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orientiert sich — und nicht nur im letzten, an den „Furiant“ gemahnenden Satz — an den vielfältigen musikalischen Gestalten von Lied und Tanz, mit denen der Knabe und Jüngling auf gewachsen war und denen er zeitlebens als den für ihn bedeutsamsten Inspirationsquellen aufgeschlossen blieb. In Abwandlung der überkommenen Form läßt Dvorak den ersten und zweiten Satz unmittelbar ineinander übergehen und gibt auch rein ausdehnungsmäßig dem kan- tablen zweiten Satz eindeutig den Vorrang vor dem knappgehaltenen, bewegten und energischen ersten. Zu dem melodischen Reichtum des Mittelsatzes mit seinen w T eitgeschwungenen Bögen bildet dann das tänzerische Finale mit dem Ineinander von Furiant- und Dumkaelementen den übermütigen, befreienden Kontrast — ein Satz, der einmal mehr von der unbändigen Vitalität des Meisters zeugt, dessen Gesamtwerk so ganz eindeutig in der Gefühlswelt der Menschen einer Nation wurzelt, der Lied und Tanz unmittelbare Bestandteile der Lebensführung bedeuten. Die d-Moll-Sinfonie op.70, Ende 1884 bis März 1885 in Skizze und Partitur niedergeschrieben, nahm — obwohl Dvoraks siebente — ihren Weg in die Welt als ,,Symphonie Nr. 2“; als ,,erste“ hatte der Berliner Verleger Simrock ihr die D-Dur- Sinfonie op. 60 (in Wirklichkeit des Meisters sechste) vor ausgeschickt. Die Londoner Philharmonische Gesellschaft hatte im Juni 1884 Dvorak zu ihrem Ehrenmitglied ernannt und in Verbindung damit um eine neue Sinfonie gebeten. Dieser ehrenvolle Antrag traf Dvorak mitten in seiner Auseinandersetzung mit Brahms’ neuestem Gattungsbeleg, der 3. Sinfonie in D-Dur, die ihn in hohem Maße beeindruckt und in ihm den Wunsch hervorgerufen hatte, ein Werk ähnlicher Wer tigkeit zu schaffen. So arbeitete er — um dem nach seiner Meinung mit Brahms’ ,,Dritter“ gegebenen Gipfel des zeitgenössischen Schaffens möglichst nahe zu kom men — mit aller Intensität an der d-Moll-Sinfonie, wovon unter anderem ein Brief vom Ende des Jahres 1884 zeugt, in dem er schreibt: „Nun eben beschäftigt mich eine neue Symphonie (für London), und auf Schritt und Tritt habe ich nichts anderes im Sinne als meine Arbeit, die aber auch so werden soll, daß sie die Welt aufhorchen macht; nun, und so Gott gibt, wird es so werden.“ Dabei bedeutet ihm auch Brahms’ Bemerkung, er denke sich die entstehende Sin fonie „noch ganz anders“ als die vor angegangene, daseinsfreudige „Sechste“, so etwas wie eine Verpflichtung, das Letztmögliche an handwerklichen Fertigkeiten unterzubringen — vielleicht einer der Gründe dafür, daß unter dem Übergewicht solch hoher Forderungen des Komponisten an sich selbst, die letzten Endes dem Hörer einen „anderen“ Dvorak zeigten, sich Hans Richter nach einer vollendeten Aufführung durch die Wiener Philharmoniker zu schreiben gezwungen sah: „Unser philharmonisches Publikum ist manchmal recht — sonderbar wollen wir sagen. Mich macht so was nicht irre . . Daß Dvorak im schöpferischen Prozeß bereits das Werden eines starkwüchsigen Werkes verspürte, beweisen Aussprüche wie dieser: „Just heute habe ich den zweiten Satz Andante meiner neuen Symphonie ab geschlossen und bin bei der Arbeit wieder so glücklich und selig, wie es bisher stets der Fall war und . . . auch weiterhin der Fall sein wird . . .“ Und in der Tat: nach echtem sinfonischem Gehalt, Plastik des Materials und orga nischer Verflechtung der einzelnen thematischen und motivischen Bestandteile stellt diese Sinfonie — unabhängig von den unbestreitbaren Werten ihrer Vorgängerinnen — einen achtunggebietenden Gipfel im sinfonischen Schaffen des Meisters dar. Das Werk schließt eine Gruppe von Kompositionen ab (vgl. Einführung zum 7. Zyklus- Konzertl), die alle die Sprache tiefgehender innerer Auseinandersetzungen sprechen, und so tritt hier das Schwerelose, unmittelbar-Musikantische etwa der „Sechsten“ zurück hinter einer fordernden Strenge, die sich auch, zumal in den ersten drei Sätzen, streckenweise in einem bei Dvorak überraschenden Maßhalten in der Wahl der Orchesterfarben kundtut. Die Gefühlsskala vom trotzigen Aufbegehren über sehnsüchtiges Sich-Verströmen bis hin zur Dokumentation unbeugsamen Willens verleiht dem Werk jene dramatischen Impulse, die aus der Form der Sinfonie nach Beethoven nicht wegzudenken sind. Hans Richter, der sie als ein ihm sehr liebes, vielleicht sein liebstes Werk bezeichnete, meinte, nur ein dramatisch bewanderter Dirigent, ein „Wagnerianer“ („Hans Bülow möge mir verzeihen!“) könne ihr voll gerecht werden. Er, Bülow und Arthur Nikisch waren denn auch die Meister des Taktstocks, die durch ihre alle Möglichkeiten der Partitur ausschöpfende Inter pretation den Ruhm Dvoraks in der musikalischen Welt vermehren halfen. Walter Bänsch LITERATURHINWEISE Sourek: Antonin Dvorak, Prag 1953 Robertson: Antonin Dvorak, Zürich VORANKÜNDIGUNG Nächste Konzerte im Anrecht B 22. und 23. April 1961, jeweils 19.30 Uhr Einführungsvorträge jeweils 18.30 Uhr 25. und 26. März 1961, jeweils 19.30 Uhr 12. Außerordentliches Konzert Gastdirigent: Odissej Dimitriadi, Tbilissi Werke von Berlioz und N. Rimski-Korsakow Freier Kartenverkauf! 1 | I \ l I 8. ZYKLUS-KONZERT 6085 Ra III-9-5 361 1,4 ItG 009/24/61