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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.05.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-05-07
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000507026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900050702
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900050702
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-05
- Tag 1900-05-07
-
Monat
1900-05
-
Jahr
1900
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Größere Schriften laut unserem Preis« vcrzeichniß. Tabellarischer und Zissernsatz nach höherem Tarif. Artra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderuag 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Tinnahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bormittag« 10 Uhr. Marge »-Ausgabe: Nachmittag« »Uhr. Bei den Filiale» und Annahmestelle» je et» halbe Stunde früher. Anzeige» sind stet« an di, Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz i» Leipzi» 81. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 7. Mai. Nun ist wieder Werkeltag in der Politik und die Nüchtern heit hat da« Recht und die Pflicht, den Platz deS Enthusiasmus einzunehmen. Dieser kann sich nicht beklagen, er hat während seiner dreitägigen Herrschaft ein uneingeschränktes Regiment führen dürfen. Es ist des Guten vielleicht etwas zu viel ge schehen, wenigstens in der deutschen Presse. DaS ungarische Echo klang freilich noch begeisterter, aber: der ungarische Zeitungsleser hat stet« da« granum snlis zur Hand, mit der solche Ergüsse genossen werden wollen, und weil die ungarischen Zeitungsschreiber daS sehr genau wissen — sind sie für ihre Person doch in derselben Lage —so kommt es ihnen auf eine Uebertreibung mehr oder weniger nicht an. Das politische Publicum in Deutschland ist etwas weniger kritisch und hat nicht nur der gar nicht zu bezweifelnden Behauptung, daß der Dreibund neubefestigt sei, ein gläubiges Ohr geschenkt, sondern vielfach auch eine gewaltig über schätzende Beurtheilung der Bedeutung des Drei bundes, mit der zahlreiche Blätter aufwarten zu müssen glaubten, für baare Münze genommen. Wenn heute wegen einer Landarmeevorlage an die Urne getreten werden müßte, wir glauben, mancher bewilligungseifrige deutsche Wähler würde diesmal die nationalen Parteien im Stiche lassen, weil er sich sagte: bei dieser grenzenlosen Freund schaft mit Oesterreich, bei dieser Kraft der habsburgischen Monarchie und dieser völligen Bedeutungslosigkeit ihrer inneren Kämpfe für etwaige Kriege ist daS deutsche Heer, zumal ja auch Italien dabei ist, mehr als hinreichend stark. Die Ueberzeugung, daß wegen des Vorhandenseins des Dreibundes Deutschland eS gar nicht nötbig habe, über seine Beziehungen zu anderen als den Dreibundstaaten nachzudenken, scheint z. Z. wieder recht weit verbreitet zu sein. Bismarck war darüber bekanntlich anderer Meinung, er bat einen Rück versicherungsvertrag mit Rußland für nützlich gehalten; aber freilich, daS laut geäußerte Bedauern über das Fallenlassen dieses Vertrages batte eine derartige üble Stimmung gegen den FriedrichSruher Einsiedler erzeugt, daß nicht viel fehlte und die Wiener Steckbriefaction wäre übertrumpft worden. Wie cs scheint, will die amtliche deutsche Politik auch wirklich sich nicht allein auf den Dreibund verlassen und sich enger an England anschlicßen. Die zuerst in Abrede gestellte Behauptung, der Kaiser sei es gewesen, der die Anregung ru einer Collecte für Indien gegeben, ist jetzt mit offenbar beabsichtigtem, Nachdruck von Berlin auS bestätigt worden und zwar unter Hervorhebung der Blutsverwandtschaft zwischen Engländern nnd Deutschen. Im Lande überwiegt die Meinung, daß diese BlutSverwandschaft nicht als ein politisches Moment gelten sollte, wenn sie existirte. Sie existirt aber nicht, wenigsten« nicht in stärkerem Grade, als mit den Franzosen, dessen Kelten sich ebenso mit Deutschen gemischt haben, wie die Kelten Englands und Schottlands. Die Briten haben sich auch niemals durch verwandtschaftliche Neigungen beein flussen lassen, außer wenn sie, wie jetzt, in einer Verlegen heit unö brauchen konnten. Sonst hat Deutschland regelmäßig mehr vom Wasser als vom Blute verspürt, und die Drohung, jedes Schiff mit deutscher Flagge, das sich auf der See zeige, in den Grund zu bohren.die im deutsch-dänischen Kriege siel, ist zwar eine sehr charakteristische, aber keineswegs die jüngste Bekundung britischer Abneigung, die Blutsverwandtschaft mit den Deutschen auzurrkennen oder gar auS ibr politische Folgerungen zu ziehen. England zieht sein Interesse zu Rathe, und wenn Deutschland daS Gleiche thut.so wird eS kaum zu einem I Verhältnisse mit Großbritannien gelangen können, das, dal Rußland und England nun einmal Rivalen sind, unsere Be-1 ziedungen zum östlichen Nachbarreiche berühren würde. „Wir I lausen Niemandem nach", aber wir haben mit Rußland schon so manches gute Geschäft gemacht, z. B. auch 1870/71, wo die englische Regierung ungescheut die Versorgung Frankreichs mit Waffen und sonstigem Kriegsmaterial begünstigte. Die erste Freundschaftsperiode mit England bat Deutschland Zanzibar und Witu gekostet, die zweite jede künftige Anwartschaft auf die Drlagoabai und wenn die dritte entrirt werden sollte, würde sie auch nicht billig zu stehen kommen. Dies liegt in der Natur der Sache. Auf dem europäischen Festlande sucht England zur Zeit nichts, und wo ihm unsere Unterstützung von Werth ist, da kommen gleichzeitig deutsche, mit den englischen collidirende Interessen ins Spiel. Einer muß da der Ver lierer, der Hintergangene sein. Daß die gerissene englische Diplomatie mit ihrer auf eine gewaltige Seemacht gestützten Rücksichtslosigkeit eS nicht ist, die befürchten muß, diese Rolle zu übernehmen, dafür bieten ihr die mit Deutschland seit 1890 gemachten Erfahrungen hinlängliche Garantie. Zu dem Eompromitz über die Fleischeinfuhrverbote liegt jetzt die erste eingehendere Aeußerung aus Centrumskreisen vor. Eine von verschiedenen CentrumSblättern benutzte Partei- correspondenz stimmt dem Compromiß zu, namentlich unter Hinweis darauf, daß dadurch auch die Pökelsleischeinfuhr so gut wie verhindert wäre: Das Compromiß über Las Fleischbeschaugesetz bedeutet unter allen Umständen für die Landwirthschaft einen ansehn lichen Fortschritt gegenüber dem bestehenden Zustande. Ein Einfuhrverbot für Fleisch giebt es gegenwärtig nicht. Kommt daS Gesetz nach dem Compromiß zu Stande, so ist die Einfuhr von Fleisch in luftdichtverschlossenen Büchsen oder ähnlichen Gesäßen, von Würsten und sonstigen Gemengen aus zerkleinertem Fleische in daS Zollinland verboten. Die Einfuhr von Pökelfleisch wird zwar nicht verboten, aber so erschwert, daß praktisch an einem Verbote nicht mehr viel fehlt. . . . Wenn das Gesetz nicht zu Stande kommt, so gehen alle diese Vortheile für die Landwirthschaft verloren. Es kommt aber nicht zu Staude außer in der Gestalt des Kompromisses; darüber ist jeder Zweifel ausgeschlossen. Niemand, auch der Bund der Landwirthe nicht, kann den Bundrsrath oder, wenn man will, den Kaiser "zwingen, die Reichstagsbeschlüsse zweiter Lesung an zunehmen. Wie man sich bei so klarer Sachlage auf den Standpunct stellen kann: Alles oder nichts, ist uns nicht recht verständlich. Es bedeutet das doch nur: Wir ziehen das Nichts dem ansehnlichen Etwas vor, daS das Compromiß unS bietet. Wir möchten glauben, daß sowohl die Flottenvorlage wie daS Fleischbeschaugesetz schließlich zu Stande kommen wird. Ta das „kein Pökelfleisch" nicht durchzusetzen ist, muß man sich mit dem „möglichst wenig Pökelfleisch" begnügen. Sofern auch die CentrumSagrarier das in der Tbat sehr „ansehnliche Etwas" vorziehen, so ist an dem Zustandekommen des Gesetzes kaum mehr zu zweifeln, selbst wenn die Conser- vativen zu einer einmüthigen Annahme sich nicht ent schließen können. Wie weit die Versuche, zu einem Ein vernehmen zu gelangen, gediehen sind, läßt sich auS den widerspruchsvollen Angaben der conservativen Presse schlechter dings nicht ersehen. Ein englische« Blatt, „London and China Telegraph" kritisirt die deutschen Colonien kurz und abfällig folgender maßen: „Wir vermuthen, daß der Etat der deutschen Colonien für das Jahr 1900 keine sehr angenehme Lectüre für die Expansionisten sein wird, die vor wenigen Jahren noch Deutschlands Fertig keit, eine Rolle als große Colonialmacht zu spielen, verkündeten. Wir haben viel über den blühenden Zustand der deutschen Colonien gehört, aber die Zahlen, die jetzt vor unS liegen, machen eS ziemlich klar, daß. Alles in Allem, die Colonien nicht das einbringen, was sie kosten, und bis jetzt hat die deutsche Colo nisation der kaiserlichen Regierung schon ein recht schönes Stück Geld gekostet. Wir wenden uns natürlich den Details zu, die auf Kiautschau Bezug haben. Bis jetzt hat das deutsche Volk nur den Ruhm seiner territorialen Erwerbung in China gehabt. Heute nun haben sie die Gelegenheit zu erfahren, was er sie ungefähr kosten wird. Eine Cotonie inChina zu betreiben, ist ein kostspieliges Geschäft, und wir würden gar nicht erstaunt sein, wenn eine gute Anzahl dickköpfiger Teutonen (sehr gutl) sich die Frage vorlegen werden, ob der Scherz wirklich die Mühe lohnt, wenn sie diese Zahlen einigermaßen ver daut haben. Die Einnahmen von Kiautschau werden nur auf 210000 geschätzt und die restlichen fast 9 800 000 ^l, die für die Verwaltung und Entwickelung der Colonie gefordert werden, müssen vom kaiserlichen Schatzamt geliefert werden." Wir glauben mit dem „Hamb. Corr.", der Mann hat Recht, und wir sollten Jemand suchen, der uns daS theure Kiautschau abnimmt. Wenn wir eine Kleinigkeit zuzahlen, entschließt sich vielleicht England zu diesem Freundschafts dienste. Hat es uns doch s. Zt. rn uneigennütziger Weise Helgoland gegen das nicht minder — werthlose Zanzibar eingetauscht I Die „Finländische Correspondenz" schreibt: Ein Censor wurde jüngst für einen Monat von seinem Amt suSpendirt und mit Gehaltsentziehung bestraft, weil er die ihm anvertrauten Zeitungen nicht mit der vorschriftsmäßigen peinlichen Strenge von allen staatSgefährlichen Notizen gesäubert hatte. Er mußte also während dieser Zeit durch einen anderen vertreten werden. Nun ist aber Finland ein sonderbares Land. Es finden sich nämlich gar kcineLcute, die Lust hätten, Censoren zu werden. Die Preßbchörde annoncirt, er höht die Gehälter, wendet sich sogar an die Gouverneure mit der Bitte, ihr geeignete Personen für diese Aemler vorzu schlagen — aber ost ohne allen Erfolg. Nach langen Be mühungen treibt man endlich ein auf den Hund gekommenes Individuum auf, daS, um nicht zu verhungern, die Schande auf sich nimmt. Wenn das für verhällnißmäßig hoch besoldete feste Aemter gilt, wie viel mehr also für ein Vicariat von einem Monat! Das sollte die Preßbehörde zu ihrem Leidwesen erfahren. Es war absolut unmöglich, einen Stellvertreter für den suSpendirten Censor aufzutreiden. So billig wollte Niemand seine Ehre verkaufen. Was thun? Ter gräfliche Herr Preßches über legte sich die Sache; vielleicht ging es leichter, für einen halben Monat einen Stellvertreter zu finden? Er schenkte also dem Censor die halbe Strafe und begab sich wieder auf die Suche. Aber in ganz HelsingforS war nicht daS kümmerlichste Individuum auszulreiben, das sich dazu hergeben wollte. Die Situation begann precär zu werden: der Censor mußte be straft und die Zeitungen mußten censirt werden, und wenn er sie nicht censiren durfte und ein anderer es nicht thun wollte — was dann? Da fuhr plötzlich ein genialer Einfall durch daS gemarterte Hirn des auf« Trockene gerathenea PreßchefS: der abgesetzte Censor konnte doch sein eigener Stellvertreter werden! Gesagt, gethan. Und nun kann man in HelsingforS das eigentbümliche Schauspiel genießen, wie ein seines Amtes enthobener und seines Gehalte- beraubter Censor als sein eigener Stellvertreter sein eigenes Amt zeit weilig versieht und sein eigenes ihm vorenthaltenes Gehalt in seine stellvertretende Tasche streicht. Wohl bekomm«! Der Krieg in Südafrika. -p Lord Roberts setzt langsam, stets im Kampfe mit dem Feinde, seinen Vormarsch nach der TranSvaalgrenze fort, und zwar immer unter Benutzung der Eisenbahn, von der er sich nickt zu trennen braucht. Wie e- scheint, haben die Boeren diese CommunicationSlinie, deren Zerstörung Roberts ungeheure Marschschwierigkeiten bereitet haben würde, wieder nur in sehr ungenügendem Maße beschädigt, während die Engländer jetzt, wo sie in die Lage gekommen sind, den Boeren einmal den Schienenweg abzuschneiden, energisch zugreifen und den Bahndamm gründlich demolirrn. Man meldet unS: * Vct River, 6. Mai. („Reuter'S Bureau".) Im Lause der Nacht sprengten zwei Schwadronen von General Hotton'S Truppen die Eisenbahn bei Smaldeel. — Die Division des General- Pole Carew kam mit dem Frinbr i» Berührung, der den Ort und das Flußufer besetzt hielt. Um 1 Uhr Nachmittag fuhr der Feind sechs Geschütze auf; es eutjpan» sich rin heftiges Artilleriegefecht. Bald nach dem Beginne de« Gefechts stellte der Feind noch mehr Geschütze uoserem rechten Flügel gegenüber auf, während hier die zwei britischen Feld batterien von vier Schiffsgeschütze» und zwei Belagerungskaaonen verstärkt wurden. Die Engländer brachten zeitweilig zwei Ge schütze zum Schweigen, eS fielen aber einzelne Schüsse noch bei dem Eintritt der Dunkelheit. Inzwischen war General Hutto» abgesandt worden, um den Fluß auf einer weiter westlich gefundenen Furt zu überschreiten. Die Furt wurde vom Feinde, der zwei Feldgeschütze, eine Maxim-Kanone und eine Haubitze hatte, stark verthridigt. Der Feind bestrich eine Zeit lang die britische Feurrlinie mit der Maxim-Kanone, aber di« britischen Maxims und Haubitzen gingen vor und ver- trieben den Feind vom Flußbette; beim Weichen gerieth der Feind in ein furchtbares Feuer. Später über schritten alle englischen Truppen den Fluß «ad be- drohten di« rechte Flanke des Feindes, der etwa gleichzeitig di« Nachricht von der Besetzung WinburgS durch Genrral Hamilton erhalten haben muß. Heute früh wurde entdeckt, daß die ganze Boerenmacht während der Nacht geslohen war. General Hutton nahm «in Maxim-Geschütz und zwölf Gefangene. Smaldeel liegt nördlich von Brandfort und ist Kopf station der nach Winburg abzweigenden Nebenlinie. In Win- bürg soll sich die augenblickliche OperationSbaflS der Boeren befinden, eS ist daher völlig unbegreiflich, wie sie den wich tigsten Posten bei Smaldeel nicht sorgfältiger bewachen konnten. Auf diese Weise kann ihnen, zumal die Engländer auch den Kleinen Detfluß unmittelbar südlich von Winburg über schritten haben, der Rückweg dorthin leicht verlegt werben. Feuilleton. Zs Unter egyptischer Sonne. Roman aus der Gegenwart von Katharina Zitelmann. Nachdruck »erröten. Eben hatte Harald seine wenig befriedigende Musterung be endet, als ein neuer Gast erschien und mit höflichem Gruße sich auf den leeren Platz neben ihm niederließ. Es war ein Herr von sehr stattlicher Gestalt, der, obgleich er über die erste Jugend hinaus war und durchaus keine regelmäßigen Züge besaß, doch für ein« auffallend schöne Erscheinung gelten konnte. Sein mili tärisch kurz geschnittenes und in der Mitte gescheiteltes Haar, das sich auf der hohen Stirn widerspenstig ein wenig kräuselte, um gab einen kleinen, aristokratisch schmalen Kopf; der sehr ge pflegte, ebenfalls in der Mitte getheilte braune Bart, der in zwei langen Spitzen auf seine Brust hinabhing, rahmte ein etwas bleiches Gesicht mit weichen Zügen ein, dem indeß eine sehr lange, fein geschwungene Nase Charakter gab. Harald war, als habe er den Herrn schon irgendwo gesehen, doch konnte er sich durch aus nicht erinnern, bei welcher Gelegenheit daS gewesen, da er niemals bisher mit Orsterreichern in Berührung gekommen war. Ein solcher war der Herr, das horte er aus den wenigen Worten, di« dieser mit dem Kellner wechselte, und der allerbesten Gesell schaft, wahrscheinlich der hohen Aristokratie gehörte er an, daS stand fest. E« war eine unnachahmliche Vornehmheit in seiner Erscheinung und seinem Benehmen, die Harald daS angenehme Gefühl gab, unter seines Gleichen zu sein. Da er der Jüngere war, hielt er es nicht für schicklich, den Herrn, der schweigend fein Mahl verzehrte, anzureden, und er hob sich vor diesem, der noch speiste, mit der übrigen Gesellschaft von der Tafel, um lm Garten den Kaffee zu trinken. Hier saß er lm Schatten eines Lorbeergebüsche», das Fremdenbuch deS Hotels studirend, al» er plötzlich seinen Tischnachbarn vor sich sah. Er sprang auf, zog einen Stuhl heran und bot ihn dem Fremden an. „Danke sehr!" saate der, die Taffe auf den Tisch stellend, und auf den Folianten, der dyrf aufgeschlagen lag, deutend, fragte er: „Lauter Norddeutsch«, nicht wahr? Ja, auch auf die Weis' erobern Sie die Welt! Wir Oesterreicher sind immer langsam voran, bleiben still zu Hau» und rühren uns nicht." Er sprach in seinem österreichischen Dialect mit einer so melo diösen Stimme, daß Harald unwillkürlich der Gedanke kam, der Herr müsse wundervoll singen. „Erlauben Sie, daß ich mich Ihnen, norddeutscher Sitte ge mäß, erst vorstelle", sagte er statt aller Antwort; und er nannte seinen Namen, indem er, die Ellenbogen nach außen drehend und die Hacken zusammenschlagend, sich nach der Vorschrift der neuesten Mode verbeugte. „Wildau", entgegnete der Andere einfach. Harald gelang es kaum, seine Verblüffung zu verbergen. Er hatte sich mindestens auf einen Grafen gefaßt gemacht; und daß er das „von" nur überhört hatte, davon blieb er auch jetzt noch überzeugt. Man versteht bei der Vorstellung die Namen ja selten richtig. „Ja, daß Sie Norddeutscher sind", nahm Wildau das Wort, nachdem er sich gesetzt hatte, „das sieht man Ihnen an der Nasenspitz' an. Sie haben so a' Schneid', a Dressur, zu der wir's nimmer bringen." Harald lachte geschmeichelt. Der Herr gefiel ihm außer ordentlich. Das Gespräch drehte sich dann um die Reise, um Kairo und die Nilfahrt, die Beide zu machen beabsichtigten. Wildau war auch erst seit zwei Tagen hier, mit einem Schiff des österreichi schen Lloyd von Triest gekommen, hatte sich aber sofort den brieflich bei Stangen bestellten Platz für das Nilboot gesichert, da großer Andrang herrsche. „Ich gehe mit einem Gazeschiff am Sonnabend früh", erzählte er. „Eine Woche genügt mir jetzt für Kairo, nach der Niltour bleib' ich dann wieder acht Tage, hab' im Ganzen nur sechs Wochen Zeit." „Sie reisen nicht mit Cook?" fragte Sperber. „Das ist doch die erste und vornehmste Gesellschaft." „Die sechste Großmacht heißt sie im Orient", erwiderte Wildau lächelnd. „Gerade aus Opposition mag ich mich dem Cook nicht verkaufen. Es paßt mir auch nicht, daß die Reisenden so heerdenwei« in die Tempel getrieben werden. Wie ist'» denn mit Ihnen? Haben Sie schon einen Platz bestellt?" Harald entgegnete, daß er daran noch gar nicht gedacht hab«. Er hätte nicht geahnt, daß der Andrang so groß sei. „Schade, daß sie nicht mit mir reisen können", meinte der Andere. „Fragen Sie doch mal im Bureau von Henri Gaze L Son — eS ist Shepheard'S Hotel gegenüber unter den Colon- naden — ob nicht zufällig noch ein Platz auf der .Elefantin«" zu nächstem Sonnabend zu haben ist." Eine Stunde später machten sich die Herren gemeinsam auf den Weg, um die Khalifengräber zu besuchen. Unter Scherz und Lachen bestiegen sie zwei der an der Hotelthür bereitstehenden Esel, und Harald, dem es als früherem Dragoner etwas gegen die Ehre ging, einen Esel zu reiten, erkannte bald freudig an, daß zwischen dem flinken, lustig galoppirenden Grauthier, das er bestiegen, und dessen deutschen Brüdern ein bedeutender Unter schied bestehe. Der Eseljunge, der hinterher trabte und kaum zu folgen vermochte, lachte übers ganze Gesicht vor Stolz über die Leistung seines Thieres. „Oooä ltonke^, molto prv8to — trös vite!" rief er keuchend, den Hals des Thieres klopfend, als er die beiden Herren, die am Ende der die Muski in gerader Richtung nach Osten fort setzenden Rue neuve warteten, eingeholt hatte. „Wie heißt der Esel?" fragte Harald, der an dem netten Thier, das den schlechten Ruf, in dem seine Stammesgenossen daheim standen, so wenig verdiente, Gefallen fand. „V^dLt's tdo uLws ok tds ckoußox?" dolmetschte Wildau. „Bismarck!" antwortete der Junge schnell: „Gut Bismarck! Ick lernen deitsch! Sprecken mit deitsche Herren!" Harald brach in ein herzliches Gelächter aus, in das Wildau einstimmte. Daß auf den Namen des deutschen Nationalheldin hier die Esel getauft wurden, war doch gar zu komisch. Durch die ihm unverständliche Heiterkeit der Herren er- muthigt, begann der Knabe nun, da es langsamer durch das Stadtthor und auf sehr staubigem Wege weiter ging, Harald zu unterhalten. In einem Kauderwelsch, das aus vier Sprachen ge mischt war, schwatzte er unaufhörlich und wußte sich ganz gut verständlich zu machen. Es war ein aufgeweckter Bursche mit lebhaften Augen und blitzenden weißen Zähnen, der auf alle Fragen, die an ihn gestellt wurden, eine Antwort wußte und Harald sehr belustigte. Unmittelbar hinter der Stadtmauer hatte sich eine felsige Straße aufgethan, die an einem arabischen Friedhof vorbei zwischen gelben, steil ansteigenden Hügeln in ein einsames Wüstenthal hineinführte. Der Contrast war merkwürdig. Eben noch die laute, lärmende Stadt, wenige Minuten später die Welt- obgeschiedrnheit diese» Kirchhofs. Zwischen kleinen arabischen Häusern, in denen die Wächter der Gräber und deren Familien lebten, erhoben sich die stolzen Kuppelbauten, welche dir irdischen Reste der Khalifen bergen. Nachdem sie die edlen Grab-Moscheen der Sultane Kaid Bey und Barkuk besucht hatten, ritten sie auf die einsamen Berge zu, die sich zwischen das Thal und die Stadt schoben und die bei den Europäern von der Napoleonischen Zeit her, wo hier Windmühlen errichtet worden warm, den Namen „Windmllhlenhügel" kphalten hatten. Auf der Höhe des Bergkamme», den sie erstiegen, bot sich den Herren eine wunderbare Aussicht. Zu ihren Füßen dehnte sich endlos die glänzende Stadt mit ihren Kuppeln und vier hundert Minaretten, die wie Nadeln spitz in die Lüfte stiegen; jenseits erschien ein grüner Streifen, der den Lauf des Nils be zeichnete, und dahinter ein grauer, sich in den Horizont verlieren der: die Wüste. An deren Rande erhoben sich fern und klein die Dreiecke der Pyramiden, verschwimmend im Lichte der Sonne, die glühend roth sich neben ihnen zum Untergange senkte. Nun wandte Harald den Blick rückwärts. Da lag er zur Rechten, der phantastische Todtenacker, dessen vergoldete Kuppeln in der Sonne blitzten, links aber und vor ihm dehnte sich weit, uner meßlich, die gelbe Wüste, auf die der Berg und die Minarette lange dunkle Schatten warfen. Vergoldet von der Abendsonne schimmerte der gelbe Sand wie flüssiges Gold. In der Ferne auf einem Esel, der von einem Manne geführt ward, ritt ein schwarze Gestalt in die große Einsamkeit hinaus, di« Feierlichkeit der Scene erhöhend. Maria und Joseph! dachte Harald. Das war das Morgenland, wie er es geträumt hatte. Langsam sank die Sonne hinab, eine lichte Klarheit am Horizonte zurücklassend, die sich wie ein Heiligenschein um die wunderbare Stadt legte. Grau und kalt aber breitete sich die Wüste aus. Es war, als sei sie gestorben Ein kühler Hauch wehte von Norden her; die wilden Hunde, die in den einsamen Bergen hausten und wie Schatten dicht bei den Herren vorüberjagten, ließen ihr unheimliches Geheul er tönen. Verstummt, ganz dem Eindruck der wunderbaren Stunde hingegeben, eilte Harald den Berg hinunter, bestieg sein Thier und ritt mit Wildau auf näherem Wege heimwärts. In der Stadt waren schon die Lichter angesteckt. Die Dunkelheit war plötzlich hereingebrochen. Die Treiber führten ihre Schutz befohlenen durch das arabische Viertel, ein Gewirr von Gaffen und Gäßchen, eine verrufene Gegend, in di« der Europäer sich nicht allein hineinwagt. Aus erleuchteten, nach der Straße ge öffneten Hütten schallte wüster Lärm, unverschleierte Mädchen tanzten, wilde Gestalten hockten und kauerten am Boden und riefen dir Fremden in unverständlichen knarrenden Lauten an. Und dann empfing sie der europäische Lomfort deS hell strahlenden Hotels, in dem eine elegante Gesellschaft sich zum Mittagsmahl versammelte. Welch' ein Contrast! o * » Wie vorauszusehen gewesen, ward Harald in Gaze's Bureau, wohin er sich am nächsten Vormittag verfügt«, abgewiesen. Die Plätze zu dem Sonnabendschiff seien längst vergeben, hieß es; auch für die übrigen in diesem Monat abgehenden Dampfer sek
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