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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.12.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-12-05
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981205024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898120502
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898120502
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1898
-
Monat
1898-12
- Tag 1898-12-05
-
Monat
1898-12
-
Jahr
1898
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NnzeigeN'PreiS die 6 gespaltene Periizeile 20 W) Reclamen unter dem Redactionsstrich (4ae* spalten) LO^z, vor den Familiennachrichtea (6 gespalten) 40 Größere Schriften laut unserem Preis« verzrichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nnr mit der Morgen »Ausgabe, ohne Postbefvrderunx 60.—, mit Postbesördrrung ^l 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Ab end.Ausgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein, halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet« an die Expedition , zu richten. Druck und Verlag von E. Pols, in Leipzig, Montag den 5. December 1898. 82. Jahrgang. ZUM Zusammentritt des Reichstags. K Morgen beginnt mit der erstmaligen Versammlung de» am 18. Juni d. I. neugewählten Reichstags die zehnte Legislatur periode de» deutschen Reiches. Sie ist zugleich die erste, die einer fünfjährigen Legislaturperiode folgt. Man kann nicht sagen, daß die Nation dem Ereigniß mit Spannung entgegensetze, und ihre geringe Antheilnahme darf auch nicht mit dem Umstande erklärt werden, daß der Zusammentritt vorläufig nur für wenige Tage stattfindet, sozusagen zu einer Prunksession, bei der der feierliche Eröffnungsact Selbstzweck ist. DaS einzige Mal, wo die Einberufung nahezu so spät ersolgle, wie jetzt, im Jahre 1894, war die Verzögerung verursacht durch einen Kanzlerwechsel: Graf Caprivi hatte im Spätherbst dem Fürsten Hohenlohe Platz gemacht und „die Menschen hofften und dachten". Heute denken sich die Menschen, die sich überhaupt ein ernstes Interesse für die Politik bewahrt haben, nur noch volksthüinlich gesprochen: „ihren Theil", und die Hoffnung ist nur noch bei Denen anzutreffen, deren Pläne von Störungen in der Entwickelung des jungen Reiches be günstigt werden. Es ist zunächst die Zusammensetzung des Reichstags selbst, die Resignation einflößt. Aus erbitterten Wahlkämpfen ist ein Parlament hervorgegangen, das sich von seinem übel beleumundeten Vorgänger so gut wie gar nicht unterscheidet. Eine verhältnißmäßig nicht unerheblicheStärkeverminderung, die der unfruchtbare Antisemitismus und die polnische Fraktion erlitten haben, wird mehr als ausgeglichen durch das An wachsen der Socialdemokratie von 48 auf 56 Abgeordnete, eine Vermehrung der wölfischen Sitze um 2 und des ultra montanen Besitzes um 6 Mandate. DaS Centrum ist nach wie vor die ausschlaggebende, die „regierende" Partei, während der Gesammtbestand der ehemaligen Cartellparteien eine Ver ringerung erfahren hat. Unter den letzteren haben nament lich die Nationalliberalen durch freiwilliges Ausscheiden aus dem öffentlichen Leben außer Herrn v. Bennigsen hervor ragende Männer wie Hammacher, Osann, den Veteranen v. Benda und durch den Tod den Erlanger Marquardsen verloren. Dieser Einbuße stehen in den Herren Sattler, Möller und Büsing bewährte Kräfte gegenüber, die dem Reichstage, dessen Mitglieder sie in früheren Legislaturperioden, nicht aber in der letzten gewesen waren, wieder gewonnen sind. Ob sich unter den zahlreichen neuen Männern der nationalliberalen, wie der anderen Fraktionen parlamentarische Capacitäten befinden, muß erst die Zu kunft lehren. Ist die innere Lage durch die ReichstagSwahlen unberührt geblieben, so hat sie durch die im Jahre 1894 und später erfolgten Aenderungen in der Zusammensetzung der Re gierung erst recht kein anderes Aussehen erlangt. Freiherr v. Marschall, Herr v. Bötticher, der Kriegsminister Bronsart v. Schellenvorf sind nebst Anderen ausgeschieden, aber jeder Personenwechsel hat nur gezeigt, daß die Namen der nach VerfassungSreckt und politischem Bedürfniß verantwortlichen Beamten, sowie der Stellvertreter verant wortlicher Beamten . gleichgiltig sind. Ob Caprivi oder Hohenlohe, ob Bötticher oder Posadowsky, es wird nach dem Alles beherrschenden System verfahren, das auf dem Worte Kaiser Wilhelm'- II. basirt: „Mein CurS ist der richtige und er wird weiter gesteuert". Daß dieser Curs viel häufiger wechselt, als daS Steuerpersonal, das ihn mit einem Namen zu decken hat, beleuchtet unsere RegierungSzustände aufs Hellste und erklärt auch das Fehlen der Genugthuung darüber, daß der Reichstag diesmal ausnahmsweise nicht während oder unmittelbar nach dem Abschluß einer „NegierungS"-Krisis zusammentritt. Wenn man sich im Lande darauf eingerichtet hat, den NeichStagSberathungen mit einem Minimum deS einstmals so großen Interesses zu folgen, so darf das seine Mitglieder nicht Wunder nehmen. Niemals bat die Eigenart eines Regiments ein tüchtiges und tapferes Parlament nöthiger gemacht, als heute, und niemals bat der Reichstag diese Eigenschaften in dem Maße vermissen lassen, wie m den letzten acht Jahren. Die materielle Bedeutung des GesetzgebungSstosfes, mit dem er sich zu befassen hat, wiegt dieses Grund gebrechen nicht auf. Jener Stoff wird auch in der künftigen Tagung reich und wichtig sein. ES lohnt sich in diesem Augen blicke nicht, die in Aussicht gestellten Gesetzentwürfe noch ein mal aufznzäblen, und wir wollen nur an diejenigen erinnern, die geeignet sind, das Verhältniß der Parteien zu einander und zur Regierung zu beeinflussen. Dahin gehört die Reform deS Invaliden- und Altersversicherungsgesetzes trotz ihrer Tragweite unseres Erachtens nicht. Sie wird außer der Ueberwindung großer technischer Schwierigkeiten die Ausgleichung territorialer Interessengegensätze, die mit parteipolitischen Gegensätzen nicht zusammenfallen, sich zur Ausgabe machen. Dagegen birgt die Angelegenheit der Militairvorlage die Möglichkeit, wenn auch nicht die Wahrscheinlichkeit von Conflicten. Eine sichere nationale Mehrheit, so sagt die „Kreuzzeitung" mit Grund, existirt nicht. Die Regierung ist auf das von patriotischer Schwäche unangekränkelt gebliebene Ccntrum an gewiesen, das in Preußen ungemessene Lohnansprüche für im Reiche geleistete Arbeit stellt und seinerseits vermuthlich erst eine von den bayerischen Mitgliedern heraufbeschworene innere Krisis durchgemacht haben muß, bevor es zur Be willigung der Heeresforderungen gelangen kann. Auch der nothwendige Beschluß über den Reichsmilitair- gerichtshof wird Bayern und Nichtbayern in der klerikalen Partei trennen, dagegen dürften ihr agrarische Ausschreitungen in den eigenen Reihen auch künftighin kaum ernste Unaelegenheiten bereiten. Die Bedeutung der Industrie, auch für die Landwirt!)- schäft, im größten Theile deS vom Centrum beherrschten Reichsgebietes schützt er vor dem Hervortrelen der agrarischen Einseitigkeit, die den Conservativen manche böse Stunde bereiten und ihren Charakter als positive Partei auf die Probe stellen wird. Sie sind erst neuerdings von Herrn I)r. Hahn bedroht worden, Herr von Wangenbein« ist als einer der Ihrigen gewählt und in dem vstpreußischen Grafen von Klinkvwström ist ihnen ein Fractionsmitglied beigesellt oder zugefügt worden, daS im preußischen Herrenhause und in seiner Heimath als ein agrarischer Hauptagitator sich hervorgethan hat. Die „Initiative" der Leiter deS Bundes der Landwirthe und das zu erwartende Gesetz über die Verlängerung des Reichsbankprivilegs können bei zu weit gehender Nachgiebigkeit der Conservativen gegen ihre extrem-agrarischen und antisemitischen Dränger zu einer Entfremdung von den Nationalliberalen führen, die im Inter esse der Reichspolitik zu beklagen wäre. Hinsichtlich der Reichsbank ist allerdings das noch bei den letzten Wahlen, ins besondere auch hier in Leipzig, in den Vordergrund getriebene Verlangen der Errichtung einer reinen Staatsanstalt aus der öffentlichen Erörterung fast ganz geschwunden und in Bezug auf die Ursachen deS gegenwärtigen hoben BankdiS- conts hat auch die konservative Presse sehr verständige Ansichten geäußert. Allein in dieser Frage wie auch gegenüber anderen Abenteuern ist ein Rückfall nicht ausgeschlossen. Ferner bildet die Wahrscheinlichkeit, daß Preußen von dem Verbot der Verbindung der politischen Vereine untereinander nicht anders als auf dem Wege der Neichsgesetzzebung ohne die Bezahlung eines unerschwinglichen Preises wird loSkommen önnen, die Keime zu weiteren Kämpfen mit der liberalen Mittelpartei. Und die gleiche Gefahr könnte emporwachsen aus einem Versuche, in Gemeinschaft mit dem Centrum die sogenannte lox Heintze zu einem literarisch-künstlerischen Zwing-Uri auszubilden, sowie aus dem etwaigen Bestreben, daS Bedürfniß nach einem besseren Schutz der Arbeits willigen parteipolitisch — durch Selbstrecommandirung nach oben — auszubeuten. Bei sachlicher Behandlung kann die letztgenannte Materie Schwierigkeiten nicht bereiten. Gerade der Centrumspresse hat man in neuester Zeit die Kennt- niß ungeheuerlichster Bedrückung von Arbeitern durch die Socialdemokratie zu verdanken gehabt. Die Herrschaft der Generale der Partei, die politisch, und die Gewinnsucht von Unterossicieren, die pekuniär von Streiks profitiren, haben zu Zuständen auf dem Arbeitsmarkte geführt, deren Unerträglichkeit eine große Mehrheit im Reichstag anerkennen wird. Die, wie wir berichtet, von einem Dresdener Blatt erörterten Fälle von Arbeitsstörungen zeigen. Laß die „Partei der Befreiung deS Proletariats" bereits bei Maßregeln angelegt ist, die dem früheren Paßzwang ähneln, aber viel härter wirken als dieser. Wer sich bei den Gegnern der Arbeitsbücher nicht schriftlich über seine Zugehörigkeit zur Socialdemokratie ausweisen kann, wird am Erwerb für Weib und Kinder verhindert. Das Centrum wird nicht umhin können, hier Wandel schaffen zu helfen. Seine innere Verwandtschaft mit der Socialdemokratie, die sich bei den Wahlen in Baden auch äußerlich wieder wirksam gezeigt hat, wird ihm den Ent schluß freilich ebenso erschweren, wie die Nothwendigkeit, sich in der Frage des Arbeitsschutzes auch vom „LinkS- liberalismuS" zu trennen. WaS von diesem zu erwarten ist, hat die Haltung seiner Presse gegenüber den Ausweisungen und der Militairvorlage deutlich gezeigt. Doch bedeutet er nichts ohne das Centrum. Dem Schutz der Arbeitswilligen droht unseres Erachtens nur eine Gefahr. Sie liegt in den noch nicht geglückten, aber offenbar auch nicht abgeschlossenen preußischen Versuchen, eine, wenn auch vielleicht praktisch werthlose, Bestimmung zu finden, die der Oeynhausener Rede eine nachträgliche Unterlage giebt. Eö steht aber fest, daß eine Zuchthaus-Vorlage keine Mehrheit findet. Jene kaiserliche Kundgebung wird am Ende keinen andern Erfolg erzielt haben, als Laß zahllosen Arbeitern, die unter socialdemokratischen Einflüssen stehen, ohne Social demokraten zu sein, die Vorstellung erweckt ist und bleibt, eine ihnen zugedachte Wohlthat sei Plage. Wir hegen jedoch nicht mehr die Erwartung, daß der politische Zustand, der das Entstehen solcher Jrrthümer ermöglicht, im Reichstage von patriotischer Seite zum Gegenstände einer Klage werde gemacht werden. Die reichstreuen Parteien werden sich auf den zu erwartenden Ton der Thronrede stimmen lassen und da mit ihren weiteren Rückgang vorbereiten. Politische Tagesschau. * Leipzig, 5. December. Der Alarmruf der „Freisinnigen Zeitung" über die in Aussicht stehende Militairvorlage erinnert stark an die Art, wie Herr Eugen Richter den Oppositionsfeldzug gegen die Heeresvorlage von 1893 führte. Jener mit einem starke» Aufwande von großen Worten inscenirte Feld zug führte bekanntlich bei dem Appell an daS deutsche Volk zur Annahme der Heeresvorlage und zur Zer sprengung der freisinnige» Partei. Nur in einem Puncte weicht die Sachbehandlung jetzt von der damaligen wesentlich ab. Während Herr Eugen Richter damals sehr stark mit der Behauptung einer unerschwinglichen Erhöhung der Steuer last arbeitete und sich zu diesem Ende in jenen, auS dem Commissionsberichte über die Heeresvorlage sattsam be kannten schwarzgalligen Prophezeiungen erging, welche die tatsächliche Entwickelung der Reicbssinanzen sämmtlich Lügen gestraft hat, wagt selbst die „Freisinnige Zeitung" jetzt nicht das Gespenst einer drohenden Steuererhöhung herauszu beschwören. Es ist eben sonnenklar, daß die jetzigen Reichs einnahmen zur Deckung der Mehrausgaben in Folge der Heeresergänzung mehr als ausreichen. An Stelle der Donnertöne von einer drohenden Erhöhung der Steuerlast tritt daher die bewegliche Klage, daß wieder alle verfügbaren Mittel für Militairzwecke in Anspruch genommen würden. Dem gegenüber stellen die „Berl. Polit. Nachr." Folgen des fest: Es handelt sich im Ganzen um eine Vermehrung der dauernden Ausgaben um etwas über 27 Millionen Mark, welche sich noch dazu aus fünf Jahre vertheilt. Ter Reichshaushaltsetat sür das laufende Jahr sieht nahezu Milliarden an dauernden Ausgaben vor. Durch die Militairvorlage wird also nur eine Erhöhung von etwa 2 Procent bewirkt und zwar voll erst in fünf Jahren. Während des lausenden militairischen Quinquennats sind aber die Lauernden Ausgaben um mehr als 134 Millionen Mark, also rund um fünf Mal mehr ge stiegen, als die Mehrausgabe nach der jetzigen Militairvorlage be tragen soll. In der Zeit von 1893,94 bis 1896 97 sind dagegen die Einnahmen ans Zöllen und Verbrauchssteuern von rund 607 auf 731 Millionen Mark gestiegen, d. h. in vier Jahren um 124 Millionen Mark oder nm über 20 Procent. Auch im lausenden Reichshaushaltsetat hat eine weitere Vermehrung der Einnahmen aus Zöllen und Verbrauchssteuern von rund 48 Millionen vorgesehen werden können und sür 1899 ist eine weitere Erhöhung des Etatssolls um 40 Millionen Mark in Aussicht genommen. In den ersten sieben Monaten des laufenden Jahres haben dazu noch die wirklichen Einnahmen sowohl die des Vorjahres, wie den Etatsansatz sehr erheblich überstiegen, und zwar die ersteren um 35,9 Millionen, den letzteren um über 26 Millionen Mark. Die Erhöhung des Ordinariums des MilitairetatS um 27 Millionen Mark fällt daher bei der andauernden günstigen Entwickelung der Neichssinanzen nicht ins Gewicht und giebt zu Bedenken nicht den mindesten Anlaß. Der Missbrauch der Tribüne -cs Reichstags durch Sie ToeialScmokratie hat während der verflossenen Legislatur periode oft zu Klagen geführt; die „Conservat. Corr." be fürchtet nun, daß im neuen Reichstage die socialdemokratischen Redner noch mehr „Flugschriften reden" und „Sensations- FaurHets«. Die Lettelmaid. 2lj Roman von Fitzgerald Molloy. Nachdruck verboten. „Ja, diese Erfolge evmuthigen uns, für eine so würdige Sache zu arbeiten." „Wie edel von Ihnen!" „Finden Sie nicht auch, meine Damen, daß die Gesellschaft heute sehr gemischt ist? — Ich habe gehört, daß sogar Sarah Bernhardt erwartet wird." „Das haben wir ebenfalls vernommen. Mrs. Stonex ist die Schutzpatronin aller Künste und ihrer Jünger." „Es fällt mir schwer, diesen Leuten freundlich zu begegnen", seufzte Lady Gabriel, „aber man ist es der Hausfrau schuldig. — Vorstellen lasse ich mich natürlich nicht. Uebrigens will ich heute einen oder den anderen dieser Künstler auffordern, b^ meinem Concert, das ich zum Besten der Veredelung der Droschken kutscher in meinem Hause demnächst veranstalte, mitzuwirken." „Ihre philanthropischen Bemühungen sind wirklich be- wundernswerth", rief Baronin Jrumage. „Bewundernswerth!" wiederholte Lady Everfair. Lady Gabriel lächelte und schritt erhobenen Hauptes weiter, um nach einem Künstler für ihr Concert zu fahnden. „Ein merkwürdiges Weib!" fuhr Lady Everfair fort, nach dem ihre Freundin außer Hörweite war. „Wie sie eS angestellt hat, nach jener Scandalgeschichte wieder in die gute Gesellschaft ausgenommen zu werden, ist mir räthselhaft." „Es ist besser, solche Räthsel nicht zu enthüllen." „Ich wundere mich nur, daß sie uns nicht gleich aufgeforderi hat, zum KohlenvertheilungSfonds des Bischofs von M. beizu- tragen. Der heilige Vater ist ihr bester Freund und erklärt, daß noch keinem Weibe solches Unrecht zugefügt worden ist wie ihr." „Er wird wohl wissen, weshalb er ihre Partei ergreift! Ah, da kommt Lady Ariadne und Mr. Mesmer. Haben Sie im vergangenen Jahre ihr reizendes Portrast in der Grosvenor ge- sehen?" „Ja, aber ich fand es zu geschmeichelt. Wie aufmerksam Mr. Mesmer ist!" „Als Dichter darf er sich schon etwa» erlauben." „Ja, ja, wir leben in einem Zeitalter der Unfittlichkeit und Freiheit!" Plötzlich entstand ein allgemeines Geflüster in dem Salon, lller Blicke richteten sich au!f die Thüre, man erwartete augen- cheinlich irgend eine hervorragende Persönlichkeit. „Wer kann es sein?" fragte Lady Everfair und setzte ihr goldgefaßtes Glas auf die Nase. „Vielleicht Sarah Bernhardt!" „Unmöglich; denn um diese Zeit spielt sie noch." „Dann wird es am Ende gar Vater Ignatius sein! Wie ich gehört habe, weilt er jetzt in London, und ich glaube bestimmt, daß Mrs. Stonex ihn eingeladen hat." „Ob er in der Kutte und in Sandalen erscheinen wird? Das muß sich höchst drollig ausnehmen." „Man sagt, daß er wundervoll singe, vielleicht bekommen wir ihn heute zu hören." Es war aber weder die berühmte Schauspielerin, noch der Mönch, sondern nur Mrs. W. Achilles Lordson in einem weißen Sammetkleid, reich mit Rubinen besetzt. Ihr auf dem Fuße folgte Capri in einem crsmefarbigen griechischen Costüm und zuletzt Newton Marrix. „Himmel, wer mag das sein?" rief Baronin Frumage. „Wie entsetzlich plump ihre Schultern sind!" „Und wie kostbar die Rubinen!" Beide starrten der Amerikanerin nach, während diese gravi tätisch daS Zimmer durchschritt, um zu Mrs. Stonex zu ge langen. „Ist das nicht Newton Marrix?" fragte Lady Everfair. „Ja, wir wollen ihn herwinken, er soll uns sagen, wer die große Dame ist", meinte Baronin Frumage. „Mr. Marrix, bitte, auf ein Wort — Nicht wahr, es wird hier heiß? — Eine vornehme Gesellschaft heute, — aber sagen Sie uns auch gefälligst, wer die große, plumpe Dame ist, mit der Sie kamen?" „Die große plumpe Dame?" wiederholte dieser erstaunt und sah absichtlich auf die entgegengesetzte Seite. Es machte ihm Spaß, die schlimmste aller Klatschbasen auf die Folter zu spannen. „Nicht auf dieser Seite", rief die Baronin. „Blicken Si< gerade vor sich hin, die mit den blitzenden Rubinen." „Ach so! Sie meinen meine Freundin, Mrs. Lordson?" „Ihre Freundin?" „Ja, sine steinreiche Amerikanerin." „Wie geschmackvoll sie sich zu kleiden versteht. — DaS Mäd chen in dem griechischen Gewand ist wohl ihre Tochter — ein entzückendes Geschöpfchen!" „Nein, das ist Miß DankerS." „Miß Dankers? DaS Original der Bettelmaid?* „Ja." „Mein Gott, wie interessant! Ich war schon so lange be gierig, sie von Angesicht zu Angesicht zu sehen, denn man erzählt sich Wunder von ihrer Schönheit!" „Und das mit Recht", entgegnete er trocken. „Wie viele Menschen Sie doch kennen!" rief Lady Everfair. „Unsereiner wird es so schwer, die Berühmtheiten in Mrs. Stonex' Salon herauszufinden. Sie sollte ihnen Karten mit Rang und Namen an den Jrackschoß heften, oder sie numeriren und Kataloge drucken lassen, damit man weiß, mit wem man es eigentlich zu thun hat." „Das wäre wohl sehr bequem, aber unnöthig, da man die Künstler, die hier verkehren, in ganz Europa kennt", entgegnete der Schriftsteller boshaft. „Wer ist der schlanke Mann dort, der die koreanische Vase bewundert?" fragte Lady Everfair, die Anzüglichkeit über hörend. „Crange, der Musikkritiker des N.-Journals; der Aermste ist stocktaub." „Wirklich? Und die kleine Dame mit den Adleraugen?" „Miß Rampage, eine geistvolle Schriftstellerin; die Verlobte eines gutmüthigen, aber einfältigen Jünglings. Sein Jahres einkommen von 200 Pfund wiegt reichlich das bischen Verstand auf, welches er haben könnte." — „Ein amüsanter, junger Mensch!" meinte Baronin Frumage, nachdem Newton sich entfernt, um sich seiner Gesellschaft wieder anzuschließen. Guy Rutherford bemühte sich, die Amerikanerin zu unter halten, während Lord Harrick mit Capri plauderte. „Mr. Newton", rief die Erstere, als er sich ihnen genähert, „gestatten Sie, daß ich Ihnen Mr. Guy Rutherford vorstelle. Der Herr hat Jahre lang im Auslande gelebt, und wir tauschen gerade unsere Ansichten aus"; dabei fächelte sie sich selbstbewußt mit ihrem rubinenbesetzten Fächer. Guy Rutherford blickte Newton scharf ins Gesicht, lächelte und verbeugte sich. „Mr. Marrix ist ein Schriftsteller, dessen Name Ihnen wohl bekannt sein dürfte", fuhr Mrs. Lordson fort. „Da ich so lange im Auslande gelebt, werden Sie mir ver zeihen, wenn ich gestehe, daß er mir vollständig fremd ist", sagte Guy entschuldigend. „Bleiben Sie jetzt in England?" versuchte Newton das Ge spräch in andere Bahn zu lenken, denn er liebte eS nicht, über seine Person zu sprechen. „Nein; ich reise schon Sonnabend nach Belgien und der Himmel mag wissen — wenn er sich überhaupt für so um bedeutende Dinge interessirt — wo ich mich nachher umhertreiben werde. Ich hatte die Absicht, eine Zeit lang in der Heimath zu bleiben, aber ich finde, daß die conventionelle Atmosphäre für mich unerträglich ist, ich muß Freiheit athmen", entgegnete er, freundlich lächelnd, was auch Mrs. Lordson that, trotzdem sie ihn nicht ganz verstand. „Ich beneide Sie um Ihre ungebundene Freiheit", bemerkte Newton feurig. „Warum?" „Wenn man seiner jeweiligen Laune folgen kann, erwarten Einen" „Enttäuschungen jeder Art", vollendete Guy bitter. „Doch nicht immer?" „Fast immer. Ich habe mich daran gewöhnt, keine Ver gnügungen und Genüsse zu erwarten, sondern meine Zukunft dem Zufall oder Geschick — nennen Sie es, wie Sie wollen — zu überlassen. Ich habe keine Hoffnungen für die Zukunft und keine Wünsche für die Gegenwart, mein Leben hat keinen Inhalt und Zweck und ich wundere mich oft genug, wozu ich geboren worden bin", schloß er mit lächelnden Lippen. Der ernste Aus druck in seinen Augen verrieth jedoch seinen wahren Seelen zustand. Capri, die in der Nähe stand, hatte seine Worte gehört und blickte mit erwachendem Interesse zu ihm aüf. „Nicht wahr, mein Herr, jetzt beneiden Sie mich nicht mehr?" wandte er sich an Newton. „Vielleicht doch; denn mein eigenes Loos ist nicht so rosig, daß ich nicht Jemanden beneiden sollte, der thun und lassen kann, was er mag. — Ich muß, ob ich will oder nicht, ganze Ballen von Papier vollschmieren." „Ein wunderbarer Beruf." „Und Hundert von Marionetten schaffen, die ich zu kleiden und in die ihnen bestimmte Stellung zu bringen habe, damit sie, wenn ich den Faden ziehe, sich ineinander verlieben oder sich er morden, sich gegenseitig belügen und betrügen, wie es die Marionetten auf der Bühne des Lebens machen." „Wie wunderbar muß es sein, Marionetten zu schaffen, die man seinem Willen unterordnen kann!" „Wunderbar!" rief auch MrS. Lordson. Ein berühmter Componist setzte sich gerade ans Clavier. Sofort verstummte das Geplauder im Salon, alle Blicke richteten sich gespannt auf ihn, während er mit einer fabelhaften Finger fertigkeit den Tasten Töne entlockte, denen die Versammlung mit angehaltenem Athem lauschte. Als er geendet, herrschte' eine
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