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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration«- Preis 22j Sgr. (Z Lhlr.» vierteljährlich, 3 Thaler für da« ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für dir Man prZnumerirt auf diese« Beiblatt der Allg-Pr. Staats- Zeitung in Berlin in der Expedition sMohren - Straße Nr. 34); in der Provinz so wie im AuSlande bei Le» Wohllöbl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. 130. Berlin, Montag den 16. Dezember 1833. - Morgenländische s. Die wissenschaftlichen Studien der Türken. Von M- Michaud. Bei einem Volke, bei dem die Religion Alles ist, muß die Theo logie den ersten Rang unter den Wissenschaften einnehmcn. Die Türken nennen die Theologie die Kunst, auf eine paffende Weise von Gott zu sprechen, und diese Definition scheint mir ziemlich richtig. Jedes der 99 Attribute der Gottheit Hal zu Tausen den von Banden Anlaß gegeben, die vo» den Türkischen Theologen gelesen werden müssen. Der Theologie zur Seite bewegt sich eine andere Wissenschaft, nämlich das Studium des Koran s und der religiösen Traditionen, betrachtet als das bürgerliche und politische Gesetz, als die oberste Ziegel, welche Jedem seine Pflichten vorschreibt, Zedem seine Rechte sichert, die man bei allen Zwistigkeiten anruft, und von der alle Ent scheidungen der Gerechtigkeit anSgehen. Da jene religiösen Gesetze nicht immer einen ganz bestimmten Sinn Haden, und da man diesel be,1 aus tausend verschiedene Weisen auSgelcgt hat, so ist ihr Stu dium nicht leicht, und das Leben eine« Menschen reicht kaum dazu hin. Man dars dabei den Willen des Fürsten, nicht aus den Augen verlieren, den man auch als den Willen Gones und als das höchste Gesetz betrachtet. Man lehrt die Lürken, daß es gottlos scvn würde : dem Sultan ungehorsam zu seyn, und daß sie sich dem Nachfolger der Chalifen blindlings unterwerfen müssen. Die Gesetzbücher des Soliman, des Achmet und mehrerer Anvcrer, als die Befehle des Herrn betrachtet, werden noch stets von den Osmanen geachtet; aber alle diese Gesetzbücher, welche nichts aufklären, bieten ost dem Stu dium der Osmanischen Gesetzgebung nur eine Schwierigkeit mehr dar, und die Rechtspflege steht zuweilen unentschlossen zwischen dem Wil len Gottes und dem Willen der absoluten Gewalt. Man lehrt die Philosophie bei den Türken, aber in dieser, wie in der Politik, ist der Koran tue Basts und das Prinzip von Allem; man beschäftigt sich z. B. gar nicht damit, das Dascpn Gottes und die Unsterblichkeit der Seele zu beweisen; man muß daran glauben, weil der Prophet cS gesagt har. Wo find aber die Beweise von der Wahrhaftigkeit des Propheten k Man hütet sich wohl, einen Zweifel daran aufkommen zu lassen; es ist eine Wahrheit, weil es ter Koran gesagt bat, und weil der Koran ei» göttliches Buch ist. Das ist das ganze Raisonncmtnl der Türken. Indessen haben die Türkischen Theologen nicht vernachlässigt, Lie schneidenden Waffen der Logik an- zuwenden, die sie die Wissenschaft Les Gleichgewichtes nennen. Sie kennen die Logik des Aristoteles, die sie ihrer Art zu denken an gepaßt haben. Die Metbaphysik hat wenig Fortschritte bei de» Türken gemacht. Obgleich ihr Aeußcrcs ernst ist und sie ein nachdenkcndcs Ansehen haben, so ist doch ihr Geist deshalb nicht zu spekulativen Ideen ge- ncigt. Ein Osman träumt eher, als daß er nachdenkt; und zieht immer mehr daS vor, was man sich ciiibildcn kann, als das, was er gründet werden muß. Auch beschäftigen sich die Gelehrten von Siam- bul sehr wenig mit den Gesetzen der intellektuellen Welt. Die Gründe, die man dafür angcben kann, sind nicht allein dem National-Charaktcr, sondern auch den Vorschriften und dem Geiste des Koran entnommen. Die moslemisische Religion hat den Mensiycn inalerialisirt. Wenn die Logik und die Metaphysik geringe Fortschritte ge macht habe», so ist dies mit der Moral nicht derselbe Fall; die Lite ratur verdankt ihr die edelsten Gedanken, die gefühlvollsten Inspira tionen; die Türkische Einbildungskraft scheint alle Farben, alle Wunder Les Landes, in dem wir uns befinde», in die moralische Welt über trage» zu haben. In den Bücher» der Orientalen wird die Tugend und selbst die Vernunft zur herrlichen Poesie; in ihnen ist die Moral schön wie die Natur, glänzend wie das Firmament mit seinen Ge stirnen, ehrwürdig, erhaben wie die Ruinen des alten Asiens. Welche finnreiche Allcgoricen, welche heilere Fabel», welche lebhafte Bilder mische» sich hier in Alles, was man von den Pflichten des Menschen sagt! Welche vollkommene Muster würden die Nationen des Orients der Well darbieten, wenn sie alle die schönen Dinge in Ausführung brächten, die sie in de» Büchern ihrer Literatur lehren! Die Physik, die Chemie, die Mathematik, die Astronomie sind den Osmanen nicht ganz unbekannte Wissenschaften; aber die Physik der Schulen ist noch immer die, welche man in der Christenheit vor der Einnahme von Konstantinopel lehrte; die Physik des Aristoteles, die Optik des Euklid, die Naturgeschichte des Plinius und einige andere aus den Europäischen Sprachen übersetzte Werke, wenn sie auch nicht in den Schulen der Türke» bekannt sind, finden sich doch wenigstens in den Katalogen ihrer Bibliotheken erwähnt. Was die Chemie betrifft, so beschränkt sie sich aus die Verwandlung der Me talle, also auf die Alchymie; diese Wissenschaft, welche lange vor den Arabern gepflegt wurde, hat nur noch wenige Anhänger in Stambul. Man muß cS den Türken zum Ruhme nachsageu, daß sie sich jetzt nicht mehr damit abgebe», aus Kohlen Gold zu machen. Konstan tinopel Hal keine andere Chemiker mehr, als die Apolheker von Pera und die Roscnwaffer Fabrikanten des Serails. Da die Kcnnrniß der Mathematik im Seewesen, in der Artille rie und in einigen anderen Gewerben nothwcndig ist, so ist das Studium dieser Wissenschaft niemals ganz ausgcgebcn worden; die Kaiserliche Druckerei hat in der neuste» Zeit mehrere Werke über Geometrie und Algebra hcrausgegeben. Ma» lehrt in den Schulen die Mathematik nach de» Werke» Bezoul's und Reynaud's; da die selben aber schlecht übersetzt sind, so kennaz^ßie Schuler und selbst die Lehrer nur die bcigesugtc» Figuren imd müsse» das klebrige größ- tc»tbcils crralhcn, so daß der Unterricht im Allgemeine» sehr unvoll kommen ist. Der Abbö Toderini macht viel Rühmens von den Fortschritten der Türken in der Astronomie; ich bi» geneigt, zu glaube», daß das, was der gelehrte Reisende uns in dieser Hinsicht sagt, etwas über trieben ist; man Hal die Werke Cassini s und die Elemente der Astro nomie von Lalande ins Türkische übersetzen können; aber es ist sehr wahrscheinlich, daß die Gelehrten von Stambul wenig von diesen Ucbcrsctznngen wissen. Das Serail hat indeß seinen Astronomen; ich hätte gern das Observatorium und die Instrnmeme dieses palen- tirten Gelehrte» gesehen; aber ich habe meine Neugierde in dieser Beziehung nicht befriedigen könne», ich konnte mir nicht einmal den Almanach verschaffen, den der Kaiserliche Astronom alljährlich heraus- giebt, und in welchem die Jahreszeiten, die Mond- und Sonnen- Finsternisse und die glücklichen und unglücklichen Tage verzeich net sind. AIS eine Merkwürdigkeit muß ich anführen, daß der Verfasser jenes Kalenders eine der wichtigste» Personen des Divans ist. Man versichert, daß die Hof-Astronömc» ost mehr Einfluß gehabt haben, als die Groß-WesterS und Muphu s. Der Nostradamus des Serails konnte ost durch Befragung der Gestirne die Osmanische Politik lei ten, und seine Orakclfprüchc flößten nicht weniger Vertrauen und Achtung ein, als die des Kalchas in dem Rache des Agamemnon. Wir sehen in der Geschichte, daß eine Mond- oder Sonnen-Finster niß, von dem Astronomen des Serails ausgclegt, zuweilen hinreichte, um die Hauptstadt und die Provinzen in Aufruhr zu bringen. Ge genwärtig aber scheinen die Türken sich nicht viel um die Erscheinun gen am Himmel zu bekümmern; wir waren Zeuge einer Sonnen- Finsterniß und bemerkten, daß die Osmanen ihre gewöhnliche Ruhe beibchielten. In dem Augenblick der Finsierniss war ich auf dem Kirchhofe von Pera; einige Türken saßen auf den Gräbern ter Ar menier oder mit untergeschlagencn Füßen aus Matten um dem Kaffee. Die dort befindlichen Frauken schienen ganz mit dem Schau- fpicl beschäftigt; aber die Osmanen richteten ihre Blicke nur gen Himmel, um dem aus ihrcii Pfeiftn ansstkigenden Dampf zu 10,gen: Bei den Völkern in der Kindheit und bei den noch barbarischen Völker» sucht man besonder« in den Wissenschaften die Geheimnisse der Zukunft; da die positiven Dinge immer diejenigen sind, welche am wenigsten Macht ans die Gemüther haben, so hält man sich lie ber an die vagen Kenntniffe, welche der EiubilduugSkraft mehr Spiel raum lassen. Nachdem die Osmanen die Gestirne'des Himmels über die klmftigen Ereignisse befragt haben, lieben sie cS, die Träume und Visionen der Nacht zu befragen; die Auslegung der Träume ist die beliebteste Wissenschaft in Stambul, eine Wissenschaft, mit der sich Jedermann beschäftigt. Man sagt, daß die prophetischen Visionen ost schon die Politik Mahmud'S geleitet haben, und daß er in schwie rigen Augenblicken seine Astrologen und Traumdcutcr nicht weniger zu Rache zieht, als seine Minister. Bei einem Volke, welches nur Augen für die Zukunft hat, ver nachlässigt man natürlich die Kcnntniß der Vergangenheit; und so findet man auch in Stambul keinen Lehrstuhl für die Geschichte; indeß haben die Sultane ihre Geschichtsforscher und Historiographen. Obgleich die Stelle der Letzteren nicht so wichtig ist, als die der Hof- Astronomen, so sind sie doch nicht ohne Bedeutung; die wichtigen Akte jeder Regierung, die Traktaten, die Gesetze, die Verordnungen werden pünktlich dem Historiographen übergebenf der angewiesen ist,