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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PrönumerativnS - Preis 221 Silbcrgr. (1 Thlr.) vierteljährlich, 3 Thlr. für dal ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Comp., Jägerstraße Rr. 25), so wie von allen König!. Post. Kemtern, angenommen. Literatur des Auslandes. 19. Berlin, Donnerstag den 13. Februar 1845. Italien. Palermo und seine Umgebung. °) l. An bliü Ler Stadt. An einem schönen April-Abend verließen wir Neapel; der Himmel war wolkenlos, die Luft ruhig, das Meer spiegelglatt. Der „Palermo" glitt sanft über die schlummernden Wogen; schwarzer Rauch, den er in die klare Luft ausathmete, bezeichnete seine lange Bahn. Bald waren wir Capri'S steilen Gestaden vorüber; das Ufer senkte sich stufenweise und verschwamm avmälig in einem bläulichen Dunste. Einen Augenblick noch war der rauchende Gipfel des Vesuvs zu sehen; er verschwand, und seufzend sagten wir Neapel unser letztes Lebewohl. Am folgenden Tage bei Aufgang der Sonne kamen wir vor Palermo an. Ein entzückender Anblick bot sich uns dar: vor unö lag die düstere und bergige Küste SicilienS; schneebedeckte, in den Strahlen der Morgensonne glitzernde Picks erhoben sich zum indigvblauen Himmel: rechts der Monte Pelle grino mit seinen wilden Thalern und Schluchten, seinen steilen Felsen und seinem gebahnten Wege, der hier und da über kleine, nette Brücken führt, sich im Zickzack um den Berg windet und zu der berühmten Grotte der heiligen Rosalie führt; vor uns, inmitten eines blumigen, von dürren Bergen einge schloffenen Thales, lag das reizende Palermo. Aus dem Morgennebcl, der noch die schlafende Stadt einhüllte, erhoben sich nur die spitzen Pfeiler ihrer Thürme, die Dome ihrer Kirchen, die Wipfel ihrer blühenden Bäume. Eine Viertelstunde später legte sich der „Palermo" im Hafen vor Anker, von einer Menge von Kähnen umringt, deren halbnackte Ruderer sich uns von allen Seiten näherten und ein betäubendes Geschrei ausstießen. Als ich den Fuß auf SicilienS Boden setzte, empfand ich ei» in Italien vergebens ersehntes Gefühl: „Ueberraschung". Zum ersten Male seit meiner Abreise aus Frankreich schien ich mir in einem fremde» Lande. Die Goldfarbe der Häuser, der dunkelblaue Himmel, der geräuschvolle Hafen, die bunten Kajüten, die langen Schleier der vorübergehenden Frauen — Alles fesselte meine Aufmerksamkeit. Nachdem ich über einen großen Platz geschritten, den blendend die Sonne erhellte und den Bäume umgaben, in deren Schatten großhörnige Ochsen ruhten, kam ich zum „Hotel de France", wo ich meine unbedeutende Bagage ablegte und alsbald ausging, um in der Stadt ohne Zweck und ohne Führer herum zu spazieren mit jenem heiligen Eifer, der den Touristen während der ersten drei Reisemonate begleitete. Die große und breite Toledostraße durchschneidet die ganze Stadt geradlinig in ihrer größten Länge und theilt sie in zwei gleiche Hälften. Eine zweite Straße durchkreuzt rechtwinklig die vi» Vnloüo ; der DnrchschneidungS- punkt bildet das Centrum Palermo'S und einen achteckigen Platz, den Fon taine» schmücke» — und von dem man auf der einen Seite das freie Feld, auf der anderen das Meer erblickt. In der Straße Toledo herrschte ein Leden, das ich selbst nicht in Neapel und Portici gesehen hatte. Unabsehbar bewegte sich eine bunte Menge, gestikulirten Lazzaroni'S, disputirten junge Leute mit einander. Auf den Ellbogen gestützt, sahen junge, reizende Frauen auf die Vorübergehenden; zum Kopsputze diente ihnen allein das prächtige schwarze Haar, und in ihrem großen Auge, das in den« Menschengewoge hi» und her irrte, mischte sich orientalische Schlaffheit mit spanischer Gluth und franzö sischer Gefallsucht. Bald warfen sie, mit ihren Freunden schwatzend, Blumen herab, bald lachten sie laut, ihre blendend weißen Zähne zeigend, bald spottete» sie über einen schönen, elegant gekleideten Abb«, der auf einem Esel vorüber- trottirte und ohne Aerger die Spötterinnen betrachtete. Dann rollte wieder ein offener Wagen eiligst über das Pflaster und theilte raffelnd die lärmenden Fußgänger. Ueberall herrschte Fröhlichkeit, und wie ei» Bienenschwarm summte die Bevölkerung, die Morgens wie AbendS auf den Straßen ist. Alle Tage bietet sich dasselbe Schauspiel dar und verlängert sich bis zu der Stunde, wo die Hitze eintritt. Nach und nach hört der Lärm auf, die Menschenmasse nimmt ab, die Häuser schließen sich, und die Stadt beginnt zu schlafen. Todtenstille herrscht in den brennend heiße» Straßen. Hier und da erblickt man nur einen fast nackten, im Schatten schlummernden Lazzaroni; die Stadt scheint todt und erwacht nur beim ersten Hauche des AbendwindcS. Ich wurde nicht müde, einen Balkon nach dem anderen zu craminiren, und bald überraschten mich mehrere durch ihre Bauart. Ihr Geländer erhob sich mit den Fenstern in gleicher Höhe, bog sich zur Befestigung an die Mauer zurück und bildete so eine Art von rundem Drathgewölbe, das von oben und unten geschloffen war. Durch das Gitter bemerkte ich eine Anzahl junger Mädchen, die neugierig auf die Straße blickten. Diese Häuser waren Klöster und diese jungen Mädchen Nonnen! Kaum hatte ich dicö gehört, als mir die Palermitanerinne», die mich den Augenblick vorher entzückt hatten, bei weitem weniger schön erschienen, als sie, die sich freiwillig in die Zelle begeben haben. Der sicilische Adel läßt nämlich seine jüngeren Töchter bis z»m sechzehnten Jahre in einem Kloster erziehen und sic dann zur Probe ein Jahr im Ge- tümmel der Welt leben. Einige werden durch diese Freiheit glücklich und ver heiraten sich; andere, ohne Vermögen, ohne Aussicht einer standesgemäßen Ehe, gedenken der ersten Jahre ihrer Kindheit, der süßen Ruhe, der geschloffe nen Freundschaften, und kehren in das Kloster zurück ; sie sehen, wie die Einen Mühseligkeiten erdulden, von denen sie Nichts wissen, oder wie die Anderen Ver gnügungen nachjagen, deren Gedanke ihnen vielleicht oft einen Seufzer entlockt. Den ganzen Tag fitzen fie auf ihren Balkonen und weiden fich am Schauspiel des menschlichen Lebens, das überall dasselbe bleibt. Das Klima ist übrigens so herrlich in diesem glücklichen Lande, und den Himmel nicht zu sehen, wäre eine grausame Strafe, die das Gesetz nicht einmal einem Verbrecher auf erlegt. Auch die Gefängnisse gehen auf die Straße, und die Gefangenen sehen das Meer, die Sonne, schwatzen mit ihren Freunden und erfrischen fich mit ihnen an einem Glase Limonade oder einem rutoto Makaroni. ' In Palermo ist das gebräuchlichste Transportmittel der Esel: Jeder ge braucht ihn, und diese Thiere, die in unserem Klima faul, schwach und unan sehnlich find, zeichnen sich in Sicilien durch Kraft und Schönheit aus. Bei Besuchen in der Stadt oder bei Landpartieen, der Palermitanische Reiter ist stets auf seinem Grauthier. Von der Morgenpromenade zurückgekehrt, hält er in der Toledo-Straße vor dem Ost« «I« 8icil« und nimmt für drei Sous ein Glas Eis zu fich. Außerdem, daß cs auf verschiedene Art bereitet und bei der großen Hitze sehr angenehm ist, wird eS in diesem Klima zur äußersten Nothwendigkeit, wo stärkende Mittel unentbehrlich sind und der Wein oft schadet. Während der härtesten Winter ist Frost ein Wunder in Palermo, und um zu überraschen, wird Schnee, der dadurch einen wichtigen Handels zweig abgiebt, von den Bergen in die Stadt gebracht. In der Hauptstadt SicilienS giebt es eine Menge Kirchen. Obgleich bunt und nach italiänischem Geschmack mit Flittergold aller Art überladen, bieten sie im Innern einen ganz besonderen Anblick dar. Der größte Theil von ihnen ist in seinem Innern mit Marmor-Mosaik von wunderbarer Ausführung behängt: behängt ist das richtige Wort, denn die unbewegliche Mosaik ahmt den Stoff mit seinen Falten, Krümmungen und Bausche» nach. Der Grund ist immer weiß und die Bekleidung gelb und schwarz. Beim ersten Anblick glaubt man eine große Stickerei mit nistenden Liebesgöttern zu sehen. I» gewisser Entfernung von einander find in der Mauer silberne, runde, von tausend Löchern durchbohrte Platten angebracht, die vollkommen wie Schaum- löffel ausschcn: dies sind Beichtstühle. Auf der anderen Seite der Mauer ist ei» Kloster, und durch dieses metallene Sieb bekennen die hübschen Nonnen ihren Beichtvätern ihre kleinen Sünden. Von einem kleinen Platze umgeben, fast in« Mittelpunkte der Stadt, erhebt sich die berühmte Kathedrale Palermo'S. Es war beinahe Mittag, als ich dort anlangte; wie Topasen funkelten in den glühende» Strahlen der Sonne die Rosen, die Blümchen, die Kleeblätter, die Zweige, die Nebenfiguren aller Arien, womit in sonderbarer Laune die maurische Verzierungülust diese impo santen Mauern geschmückt hat. In Folge des dort herrschenden Klima's be kommen die Steine, statt schwarz zu werden, eine dunkelgrüne Nuance, und gleichsam durch die Natur vergoldet, scheinen die Monumente in ewiger Jugend zu prangen. Daü Auge erfreut fich an ihrem Anblicke und würde unter diesem ewig heiter» Himmel vor den so kolossalen, so ernsten, so düsteren Kirchen des Nordens erschrocken zurückfahrcn. Nicht allein die Steine, auch die Menschen fühlen den Einfluß des Klima'S. Der melancholische Him mel des Nordens überzieht die Monumente mit düsteren Farben und macht das Herz dessen, der ff- beschaut, traurig. In Sicilien ist die Natur stets im Festtags-Kleide; Frohsinn dringt in alle Fibern, und die Atmosphäre haucht Wohlgeruch, der berauscht und das Herz für süße Regungen empfänglich macht. -) Aus den Llvumiou« SU Licil« von Herm Alexis Le Volon.