Volltext Seite (XML)
Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumcrnlions-Preis 22l Silöergr. (j Thlr.) vierieljährlich, Z Tdlr. für das ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Comp., Iägerftraßc Nr. 23), so wie von allen König!. Post-Aemtern, angenommen. Literatur des Auslandes. 3. Berlin, Sonnabend den 6. Januar 1844. Japan. Geselliges und häusliches Leben in Japan. Dieselbe Unbeweglichkeit, die das politische Leben der Japanesen charak- tcrisirt, herrscht auch in ihrem gesellschaftlichen und Privatleben. Um der Ordnung und Stabilität willen ist jede Freiheit, jede Bewegung aufgehoben; jenseits der Sphäre der individuellen Interessen giebt es keinen Aufschwung, keine Thätigkeit; der Zwang macht sich überall fühlbar, und alle Handlungen des Lebens nehme» eine conventionelle Gestalt an. Gleichwohl sind edle und großherzige Gesinnungen den Japanesen nicht fremder als jedem anderen Volk; im Gegentheil, sie treten oft genug mit großer Gewalt hervor, aber sie bleiben unfruchtbar, d. h. sie sind von keiner schöpferischen, gestaltenden Wirkung, von keinem Fortschritt begleitet. Die Annalen Japans bieten überraschende Thatsachen, Beispiele von Hingebung und Heroismus; aber sie haben hier einen ganz abweichenden Charakter; sie bilden eine schöne Seite in der Ge schichte, aber Niemand weiß eine Lehre daraus zu ziehen. Oft nehmen die Gefühle der Hingebung und der Ehre, die bei den Japanesen so lebendig sind, eine ganz seltsame Form bei ihnen an und äußern sich auf eine für uns ab stoßende Weise. Ein hoher Beamter hat sich Ungerechtigkeiten und Erpressungen zu Schulden kommen lassen, aber er richtet sich selbst, um dem Skandal des Prozesses oder der Todesstrafe zu entgehen; er giebt sich feierlich den Tod, um sich nicht den Tadel seines SouverainS zuzuziehen, oder macht sich freiwillig zu seinem Spion. Dieser Gegensatz tritt überall in den Sitten hervor. Die Central- und Lokal-Regierung wacht über die Sicherheit des Eigenthums und unterdrückt im Keime jede Volksbewegung, aber sie tolerirt die Unordnung der Sitten und die Prostitution, sie nährt die Privatfcindschaften der Großen und läßt sie sich gegenseitig aufreiben. Was kann das Privatleben einer solchen Gesellschaft seynt sie vegetirt mehr, als sie lebt; sic bewegt sich in einem be schränkten Kreise, zwar ohne Erschütterung, aber auch ohne Erhebung. Um von dem Leben dieser, wie jeder anderen, Gesellschaft eine Vorstellung zu geben, müssen wir vor Allem vom Weibe sprechen. Die Stellung des Weibes in Japan hält gewissermaßen die Mitte zwischen der, die sie in Europa einnimmt, und der, welche ihr der Koran in den muselmännischen Ländern angewiesen hat. Die Treue der Gattin und die Keuschheit der Jungfrau haben dort keinen anderen Wächter als ihr eigenes Ehrgefühl, das allerdings befestigt wird durch die Gewißheit, daß der Tod die unmittelbare Folge ihres Falles sepn würde. Dieses Vertrauen auf die Tugend des Weibes wird von ihr so vollkommen gewürdigt, daß, wie man sagt, eine untreue Gattin in Japan ein unbekanntes Phänomen ist. Der Geist des Weibes wird daselbst mit gleicher Sorgfalt, wie der des Mannes, ausgebildet, daher auch unter den geschätztesten Schriftstellern des Landes, Dichtern, Historikern und Moralisten, mehrere Frauennamen figurircn. Im Allgemeinen sind die japanischen Frauen liebenswürdige, muntere Gesell schafterinnen; ihr feines Benehmen, ihre Anmuth in der Unterhaltung sind oft von den Reisenden gelobt worden. Auf der anderen Seite jedoch werden dieselben Frauen, welche die Gesell schaft und die Zerstreuungen der Männer thcilen dürfen, ihr ganzes Leben hindurch in einer Art Vormundschaft gehalten, in der vollständigsten Abhän gigkeit von ihren Vätern, ihren Männern und selbst ihren Söhnen; sie ge nießen keine bürgerliche Rechte ; ihr Zeugniß wird vor Gericht nicht zugelaffen. Der Mann kann in das Haus, das von seiner rechtmäßigen Fran regiert wird, so viel Frauen zweiten Ranges cinführen, als cs ihn, beliebt, und obgleich diese Letzteren an Würde und Ansehen der Ersteren nachstehen, so lastet doch kcinesweges ein Makel auf ihnen; nur haben sie nicht das Recht, sich ihrer Augenbrauen zn entäußern, eine sonderbare Auszeichnung, die der recht mäßigen Frau allein Vorbehalten ist. Der Mann hat ein unbeschränktes Scheidungsrecht; nur ist er genöthigt, für den Unterhalt der verstoßenen Frau zu sorgen, und zwar dem Range an gemessen, den er in der Gesellschaft einnimmt. Aber selbst von dieser Ver pflichtung wird er sreigesprochcn, wenn er einen plausibeln Grund für die Scheidung anführen kann. Unter diesen Gründen steht die Unfruchtbarkeit der Frau obenan. In diesem Fall verliert die arme Unglückliche jeden Anspruch auf eine Unterhalts-Pension. Was die Frau betrifft, so kann sie unter keinem Vorwand auf Scheidung antragcn. 3m Innern des Hauses ist die Frau Herrin; aber sie wird in vielen Be ziehungen mehr wie ein Spielzeug, wie ein Gegenstand der Zerstreuung für ihren Mann behandelt, als wie ein vernünftiges Wesen, das seines Ver trauens würdig ist; sie hat mehr den Beruf, ihn zu amüsiren, durch ihre Unterhaltung und ihre Talente zu erheitern, als seine Beschäftigungen und Sorgen zu theilen; nicht bloß die öffentlichen, sondern selbst die Privat- Angelcgenheiten des Mannes bleiben ihr verborgen, und die geringste Frage, die eine Frau hierüber thun würde, würde als ein Akt unverzeihlicher Kühn heit betrachtet werden. Man sieht, daß die Lage der Frau in Japan nicht viel besser ist als im muselmännischen Orient; unter der Herrschaft des Koran hat die Frau keine Freiheit, aber sie bildet eine Individualität für sich und steht in vielen Fällen außer Vormundschaft; das Gesetz scheint sie mehr als ein dem Mann feind liches Geschöpf, denn als ein schwaches Wesen zu behandeln, das seines Schutzes bedarf. In Japan dagegen wird sie immer als im Zustand der Minorennität betrachtet. Wie verschieden übrigens die Stellung der japane- sischen von der der muselmännischen Frauen ist, zeigt noch folgender Umstand. Ueberall in Japan giebt es sogenannte Theehäuser, die den Reisenden eine Herberge und Erfrischungen darbicten. Die Zahl dieser Häuser ist bedeutend; ihre Besitzer pflegen arme junge Mädchen zu kaufen, denen sie eine sehr sorg fältige Erziehung geben lassen, um sie dann der Prostitution preiszugeben. Die Bildung derselben ist so vorzüglich, daß viele Männer ihre rechtmäßigen Frauen veranlassen, jene Gesellschaft zu besuchen, um ihre Erziehung zu vervollkommnen. Diese Mädchen finden oft einen Mann und sind sogar wegen ihrer geistigen Vorzüge gesucht. Sobald sie einmal Gattinnen gewor den, entsagen sie der Unkeuschheit und führen ein exemplarisches Leben. Die Besitzer der Theehäuser, die sich mit diesem schimpflichen Gewerbe abgeben, werden allgemein verachtet, ihre Opfer dagegen nicht. Doch kehren wir zu dem normalen Zustand der Frauen zurück. Wenn die ersten Symptome der Schwangerschaft einer Frau sich zeigen, so bindet man ihr einen Gurt von rothem Krepp um den Leib unmittelbar unter dem Busen. Dies geschieht mit großer Feierlichkeit und mit besonderen religiösen Ceremonicn. Die Wahl der Person, die den Gürtel überreicht, ist von großer Wichtigkeit. Nach den japanischen Gelehrten wird diese Gewohn heit zum Andenken und zur Ehre der Witwe eines Mikado beobachtet, welche vor etwa sechzehnhundert Jahren beim Tode ihres Gatten, in einem Zustand vorgerückter Schwangerschaft, sich den Leib mit einer Schärpe gürtete, sich an die Spitze der verwaisten Truppen stellte und die Eroberung Korea'S vollendete. Der Name dieser Amazone, die nach Klaproth selbst aus kaiser lichem Blut stammte, ist Sin-Gu-Kcvo-Gu. Diese muthige That erwarb ihr die höchste Gewalt. Die japanesischen Gelehrten find darüber uneins, ob die genannte Heldin als Mikado anerkannt wurde; so viel ist gewiß, daß sie, so lange sie am Leben blieb, regierte, d. h. neunundsechzig Jahre lang, und als sie in einem Alter von hundert Jahren starb, ward der Sohn, den sie damals kurz nach dem Tode des Kaisers zur Welt brachte, ihr Nachfolger. Mutter und Sohn sind übrigens unter die Gottheiten des Landes ausgenommen worden. Nach der Meinung des Haufens wäre dieser Gurt nur ein physisches Mittel, welches verhindern soll, daß der Fötus die der Mutter bestimmten Nahrungsmittel absorbirt und die Letztere Hungers stirbt. Genug, die rothe Schärpe bleibt auf dem Leibe der Frau bis zum Moment ihrer Niederkunft. Aber damit endigen die Ceremonicn, die sic auszuhalten genöthigt ist, nicht. Sobald sie niedergekommen ist, wird sie in ihrem Bett aufrecht gesetzt und durch zwei Neissäcke unter jedem Arm und einen hinter dem Rücken in dieser Stellung erhalten; so bleibt sie in beständigem Wachen und bei sehr frugaler Nahrung neun Tage und neun Nächte lang sitzen. Was bei dieser seltsamen Gewohnheit am meisten in Verwunderung setzt, ist, daß für die Gesundheit der Frau keine Übeln Folgen daraus entspringen; nur hat man bemerkt, daß die Frauen in Japan viel mehr Zeit als in anderen Ländern brauchen, ehe sie zu vollkommener Kraft und Gesundheit zurückgekehrt sind. Hundert Tage lang nach der Entbindung wird die Frau als krank betrachtet und behandelt. Erst nach Verlauf dieser Zeit nimmt sie ihre Beschäftigungen wieder auf, besucht den Tempel der Familie und entledigt sich der Wallfahrt oder jeder anderen religiösen Handlung, die sie in der Stunde der Gefahr gelobt hat. Unmittelbar nach der Geburt wird das Kind gebadet, aber weder in Windeln geschnürt, noch in irgend ein Kleid gehüllt, das der Entwickelung seines Körpers schaden könnte. Man entfernt sich von diesem Gebrauch nur bei einer einzigen Gelegenheit; wenn man dem Kinde einen Namen beilegt. Diese Ceremonie findet für den Knaben am cinunddrcißigsten, für das Mäd chen am dreißigsten Tage nach der Geburt statt. Man führt das Kind in den Tempel der Familie; die Bedienten kommen hinter ihm und tragen die ver schiedenen Stücke seiner Toilette. Zuletzt kommt eine Magd, die eine Büchse