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Wöchentlich «rscheknen drei Nummern. Pränumerations- Preis 22f Sgr. Thlr.) vierteljährlich, Z Thaler für das ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man »ränumcrirt auf diesen Beiblatt der ANg.Pr. Staats- Zeitung in Berlin in de« Expedition (Mohren - Straße Nr. Atj; in der Provinz so wie ini Auslande bei Herr Wohllöbl. Post - Pewter». Literatur des Auslandes. 62. Berlin, Mittwoch den 20. Zuni 1832 Frankreich. Die Pariser Straßenecken. Müßiggehen ist eine angenehme Sache. Es ist nicht, wie viele Leute glauben, eine negative Beschäftigung; aber wie wenige Men schen verstehen es auch eigentlich, müßig zu gehe». — Deshalb ist man noch kein Müßiggänger, daß man aus dem Hause geht, ohne zu wisse», wohin, und daß man vier Stunden aus der Straße damit verbracht Hal, den Himmel anzugaffen und sich müde zu gähnen. Es bedarf anderer Dinge, um diesen Titel zu verdienen. — Der Be amte, der einen langen Umweg macht, uni sich nach seinem Bureau zu begeben; der Schreiber eines Notars, der drei Stunden daraus zubringt, einen Akt unterzeichnen zu lassen, wozu eine viertel Stunde genügte; der Kammerdiener, der einen Bormitlag dazu braucht, ein Billet avzugeben, — das sind Alles keine Müßiggänger; sie wollen einen Augenblick der Freiheit verlängern, eizie Jeu durchbringen, di« ihnen nicht gehört, indem sie dadurch rascher zu jener Abend zeit zu gelangen glauben, wo der Schlummer alle Klaffen gleich macht, wo der Mensch sich ganz angchört, er möge nun in einer Dachstube oder hinter seidenen Borhängen schlafen. Wenn Lafontaine frühzeitig eine langweilige Gesellschaft verließ, um sich, wie er sagte, auf dem längsten" Wege »ach der Akademie zu begeben, so konnte man ihn einen Müßiggänger nennen. Er hatte einen Zweck; er wollte abgeschmackten besprächen ausweichcn, und, indem er sich in sich zurückzog, Lie kostbaren Augenblicke ver gessen, die er. verloren hatte. Vielleicht gab er aus einem solchen Umweg einer jeyer schöne» Fabeln Leben und Farbe, welche allen Zahrhuizderte» zur Belehrung dienen werden. Sh ist der Müßig gang zu verstehen. — Alle Leute, die denken, — der Sustspieldichter, der Maler, der Poet, der Romanenschreiber, der Schauspieler, sind ganz wesentlich Liebhaber des Müßigganges. Die frische Lust, die Bewegung und, mehr als das Alles, die Unzahl von komischen Figu ren, welche so verschiedenen Charakteren und Leidenschaften als Muster dienen, kommen denen ganz besonders zu Statten, die die Gesellschaft zeichnen wollen, wie sie ist. Würde uns Picard wohl so ähnliche Personen vorgesührt haben; würde Cbarlet wohl det wahre und philosophische Maler geworden sehn; würde Potier in dem Anzüge des ei-ckev-mt joum- Homme wohl dem ganzen Hause den Ausruf: „O, wie wahr das ist!" ent lockt haben ; würde Vernet-uns diese herrlichen Handwerker-Masken zu schauen geben, wenn Picard, Charlet, Potier Und Vernet nicht den Müßiggang geliebt hätten? -- Und man bedenke doch, daß wir die Theorie des Lichtes npch nicht besäßen,' wenn Newton, müßigge bend, nicht dem Spiele der Kinder zugesehen hatte, welche Seifen blasen machten. — Ein Beobachter ist ganz nothwendig ein Müßig gänger, aber bei weitem nicht alle Müßiggänger sind Beobachter. Fast alle unbeschäftigte äangwciljge oder gelangweilte Leute ha ben keinen anderen Zweck als, gleichviel aus welche Weise, die sieben oder acht Stunden zu tobten, welche ihre beiden Mahlzeiten von einander trennen. Man erkennt Leute dieses Schlage« leicht; mit nichtssagendem Blick, die Lippen berunterhängend, wie Kinder, die böse find, die Augen trüb und halbgeschloffen, bleiben sie wohl eine viertel Stunde lang vor jedem Bildcrladen und vor jeder Modehand lung stehen. Zuweilen sogar, um ihre Sendung der Unthätiakeit im ganzen Umfange zu erfüllen, sieht man, wie sie eine Anzeige über einen Hausverkauf oder über einen veploren gegangenen Hund von Anfang bis zu Ende so aufmerksam lesen, als ob sie rin Hau« kau fe» »der das Signalement auf alle vorüberlaufende Hunde anwen den wollten. Diese faule Klaffe streift den ganzen Tag an den Stra ßenecken von Pari« vorüber und hat niemals der Sammlung von Zeichnungen, Zuschriften und Figuren, womit sie bekleidet find, ei nige Aufmerksamkeit geschenkf. Und doch find dieselben bei weitem interessanter als der Laden von Martinet und die neuen Muster. Ueberall finden die Augen und die Einbildungskraft Beschäftigung. Diese Masse von poetischen, prosaischen und lichographirten Impro visationen, welche der Lebendigkeit de« Geiste« und der Gesinnung jenes Bölkes entsprungen sind, da« seinen Einfällen keine Fesseln anzulegen weiß, bietet eine Verschiedenheit und eine Originalität dar, welche man sonst »irgend findet. Der Charakter des Volkes, sein Glück, sein Unbehagen, sogar seine politischen Abneigungen, find auf den Mauern von Paris mit etwas mehr Wahrheit als in Len Journalen ausgedrückt. Es ist das Mittel der Leffentlichkeit für den Handwerker; es ist seine Presse, sein Journal, welches weder die Censur, noch gerichtliche Verfolgung gen, .»och die Schlösser von St. Pelagic zn fürchten hat. — Man bedarf per Geduld, um die Mauern der Hauptstadt gehörig auszubeu- tcn; aber die Geduld ist auch eine von den Tugenden, die ich von Lem wahren Müßiggänger verlange. Man wird fast immer Tausende vvu schmutzigen Bildern und abgeschmackten Einfällen finden, ehe mcu auf etwas wahrhaft Bizarres oder Ueberraschcndes stößt, wor über man entweder erstarrt oder vor Lachen fast erstickt. Da« ist denn doch wenigstens eine Entschädigung, die man nicht immer in den noch so pomphaft angeküudigten Werken findet, wenn man auch die Tragödien von Viennct und die Verse Les Herrn Danglemont mit eiubegreist. Einige von den Inschriften und Zeichnungen, welche die Mauern von Paris bedecken, haben einen Ursprung, der sich an wenig be kannte Anekdoten knüpft. Wer erinnert sich z. B. nicht bei jedem Schritt ein mehr oder weniger gut mit Kohle gezeichnete« burleskes Gefickt gesehen zu haben, welches nur aus einer Nase bestand, und in welchem zwei oder drei kleine schwärze Striche die Augen und da« Kinn bildeten? Dieses seltsame Gesicht war in einem Künstler- Atelier entstanden. Derjenige, dem es, obgleich sehr im Häßlichen, ähnlich sah, — das Original dieser Karrikatür, war selbst ei» junger Künstler, Ler zu den schönsten Hoffnungen berechtigte. Seine Ka meraden machten sich fast täglich über die ungeheuren Verhältnisse ferner Nascntheile lustig, und er mußte diese Neckereien ruhig hin- nehmen, wenn er das Uebel nicht noch ärger machen wollte. Als die jungen Thoren aber unter sich über ihren etwas mißgestalteten Kömera»,» genug gelacht hatten, sollten auch Andere an ihrer Nek- kerei Theil nehmen; Las Mitleid ist in der Regel nicht die Tugend Ler Kiinuler. Sic verfielen also daraus, das Gesicht des armen jun gen Mannes ntodelliren zu lassen, und in allen Atelier« wurde es Gesetz, däß jeder Schüler einen Gipsabdruck bei sich tragen und vor zeigen mußte, um Zutritt zu erlangen. Aber der Spaß batte die Ateliers noch nicht überschritte», und er mußte öffentlich «erden, um die ausgesuchte Bosheit der jungen Leute zu befriedigen. Bald sah man an Len Mauern in Ler Nähe der Wohnungen der berühmtesten Maler da« fatale Gesicht in großen Zügen gezeichnet; nach und nach zeigte c« sich.auch in anderen Stadtvierteln, und in weniger als 6 Monaten war Pari« und das Weichbild damit überschwemmt. Der unglückliche Künstler litt ungemein bei diesen, viel zu weit aus gedehnten Scherze. Sein schwacher und von Natur zum Trübsinn geneigter Charakter wurde durch den Gedanken erschüttert, daß er geboren. sch, um jeden Gassenbuben, der mit eiuer Kohle einen Strich machen könne, zum Spott-Modell zu dienen; er verlor die Lust zum Arbeiten, eine beständige Melancholie untergrub seine Gesund heit. Seinem Lehrer fiel dies auf, und er befragte ihn um de» An laß zu dieser Veränderung. Als er die Ursache erfahren batte, be gab sich der Professor in das Gebäude des Instituts, wo sich die Haupt- Versammlung Ler Zeichnen-Eleven befand, und machte ihnen lebhafte Vorwürfe über ihr boshafte« Verfahren. Er halte kaum seine Straf predigt begonnen, al« einige Eleven ihre Staffelei verließen, sich nach dem Pont des Arts begaben, wo der Lehrer beim Zubansegehev vor beikommen mußte, und auf jeden Pfeiler der Brücke zeichneten sie das Gesicht, da« ihnen eben erst so gerechte Vorwürfe zuqezogen hatte. Dieser letzte Streich zerriß die Seel« de« jungen Maler«; er erschien nickst wieder in den Atelier« und leistete auf eine Kunst Verzicht, der er schon so viel Zeit geopfert, und ist der er unbezwei- felt rühmliche Erfolge gefunden hätte. Es ist zu hoffen, daß die Zeit und weises Nachdenken ihn zu vernünftigeren Gedanken zurückgeführt und wir einen guten Maler mehr haben werden, der, man darf e« wenigsten«-glauben, sei» Talent nicht wie so viele Andere an Karri- karuren verschwenden wird. Als Gegensatz zu diesem jungen Künstler, der da« Opfer einer Laune der Natur wurde, kann man einen anderen Maler, eine» Schüler Charlet'«, anführen, dem La« gänzlich mangelte, womit jener so reichlich versehen «ar. Sein Bildniß findet man unendlich ost an den Mauern. Hoffentlich wird der Scherz für ihn nicht von so traurigen Folgen seyn, wie für seinen Vorgänger. Es giebt fast keine Mauer, auf der man nicht den Namen Cre- devillc läse, dem zuweilen Lie Benennung Spitzbube beigesügt ist. Ich bade vft gehört, wie die Leute unter einander sich fragten, wer Lieser Credevillc wohl sepn möchte; die Einen behaupteten, daß es ein Polizeispion, die Anderen, daß es ein konspirirendcr Agent des Herzog« von Reichstädt wäre; Niemand aber wußte, was dazu An laß gegeben habe» konnte, daß sein Name fleh an den Mauern so.