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WiidenUiid rrs»,i«en drei N»mm«rn. Prknumrrmien«- Prri« 22j Sqr. sj LdtrJ »»rtMitiMch, Z LKIr. für da« gan,c Jahr, , hnc Er- dödnna, in allen Ltnü-n ter 1>rrn«ischen Manaredie. Magazin für die Man rr»numm'rt auf tiefe« Litcrafur-BIait in Berlin in ter Erudition ter All«. Pr. TtauS.gcitnng färiedrickWr. Nr. 72); in tct Provinj f» wie im Au«lante tei den WodUöbt. Poji-Aemtern. Literatur des Auslandes. 143. Berlin, Freitag Böhme n. DaS älteste Slawische Evangelium.") Die Forschungen, welche man in neuester Zeit, besonders in Frankreich, vem Vedute der Slawischen Sprachen zugewcudet, wur den unlängst durch einen Gegenstand belohnt, welcher alle bisher bekannte Slawische Schristvenkmäler früherer Jahrhunderte an Werth und Alter übertrifft. In der Stadt-Bibliothek zu Rheims, in deren Schooß noch mancher gewichtiger literarischer Schah verborgen, wurde nämlich ein Evangelium in Slawischer Schritt und Sprache aufgefunven, welches schon vor länger a>S dreihundert Jahren ein Gegenstand des Forschens und der Beurtheilung großer Männer gewesen, aber seit fast einem Halden Jahrhundert ganz verschwunden zu scpn schien. Schon in grauer Vorzeit hatte sich die später von vielen Rei senden bestätigte Mittheilung über eine Merkwürdigkeit dieser be rühmten Krönungsstadt, so wie auf andere fremde Länder, auch auf uns verpflanzt, daß von Anbeginn (t), wahrscheinlicher aber erst lange nach dem Entstehen der Französischen Monarchie, die aller- christlichsten Könige bei ihrer Salbung und Krönung i» Rheim» den Schwur aut ein Evangelium leisteten, welches in einer völlig un bekannten Schrift und Sprache geschrieben und verfaßt war, und welche» gewöhnlich: „Io texie stu Ern" genannt wurde. — DaS Buch Halle einen sehr kostbaren Emband. Die Ecken und der Rücken desselben waren mit zierlich gearbeiteten Goldplatten belegt nnd reich mit Edelsteinen besetzt. Heilige Reliquien, welche geschmackvoll auf den geblümten sammetnen Schalen angebracht waren, gaben dem Buche besonder» einen hohen Werth, und so wurde denn dasselbe al» ein wichtiger Schatz unter den Reich»-Kleinodien anfbewahrt. So sonderbar c» übrige»» auch erscheinen mag, daß gerade ein Buch, über dessen Inhalt Niemand mich nur den geringsten Aufschluß zu. geben vermochte, einem so hochwichtigen Zwecke mente, so war nnd blieb die Sache doch einmal so; und e» war sogar im Volke allgemein bekannt, daß der Kardinal von Lothringen dasselbe wichtige Buch an den heiligsten Festtagen, so wie bei feierlichen kirchlichen Aufzügen, in der größten Devotion neben dem Sanctissimum umher getragen habe. Uebec den Ursprung dieses merkwürdigen Buche», oder wie und zu welcher Zeit e» »ach Frankreich gekommen, darüber schwebte ein undurchdringliche» Dunkel. Der niederen Volksklasse erschien e» als eine auSgcmachle Sache, daß dasselbe direkt vom Himmel gefallen sep. In d>» gebildeteren Zirkeln dagegen wurde al» eine Sage darüber erzählt, daß e» ein Evangelium in Armenischer Mundart sep, welche» einst das Eigenthum de» heiligen Hieronymus gewesen und später irgend einem der Eapct», vielleicht von den Comnenen, znm Geschenk gemacht wurde. Mannigfache Versuche, welche lange Zeit von älteren Sprach forschern zur Entzifferung de» „heiligen TcrteS" vorgenommen wurde», blieben ohne allen Erfolg. Allein die Schwierigkeit, hinter das Gebeimniß zu kommen, war auch nicht gering; denn man konnte deutlich wahrnehmen, daß diese» seynsollende Evangelium nicht nur au» gänzlich fremden, sondern auch zwei verschiedenen Schrift- reichen bestand und keine von beiden eine Aehnlichkeit mit Griechi schem oder Orientalischem Alphabet hatte. Endlich erschöpft und ernrüvet in Muthmaßungen und Untersuchungen, ließ man die Sach: saft ein Jahrhundert lang auf sich beruhen, bi» im Jahre 1717 ein glütll'chcr Zufall dieselbe wieder ans Tageslicht zog und einer nähe rt» Erörterung unterwarf. In diesem Jahre verweilte nämlich der Zar Peter I., auf einer Reise durch Europa begriffe«, einige Tage in Rheim», woselbst auch ihm unter Anderem jene Krä.r.agS-Mrrkwürdigkeit vorgezeigt wurde. Nachdem der Kaiser den einen Theil des Buche» anfgeschlageu hatte, erklärte er soglM, ^i>ß derselbe in Cyryllischem Ali-Habel unv in alt,. i Slawischen Idiom geschrieben sep, worin übrigens in Ruß- lanv hr'.ssg-r Bücher, so wie die Meffalien, und zwar in sogenannter Kirchensprache — der eigentlichen alten Slawischen Sprache, mit den Schriftzeichen deS heiligen Cyryllu» — verfaßt sind. Allein den anderen Theil dieser heiligen Urkunde zu entziffern, vermochte er nicht. ') Nach einem arehäologllwen Aussw de» Svrackisorschcrs Hanka, tm »Bohmilchen Museum", Lem „Suuen»! »e NI»>lk«<!t>aa u. A e n 27. November 1840- -NIU So blieb die Sache unverändert liegen, bis siebzig Jahre später ein äbnlichcr Zufall, aber in umgekehrter Art, auch hier aushalf. Thoma» Ford Hill, ein reisender Engländer, kömmt im Jahre 1782 über Rheim», wo er den ,,i«!xio ü» E-eo" gesehen, nach Wien. Hier besichtigt er neben anderen wichtigen Merkwürdigkeiten auch die Kaiserliche Bibliothek und wird bei dieser Gelegenheit mit den beiden Bibliothekaren und Gelehrten Mer und Dnrich näher bekannt. Al» ihm nun mehrere Slawische Manuskripte in sogenannter Glagoliter- schnft vorgelcgt werden, deren Zeichen von dem Eyrpllischen Alphabet ganz verschiede» uno, »ach den Ergebnissen der neuesten Sprachfor schung Kopitar'», eine» bedeutend älteren Ursprung» als jene sind, da erkannte Hill sogleich diejenigen Schriftzüge wieder, welche er in dem bi» dahin noch nicht erklärten Theile de» „heiligen Tertes" gesehen. ES läßt sich aus diesen zufälligen Umständen abnehmen, wie wenig in jenen Zetten, selbst in dein westlichen gelehrten Europa, über die Slawische Literatur, ja daß sogar nicht einmal über ihre Schriftzeichen etwa» verlautet war, und cs allein dem Zufall über lassen blieb, erst nach Jahrhunderten auf die Erkenntniß eines so überaus wichtigen, bereits seit langer Zeit lautgewordenen Doku ment» zu gelangen Indessen, gleichsam dicker Fahrlässigkeit zur Rüge, sollte jene späte Entdeckung »ne dazu führen, den Verlust deS eben so seltenen als wichtigen Denkmal» bald desto schmerzlicher zu empfinden. In demselben Jahre brach bekanntlich die Französische Revo lution aus. — Wer kennt nicht jene kolossale Umgestaltung Frank reichs, welche mit gewaltigem Arm binnen kurzer Zeit alle Bande deS Gesetzes, der Ordnung und der Religion zerriß? Wer sollte nicht jene grauenvolle Umwälzung kenne», die, gleichsam mit blutiger Hand, die Fackel der Zwietracht und der Verheerung in den Schooß häuslichen Frieden» wie in des Tempel» stille Heiligkeit warf? — Alles, wa» Königlich oder christlich war, oder auch nur daran erinnerte, ward vertilgt. — Dasselbe Loos traf nun auch die König lichen Krönung»-Kleinodien in Rheim», und in der Kathedralkirche daselbst wurde Hinfort einer modernen Gottheit, der Vernunft, geopfert. ES konnte, bei solcher Verheerung alle» Heiligen, keinem Zweifel unterliegen, daß auch jene Slawische Urkunde der Vernichtung an- heimgefallcn. Nur ein einziger, freilich wenig ausreichender Nachlaß war davon übrig geblieben: nämlich cinc Französische Uebersetzung der ersten Seite de» CyryUischcn Theiles des Buche», welche, auf Veranlassung eine» Geistlichen in Rheims, der Secrctair eines Russischen Gesandten, dem das Dokument durch den Zar Peter I. bekannt geworden war, im Jahre 1720 angefertigt hatte. Doch al» nach Verlauf einiger Jahre der Sturm der ungezü gelten Leidenschaften sich gelegt hatte uno Sicherheit und Ruhe wie der zurückgekehrt waren, schrieb der Kaiserliche Bibliothekar Alter an den verstorbenen Orientalisten Silvestre de Saey und bat ihn» sich über die Vernichtung ovcr über die Möglichkeit Les noch Vor- handenscpnS jcucs heiligen TcrteS Gewißheit zu verschaffen. Allein alle Nachforschungen des Letzteren, das Evangelium wieder aufzu finden, blieben fruchtlos. Vielseitig wurde nun in der gelehrten Welt über die sprachlichen ynd historischen Erklärungen eines Dokuments gestritten, welche», nachdem man e» ein Jahrhundert lang und darüber hatte brach liegen lassen, nun ein neue» Feld der Sprachforschung hcrgcbcn sollte. Allein da» heilige Buch war und blieb verschollen, und man war daher in die Umnöglichkcit vcrsctzt, da» Behauptete thatsächlich a»S dcm Manuskripte zu bekcaftigen. Nach Eiüigcn war eS sogar nicht einmal ausgemacht, ob die Urkunde, welche nun zum literarische» Zankapfel geworden, wirklich aus zwei Theilen bestanden habe und in zwei verschiedenen Schriftzeichen geschrieben war. — Die» schien besonder» Alter sehr unwahrscheinlich zu scpn, welcher wenig auf die unsicheren Angaben des Engländers baute. Vielmehr war er Ker Meinung, daß das Buch möglicherweise bei der Einnahme von Kon stantinopel dnrch Französische Kreuzritter, im Jahre 1204, au» der Sakristei der Soxhienkirch« daselbst erbeutet und, bei ihrer Heimkehr, nach Frankreich gebracht worden. — Unter mehreren anderen Ge lehrten stellte dagegen namentlich Dobrowski die Behauptung auf, daß auch die Angabe Hill'S eben so viel Wahrscheinlichkeit für sich habe, al» die Sage da» Buch dem beiliaen HieronpmuS znschreihi, welcher bekanntlich der Erfinder der Glägoliter-Buchstaben gewdsen^ und «< überdies, nach der Aussage eines anderen Augenzeugen^ wirk lich in zwei verschiedenen Schriftzeichen verfaßt war.