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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration»-Preis 22j Siwergr. (^ Lhlr.) vierteljährlich. Z Th!r. für das ganze Jahr, ohne Erhöhung, in alle» Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin s4r die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Comp., Jägerstraße Nr. 25), so wie von allen König!. Post-Äemiern, angenommen. Literatur des Auslandes. 101. Berlin, Mittwoch den 23. August 1843. Polen. Die Polnische Volksdichtung und die Nkrainomanie. Die Polnische Volkspocsie datirt vom ersten Auftreten Brodziüski's, des Vorläufers und Genossen von Mickiewicz, der durch Erhebung seiner Waffe gegen die alte Klassizität der KochauowScy und die klassisch scyn sollenden Panegyrikcn des I8tcn Jahrhunderts der romantischen Schule und demnächst der nationalen Richtung den Sieg erringen half. Die aus dem frischen Leben der Geschichte aufsteigendcn Bilder, die im Herzen des Volks sich regenden Wünsche und Klagen wurden nun das gesuchte und überschwängliche Material des Lyrikers, der sich nicht mehr über die Gränzcn Polens hinauswagte. Es galt, das eigene Volksleben, wie es seit Jahrhunderten gewesen, zu durch dringen, zu erkennen und zu besingen. Jedes geistige Symptom des Volks lebens wurde der Beobachtung werth gehalten, jeder Zug von Eigenthümlich- keit sestgehalten und in die Schrift als ei» historisches Denkmal verzeichnet; jede Thräne, jeder Seufzer des Volks schuf dem Sänger Begeisterung, jedes Sprüchwort, jede Fabel wurde der Vergessenheit sorgfältig entzogen; eS wurde das Volk in Spiel und Tanz beobachtet und seine Natur und seine Lebensformen gezeichnet. Denn man hatte nun endlich erkannt, daß, wie schon Karpinski sagte, die Literatur nicht in der Nation, sondern neben der Nation herlause, wie ein verlassenes Kind, das die gebildete Welt über die Achsel ansah und die ungebildete Masse als etwas Gefahrbringendes fürchtete. Man erkannte, daß der Keim der Nationalität in seiner ungetrübten Reinheit sich nur im Herzen des sogenannten gemeinen Volkes rege, daß derselbe, in der intelligenteren Welt vermengt und gefärbt, dort sich nur mehr in seiner wahren Stärke offenbaren könne. So wurde Las Volk durch einen plötzlichen Anstoß in dir Literatur hineingezogen und wurde der nothwcndige Heerd der. selben. In seinem Schoße erwuchsen frische kräftige Produkte, die von Nach ahmung und Verzerrung frei waren. Gleichzeitig mit dem Erwachen der Volksliteratur entstand der Einfluß der Ukrainer Poesie, durch den die erste nationale Dichtung, MalczewSki'S „Maria" hcrvorgerufen wurde. Sic wirkte mit einer elektrischen Macht auf den Geist des Volks und die Richtung der Literatur, wiewohl sie lange genug übersehen worden war. Nach ihrer Bekanntwerdung wurde sie das Muster der Form und des Inhalts nnd erlangte bis heute eine ungemeine Ver breitung. Sie wurde wiederholt in Polen, dann in Frankreich und England gedruckt, und es giebt keinen auch nur mittelmäßig gebildeten Landsmann Malczcwski's, der aus dieser „Maria" nicht ganze Episoden auswendig her- sagcn könnte. Der Stoff der Dichtung besteht aus echt nationalen Momenten: „In der Wojewodschaft Brailaw wohnt ein mächtiger Graf, dessen einziger Sohn „Waclaw" die Tochter „Maria" eines „Czesnik" (Truchseß), welcher ein schlichter Edelmann der alten Welt und Besitzer von einem Dörfchen war, heiraten will. Der Graf verweigert lange seine Einwilligung zu dieser Ehe, läßt sich jedoch endlich durch die Bitten des Sohnes scheinbar zur Nach giebigkeit bewegen. Er giebt indeß dem Sohne auf, sich erst im Kampfe gegen die Tataren zu versuchen, damit er sich einer wackeren Braut würdig zeige. Dieses geschieht; Waclaw schließt sich mit seiner Mannschaft dem künf tigen Schwiegervater an, und Beide ziehen in den Kampf gegen die ewigen Ruhestörer. Der Kampf endet glücklich; Waclaw eilt dem Schwiegervater voraus in die Arme der Liebe und findet seine Braut — im Sarge. Die alte Dienerschaft eröffnet ihm, die Braut sep durch eine Kulig-Gesellschaft ertränkt worden. Kulig ist nämlich eine Polnische Karnevals-Belustigung, welche die ganze Umgegend irgend eines Orts in Masken-Anzügen veranstaltet, auf einen beliebigen Hof mit rauschender Musik hiufährt und dort Wochen hindurch ihre Orgien feiert. Heute ist nur noch ein Schatten dieser Sitte übrig. Waclaw kehrt, schmerzgebeugt durch die Gewißheit, vaß sein eigener Vater ihm so grausam die Braut gctödtkt, zum Tode an den Dniepr unter die Saporower, dem Aspl der Unglücklichen, zurück und stirbt unter den giftigen Pfeilen der Tataren, während Maria'S Vater auf deren Grabe endet." — Eine tragische und wahre Geschichte. Malczewski schrieb sie in per Epoche seines tiefsten Schmerzes, einer unglücklichen Liebe. Sein trüber Lebenslauf führte nur dunkle Bilder vor seine -Phantasie, und die ganze Ukraine hatte ihm eine finstere Färbung; daher sein Motto: „Weile, üpp-gr, Ukraine, Teaun, du trägst des UngiüSS finstre Stirne." Malczewski hatte durch Welt- und Menschenkenntniß, die er in seiner mili- tairischen Stellung, im Kriege und auf Reisen gesammelt hatte, seine Phantasie bereichert und trug daneben in sich den reinen Kern eines tiefen VolksbcwußtscpnS. Er starb zu Warschau in Armuth und Kummer, berühmt durch eine Dichtung von einigen hundert Verse». Fast das Gegenstück MalczewSki'S bildete Zaleski, der durch seine hei tere, sinnige Anschauung der Ukraine, woher er ebenfalls die Bilder für seine Dichtungen nahm, bald die allgemeinste Bewunderung erregte und sich den Namen des Steppensängers erwarb. Man siebt jedem seiner Bilder und Worte an, daß sie erlebt und wirklich sind, daß sie aus der Tiefe seiner Brust auf- stcigen und eine Art von Leidenschaft, athmen, welche nothwcndig ist, um Be geisterung hcrvorzurufen. Die Ukraine kann man nicht treu schildern, wenn man ihr nicht mit Geist und Blut angehört hat. Daher ist der Puschkinsche Mazeppa, weil das Land, auf dessen Boden sich der Dichter versetzt hatte, seiner Wirklichkeit zu fern lag, nur ein schwaches Bild historischer Ereignisse, vermischt mit Schilderungen von Land und Volk, welche keine eigene An schauung vcrrathen. Puschkin stellt den Greis Mazeppa an den Schluß seiner Geschichte und behandelt ihn als einen schwachen Haltpunkt historischer Ereig nisse, als einen Mann, der sich überlebt hat und sich von dem Andenken seines früheren Heldenruhms »ährt; wogegen der echt Ukrainische Mazeppa ein kräf tiger, sprühender Jüngling ist, der mit Lebensgefahr voni Hofe Johann Casi- mir'S entflieht, um in Kämpfen und Drangsalen sich eine Geschichte zu schaffen. Die Ukraine init ihren Charakteren ist ein durch und durch poetisches Land ; seine Bewohner wurden noch unter Katharina von den civilisirten Bewohnern Petersburgs als ausländische Thiere bewundert. DaS Volk ist freiheitsliebend, natürlich und moralisch, und diese Trinität giebt ihrer Poesie einen so uncnd- lichen Reiz, daß selbst ein so kräftiger Dichter wie Goszczynski nicht umhin konnte, die Ukraine zu feiern und aus ihr seinen Dichterstoff zu holen. — Schade nur, daß ÄoszczyüSki und Zaleski, welche Beide in Paris unter den Polnischen Emigranten lebe», die schädliche pietistische Richtung derselben thei len, und darum der Literatur früh absterben. Sicmwski und die anderen Ukrainromancn werden die Abgestorbenen schwerlich ersetzen, wenn sie auch den besten Willen behalten. Der Nomanschreiber Czapkowski gehörte bisher seinem ganzen Wesen nach der Ukraine an, und gab die Bilder Goszczyüski's aus dessen znmr-ll Kaniorv.-iki — „Schloß von Kaniow", worin der Dichter die Elemente des Ukrainischen Romans niederlegt, in anderen Formen wieder. Czapkowski würde bei etwas mehr Erudition und Allseitigkeit ein Polnisch nationaler Schriftsteller sep», während er nur für einen Ukrainischen Volksrichter zu halten ist. Die Ukraine ist sein eigenstes fruchtbares Terrain, über dessen Gränzen er mir mit Gefahr der Verletzung seines Rufes geschritten ist. Czapkowski iss ein Krieger alter Art, der mit der Karabclc in der Hand seine Figuren zeichnet; er ist dabei ein Pole mit allen Idiomen und Grimaccn seiner Heimat. Der höhere Ton der Gesellschaft ist ihm fremd, er hat nur eine individuelle Anschauung seines speziellen Terrains. Daher rührt die kalte Aufnahme Ezaykowski'S in der Deutschen Ucbersctznng, wo die Färbung des Originals durch die Sprache verloren geht und die ihm kräftigen Bilder und Worte dem Deutschen an Mattheit und Trockenheit, das Ganze aber an Gevankcnlccrheit zu laboriren scheint. Czapkowski redet nicht die einfache Sprache unserer Romanschreiber; er spricht in den freilich zu oft wiederkchrenden Phrasen der Begeisterung: ;. B. „Es krächzen die Raben, sse wittern den neuen Schmaus und wetzen die Schnäbel — das stolze Roß wirft kühn mit dem Genicke, der klirrende Säbel schlägt an seine Seiten die Büschel der Helme strahlen, die Lanze» blitzen und eS erschallt der Ruf der Saporogcr Schaar bis nach dem Kicfernwalde, wo das Echo an jeden Baum sich klammert und hurtig abspringt, um, nach dem es verkündet den Rachedurst der Saporogcr dem Walde, zurückzukehren zu der streitbaren Schaar und zu verhallen in den Tönen der kriegerische» Doucka ")." - Diese lange» Worte heißen kurz: „Der Zug der Saporogcr setzt sich in Bewegung." DaS erstemal gefallen diese Bilder, aber sie lang weilen bei öfterer Wiederholung. Obgleich nun Czapkowski seine großen Mängel hat und, wie zu sehe», seit seinem Aufenthalt in Paris nur Bücher und zwar zahlreiche Bücher schreibt, um sein Leben zu fristen, so ist ihm doch rin ungemeiycr Einfluß auf die Entwickelung einer nationalen Literatur nicht abzusprechen. Er hat ein neues Element in dieselbe hineingezogen, das in seinen Nachfolgern unbedingt fähigere Bearbeiter finden wird, nachdem eS ein mal durch eine Zahl von vielgelcsenen und Mode gewordenen Schriften mani- fcstirt worden ist. Auch Czapkowski hat leider heute zur Fahne des sehr um sich greifenden Mystizismus geschworen, und gerade von dieser Seite her droht ') Finstere, Kosäkssche Kriegöüebcr. —