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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration«,Preis 22^ Silberzr. (i Thlr.) vierteljährlich, Z Thlr. für da« ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Comp., Iägerstraße Nr. 25), s» wie von allen Königl. Post-Aemtern, angenommen. Literatur des Auslandes. 18. Berlin, Sonnabend den 3- Februar 1844. Frankreich. Michelet's Geschichte Ludwig's XI. und Karl's des Kühnen. Herr Michclct weiß in seinen Geschichtswerken den trockenen Ernst der Wissenschaft durch die Anmuth eines gedankenvollen und bilderreichen Vor trags zu mildern. Aber auch in Betreff der Gründlichkeit bleibt Herr Michelet hinter anderen, namentlich hinter deutschen Historikern nicht zurück. Seine Darstellung der Geschichte der Jungfrau von Orleans, die mir früher in diesen Blättern gegeben und nach welcher Herr Prof. Friedrich von Raumer kürzlich im „wissenschaftlichen Verein" eine interessante Vorlesung gehalten, hat unseren Lesern den Beweis geliefert, daß Herr Michelet keineSwegeS die Mühe scheut, auch den Aktcnstaub von Jahrhunderten zu durchwühlen und die Prozesse ungerechter Zeiten einer neuen gründlichen Revision zu unterwerfen. Gegenwärtig ist er in seiner Geschichte Frankreichs an die interessante Zeit Ludwig's Xl. und Karl's des Kühnen gelangt. Französische, belgische und schweizer Bibliotheken haben ihm für die Darstellung dieser Zeit eine be deutende Anzahl von Chroniken geliefert, die von seinen Vorgängern entweder zu flüchtig oder gar nicht benutzt worden find. Er stellt sich, im Besitz eines so reichen Materials, nicht bloß die Aufgabe, jene beiden großen Gestalten, welche als Vertreter ihrer Zeit gelten können, zu zeichnen, sondern ihre gesammte Um- gebung, ihre ganze Zeit wieder zu beleben. Es ist bekannt, daß Herr Michelet mit besonderer Vorliebe stets die Geschichte der Provinzen behandelt, welche nach und nach Frankreich einverleibt wurden; diesmal jedoch mußte er eine Pro» vinz schildern, welche glücklicherweise ihre Unabhängigkeit bewahrt hat, näm- lich das alte wallonische Belgien, doch kann auch seine Darstellung als Be- weis dienen, daß selbst die gründlicheren Schriftsteller und nicht bloß die jour nalistischen Streifzügler in Frankreich die alten Gelüste »ach dem Rhein und der belgischen Maas noch immer nicht aufgegeben. Man höre nur, wie er in nachfolgender Schilderung den belgischen Wallonen zu schmeicheln sucht: „Lüttich und Dinant, unser wackeres kleines Frankreich an der Maas, welches von feindlichen deutschen RcichSfürsten umringt und halb erstickt wurde, blickten immer nach Frankreich hin. Man hatte gut sagen, daß Lüttich eigent- lich deutsch sey und zu Westfalen gehöre, in Lüttich selbst glaubte man es nicht. Man ließ die Maas zu den Niederlande» Hinabströmen, doch mit seinen Ge danken wandte man fich aufwärts zu dem schönen Frankreich. Mit ihm fühlte man fich durch die Gleichheit der Sprache und der Gesinnung verbunden, und auch die materiellen Interessen des Lebens leiteten dahin. Lüttich und Dinant trieben Handel mit unseren nördlichen Provinzen an der oberen Maas und machten mit ihren Eisen-, Kupfer- und Mesfingwaaren hier bessere Geschäfte als in Deutschland, wo man den Bergbau und die Schmiedekunst selbst hoch hielt und die Arbeiten der Nachbarn entbehren konnte. „Die Blüthe der Gewcrbthätigkeit und des Handels in Lüttich schreibt fich von der Zeit her, in der Frankreich zu kaufen anfing. Als unsere Könige dem alten Unwesen der Fehden ein Ende machten und das Land fich in Frieden erholte, begann der Theil der Bevölkerung, welcher von der Scholle lebt und bisher wie ein verfolgter Hase ohne Obdach umhergeirrt war, fich anzubaucn. Er baute einen Hccrd, schlug einen Keffclhaken darüber ein und hängte einen Kessel oder einen eisernen Topf daran, den er von den Haufircrn aus den Schmieden an der Maas kaufte. Bald stieg der Ehrgeiz der neuen Familie; die Frau sparte ohne Vorwissen des Mannes einige Zeit zusammen, was sie in der Wirthschaft erübrigen konnte, und so sahen die Kinder eines Morgens einen goldenen Kessel über dem Heerde hängen, einen aus Messing, dem Dinanter Golde, geschlagenen. Dieser Topf und Kessel vererbten fich nun wie ein Familien-Heiligthum von Geschlecht zu Geschlecht. Wenn ein Krieg auS- brach, so »ahm der Bauer seinen Tops wie Aeneas seine Penaten auf die Schultern und ließ seine übrige Habe verbrennen. Die, welche solche Töpfe zu schmieden verstanden, mußten wenigstens für Brüder oder Vettern der Fran zosen gelten, und sic bethätigten ihre Verwandtschaft in unseren unglücklichen Kriegen mit England, in denen so viele verarmte Franzosen in die Ardennen fich flüchteten und zu Lüttich eine freundliche Aufnahme fanden. Welche Pro- vinz war besser französisch als diese wallonisches Sogar die Meister der fran- -öfischcn Musik sinv zum Theil aus dieser alten Heimat der Bergleute und Schmiede hervorgegangen; ohne von Gretrp und Mehul zu sprechen, waren die besten franzöfischcn Musiker seit dem fünfzehnten Jahrhundert meist frühere Chorschüler aus Mons oder Nivelle. Der Gesang der Nachtigallen an den Ufern der Maas entlang schien die wahre Stimme Frankreichs zu sepn, und die Stimme der Freiheit selbst. Wer hätte, ohne frei zu sepn, in einem so trüben Lande, unter einem so rauhen Himmel gesungen? wer hätte fich zwi- eschen den Wäldern der Ardennen angebaut? Die Bewohner waren frei, oder sie standen doch nur in einer kaum fühlbaren Abhängigkeit; die ungeheuren Weideplätze konnten sie gemeinschaftlich frei benutzen, und eS störte sie Niemand hei ihrem Fleiße in den Schmieden über der Erde und in den Bergwerken unter derselben. Darum strömte auch so viel Volk in jene Gegenden; jeder wollte dort leben und alt werden. Wen» der Wanderer nach langer müh seliger Fahrt endlich von fern eine Schmiede rauche» sah, so dankte er Gott und schritt rascher und fröhlicher über die Erzschlackcn hin als über die schwel lenden Wiesen der unteren Maas. Nachdem Mandeville die ganze Welt ge- gesehen hatte, ging er nach Lüttich und befand fich so wohl daselbst, daß er die Stadt nie wieder verlassen wollte. Die Unruhen, welche in Lüttich so häufig ausbrachcn, waren ein Beweis, daß die Bewohner bei ihren Gewerben nicht in starre Schlaffheit versanken; Partcikämpsc unterbrachen die Genüsse des Friedens und der Freiheit, und man konnte in solch' einer Stadt wohl oft in Besorgniß sepn, doch nie Langeweile empfinden." Wir sehen hier den dritten Stand in die Geschichte eintrcten und durch den Handel und die Gewerbe fich erheben. Die französischen Geschichtschreiber hatten diesen Punkt stets zu sehr vernachlässigt. Hiermit beginnt die moderne Welt fich zu bilden, die Welt, in der die Arbeit, die praktische Thätigkeit an die Stelle der Träume des Mittelalters trat. „Dinant", fährt Herr Michelet fort, „war durch seine Kupferschmiede in ganz Europa bekannt. Diese Schmiede hatten die Stadt gegründet und ihre Blüthe hervorgerufen ; die kleinen Kaufleute, die übrigen Handwerker und wer sonst noch in der Stadt wohnte, der ging und kam, ohne einen festen Sitz hier zu haben, doch die Kupferschmiede lebten seit Menschengedenken in der Stadt, ihre Urältcrn schon hatten hier gesessen, und wenn sie die Stadt hätten verlassen wollen, so wäre ihr Ruhm verloren gewesen, denn dieser knüpfte sich nicht an ihre Namen, sondern an die Werkstätten zu Dinant. Die Hämmer, welche man zu Dinant führte, schienen belebt zu sepn, und wie unter einer kunstsinnigen menschlichen Hand nahm das rauhe Erz unter ihnen die verschiedensten feinsten Gestalten an." Aus den reichen Wohnsitzen des GewerbfleißeS führt uns Herr Michelet zu den Thronen und auf die Schlachtfelder jener Zeit. „Der Beherrscher Niederlands, der traurige Pförtner des Rheins, der alle Jahr durch die Ueberschwemmungen des Stroms leiden mußte, wünschte auch an dem Gr- Winn, den der Strom brachte, Antheil zu haben. Er liebte sein Bier und seine Nebel nicht so sehr, daß er nicht bisweilen nach der heiteren Sonne und den Weinen von Koblenz geschaut hätte. Der Boden, welchen der Strom bei ihm anspült, erinnerte ihn an die Fruchtbarkeit der oberen Rheinuser, und die reichen Schiffe, die zu ihm herabkamen, machten ihn mehr und mehr träumerisch. — Karl der Kühne sah mit Unmuth, daß die blühendsten Striche des RhcinlandeS in den Händen der Priester waren. Er fühlte wenig Ehr» furcht vor den freien Städten und den kleinen Fürsten, die den Rhein keck für ihr Eigenthum erklärten, Zölle anlegten und fich die Durchfahrt abkaufen ließen. Er beschloß, so bald als möglich das ganze Treiben dieser kleinen Machthaber mit seiner Hand zuzudecken und für immer zu endigen, und, was seine Hand nicht friedlich schlichten könnte, mit dem Schwerte zu entscheiden. Und mußte es ihn nicht empören, daß weiter am Rheine hinauf die Städte fich an die Schweizer Kuhhirten wandten, um Schutz zu erlangen, an diese früheren Knechte Oesterreichs, die ihre Freiheit nur dem glücklichen AuSgang einer Empörung verdankten und jetzt vergaßen, daß fie, ehe Oesterreich fie unter jocht, zu dem Königreich Burgund gehört hatten? — Von Dijon, Macon und Dole aus gewahrte er jenseit der armseligen burgundischen Grafschaft und des Jura die Alpen, die Pforten der Lombardei, über deren schneebedeckte Gipfel der heitere italiänische Himmel herüberblickte. Weshalb war alles dies nicht sein? DaS alte burgundische Reich hatte auch über die Alpcnländer geherrscht und scgenspendend den Rhein nach Deutschland, die Rhone nach Frankreich und den Po nach Italien ausgesandt. War eS unmöglich, diese erhabene Idee, diese schönen Träume zu verwirklichen? War das deutsche Reich nicht in fich zerfallen und herrschten den ganzen Nhcin hinauf nicht stete Kriege und eine vollständige Anarchie?" — Diese Hoffnung, sein Reich über das ganze Rhein- User auszubrcitcn, belebte Karl den Kühnen, und ihr opferte er nach und nach all' sein Befitzthum und seine Kräfte. Sein glänzendes Herzogthum trug den Keim des Verderbens zwar schon in sich, als er zur Regierung kam, doch seine ungezügelten Wünsche beschleunigten seinen Untergang. „Die Gewerke und Künste, welche einst in den Niederlanden geblüht, hatten jetzt im AuSlandc Aufnahme gefunden; Löwen, Gent, Ipern, Lüttich und Dinant waren für