh sein, nach vieler Mühe einen Lomptoirposten in Rio-de- Janeiro zu erhalten. Auch von dieser Stadt flüchtete er Schulden halber nach Montevideo, wo er unter falschem Namen die ersten Wechsel im Betrage von 600 Fl. fälschte; von da aus zog er, seine Fälschungen sortsetzend, in der südamerikanischeu Republik von einer Stadt zur andern, wandte sich dann nach Neuhork und von da nach Sierra-Leone an der Westküste von Afrika, nachdem er die Geschäftsleute bereits um mehr als 27000 Fl. durch falsche Wechsel be trogen hatte. Die Namen, die er damals führte und zum Theil auch später wieder angenommen Hal, waren: Graf Auersperg, Graf Wzrrmbrandt, Stuppach, Graf v. Landberg, Graf Franz v. Schönborn, Baron Johann v. Baumgarten, Graf Ignaz v. AttemS, Rittmeister der österreichischen Armee; zeitweilig nannte er sich auch Karl v. Berihold-Stein, Charle« v. Berthold-Stone und Kapitän Stone. Mit der Ankunft des Schmalz in Sierra-Leone beginnt die zweite Periode seines Schwindlerlebens; er reiste da mals, seine Fälschungen forlsetzend, von Sierra Leone nach Madeira, von Barcelona nach Bona in Algier, von Algier nach Konstantinopel, von Alexandria nach Kairo, von Mes sina nach Neapel und Florenz; die Ernte dieser Streifzüge betrug 18400 Fl. Im November 1867 verweilte er unter seinem wahren Namen in Triest und bezahlte mehrere frü her daselbst contrahirte kleine Schulden. Bon dort wandte er sich nach Wien und kaufte daselbst an die Ordre des Ka pitäns Stone einen Wechsel der Anglo-Austrian-Bank in London über 18 Psd. St. blo» deshalb, um behufs Nach bildung die Unterschriften des Directors sowie des Secre« tärS dieser Bank zu besitzen, und begab sich hierauf nach London. Entschiedene Thatsache ist es, daß gerade die Nach bildung dieser Handzeichnungen zu seinem spätern Falle nicht wenig beigetragen hat. In London versorgte sich Schmalz mit allem Röthigen, um seiner Industrie die möglichst größte Ausbreitung geben zu können, und lieferte Beweise seiner großen Fertigkeit im Fälschen zunächst in Amsterdam und Paris; an beiden Orten erwarb er sich durch falsche Wechsel, acceptirt von der Anglo-Austrian-Bank, die Summe von 16—17000 Fl. Mit dieser Beute begab er sich wieder zurück nach Lon don und schiffte sich von da nach Australien ein. Sein Auf enthalt daselbst in Sidney (Neusüdwales) bildet den Glanz punkt seiner zweideutigen Carriire. Ausgerüstet mit einem falschen Empfehlungsbriefe des Erzherzog« Albrecht an die österreichischen Lonsulate in Australien und Asien, einem