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MsdmfferTageblatt Nr. 35 — 92. Jahrgang Wilsdruff-Dresden Postscheck: Dresden Ai-M Freitan, den 10. Februar 1933 Telegr.-Adr.: „Amtsblatt" Nationale Tageszeitung für die Landwirtschaft, Das »Wilsdruffel Tageblatt- erscheint an allen Werktagen nachmittags 5 Uhr. Bezugspreis monatlich 2,— RM. nei Haus, bei Postbestellung 1,80 RM. zuzüglich Bestellgeld. Einzelnummern 10 Rpfg. Alle Postanstalten und Post boten, unsere Austräoeru. .. — . Geschäftsstelle, nehmen zu jederZeitBestellungenent- Wochenblatt für Wilsdruff u. Umgegend gegen. Im Falle höherer «ewalt,Krieg od. sonstiger — - Betriebsstörungen besteht dein Anspruch au, m-serung der des^^g» Beendung -ingesand.er Schriststllehe bnrch Fernruf °bermitt°..en d» betrag durch Das Wilsdruffer Tageblatt ist das zur Veröffentlichung der amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauptmannschast Meisten des Amrs- gerichts und des Stadtrats zu Wilsdruff, des Forstrentamts Tharandt und des Finanzamts Nossen behördlicherseits bestimmte Blatt für Bürgertum, Beamte, Angestellte u. Arbeiter Fernsprecher: Amt Wilsdruff Nr. 6 . ' — Für dje Richtigkeit der Der rasende Herriot. Dem ehemaligen französischen Ministerpräsidenten Herriot har es nicht das allergeringste geschadet, daß er im Dezember vorigen Jahres von einer gewaltigen Kammermehrheit gestürzt wurde, die es ablehnte, die Schuldenrate Frankreichs an Amerika zahlen zu lassen. Im Gegenteil, — es hat ihm in seiner Stellung als fran zösischer Politiker gewaltig genutzt. Denn während sich erst sein Nachfolger Paul-Boncour, dann der jetzige Ministerpräsident Daladier mit den Finanz-, Steuer- und Defizitsorgen abquälen dürfen, übernahm Herriot den Präsidentensitz im Außenpolitischen Ausschuß der Depu tiertenkammer. Damit hat er eine Stellung inne, die ihm einen wohl noch größeren Einfluß aus die fran zösische Außenpolitik verleiht als dem dafür zu ständigen Minister und außerdem auf einem Gebiete, wo er mit parteipolitischen Gegnerschaften höchstens in einer graduellen Art zu rechnen hat. Herriot hat sich übrigens in einigen Erklärungen — natürlich auch aus außenpoli tischen Gründen — seit seinem Sturz mit einigen Ver beugungen der Rcchtsopposition genähert und sprach vor der Schaffung eines „republikanischen Blocks", — während doch der Ministerpräsident, ebenfalls ein Radikalfozialist mit den links von ihm stehenden Parteien zusammen arbeitet und sich von diesen stützen läßt. Aber Herriot kümmert sich nicht darum, braucht es auch nicht zu tun, da Daladier seine ganze Arbeitskraft und Aufmerksamkeit den innen- und finanzpolitischen Absichten und Gescheh nissen zuwenden muß und daher die Außenpolitik seinen beiden Parteifreunden Boncour, dem Außenminister, und Herriot überläßt. Ersterer ringt um die Kleinigkeiten und Kleinlichkeiten der Abrüstungsfrage auf der Konferenz in Genf, aber Herriot macht an der Spitze des Auswärtigen Ausschusses „große Politik". Daß diese deutschfreundlich oder auch nur von dem Versuch getragen ist, für die elementaren Forderungen Deutschlands nach Lebens- und Atemraum auch nur das geringste Verständnis zu zeigen, wird auch der ärgste Politische Feind Herriots diesem nicht vorwcrfen können! Die Tätigkeit des Diplomaten oder Staatsmannes besteht darin, Spannungen zu schaffen, wenn keine da sind; denn sonst hätte er nichts zu tun. Das besorgt nun Herriot als Vorsitzender des Kammeraus- fchusses. Er ist der Mann von Lausanne, aber auch des damaligen Paktes mit England über die gemeinsame Nichtunterzeichnung der Lausanner Vereinbarungen, wenn Amerika nicht genügendes Entgegenkommen in der Schuldenfrage zeigt. Diese Front zerschellte, dafür hat nun aber Frankreich ganz freie Hand darin, das Lau sanner Abkommen mit Deutschland zu ratifizieren oder nicht. Und nun malt in allen uns wohlbekannten Farben auch Herriot das Bild eines rasch erstarkenden Deutsch lands, das auch dieselben schweren Wassen, Kampfflug zeuge usw. für sich fordert wie die übrigen Mächte. Vor den — man verzeihe das harte Wort! — geistigen Augen seiner Zuhörer entstand das Bild eines bis an die Zähne sich rüstenden deutschen Volkes von 65 Millionen, für das es dann nur ein Ziel gibt: Zertrümmerung alles dessen, was im Versailler Frieden geschaffen und bestimmt wor den ist. Daß dies alles unter Führung der neuen deut schen Regierung der „racüsws" (Nationalsozialisten), der „uationLiistss" (Deutschnationalen) und des „stadUmIm" angebahnt und vor sich gehen würde, ist für Herrn Her riot eine ganz ausgemachte Sache. Immer melancholischer wird die Stimme Herriots, immer dunkler die Farben, mit denen er das Bild der gegenwärtigen außenpolitischen Lage malt. Schnell springt — vielleicht auf Bestellung! — ein Ausschußmitglied der radikalen Rechten auf, stellt an Herriot Fragen, um ihn zu schärferer Zeichnung zu zwingen. Wie steht es mit den deutschen — Bundesgenossen? Gibt es schon eine Triple-Entente zwischen Deutschland, Ungarn, Italien? Soll diese für Deutschland den Polnischen Korridor, für Italien die dalmatinische Küste den Jugoslawen ab- nehmen? Herriot zuckt die Achseln; er weiß es nicht, aber er hält es für zweifellos, daß am 7. August ein Bündnis vereinbart worden sei zwischen Deutschland und Italien; rausgekriegt habe er nicht, ob dies Bündnis auch unter zeichnet sei. Das ist eine Antwort Herriots, die geradezu raffiniert ist; denn damals waren zwei Mitglieder der jetzigen deutschen Reichsregierung in Rom, und Herriots halbe Vermutung und „Befürchtung" wird von seinen Zu hörern in der Kammer und den Leuten draußen im Lande als ganze Tatsache aufgefaßt werden. Auch das ist beab sichtigt, ebenso daß jene Fragen draußen als Gewißheiten angesehen werden sollen. Aber Herriot hat auch gleich einen Trost bei der Hand. Jugoslawien und Polen seien von der deutsch italienischen „Gefahr" schon „schwer beunruhigt" und — vielleicht könne man mit Rußland die Beziehungen enger und fester knüpfen. Denn die neue deutsche Negierung sei ja äußerst scharf gegen den Bolschewismus eingestellt, werde diesen Kampf Wohl auch außenpolitisch führen wollen, und diese Absichten Deutschlands, die Frankreich natürlich nicht mitmachen würde, könnten zu einem Ge winnposten für die französische Politik werden. Also sprach Herriot, der politisch heute mächtigste Mann in Frankreich. NaiizöWe 6MtU in Gens. Paris lehnt Anerkennung der deutschen Gleichberechtigung ab. Paul-Boncour erklärt: „Fünsmächtever- einbar ung bindet die Konferenz nicht!" Die Donnerstagssitzung des Präsidiums der Abrüstungskonferenz nahm einen interessanten Verlauf. Aus die Feststellung des Botschafters Nadolny hin, daß -die Gleichbercchtigungsfrage bereits grundsätzlich und endgültig in der Fünfmächteerklärung vom 1!. Dezem ber geregelt sei, gab Paul-Boncour eine Erklärung ab, in der er die Regelung der Gleichbercchtigungsfrage vollständig tn Abrede stellte. Über die Tragweite der Fünf-Mächte-Verein- barung seien „durchaus verschiedene Auffassungen" vorhanden. Die Erklärung binde die Konferenz nicht und sei „lediglich eine Vereinbarung" zwischen einigen wenigen Mächten. Die Gleichberechtigungsfrage könne nur in unlösbarem Zusammenhang mit der Organisation der europäischen Sicherheit behandelt werden (!). Die französische Regierung hat damit zum ersten mal die am 11. Dezember getroffene Anerkennung der deutschen Gleichberechtigung abgelehnt. Nadolny meldete sich daraufhin unverzüglich zum Wort. Ebenso bat der englische Staatssekretär Eden den Prä sidenten um das Wort zu einer Beantwortung der an ihn von Nadolny gerichteten Frage, ob die englische Regierung den deutschen Standpunkt über die endgültige Rege lung der Gleichbercchtigungsfrage teile. Henderson lehnte es je doch ab, den Vertretern Deutschlands und Englands das Wort zu erteilen mit der „Begrün dung", daß die Sitzung des Präsidiums „wegen ander weitiger Sitzungen des Völkerbundes geschlossen" werden müsse (!). „Endgültig geregelt!" Botschafter Nadolny wird daher in der nächsten Sitzung des Präsidiums die offizielle deutsche Er klärung abgeben, daß die deutsche Regierung die Gleich- berechtigungssrage als endgültig geregelt ansehe, daß für Deutschland allein die Vereinbarung der fünf Großmächte vom 11. Dezember maßgebend sei und daß die deutsche Regierung eine weitere Aussprache über diese bereits entschiedene Frage unter keinen Um- ständenzulassen werde. Im Weiteren Verlauf der Sitzung versuchte Paul- Bo n c o u r die für Deutschland entscheidende Frage der qualitativen Herabsetzung der Rüstungen völlig in denHintergrundzu rücken ud verlangte in erster Linie die Durchberatung der französischen Vorschläge für den europäischen Sicherheitspakt und die Regelung der effektiven Truppenbestände. Nachdem die Vertreter von Holland, Schweden und Rußland in Übereinstimmung mit dem deutschen Standpunkt auf die Notwendigket sofortiger und end gültiger Entscheidungen hingewiesen hatten, wurden die Verhandlungen auf Freitag vertagt. Deutschland warnt die Mächte. Bei Beginn der Verhandlungen im Präsidium der Abrüstungskonferenz hatte Nadolny noch unter allge meiner Spannung erklärt, die deutsche Negierung halte sich für verpflichtet, auf die außerordentlichen Ge fahren hinzuweisen, die ein Vorgehen nach sich ziehen würde, durch das man lediglich den Zusammenbruch der Konferenz vor der Weltöffentlichkeit verschleiern wolle. Die Versuche, eine Abrüstungsabkommen ohne eine entscheidendeHerabsetzungder Rüstungen aus zuarbeiten, würden zu „un ü b e rs e h b a r en F o l g e n" führen. Die deutsche Regierung hat damit zum erstenmal an gekündigt, daß sie sich im Falle eines Scheiterns der Ab rüstungsverhandlungen durch die Schuld der übri gen Mächte ihre Entscheidung für die Zukunft vor- b e h a l t e n müsse. Oie grundsätzlichen deutschen Forderungen. Die deutsche Abordnung wird in den weiteren Verhandlungen mit Nachdruck den grundsätzlichen Stand punkt vertreten, daß weitschweifige Aussprachen und tech nische Sachverständigenprüfungen nicht mehr zu gelassen werden könnten, und daß jetzt nur durch Abstimmungen die unbedingt nowendigen Ent scheidungen herbeizuführen seien. Die deutsche Ab ordnung werde sich jeder Aussprache über die Gleich berechtigungsfrage widersetzen und zu den einzelnen Punkten des Arbeitsprogramms die praktische An wendung der Deutschland zuerkannten Gleichberechti gung fordern. Die Grundlage der deutschen Abänderungsvorschläge sei: 1. die als verboten zu erklärenden schweren An griffs Waffen müssen zerstört werden; 2. der deutsche Rüstungsstand ist in Zukunst vou dem Rüstungsstand der übrigen Mächte abhängig zu machen. Ferner wird von deutscher Seite beantragt werden, daß in dem kommenden Abrüstungsabkommen die esfektiveTruppenstärke eines jeden Landes f e st- gesetzt wird. England zum Vorstoß P aul-B o n c o u r s. Die Erklärungen P au l-B o n c o ur s in der Sitzung des Präsidiums derAbrüstungskonferenz werden in englischen Kreisen als die schärfste Stellung nahme von französischer Seite gegenüber Deutschland be wertet, die man in den letzten Jahren gehört habe. Nach allgemeiner Auffassung hat sich damit die französische Re gierung von der Fünf-Mächte-Erklärung vom 11. Dezem ber über die Anerkennung der deutschen Gleichberechtigung losgesagt. Der neue Vorstoß wird damit zu einer bewußtenSabotage der Abrüstungskonferenz durch Frankreich. Sine neue Fünfmüchlekonferenz? Englische Bemühungen. An zuständiger Londoner Stelle wird zugegeben, daß der Erste Botschaftsrat der britischen Botschaft in Paris, Wigram, sich zur Zeit in Genf befinde, um die Möglichkeit einer neuen Fünfmächtebesprechung zu erörtern, die sich mit der praktischen Gleichberechtigung Deutschlands und den französischen Sicherheitsforderungen beschäftigen soll. An maßgebender Stelle in London sei man der Auffassung, daß eine offizielle Anregung zu einer Fünfmächtekonferenz vorläufig nicht wünschenswert sei, um den kleineren Mäch ten nicht die Möglichkeit zu erneuten Beschwerden über ihre Ausschaltung zu geben. Man wolle in England auch Rücksicht auf die inneren Verhältnisse in Frankreich neh men, betrachte aber grundsätzlich eine Fünfmächtekonssrenz als erstrebenswertes Ziel. Französische Alarmmfe. Der „Alpdruck der Koalitionen", unter dem seinerzeit Bismarck, wie er erzählt, gelitten Hatz scheint jetzt aus F r a n k reich übcrgegangen zu sein. Es sieht in jeder selbständigen Regung des nationalen Deutschlands eine Spitze gegen sich, und hinter jeder freundschaftlichen Äußerung des Auslands Deutschland gegenüber wittert es voll Mißtrauens und schlechten Ge wissens ein antifranzösisches Bündnis. Dar über hinaus bemüht es sich aber auch, ohne selbst au ihr Bestehen zu glauben, Gerüchte über Offensivge heimabkommen Deutschlands mit anderen Ländern in die Welt zu setzen, um bei anderen Interessenten gegen Deutschlands außenpolitische Bemühungen zu Hetzen und Gegenminen zu legen. So hat die letzte Sitzung des Auswärtigen Ausschusses der Französischen Kammer unter dem Zeichen angeblicher deutsch- italienisch-ungarischer Beziehungen gestanden. Dabei wurde von selten des rechtsstehenden Abgeord neten Marnegary die Behauptung ausgestellt, daß zwischen diesen drei Mächten am 7. August v. I. ein Defensiv- und Offensivabkommcn unter zeichnet worden sei. Herriot soll darauf erklärt haben, daß er ein derartiges Abkommen zwar vermute, daß er aber den Quai d'Orsay verlassen habe, ohne positive Be weise dafür in Händen zu haben. Er soll schließlich erklärt haben, daß zum mindesten zwischen Deutschland und Ungarn einerseits und Ungarn und Italien andererseits ein derartiger Vertrag unter zeichnet worden sei. Zu diesen Behauptungen des französischen Abgeord neten über ein deutsch-italienisch-ungarisches Geheim abkommen wird von zuständiger deutscher Stelle erklärt, daß hiervon nichts bekannt sei. Eine ähnliche Behauptung ist übrigens schon vor einigen Wochen ausgestellt und bereits damals dementiert worden. Im übrigen bezeichnete in der französischen Ausschuß- sitzung Herriotdie gegenwärtige außenpolitische Lage als äußerst ernst, gab aber der Hoffnung Ausdruck, daß die nationalsozialistische Bewegung in Deutschland und vor allem der Kampf gegen den Kommunismus dazu beitragen würden, die fran zösisch-russischen Beziehungen zu ver bessern. In diesem Zusammenhang erklärte Herriot, daß in der nächsten Zeit in Moskau und Paris an der französischen und der russischen Botschaft wieder Militär- attachös ernannt werden sollen. Marnegary erklärte ebenfalls in der deutlichsten Ab sicht, sich bei Rußland anzubiedern, daß der Reichskanzler Frankreich und den übrigen Großmächten demnächst ein Bündni s gegen den Kommunismus anbietcn werde, daß man sich französischerseits aber vor einem der artigen Angebot hütenmüsse.