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Sächsische StaalszeÜung Staatsan^eiger für D den Zreiftaat Sachsen Dresden, Freitag, 2S. Juni 1929 Nr. 148 Erscheint Verltag» nachmittag» mit dem Datum de» ErschetnungStage». Bezugspreis: Monatlich 3 Marl. Einzelne Nummern 1ö Pf. Fernsprecher: Geschäftsstelle Nr. 21295 — Schriftleitung Nr. 14574, Postscheckkonto Dresden Nr. 2486. — Stadtglrvlonto Dresden Nr. 140, Leitweile Nebenblätter: Landtags-Beilage. Verkaufsliste von Holzpflanzen aus den Staatsforstrevieren, verantwortlich für die Redaktion: I. v.: vr. Fritz Klauber tn Dresden. Ankündigungen: Die 32 nun breite Grundzeile oder deren Raum 3V Pf, di« 66 rnm breite Grundzeit« oder deren Raum im amtlichen Teile 70 Pf , unter Ein gesandt 1RM. Ermäßigung aus GeschäsUanzeigen, Famtliennachrichten und Stellen gesuche. — Schluß der Annahme vormittag» 10 Uhr. Zur zehnten Wiederkehr -es Tages -es Krie-ensschluffes. Unser Recht auf Räumung. Die deutsche Erfüllungspolitik hat als erstes Ziel stets die Befreiung Ler besetzten Gebiete ver- folgt, die erreicht werden sollte, einmal um Deutsch lands Souveränität über sein gan es Staatsgebiet und die Einheitlichkeit der deutschen Wirtschaft wieder herzuflellen, zum anderen um von der Be völkerung der Besetzungsgebiete die Schmach des Lebens und Arbeitens unter fremden Bajonetten zu nehmen. Die Anstrengungen, die in dieser Richtung von Deutschland gemacht wurden, sind hinlänglich bekannt, so daß eine kurze Aufzählung genügt: Wir haben die vollständige Abrüstung nach dem Willen der Alliierten durchgesührt, haben im DaweSplan die Erfüllung der pekuniären Forde- rungen der Alliierten sichergestellt, haben im Locarnovertrag freiwillig die durch den Friedens vertrag geschaffene Westgrenze anerkannt, sind in den Völkerbund eingetreten, wodurch wir uns frei willig den Garantien unterworfen haben, die diese Organisation ihren Mitgliedern für die Erfüllung aller vertragsmäßigen Verpflichtungen gibt, und haben schließlich jetzt im Sachverständigengutachten von Pgttö Irte Annahme Mine» Zahlungsplan» in Auf sicht gestellt, 1mrch de« die Zahlung unsrer ganzen Schulden an die Alliierten in genau berechneten Raten gesichert ist. Aber immer noch stehen die alliierten Truppen im besetzten Gebiete, und auS französi chen Blätterflimmen kann man ersehen, daß ein Teil unserer Kriegsgegner alle die von Deutsch land schon geleisteten Garantien noch immer nicht als genügend ansieht, um sich endlich zur Räumung berertzusrnden. Daß Deutschland das moralische Recht auf Räumung längst erworben hat, darüber sind sich auch unsere Bertragsgegner im klaren. Aber wir haben auch einen juristisch gerechtfertigten Anspuch darauf, der in einem soeben als Schrift erschienenen Vortrag des Kieler StaatSrechtStehrerS Professor vr. Schücking vom Januar 1929 in klaren Aus- führungen aufgewiesen wird. Ter Anspruch wird begründet mit dem Artikel 431 des Versailler Vertrags, in dem es heisst: „Leistet Deutschland vor Ablauf der fünfzehn Jahre allen ihm aus dem gegenwärtigen Vertrag erwachsenden Verpflich tungen Genüge, so werden die BesatzungStruppen sofort zurückgezogen." Der klare Sinn dieser Be stimmung wird verdunkelt durch die Ausfassung unserer französischen Vertragspartner, daß die Be dingung über daS Genügeleisten persektischen Sinn habe, daß es also heißen müsse „Hat Deutschland Genüge geleistet . . .", weil der Artikel sonst mit dem Artikel 429 kollidieren würde, der für die loyale Erfüllung der laufenden Verpflichtungen eine etappenweise Räumung vorsieht. Schücking beruft sich demgegenüber einmal auf den genauen Wortlaut de» Artikels 431, dann aber auch darauf, daß in der Deklaration ter Alliierten vom 16. Juni 1919 über die Besetzung d e beiden Tatbestände der vollständigen Erfüllung aller Verpflichtungen auf der einen und de» Beweises guten Willens und der Leistung be, friedigender Garantien auf der andern Seite scharf auscinandergehalten werden und daß für den ersten Fall die augenblickliche Zurückziehung der Be satzungstruppen, für den zweiten aber ein Abkommen unter den alliierten Mächten über eine frühere Beendigung der Besetzung bestimmt wird. Der zweite Fall ist jetzt als gegeben anzunehmcn. Deutschland hat seinen guten Willen zu vielen Malen ausdrücklich bewiesen und außerdem Garan tien gegeben die weit über da» im Friedensvertrag Vorgesehenehin auSgehen und unsere BectragSgegner durchaus zufriedenzustellen geeignet sind, so daß es erwarten kann, die Alliierten zu einem Abkommen über die vorzeitige Räumung bereitzufinden. Schücking zieht noch ein Wyrt Clömenceaus aus der ersten Zeit nach dem Kriege heran, das, aus der da- maligen Ausfassung heraus gesprochen, für Deutsch- land schwer beleidigend war, aber inzwischen voll- An da« deutsche Volk! Berlin, den 28. Juni 4929. Oer Reichspräsident gez. v. Hindenburg. Oie Reichsregierung gez. Müller, gez. Stresemann, gez Groener, gez. Eurtius, gez. vr. Wirth, gez. vr. Schätzel, gez. Wissell, gez. vr. Hilferding gez. Severing, gez. Dietrich, gez. v. SuLrard, gez. vr. k. e. Stegerwald. Oer heutige Tag ist ein Tag der Trauer. Zehn Jahre sind verflossen, seit in Versailles deutsche Friedensunter* Händler gezwungen waren, ihre Unterschrift unter eine Urkunde zu setzen, die für alle Freunde des Rechts und eines wahren Friedens eine bittere Enttäuschung bedeutete. Zehn Jahre lastet der Vertrag auf allen Schichten des deutschen Voltes, auf Geistesleben und Wirtschaft, auf dem Wert des Arbeiters und des Bauern. Es hat zäher und angestrengter Arbeit und einmütigen Zufammenstehens aller Teile des deutschen Voltes bedurft, um wenigstens die schwersten Auswirkungen des Versailler Vertrages ab« zuwenden, die unser Vaterland in seinem Dasein bedrohten und das wirtschaftliche Gedeihen ganz Europas in Krage stellten. Deutschland hat den Vertrag unterzeichnet, ohne damit anzuerkennen, daß das deutsche Volk der Urheber des Krieges sei. Dieser Vorwurf läßt unser Volk nicht zur Ruhe kommen und stört das Vertrauen unter den Nationen. Wir wissen uns eins mit allen Deutschen in der Zurückweisung der Behauptung der alleinigen Schuld Deutsch« lands am Kriege und in der festen Zuversicht, daß dem Gedanken eines wahren Friedens, der nicht auf Diktaten, sondern nur auf der übereinstimmenden und ehrlichen Überzeugung freier und gleichberechtigter Völker beruhen kann, die Zu kunft gehört. ständig uä ubeurZum geführt worden ist: „Der Grund, weshalb der Friedensvertrag garantiert werden muß, liegt darin, daß es Vertrags- Parteien gibt, deren Versprechungen, wie man gesehen hat, nicht glaubwürdig sind." In den vergangenen zehn Jahren hat sich in der Ausfassung unserer VertragSgegner auch in dieser Beziehung manches geändert. Jedenfalls hat man die inzwischen von Deutschland gegebenen Ver ¬ sprechungen auf der Gegenseite als absolut glaub würdig hingenommen und so den Garantien des Fried.-nSvertrages, darunter auch der Besetzung, den Nechisboden entzogen. Die Räumung wird darum von uns nicht nur aus moralischen, sondern auch auS juristischem Recht durchaus mit guten Gründen erfordert. Würde man sie uns nicht gewähren, so würde das von uns als ein Rechtsmißbrauch und eine bloße Schikane empfunden, die den Schutz der Rechtsordnung nicht mehr verdiente. Ein Volk von 65 Millionen, das unter Aufbietung aller seiner Kräfte arbeitet, u« seine Schulden zu bezahlen, darf nicht länger durch cie Anwesenheit von fremden Soldaten auf deutschem Boden gedemütigt werden Di« Forderung aus Räumung erklingt am zehnten Jahrestag de» Friedensschlusses doppelt laut. Mögen die Alliierten sie endlich befolgen! Deutschen- einig im Wi-ermf. Oie sächsische Wirtschaft zur Kriegsschuldlüge. Dresden, 28. Juni. Die zur Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der sächsischen Wirtschaft zufammengeschloffenen Or- ganisalionen des sächsischen Handels, Hand werts, der Industrie und Landwirt schaft veröffentlichen anläßlich der Wiederkehr des Tages der Unterzeichnung des Versailler Vertrages folgende Kundgebung: Zum zehnten Male jährt sich Ler Tag. an dem Deutschland durch die Folgen des verlorenen Krieges, der Hungerblockade und innere Uneinig keit zur Unterzeichnung des Versailles Vertrages gezwungen wurde. Hat sich auch in den vergangenen Jahren der unbeugsame Lebenswille des deutschen Volkes, die rastlose Schaffenskraft seiner Wirtschaft in zähem Widerstand gegenüber diesem sinnlosen Werke der Knebelung und Vernichtung behauptet, haben auch harte wirtschaftliche Notwendigkeiten und vernunftmäßige Erwägungen die teilweise Wiedereingliederung Deutschlands in den fried lichen Güteraustausch der Welt ermöglich», so konnte doch bisher nur ein kleiner Teil ker durch Haß und Abneigung künstlich gegen die Freiheit des Wirtschaftsverkehrs aufgerichteten Schranken niedergelegt werden. Die seien Grundlagen für eine auf Vertrauen beruhende wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit der Völker fehlen fast noch allerorten Noch sind Fragen von großer nationaler aber auch wirtschaftlicher Be deutung nicht endgültig geregelt, weil der Ge- dan'e edlen friedlichen Wettstreits und wahren Volksnrenschemunrs immer noch überwuchert wird von nationalistischen Erwägungen Das schwerste psychologische Hemmnis ist ohne Zweifel die Kriegsschuldlüge, die von Deutschland in Zeiten der Ohnmacht erpreßte Anerkenntnis der Alleinfchuld am Kriege Die sächsische Wirtschaft, in wichtigen Teilen vom Fortfchreiten deS Gedankens inter nationaler Gemeinschaftsarbeit abhängig, ist sich am Jahrestage der Unterzeichnung des Versailler Vertrages mit dem gesamten deutschen Volk darin einig, daß die Beseitigung des in diesem Vertrage -enthaltenen, den historischen Tatsachen widersprechenden Kriegs schuldur teils aus Gründen nationaler Ehre, im Interesse der - Hebung der Völkermoral und wegen der No:- Wendigkeit, den wirtschaftlichen Wiederaujbau der gesamten Welt im gegenseitigen Vertrauen aller Völker zu fördern, ein unabweisbares Er fordernis ist. Sie unterstützt mit dem gesamten deutschen Volk Vie zuständigen Stellen des Reiches in ihrem Kampf gegen die Kriegsschuldlüge, um durch ihre Beseitigung den Weg für eine wahre Verständigung der Völker freizumachen und hält es für notwendig die Beseitigung des einseitig gefällten Kriegsschuldurteils durch Berufung eines neutralen internationalen Ausschusses von Sachverständigen, die ein unparteiisches Urteil über die Verantwortlichkeit für den Weltkrieg ab- geben soll, zu betreiben. Große Kundgebung in K-ln. Köln, 28. Juni. Tie Deutschnationale BolkSpartet, die Deutsche Volkspartet, dieZentrumS- Partei, die Deutsch-demokratischePartei sowie die Reichspartei des deutschen Mittelstandes hatten die Kölner Bevöl- kerung am Vorabend deS 10. Jahrestages der Unterzeichnung des Versailler Vertrages zu einer Kundgebung gegen die Kriegsschuldlüge c uf den Dom- platz aufgerufen. Kopf an Kops füllten Tausende den weiten Platz vor dem Dom, dicht gedrängt noch die Zugangsstraßen zum Dome versperrend. Tie ehernen Klänge der Schicksalsglocke vom Rhein läuteten die Feier ein. Gewaltig brauste über den Platz dann, vom Kölner Männergescngvcrein ge- sungen, der Chor „Flamme empor". Sovann hielt der Stadtverordnete der Zen» trumSpartei Schaeven eine Ansprache, in der er aus die Bedeutung des Protestes hinwies. Er gab in kurzen Umriffen ein Bild der großen welt geschichtlichen Ereignisse der letzten 1b Jahre, die die Bevölkerung im Westen des Reiches unmittel barer und lebendiger erlebt habe als andere. Der Redner schilderte dann kurz die verhängnisvollen Auswirkungen de» FriedenSdiltateS. Er führte dabei au»: „Indem wir laut und feierlich ein Bekennt- i niS zum ehrlichen Frieden ablegen, weisen wir mit tiefer Sorge darauf hin, daß die Welt immer noch in Waffen staut. Die Abrüstung ist in Deutschland durchgesührt. Wir verlangen die Abrüstung der anderen Große Teile des Rheinlandes leiden noch heute unter der fremden Besatzung. Macht die Bahn frei zu wirklicher Verständigung! Räumt endlich deutschen Boden!" Brausende Zustimmung auS der Menge zeigte die Einheit der Rheinländer in diesen Forderungen. Am Schlüsse seiner Rede führte er au»: „In Freiheit und Gerechtigkeit wollen wir unser Reich bauen, bereit zum friedlichen Wett kampf mit den Völkern der Erd«. Herr mach uns frer l" Entblößten Hauptes horchten die Versammelten dem wiederum vom Männergesangverein vorgetra- genen Niederländischen Tankgebet und stimmte» begeistert in den letzten Vers ein. Schwer hallten die Schläge der großen Domglocke über den Platz, dann stimmten die Tausende in das Deutschland lied ein. * In einem Ausruf, den dieBolkSrechtpartel erläßt, nimmt auch sie zur Kriegsschuldlüge Stellung. Aus dem Aufruf sei folgendes wieder gegeben: Der sogenannte Houngplan hat die mit der Kriegsschuldlüge begründete Verpflichtung Deutsch lands zur Wiedergutmachung der KriegSschäven noch weiter ausgedehnt. Die Bolkirechtpartei wird den Kampf gegen diese Versklavung mit aller Energie weitersühren und erhebt erneut die Forderung, daß die end gültige Regelung der Reparationsoerpflichtungen auf der endgültigen Lösung der Frage der inneren Schuldverpflichtung aufgebaut werden muß. Ser Gruß Danzigs an da- deutsche Voll. Danzig, 28. Juni. Im VolkStag wurde zu Beginn der gestrigen Sitzung aus Anlaß der 10. Wiederkehr des Tage» der Unterzeichnung des Versailler Friedens- Vertrages eine von sämtlichen deutschen Parteien mit Ausnahme der Kommunisten unterzeichnete Er klärung abgegeben in der es u a heißt: Der FriedenSvertrag löste die fast ret»» deutsche vrbSlkrruug der Freie» Stadt Dauzi-