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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 07.05.1914
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1914-05-07
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19140507022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1914050702
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1914050702
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-05
- Tag 1914-05-07
-
Monat
1914-05
-
Jahr
1914
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1. ei». 2r n e. e r »ei -L. la- 6. Abend-Ausgabe kür Leipzig UN» Vorort« Lurch unser» Trauer u. UN- SpeSUeure Lmaltügltch in« Hau» gedrachtr monatlich 1.2» M., oiertellShriich,.7» M. Sri Ser «»fthSstesteUe, unfern Malen un» Nusgabestellrn ad,»holt: monatlich 1M., vierteljührllch S M. vurch Sie Post: innerhalb Veutfchlonü» unS Ser »rutschen «olonten monatlich l.so M., vtertrliührltch 4.»4 M., ausschließlich postbrstellgelü. va» Leipziger Tageblatt erscheint Werktag» »mal, Sonn- u. Zeiertago lmal. ^n Leipzig, Sen Nachbarorten un» Sen Orten mit eigenen Filialen wir» Sie stbcnüausgabe noch am flben» Seo Erscheinen» in» Hou» geliefert. Srrliner NrSaktivn: Zn Sen Seiten 17, ^crnsprecb-^nschlull: Moabit !Ir. 447. Arntsbkockt des Rockes und des Polrzeuuutes der Stadt Leipzig KeSaktion un» S«schSst»st»U«: ?»hanniogage Nr. ». » Zernsprech-stnschlust Nr. 14442, 14443 un» 14444. ISS. 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Ausland.) * Wohlbewaffnete griechische Banden sind in Albanien eingefallen nnd drin gen siegreich vor. (S. Pol. llebers.) * Die mexikanischen Vermitt-- l u n g s v e r h a n d l n n g c n werden o h n e Kar ran za geführt iverden. iS. Pol. Nebers.) England un- -as Seekriegsrecht. Im englischen Untcrhause gab gestern Staatssekretär Grey wichtige Erklärungen ab über die Stellung Englands zu einer Durchsicht des Seekriegsrechtes. Es handelt sich dabei im wesentlichen nm die angestrcbte Unverletz lichkeit des Privateigentums. Seit her hak gerade England in diesem Punkte An sichten vertreten, die einer vorgeschrittenen Auf sassung widersprachen. Die Bemühungen, das Privateigentum auf See auch im Kriegsfälle zu schützen, gehen auf die Pariser SeerechtS- deklaration vom Jahre 1856 zurück, wo nach das feindliche Privateigentum in neutralen Schiffen geschützt wurde, soweit cs nicht unter den Begriff der Konterbande fiel: auch wurde die Kaperei durch Privatschiffe abgeschafft. Die Londoner Seekricgskonfcrenz vom Jahre 1909 regelte im Anschluß an die zweite Haager Friedenskonferenz das Blockaderecht, aber ge rade wegen der Bedenken der englischen Re gierung blieben wichtige Fragen noch offen. Wir lassen hier den Bericht über die gestrigen Verhandlungen des Unterhauses folgen: Aus London meldet der Telegraph: In der gestrigen Abendsitz nng im Untcrhause brachte Morell eine Resolution ein, in der die Ansicht ausgcdriickt wird, das; es wünschenswert sei, daß die britische Regierung mit den führenden Seemächten in Verhandlungen eintrcte, um eine Revision des Scekriegsrechts dahin zu erzielen, daß die Unverletzlichkeit alles Pri vateigentums gesichert werde, ausgenom men die Fälle, in denen Schiffe Kriegsmaterial füh ren oder Blockade breckren. — Am Schluß der Sitzung gab Staatssekretär Grey über die Frage der Kaperei eine wichtige Erklärung ab, die eine Aenderung in der Haltung der britischen Regierung andeutet. Er entwarf die Bedingungen, unter denen die Regierung bereit sei, Vorschläge der Unver letzlichkeit des Privateigentums zur See in Erwägung zu ziehen. Der Staatssekretär begann mit einem Hinweis auf die Rede, die er vor 7 Jahren über diesen Gegenstand gehalten habe, und sagte: Er sei nicht sicher, daß seine eigenen persön lichen Anschauungen über den Gegenstand sich seither nicht geändert hätten. Dann wies er darauf hin, daß die Frage der Blockade von der Resolution Morell ausgeschlossen sei. Die Regierung würde keine Entschließung in Erwägung ziehen oder an nehmen, die sie zur Abschaffung des Rechts der Blockade in Kriegszeiten nötigen würde. Diesen Vorbehalt werde die Regierung sicherlich machen. Aber ich glaube, fuhr Grey fort, eine Entschließung dieser Art, die die Frage der Blockade ausschließt, können wir mit weniger unnachgiebigem Geiste er örtern. Unsere Haltung gegenüber dem in der Re solution ausgesprochenen Grundsätze war niemals gänzlich unversöhnlich, wie die» in den Weisungen zu tage tritt, die die englischen Delegierten bei der Haager Konferenz 1007 erhalten haben. Es pflegt angenommen zu werden, daß die anderen Na tionen des Kontinents nur auf ein Wort von uns in dieser Frage warten, um ihre Flottenausgabrn hcrabzusetzen. Dres pflegt insbesondere aus Deutschland angewendet zu werden. Während die gegenwärtige Regierung im Amte ist, hat sie niemals die geringste Andeutung von irgendeiner kontinentalen Macht, sicherlich nicht von der deut schen Regierung, erhalten, daß ihre Flotten ausgaben in irgendeiner Weise verknüpft seren mit der Frage der Unverletzlichkeit des Privateigentums zur See. Kein anderes Land kam zu uns, um zu sagen: „Wenn Ihr dem zustimmt, wird es uns in die Lage letzen, unsere Flottenausgaben zu verringern". Meine eigene Ansicht geht dahin, daß tatsächlich nichts, was wir durch eine Aenderung der Gesetze oder der geltenden Bestimmungen tun können, wirklich einen sehr wesentlichen Erfolg haben wird, was die Aussichten eines Krieges oder die Nüstungsausgaben betrifft, eines ausgenommen, das ist der zunehmende Glauben bei den großen Nationen, daß sie von guten Absichten gegen einander beseelt sind. (Beifall.) Wenn wir bloß zu dem glücklichen Stande der Dinge gelangen können, der von Zeit zu Zeit ohne Bündnis oder bindende Verpflichtungen zwischen den einzelnen Mächten mit den glücklichsten Ergebnissen erreicht wird, würden wir, wie ich glaube, das Bestreben nach einer raschen Besserung in dem Rüstungsaufwand sehen. Bevor Sie nichr zu irgendeiner Aenderung dieser Art ge langen, werden Sie meiner Ansicht nach auch nicht erreichen, daß die Flottengesetze der fremden Mächte durch dieses oder irgendein anderes ähnliches Ab kommen geändert werden. Der Staatssekretär des Auswärtigen ging dann zu der Frage des überseeischen Handel .s über und legte dar: Wir dürfen nicht zwischen uns und einer fremden Macht einen Stand der Dinge herbcisühren, demzufolge die fremde Macht im Kriegsfälle keine Gefahr oder die Gefahr einer sehr be schränkten Verpflichtung fiiuft, während wir selbst der Gefahr unbegrenzter Verpflichtung ausgesetzt bleiben. Wie überlegen auch immer unsere Flotte sein mag, welche Seesiege wir auch immer erringen mögen, es kann keine Rede sein von einer Invasion oder Eroberung unsererseits. Keine Nation auf dem Kontinent läuft daher diese Gefahr. Wenn wir aber aunehmen, daß unsere Flotte unterliegen sollte, ver nichtet würde, so würden wir diese Gefahr laufen. Ltzenn wir die Operationen unserer Flotte so be schränken, daß sie keinen Druck auf das andere Land auszuüben vermag (nämlich durch Kaperei), so würde der Krieg lanieZeit fortgesetzt. Die ganze Kriegslast würde auf unserer Flotte ruhen, nicht auf der des Feindes. Dies hieße den Krieg zu einer sehr einseitigen Sache machen. Zugleich wäre ein Stand der Dinge ge schaffen, der uns mit Gefahren gewaltig belasten und ein großes Land auf dem Kontinent b e - gü listigen würde. Ich zweifle, ob Sie etwas für eine Verminderung der Kriegsaussichten oder der Rüstungsausaoben getan haben würden. Das ist auch der Grund, weshalb ich auf dem Recht der Blockad e bestehe. Im Hinblick auf einen Konflikt mit dem Eigentum auf hoher See glaube ich nicht, daß es unserm Interesse entspricht, als Vorkämpfer für die Erhaltung dieses Rechtes aufzutreten. Lassen Sie uns die Bedingungen prüfen, unter denen wir unsere Delegierten auf der Haager Konferenz anweisen können, die Resolution anzunehmen. Darüber sollte sich hier die Debatte bewegen. Eine der Bedingungen ist die Frage der Blockade, über die wir ein Einvernehmen mit den anderen Ländern zu erzielen wünschen. Sehr strenge Bedingungen wären hinsichtlich der Konterbande notwendig, so daß sie nicht als Ausrede verwendet werden könnte, um in Kriegszciten die Unverletzlichkeit des Privateigentums aufzuheben. Ein Abkommen ist notwendig, daß Kauffahrteischiffe nicht in bewaff nete Schiffe verwandelt werden dürfen. Wenn wir zu so etwas unsere Zustimmung geben, so müssen wir eine Gegenleistung erhalten (!!). Auch M inen werden erwähnt. Das ist eine Frage, über die wir gewiß ein Abkommen wünschen. Alle diese Dinge fordern eine sehr sorgfältige Ueberprüfung. Ich habe eher meine persönlichen Ansichten geäußert, als die Ansichten der Regierung. Aber ich habe die Stellung angedeutet, die wir im Haag cinnehmen könnten, wenn wir auch unsere Hände freihalten müssen. Unser Zweck hierbei ist nicht, dieser Reso lution äußersten Widerstand zu leisten, sondern uns gegen ihre Annahme ohne gehörige Erwägungen zu sichern. — Grey schloß, er tonne den Antrag Morell, demzufolge die Regierung Verhandlungen mit fremden Ländern einleiten müßte, nicht annehmcn. Die Regierung müßte erst Zeit haben, Bedingungen auszuarbeiten, unter denen sie zur Verhandlung bereit wäre. Er hoffe zuversichtlich, daß dies in einem Jahre der Fall jein werde. Ich wünsche, sagte Grey. ich möchte verstanden werden, daß wir Be dingungen haben müssen', ich werde bereit sein, jo daß wir bei der nächsten Gelegenheit, wenn das Thema augeregr wird, die Unterhandlung nicht abzu lehnen brauchen, sondern daß wir selbst vorangchen werden mit den gegenwärtigen Bedingungen, die, wie wir glauben, wesentlich sind. — Die Debatte wurde auf unbestimmte Zeit vertagt. Wir können nichr gerade finden, daß fich Herr Grev, abgesehen von dein Borbehali, wo nach er nur seine persönlichen Anfuhren znm besten gab, besonders klar nnd folgerichtig aus gesprochen habe. Jin besonderen fällt der ziemlich willkürliche Unterschied ans, den der englische Sraatsnrann bei der Beurteilung eines Kriegsfalles zwischen England und Deutschland insofern zu machen beliebt, als er, was v n s angehr, die Absicht einer Invasion als mög lich, was England angeht, als ausgcschlos- s c n erklärt. Hat er die Reden englischer Ge nerale gänzlich vergessen? Immerhin ist das Bedürfnis, England im Haag nicht länger als das Haupthindernis für die Bestrebungen nach einem gesicherten Schutz des Privateigentums erscheinen zu lassen, sehr erkennbar, nnd das ist erfreulich. Die Maireise -er Hochseeflotte. i. Ostsee, Mai 1914. Die Hochseeflotte hat nunmehr ihre Maircise an getreten, ein neuer Abschnitt ihres A r - bcitsjahres beginnt. Im Herbst jeden Jahres wird rund ein Drittel des Personals, soweit es in der Marine seiner Dienstpflicht Genüge leistet, ent lassen. Ebcnsovrelc Rekruten, ja sogar mehr infolge des Wachstums unserer Marine, werden zugleich eingestellt. Sie möglichst schnell jo weit zu bringen, daß jeder von ihnen seinen Platz und seine Tätigkeit als wirkendes Glied in dem zum Kampfe bestimm tcn Organismus des Kriegsschiffes ausfllllt, das ist das Ziel der Ausbildung und und damit ein wcscnt kicher Teil der Tätigkeit der Flotte überhaupt. Darauf ist dann auch naturgemäß das Ausbil dung s Programm zugcschnitten: erste Schulung der neu eingestellten Mannschaften an Bord lallgemein militärisch und dann in den verschiedenen ihnen zu- Wie es der Charakter großer Geister ist, viel Sinn in wenig Worte zu Icgeu, so ist es die Gabe kleiner, viel zu sprechen und nichts zu sagen. Larochefoucauld. wie Zrie-rich Nietzsche sich kleidete. Von Elisabeth Förster-Nietzsche. Zm Nietzsche-Archiv werden zuweilen wunder liche Fragen au mich gerichtet und den Ant worten große Wichtigkeit beigelcgt. Z. B. fragte mich jemand sehr eifrig: „War Nietzsche in seiner Kleidung elegant oder nicht?" Er hätte ganz entgegengesetzte Auskünfte darüber erhalten. „Und jedesmal wird cs richtig gewesen sein", antwortete, ich, „denn diese Auskünfte iverden - , sich auf verschiedene Zeiten bezogen haben." Es verstand sich von selbst, daß mein Bruder, so lange er jung und Professor an der Basler Uni versität war, sich, wie seine Kollegen und Schü ler hcrvorhebcn, mit aller Sorgfalt, ja selbst mit einer gewissen Eleganz kleidete; Frau Profes sor Biuding erzählte gern, wie „voll gantsä" er stets gewesen sei. Man tonnte ihn bereits in früher Morgenstunde, nachdem er schon sein Bad genommen hatte, vollständig sertig angekleidet finden, uin Besuche zu empfangen. Nachlässig keit im Anzug und der Schlafrock waren ihm > damals verhaßt. Aber späterhin, als er daran dachte, den Abschied zu nehmen und seine Pro- > fessur aufzugeben, erinnerte er sich der Dürftig leit der griechischen Philosophen und wünschte, gleich wie sie seine persönlichen Bedürfnisse und Ausgaben, auch für seinen Anzug, auf das ge ringste Maß zu beschränken. Warum sollte er auch nicht, nachdem er kein Amt mehr zu reprä sentieren hatte, in einfachem langen Uebcrzichcr, mit einem Schlapphut, der seine Augen be schützte, nmherivandern? Nur die peinlichste Sauberkeit konnte er nicht entbehren. Daß er trotz einfacher Kleidung der Vornehmheit nicht ermangelte, wnßtc er wohl, deshalb sagte er auch mitleidig, weun er Leute« begegnete, die ihre prunkhafte Kleidung in die entlegensten Ge birgstäler trugen: „Tie haben cs wohl nötig." Sportanzügc waren damals noch nicht Mode. Nun aber forderte cs seine Gesundheit, daß er den Winter zumeist in der trocknen, klaren Luft Nizzas zubringen mußte, uud da mokierte er sich über sich selbst und schreibt: „Tatsächlich lebe ich hier, nach meinem eigenen Urteil und nach dem meiner Mutter, etwas ruppig und zhnisch und trage z. B. die ältesten Kleider sans xens inmitten der eleganten Kosmopoliten, welche dieser Ort beherbergt — was liegt dar an!" Jedoch diese „ältesten Kleider" führten zu mancherlei Zwischenfällen. In der Pension, in welcher mein Bruder mehrere Wiuter in Nizza wohnte, war im Februar 1888 eine Kol lekte sür eine« armen, kranken Künstler oder Gelehrten gesammelt worden, und mein Bruder hatte einen lOO-Fr.-Schein dazu gegeben, was zu seiner sonstigen Einfachheit und Sparsam keit in Widerspruch stand. Die Kollekte war ganz im geheimen gemacht worden, so daß mein Bruder äußerst verletzt war, als ihn: sehr un nötig zugctragen wurde, eine der Damen, die sich immer sehr fürsorglich um ihn bemühten, hätte gesagt, „der Professor Nietzsche hätte sich für' die 100 Franken lieber einen modernen Rock anschafscn sollen". Zunächst empörte er sich darüber, daß überhaupt von dieser Schen kung gesprochen worden war, denn darin war er ganz christlich: er wollte nicht, daß die Linke wußte, was die Rechte tat. Er meinte, dast man sich Handlungen des Mitleids als stille Freude wohl kondeszendieren könnte; aber er fand cs widerwärtig, wenn von ihnen Lärm gemacht und sie als Verdienst gepriesen wurden oder wenn wohl gar Philosophien und Religionen auf solchen für warme Herzen natürlichen Impuls begründet werden sollten. Ein als Moralgesetz gefordertes Mtlcid schien ihm vollständig wertlos. Außerdem aber war meinem Bruder bei ocr oben erzählten Geschichte, Ivie überhaupt, jede Einmischung von Fremden in seine per sönlichen Geldangelegenheiten höchst unange nehm. Als er in Basel seine Professur ausgab und die Pension, wie es hieß, sehr gering aus- fallcn würde, machte ihm ein junger Mann aus Wien allerlei finanzielle Propositionen. Mein Bruder schrieb empört an einen Freund: „Bei mir hat er sich eigentlich durch seine wie derholten Versuche, aus der Ferne her über mein Leben zu disponieren und durch Rat uud Tat iu dasselbe einzugreifen, unmöglich gemacht. So etwas verabscheue ich: keiner meiner ältesten Freunde würde wagen, mir solche dreiste Dinge zu prvponiercn." Mein Bruder zog es vor, in möglichster Einfachheit unabhängig zu leben, anstatt dergleichen Einmischungen anzunehmen. So beschloß er auch nach diesem geschilderten Vorkommnis, sich seiner gewohnten Pension de Genöve und der Fürsorge jener freundlichen alten Damen zu entziehen und nicht wieder nach Nizza zurückzukehren. Indessen waren die Bemerkungen über seine unmoderne Kleidung doch von ihm nicht überhört worden. Er fand nun selbst, daß er auf seine äußere Erscheinung in den letzten Jahren zu wenig geachtet hatte. In Turin ließ er sich sogleich einen neuen Anzug machen und schreibt an nnsere Mittler: „Mit den Kleidern scheine ich wirklich wohl gefahren zu sein. Es ist ein eleganter "Anzug, der vorzüglich sitzt. Ich habe mir vorgenommen, etwas wieder ans mich zu halten und der Nachlässigkeit im Acußern ein Ziel zu setzen." Später schreibe er sogar von einem „Paletot, mit blauer Seide gefüttert, dcu er über dem Gesellschaftsanzug trage", und von „englischen Handschuhen und Schnür stiefeln" — kurzum, er war im Frühling 1888 wieder elegant geworden. Schalkhaft schrieb er in einem leider entwendeten Brief, daß er sich durch sein „undiszipliniertes Mitleid" zunächst eine Taktlosigkeit zugezogen habe; schließlich sei cs aber die Ursache geworden, die ihn veran laßt hätte, einen uenen Aufenthaltsort zu suchen — und so habe er das schöne, vornehme Turin gefunden, in welchem er nun „geziemend ge kleidet" einherwandle. Diese Eigenschaft: allen Unannehmlichkeiten noch eine oder mehrere gute Seiten abzugewinnen, Ivar ihm, wie allen plian- tasievollen Menschen, in hohem Grade eigen. Kunst un- Wissenschaft. * In der Angelegenheit der Deutschen Bücherei in Leipzig hat der geschästsführcnde Ausschuß ein stimmig beschlossen, die Kündigung des Direktors und der drei Bibliothekare anzunehmen. Indessen hat sich der Ausschuß dahin schlüssig gemacht, eine Prüfung der Beschwerden des Direktors und der Bibliothekare durch zwei Mitglieder des Ausschusses, Geheimrat Professor Dr. Boysen und Hofrat Dr. Ehlermann, vornehmen zu lassen. * Begründung einer Gesellschaft für Erforschung des Deutschtums im Auslande. In Berlin wurde eine Gesellschaft für Erforschung des Deutschtums im Auslande unter dem Vorsitz von Geheimrat Prof. D r. Karl Lamprecht in Leipzig gegründet. Sie dient ausschließlich wissenschaftlichen Zwecken und faßt vor allem die Herstellung einer Art von In ventar des sür die Erforschung des Auslands deutschtums vorhandenen Quellenmaterials ins Auge. Die endgültige Beschlüsse fassende Haupt versammlung soll erst stattfinden, wenn die von Lamprecht vorgeschlaqene Gründung einer größeren „Gesellschaft für deutsche auswärtige Kulturpolitik" erfolgt sein wird. Zunächst ge denkt die Gesellschaft nicht an die Oefsentlichkeit zu treten, sondern sich auf privatem Wege einen Stamm von geeigneten Mitarbeitern zu verschaffen. * Antoine geht nicht nach Berlin. In Paris kursierte, wie uns telegraphisch gemeldet wird, das Gerücht, daß der ehemalige Direktor des Pariser „O d e o n" - T y e a t c r s , Antoine, nach Ber- l r n zu gehen beabsichtige. Antoine erklärt hierzu, daß Max Reinhardt ihm schon vor drei Wochen ein Anerbieten gemacht habe, das er aber nach reif licher Ueberlegung habe ablehncn müssen. Er sagte ferner: „Ltzenn ich sofort Geld verdienen wollte, so könnte ich das Anerbieten annchmen. Aber der Augenblick scheint mir durchaus nicht günstig gewählt. Wenn ich, der ehemalige Direktor des Odeon- Theaters, aus einer schwierigen Finanzjituation durch einen Berliner Theaterdirektor gerissen würde, so gäbe es in ganz Paris nicht Steine genug, die man gegen mich werfen würde, um mich zu zerschmettern. Vielen Leuten würde dies allerdings eine groß- Freude bereiten. Infolgedessen mußte ich das liebenswürdige Anerbieten Reinhardts ablchnen." Antoine sagte weiter, daß er wahrscheinlich ein An erbieten der türkischen Regierung annehmen und nach Konstantinopel gehen werde, um dort eine Bühne für dramatische Kunst ins Leben zu rufen. * Gedächtnis-Feier für Christian Morgenstern. In Dresden veranstaltete am Mittwoch abend Frau Hedwig Zeiß-Kosny eine Gedächtnis feier für den vor wenigen Wochen verstorbenen Dichter Christian Morgenstern. Mit inniger Anteil nahme und herzlicher Wärme trug sie die ernsten Verse des fragenden und suchenden Dichters vor, und mit köstlichem Humor und großer Kunst Heiteres aus den Galgenliedern und aus Paimström. Es wäre zu wünschen, daß auch in anderen Städten solche Gedächtnisfeiern tzstattfänden, um Morgenstern wenigstens nach seinem Tode etwas bekannter werden zu lassen. l>r. 1'. -V. * Stiftung für die Berliner Gesellschaft sür Erd kunde. Das Konsortium für asiatische Geschäfte hat der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin den Betrag von 200i0 .4i zur geographischen Erforschung der chinesischen Provinz Schansi zur Verfügung gestellt. * Die Uraufführung von Hugo Kauns neuem Chorwerke „Mutter Erde" findet, wie uns mitgeteilt wird, am 9 und 10. Dezember in Düsseldorf unter Leitung von Professor Karl Panzner statt. * Prof. Dr. Meusel gestorben. Wie uns tele graphisch gemeldet wird, starb gestern im Alter von 71 Jahren in Gotha der bekannte Chirurg Geh. Medizinalrat Prof. Dr. Max Meusel.
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