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Schönburger Tageblutt Erscheint täglich mit Ausnahme der Lage nach Sonn- und Festtagen. Beiträge sind erwünscht und werden eventuell honorirt. Annahme von Inseraten für die nächster- scheinende Nummer bis Mittags 12 Uhr des vorhergehenden Tages. «nd Waldenburger Anzeiger. Der Abonnementspreis beträgt vierteljähr lich 1 Mk. 50 Pf. Alle Postanstalten, die Expedition und die Colporteurs dieses Blattes nehmen Be stellungen an. Einzelne Nummern 8 Pf. Inserate pro Zeile 10 Pf., unter Eingesandt 20 Pf. Amtsblatt für den Stadtrath zu Waldenburg. 233. Freitag, den 6. October 1882. *Waldenburg. 5. October 1882. Zur Tagesgeschichte. Das Centrum tritt mit einem Wahlaufruf hervor, der unter eigenthümlichen Umständen veröffentlicht wird. Er ist unterzeichnet von den Abgeordneten Frhrn v. Schorlemer-Alst, vr. Windthorst, Or. Reichensperger (Köln) und Reichensperger (Olpe), de Syo, Hüffer, Biescnbach, Gras Maluschka, vr. Franz, Kaufmann und vr. Frhr. v. Heeremann; aber er ist bereits am Schluffe der letzten Land tagssession, im Mai, verfaßt und nach der Versiche rung der „Germania" ist daran nichts geändert worden, obwohl die Stimmung und Lage inzwischen eine wesentlich andere, „eine besonders schwierige" geworden ist. Er ist sonach, wie das leitende Blatt des Centrums ausführl, veraltet und entspricht nicht mehr der augenblicklichen Situation. Die Bemer kungen, welche die „Germania" hinzufügt, erscheinen daher auch interessanter und wichtiger, weil die augenblickliche Lage besser kennzeichnend, als der Wahlaufruf selbst. Der letztere ist so vorsichtig und leidenschaftslos, aber auch so unbestimmt, wie wohl noch kein Aufruf aus dem klerikalen Lager erlassen worden ist. Gegenüber der Negierung und den Conservativen ist er weit verbindlicher und entgegen kommender, als es heute dem leitenden Centrums blatt selbst noch gerechlfertigt scheint. Er kennt die fortschreitende Ueberzeugung von der Nothwendigkeit der Wiederherstellung des inneren Friedens an und spricht die Hoffnung aus, daß den Anfängen zur Besserung bald die volle That folgen werde; er sagt der conservativen Partei Dank für die Unterstützung in dem Bestreben, Härten zu mildern und für die Herbeiführung des Friedens Zeit und Boden zu gewinnen. Allein, bemerkt die „Germania" dazu, jetzt sind die Hoff nungen bedeutend herabgedrückt, die Regierung verweigert ohne jeden Grund die Ausführung der ihr zur Milderung des Culturkampfes verliehenen Voll machten, und während früher die Verhetzung der beiden Cvnfessionen das besondere Anliegen der Liberalen gewesen sein soll, beiheiligten sich neuerdings auch conservative Elemente und die officiöse Presse an diesem Geschäft. Während der Aufruf noch von einer christ- lich-conservativen Regierung spricht und eine Umkehr von den Wegen des falschen Liberalismus wahr nimmt, constatirt die „Germania" neuerdings wieder einen liberalisirenden Zug und in der Socialreform einen kapitalistischen Anstrich, sowie einen fortschrei tenden Mangel an Stetigkeit und Klarheit der Regierungspolitik. Im Uebrigen bietet der Wahl aufruf kaum etwas Neues oder sonderlich Bemerkens- werthes. Aus den Bemerkungen der „Germania" verdient noch der Satz hervorgehoben zu werden: „Die Session schloß unter der erfreulichen und fruchtbaren Thätigkeit einer antiliberalen Mehrheit. Die sonderbare Wahlpolitik der Negierung hat es in zwischen dahin gebracht, daß eine liberale Mehrheit als Ergebniß der Neuwahlen zu befürchten steht und daß jedenfalls die Hoffnung auf eine ent schlossene antiliberale Politik bereits auf ein Mini mum reducirt ist." Die Ultramontanen scheinen demnach für die bevorstehenden preußischen Land tagswahlen nicht viel Hoffnung auf Bewahrung ihrer sämmtlichen Sitze im preußischen Abgeord netenhause zu hegen. Das Centrum fühlt sich un sicherer wie je, zumal auch die Verbindung zwischen ihm und den Conservativen seit dem Mischehenstreite so lose geworden ist, daß von einer conservativ- klerikalen Allianz füglich nicht mehr gesprochen werden kann. Die Regierung aber richtet sich — wenn nicht alle Anzeichen trügen — auf ein Zusammen gehen mit den gemäßigten Parteien von rechts nach links ein; für das Centrum bleibt also wenig Hoff nung auf Mitwirkung bei der legislatorischen Thä tigkeit der nächsten Zeit. In der egyptischen Frage lauten die neuesten Nachrichten recht erfreulich. Das englische Cabinet scheint nach allen Seiten hin beruhigende Erklärun gen abgegeben zu haben, die mit Vertrauen ent gegengenommen werden. Ob die gute Stimmung von Dauer sein wird, kann man noch nicht sagen; für den Augenblick jedoch besteht in Wirklichkeit ein europäisches Concert, das durch keinen Mißklang getrübt wird. *Waldenburg, ö. October 1882. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Der Kaiser kehrt von Baden-Baden direct nach Berlin zurück und wird nur in den letzten Tagen dieses Monats einer Einladung zu den Jagden des Großherzogs von Mecklenburg-Schwerin folgen. Im November will sich der Kaiser dann an den dies seitigen Hofjagden in den Provinzen Schlesien, Brandenburg und Sachsen betheiligen. In einem „Die Staatsregierung und die conservative Partei" betitelten Artikel schreibt die „Prov.-Corresp", die conservative Partei werde sich in allen technischen Fragen, unbeirrt von Rück sichten der Popularität oder der socialen Interessen, deren Einfluß das conservative Gewissen nicht dulde, aus Sachkundige aus ihrer Mitte oder, wenn solche zeitweilig für die bestimmte Frage nicht vorhanden seien, am liebsten auf die Autorität und Sachkunde der Regierung verlassen und der Regierung die Un abhängigkeit als Selbstzweck gegenüberstellen. Die selbe zugleich als Popularitätsmittel bei den Wahlen zu benutzen, könne unmöglich der Gesinnung der Partei entsprechen, die sich selbst oft die Partei der königlichen Autorität genannt habe. Es sei ein er habener Beruf des Königthums, stets das dauerhaft Gute im Auge zu behalten und dasselbe niemals durch Nachgiebigkeit gegen die Launen des Tages, welche das Parteileben zeitige, zu gefährden. In der Widerstandsfähigkeit gegen diese Launen bei einer vertrauensvoll schaffenden und thätigen Wechselwirkung mit dem Thron und seinen Dienern liege die Unabhängigkeit der conservativen Partei. Von dorther habe sie wohlthätige Impulse zu empfangen und kräftig weiter zu tragen, dadurch sei sie aber auch berechtigt, mit ihren Gedanken und Rathschlägen an höchster Stelle beachtet zu werden. In unterrichteten Kreisen wird bestimmt versichert, der Reichskanzler möchte am liebsten eine Mittel partei aus den Conservativen, Freiconservativen und gemäßigt Liberalen gebildet haben. Zufolge der Nachweise des kaiserlichen statistischen Amts im Augustheft seiner Monatshefte über die Ergebnisse der Rekrutenprüfungen im dent- schen Heere betrug die Procentzahl der Rekruten ohne Schulbildung 1875 2,37, 1876 2,12, 1877 1,73, 1878 1,80, 1879 1,57, 1880 1,59, 1881 1,54. Unter „Jahr" ist hier das „Ersatzjahr," also z. B. 1881 daß Ersatzjahr 1881/82 verstanden, bezw. sind die im Ersatzjahr 1881/82 mit dem Ende 1881 eingestellten Rekruten vorgenommenen Prüfungen gemeint. Diese Prüfungen erstrecken sich gemäß § 12 der Rekrutirungsordnung vom 28. September 1875 darauf, ob der Rekrut „genügend" lesen und seinen Vor- und Zunamen leserlich schrei ben kann. Eine Gesammtübersicht über die Ergebnisse der diesjährigen Ernte liegt zwar noch nicht vor, doch lassen vereinzelte Berichte aus verschiedenen Gegen den darauf schließen, daß die Ernte im Allgemeinen den ursprünglichen Erwartungen ziemlich entsprochen hat, und die späteren Befürchtungen nicht, wenigstens nicht in dem vorausgesetzten Maße eingetroffen sind. Das bairische statistische Bureau hat eine Ueber- sicht über die Confessionsangehörigkeit der Bevölkerung Baierns veröffentlicht. Die Volks zählung vom 1. Decbr. 1880 ergab für Baiern eine Gesammtbevölkerung von 5,284,778 Einwohnern. Davon sind: Katholiken 2,748,032; Protestanten 1,477,320; Mennoniten 3820; Angehörige „freier Religionsgenossenschasten" 1504; Griechisch-katholische 216; Anglikaner 82; „Sonstige" 35; Israeliten 53,526; Confessionslose 243. Ein immerhin be- merkenswerther Umstand ist es, daß ein Vergleich der gegenwärtigen Verhältnisse mit dem Stand der Dinge vor 40 Jahren eine Verminderung der israe litischen Bevölkerung um 5850 Personen ergiebt, während die Gesammtbevölkerung seit jener Zeit um 913,801 Personen gewachsen ist. Von diesen fallen 20,6 Proc. auf die Katholiken, 23,7 auf die Pro testanten. Diese größere procentuale Zunahme der protestantischen Bevölkerung wird wohl nicht mit Unrecht der seit dem Jahr 1870 stärker gewordenen Zuwanderung aus Norddeutschland zugeschrieben oder, wie das Sigl'sche „Vaterland" sagt, der zu nehmenden „Verpreußung Baierns"; es hat sich nämlich seit dem Bestehen des „neuen deutschen Reiches" die Zahl der in Baiern befindlichen An gehörigen anderer deutscher Staaten um mehr als die Hälfte, nämlich um 56 Procent gehoben. Oesterreich. Da das Standrecht für einen Monat über das Preßburger Komitat verhängt ist, werden darnach als standrechtlich behandelt alle Diejenigen, welche Raubmord, Raub oder Brandstiftung verüben, sowie die Theilnehmer an diesen Verbrechen. Am 3. d. wurden wieder an 20 Orten Exzesse verübt. Socia- listische Agitatoren sollen die Bewegung schüren. Drei derselben sind verhaftet. Ungarn. Neuere Nachrichten über die Unruhen liegen vor aus Szered: Dort war am 3. d. Fruchtmarkt und die Orlsbehörde schilderte die Stimmung als so be denklich, daß der Vicegespan eine Escadron Dragoner spät nachts dahin abschicksn ließ. — Aus Groß schützen werden amtlich kleinere Ausschreitungen gemeldet. Vicegespan Schott hat bereits mit der Vernehmung der aus verschiedenen Orten einge brachten Krakehler begonnen. Die gesammten Aus sagen geben die evidente Ueberzeugung, daß das sonst weder intolerante noch verlotterte, oder sonder lich habgierige Landvolk durch böse Einflüsse von Preßburg aus verhetzt wurde und zwar nicht erst in den letzten Tagen. Die Preßburger Bevölkerung, welche anläßlich der Judenkrawalle jetzt von den Pester Blättern als eine deutsche verschrieen wird, ist in der That keine deutsche; das Deutsche in Preßburg ist seit Anfang der sechziger Jahre systematisch einerseits von den Magyaren, andererseits von den Slovaken verdrängt worden, und man könnte geradezu behaupten, daß nur noch die Juden Preßburgs deutsch sprechen. Die Bevölkerung, namentlich die niederen Schichten derselben, ist ein buntes Gemisch von Magyaren, Slovaken und sogenannten Halbdeutschen aus den gemischten Grenzbezirken Mährens, Ungarns und Niederösterreichs. Der bessere Theil der Bevöl kerung aber in Preßburg ist seit lange stockmagya risch und gerade die Antisemiten dort, namentlich aber deren Führer, wie Simonyi, ein junger Graf Apponyi (nicht zu verwechseln mit dem ungarischen Reichstagsabgeordneten Grafen Albert Apponyi), Okalicsanyi, Papp rc. sind durchwegs Stockmagyaren. Andere Antisemiten, die sich diesen Führern ange-