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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 31.01.1905
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1905-01-31
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19050131028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1905013102
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1905013102
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1905
-
Monat
1905-01
- Tag 1905-01-31
-
Monat
1905-01
-
Jahr
1905
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Abend-Ausgabe: vormittag« 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: nachmittag« 4 Uhr. Anzeigen sind stet« an die Expedition zu richte». Srtra-Vetlagen tuur mit der Morgui- AuLgabe) nach besonderer Vereinbarung. Die ErprPUiou ist wochentags ununterbrochen geöffnet vo« früh 8 bi- abend« 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Pelz in Leipzig (Inh. vr. «., R. L «. «ltnkhardt). Nr. 56. Dienstag den 31. Januar 1905. SS. Jahrgang. Var WMgrle vom Lage. * Die Mitteilungen Uber deutsch-militärische Schutzmaßregeln an der russischen Grenze beruhen nach einer halbamtlichen Erklärung vollständig „auf freier Erfindung". * In Oberschlesien ist gleichfalls eine Lohn bewegung unter den Bergleuten im Gange. (S. dtsch. Rch.). * In Pari- ist gestern nach einer anlirussischcn Ver sammlung-eine Bombe gegen Polizeimanuschaften ge schleudert worden; auch der Bombenfund vor dem Hotel de« russischen Militärattache« Trubetzkoi wird be stätigt. (S. den Artikel.) * Von den 150 000 Arbeitern in Lodz sind 100000 in den allgemeinen Au-stand eingetreten; in Warschau sollen Barrikadenkämpfe bevorstehen. (S, den Artikel.) * Die Japaner haben die Russen über den Hunho zurück getrieben und suchen KuropatkinS rechte Flanke zu über flügeln. (S. russ.-jap. Krieg.) vomdeit kxplsrisn «ach sine» anti-rnsfische« Varsanrnrlirng i« Au« Paris meldet da« Wolff-Bureau: Gestern fand eine von den Sozialisten einberufene Versammlung statt, in welcher gegen die Ereignisse in Petersburg, darunter von den DeputiertenJaures, Pressens- undVaillant, Stellung genommen wurde. Als man die Sitzung verlassen hatte, wurde gegen das Haus Avenue R-publique Nr. 13 eine Bombe geschleudert, die mitten unter eine Gruppe Polizisten der republikanischen Garde fiel. Zwei National gardisten wurden verwundet. Der Polizeipräfekt und mehrere Kommissare trafen alsbald am Tatorte zur Vor nahme einer Untersuchung ein. Die Avenue Röpublique wurde abgesperrt. Im Verlause der Versammlung hatte Rubanowitsch die Lage der russischen Proletarier gesetnlderk. Iaures legte die soziale Entwicklung in Rußland Var. Pressens« bemerkte, die Ereignisse in Rußland drängten daraus hin, daß dort demnächst die soziale Demokratie ans Ruber komme. Die Versammlung nahm eine Resolution an, in welcher die Sympathie mit dem russischen Volke und der Unwille über die Vorgänge am 22. Januar lebhaft ausgedrückt wurden. Än der Versammlung nahmen etwa 6000 Personen teil; die Teilnehmer ver ließen das Lokal unter Absingung der Internationale. Die Polizei hatte umfassende SicherheitSmaßregeln getroffen. — Außer den beiden verwundeten National gardisten wurde durch die vor dem Hause France R-publique Nr. 13 explodierte Bombe einem dritten Nationalgardisten daS Gewehr zerschmettert; ferner wurden zwei Frauen »eicht verletzt. Obgleich die Bombe mit Schuh nägeln und anderen alten Eisenstücke» gestillt war, richtete sie nur wenig Schaven an; einige Fensterscheiben wurden zer trümmert. Die Ladung der Bombe flog 20—30 Meter weit. Man sagt, daß die Bombe ebenso zuiammengesetzt war, wie diejenige, die vor dem Hotel Long, der Wohnung Trubetz koi- (des rusfischen Militärattacb-S) gefunden wurde. Zwei Personen namens Bailly und Chevalier, von denen letzterer Student der Rechte ist, wurden unter dem Verdacht, die Urheber de- Anschlages zu sein, verhaftet. Außerdem wurden noch zwei andere Personen festgenommen. Chevalier hat einen kleinen Brandfleck und behauptet, diese Wunde sich selbst beigebrackt ru haben. Die vor dem Hotel Trubetzkoi- gefundene Bombe war klein und mit Glas gefüllt. Sie hatte die Form einer Flasche mit zwei Röhren, >^n denen die eine von Metall, die andere von Glas war und Säure enthielt. Die Bombe war schlecht konstruiert; man ist der Meinung, daß sie keinen großen Schaden angerichtet hätte. Infolge deS Attentats auf die Wohnung des Militärattaches wurden umfassende SicherheitSmaßregeln für die Botschaft und daS Generalkonsulat getroffen, da man annimmt, daß weitere Attentate geplant sind. Die Botschaft und das General konsulat sind polizeilich bewacht. Zu diesen Telegrammen ist zu bemerken, daß die Serie der anarchistischen Bombenattentate auf franzö sischem Boden seit Jahren unterbrochen war; die Namen der Hingerichteten Attentäter, Ravachol und Vaillant, sind schon historisch. Am bekanntesten wurden daS Bomben attentat Vaillant in der Deputiertenkammer (9. Dezember 1893), daS Attentat Henrys (12. Februar 1894) im Terminus- Hotel und das Attentat im Restaurant Foyot (4. April 1894). Es ist anzunehmen, daß nun die Panik in Paris wieder einziehen wird; daß die Bombenattentate deS Jannar 1905 sich gegen die fran zösisch-russische „Entente" richten, gegen dasselbe Land, auS dem Krapotkin den theoretischen Anarchismus nach Frankreich brachte, ist ein eigentümlicher Zu sammenhang. Vie Wrir in stu;rlan<l. Die Situation in Petersburg. Nach den Telegrammen nahmen gestern die Arbeiter der Newsky-Maschinenfabrik, der Iutemanufaktur Lebedew, der Samsonjew-Manufakturfabrik James Beck und der Mechanischen Schuhfabrik die Arbeit wieder auf. Auf den Putilow-Werken arbeiten mehr als die Hälfte der Angestellten, in den kleineren Werkstätten über drei Viertel. In der Fabrik von Nikolski nahmen 1000 Mann die Arbeit auf, legten sie jedoch bald wieder nieder. 2000 Arbeiter von privaten Fabriken sind ausständig. In der Petersburger Waggonfabrik stellten die Arbeiter die Arbeit gestern eine Stunde früher als ihnen vorgeschrieben war, ein und erklärten, sie würden morgen eine Stunde später beginnen und eine Stunde früher aufhören. — Aeußerlich ist alles ruhig; die Polizei sucht jetzt ru beweisen, daß ein Zusammenhang zwischen der Arbeiterbewegung und der Reformbewegung der gebildeten Klaffen besteht. Die Anklage gegen die am Diens tag 'vcrlia'tetcn Schriftsteller laute» rahm, daß sie nur provisorische^Kegierung bilden wollten. Bei dieser Gelegenbeit sei erwähnt, daß der russische Gesandte in Darmstadt, Fürst Kudascheff, einem Korrespondenten der „F.Z." aus dessen Frage, ob es geschehen könne, daß ein Maksim Gorkij für seine Ueberzeugung den Tod erleiden müsse, erklärte, alle Nachrichten in dieser BezielmnH seien nichts als Sensa tionsmeldungen freier Erfindu ng. V-^n allen denen, die in diesen Tagen in Petersburg verhaftet l. den, würden 90 Pro;, bald wieder freigelassen. Zum To^verurteilen können nur die ordentlichen Gerichte. Die geistigen Führer der Bewegung würden höchstens mit administrativer Ver schickung bestraft. Auch den verschiedenen Gerüchten über den Aufenthalt der Zarenfamilie trat der Gesandte entgegen. DaS Zarenpaar und die Zarin-Mutter weilten, wie stets im Winter, so auch jetzt in Zarskoje Sselo. — Die dem Zaren von der Regierung vorgelearen Projekte über eine Erweiterung der bürgerlichen Rechte und eine Einschränkung derZensur haben, wieder „Temps" erfährt, bisher noch nicht die Allerhöchste Genehmigung erhalten. Die dem General Trepow eingeräumten weitgehenden Voll machten haben auch in höheren Kreisen Beunruhigung erregt. Es werden administrative Verschickungen in größerm Maßstab und andere Willkürakte befürchtet. — Für Swiato- polk-Mirskij ist ein Nachfolger noch nicht ernannt. Vielfach verlautet, eS sei nicht ausgeschlossen, daß Admiral Alexejew mit diesem Posten betraut würde, da er porsou» grat» am Hofe sei. Lin Attentat ans Lrepow? Es verlautet gerüchtweise, daß gegen die Wohnung de« Generalgouverneurs von Petersburg eine Bombe ge worfen worden sei. Die Wohnung ser teilweise demoliert, der Gouverneur sei dem Attentat entgangen. Der Priester Gapon. * lieber Gregor Gapon und die Vorgänge am 22. Januar schreibt ein Wohl etwas märchenhafter Kenner der russischen Verhältnisse N. A. Iwanow (Petersburg) der Wochenschrift „Der Deutsche": Der jetzt etwa Vierzigjährige stammt aus einer Iudenkolonie im Gouvernement Poltawa. Ein Priester des Nachbardorfes hatte den frischen aukgeweckten Judenjungen liebgewonnen, zu sich ge nommen und gelaust. Er schickte ihn auch auf das Seminar Aber Gapon mußte — mit 16 Jahren! — relegiert werden, weil er Verkehr mit Dirnen unterhielt. Der junge Mensch wurde nun Hilfsarbeiter im statistischen Bureau der Provinzialhauptstadt. Sein heißes orientalisches Blut führte ihn hier mit einer blutjungen hübschen Nihilistin zusammen — auch einer Jüdin —, die ihm den Gedanken eiugab, das Volk, das für die Revolution doch nicht reif fei, aus Umwegen dazu zu bringen: im Gewände deS Priesters und Patrioten. Die Protektion einer liberalen Exzellens verschaffte nun dem „Reuigen" Wieder annahme in das geistliche Seminar. Er zog mit seiner Geliebten nach St. Petersburg und wurde Geistlicher an der „Peressyljnaja Tjurma", dem Gefängnis der nach Sibirien Verbannten. Jahre lang hatte er, der weder an Christum noch an sonst etwas glaubt, heucheln müssen, jetzt war er so weit gekommen, wie er es brauchte. Beinahe wäre er noch zuletzt gescheitert. Es fiel auf, daß Verbannte so häufig Geld, Nachrichten, Briefe, Fluchtmittel zugeschmuggelt erhielten. Und eines Tages klagte eine junge Inhaftierte, sie sei vom Priest« Gapon ver gewaltigt worden. Bei der Einlieferung war sie laut ärztlichem Zeugnis unberührt; ohne Zeugen war nur der Priester bei ihr gewesen; da- Gefangrnendepot ab« verließ sie als Mutter. In dieser äußersten Gefahr bewog das „Zentralkomitee" der revolutionären Propaganda das junge Mädchen zur Zurücknahme der Klage; und da sie das 18. Lebensjahr überschritten, konnte auch der Staatsanwalt nicht ex oküeio einschreiten. Gapon hieU sich und wurde durch ein Gespinst seiner Jntriguen, üb« die allein ich Bände schreiben könnte, Leit« der von der Polizei protegierten loyalen Arbeit«, organisation. In Morka«. Wie von gestern telegraphiert wird, ist die Arbeit überall wieder ausgenommen worden mit Ausnahme der Fabriken Bromby und Pokkoroff. Im allgemeinen haben die Fabri kanten Zugeständnisse gemacht. Am Sonnabend hat eine Versammlung von 500 Studierenden der Ackerbau-Akademie stattgesunden, um Kundgebungen für Sonntag vor- zubereiten. Aber die zur Aufrechterhaltung der Ordnung getroffenen Maßnahmen verhinderten die Kundgebungen, zumal Schneefall sich einstellte. Mehrere Gruppen wurden durch die Polizei zerstreut. Die Aomplikatis« mit England. Der Berichterstatter der „Daily Mail" schreibt die be kannten Vorfälle dem Umstände zu, daß der Zugführer der Husaren betrunken war, und seine Reiter blindwütend auf das Publikum Vorgehen ließ. Die „Daily Mail" hat nicht übel Lust, den Angriff mit den von der Moskauer Polizei und anderswo verbreiteten grund losen Angaben über eine britische Förderung der russischen Unruhen, deren Spuren auch in der Proklamation des heiligen SynodS zu finden seien, in Zusammenhang zu bringen, bemerkt aber, die Soldaten hätten keine Ahnung gehabt, daß sie Engländer vor sich hätten. Der Vorfall werfe ein grelles Licht auf die Art und Weise, wie man mit den polnischen Untertanen des Zaren um springe. — Der Stadthauptmann von Moskau berichtet, die Bekanntmachung, daß die AuSstandSbewegung von Japan mit englischem Gelde organisiert worden sei, habe keine Feindjejigkeiten gegen die in Moskau wohnenden Eng länder hervorgerufen. Nichtsdestoweniger habe die Regierung dem General Rotnew volle Mißbilligung ausgesprochen wegen der Bekanntmachung und habe die Anschläge ent fernen lassen. — DaS Reutersche Bureau meldet auS Petersburg, daß in Libau Plakate antienglischen Inhalts ähnlich wie in Moskau angeschlagen worden seien; der BotschafterHardinge habe energisch dagegen protestiert, indem er erklärte, ein solches Vorgehen könnte nicht verfehlen, die srenndjchaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern ernstlich zu gefährden. Der Minister deS Auswärtigen, Graf Lambsdorff, schickte dem englischen Botschafter eine Er klärung, worin er sagte, der Minister de« Innern habe die vollständige Entfernung der Plakate angeordnet und er versichere ihm, daß die Sicherheit deS Generalkonsuls und der englischen Kolonie in Moskau gewährleistet werde. In warsrcha« ist durch Anordnung deS Generalgouverneurs daS Gouverne ment Lodz und das Gouvernement Petrokow unter ver stärkten Schutz gestellt. Die Regierungsgebäude und großen Fabriken werden militärisch bewacht; die elektrischen Leitungen sind zerstört. — Nach privaten, wohl etwas ausschweifenden Meldungen herrscht Revolution. Die Polizei ist bereits machtlos. Handel und Geschäft stocken vollkommen, die Läden sind ge schloffen. Gleichwohl wurden mehrere derselben erbrochen und geplündert. Der Pöbel drang in die Telephon zentrale ein und erzwang die Einstellung der Arbeit, in den Zeitungsdruckereien wurden die Setzerkästen zerstört; die Straßenbahnwagen wurden umgestürzt,Fenster eingeschlagen.Auf den Straßen baut der Pöbel Barrikaden. Alle mit Ar beiten auf der Warschau-Wiener Bahn beschäftigten Personen sind verjagt worden, eS herrscht bereits Mangel an Lebens mitteln. Gestern Mittag zogen die Studenten in geschloffenem Zuge durch die Stadt. Die Polizei ginsi rücksichtslos vor; ein Arzt und ein Advokat wurden getötet. Alle Schulen sind geschlossen, die Barrikadenkämpfe.beginnen. — Angeblich wurde sogar der Polizeihauptmaun er mordet. I« de« ««-er« Städte«. Nach einem Telegramm aus Lodz hat der Au - stand an Ausdehnung zugenommen. Von rund 150 000 Arbeitern sind 1 10 000 ausständig. Die Arbeiter haben keine politischen Forderungen aufgestellt, verlangen aber die achtstündige Arbeitszeit und 20 Kopeken für die Stunde Arbeitslohn. — In Windau ist infolge de« Ar b ei t e r str e i k S die Beladung und Löschung der Dampfschiffe eingestellt. Bisher kam e« zu keinen Unruhen, obgleich di« Arbeiter einen Umzug durch die Stadt hielten. — In einigen Fabriken Libau« wurde die Arbeit wieder ausgenommen. Ernstliche Ruhe störungen ereigneten sich nicht. — In Narva sind gestern die Arbeiter der Narva-Flachsmanufaktur in den AuSstand getreten. — In allen Mühlen und in einigen Fabriken Saratow« ist die Arbeit wieder ausgenommen; die Pferdebahn verkehrt wieder, die Zeitungen werden heute er scheinen. — Vermutlich werden die Esienbahnarbeiter heute oder Mittwoch wieder anfangen zu arbeite«; die Schulen haben den Unterricht auf einige Lage unterbrochen. Demonstrationen. Im Brüsseler Volk-Han- fand gestern abend eine große Protestversammlung gegen die Ereignisse in Petersburg statt. Unter den Rednern war auch der Ab geordnete Vandervelde. In den Reden wurde die russisch-französische En tentekritisiert und ein Ver gleich zwischen dem Zaren und dem Sultan angestrllt. Schließ lich wurde eine Tagesordnung angenommen, in der die Erbitte rung der Bevölkerung gegen die blutigen Ereignisse zum Aus druck gelangt. — Nach einem Telegramm auS Rom fordert« der Deputierte Scipione Borghese die Mitglieder der Kam mer auf, eine Resolution zu unterzeichnen, in welcher der Wunsch ausgesprochen wird, »er Menschheit möge die schmerz liche Unbill erspart bleiben, daß Gorki uud seine Ge nossen zum Tove verurteilt werden. Die Resolution, die bereits von 60 Deputierten unterzeichnet ist, soll der Regie rung zur Mitteilung an die russische Regierung über mittelt werben, oder wenn der Minister de« Aeußern sie zurückweist, der russischen Botschaft direkt. — Aus Madrid wird der „Köln. Ztg." gemeldet: Die ungeheuren Uebertreibungen, in denen die Ereig nisse in Rußland von Pari- und Loudon hierher gemeldet werden, veranlassen dir Presse zu zolldicken Ueberschriften „Revolution in Rußland, Zusammen bruch de« Reiches, Flucht de« Zaren usw.", was die öffentliche Meinung erregt. Die radikalen Elemente planten gestern hier und in den Provinzen Einspruchs versammlungen, die aber von den Behörden untersagt wurden. Trotzdem fanden in Bilbao Kundgebungen statt. Gruppen wollten eine Einfpruch-adreffe in da- russische Konsultat bringen, da- polizeilich bewacht wurde. Da die Gruppen sich nicht auflösten, vielmehr die Internationale anstimmten, wurden sie von berittener Gendarmerie zer- Feuilleton. Frauchen. Roman von Felix Freiherr von Stenglin. Nachdruck verbalen. Er nahm wieder Platz und rückte auf seinen! Puff etwas näher. Tas Bedürfnis, nach dem Eindruck, den er offenbar gemacht hatte, etwas Bedeutendes zu sagen, gab ihm seinen Ernst zurück. „Das sind ja die wenigen lichten Punkte in dieser absterbenden Welt: da- Verständnis, die Sympathie zwischen Gleichgestimmten. Nicht wahr, gnädige Frau?" Agnes mochte ihn jetzt nicht ansehen. Die Art, wie er sie für sich rn Beschlag nahm, verursachte ihr ein wenig Unbehagen, und das weiche „Nicht wahr, gnädige Frau?" dünkte sie lächerlich. .Hastig griff sic nach einer Häkel arbeit, die auf dem Tisch lag, und begann zu häkeln. Sie fühlte dabei, wie er sie beobachtete. Nachdem er einige Augenblicke auf ihre hin- und hergehenden Finger geblickt l)atte, fragte ec in etwas spöttischem Ton: „Eine sehr geistvolle Arbeit, diese Häkelarbeit?" Sie legte die .Hände in den Schoß. „Mein Gott, nein!" antwortete sic. „Aber man muh doch hin und wieder etwas tun, irgendwie die Zeit tot- schlagen, sonst ist« ja entsetzlich I Diese Arbeit hat natür- kich gar keinen Zweck, man bekommt ja all so etwa» fertig in den Läden, aber es ist doch eine Beschäftigung. Man kann ja alles wieder aufziehen, wenn man fertig ist, und von vorn anfangen. Was soll man sonst tun? Die Köchin kocht, das Mädchen wartet das Kind, der Mann ist zum Dienst, der Junge zur Schule, — und wenn er da ist, macht er mich nervös . . ." Sie warf die Häkelei auf den Tisch, lehnte sich hintenüber und kreuzte die Arme. „Ich Halts nicht mehr aus!" rief sie. „Luft! Leben! Das ist ja kein Leben! Das ist lebendig begraben sein!" Hingerissen iah Grubweiler sie an. Er sah, wie ihre Brust sich in heftiger Bewegung hob und senkte, ihm war, als riefe sie nach ihm, als verlange sie nach seiner Hülfe Da ließ er sich vor ihr auf ein Knie nieder, griff nach ihrer Hand, wollt« sie küssen — „Aber nein!" stieß Agnes erschreckt hervor und erhob sich schnell. „Das dürfen Sie nicht tunl" „Warum darf ich das nicht tun?" fragte er mit klagender Stimme, fast erstaunt. Sie kam hinter dem Tischchen vor und wandte sich ins Zimmer. „Stehen Sie auf!" bat sie ängstlich und blickte nach der Tür. „Aha. ich verstehe!" sagte er da, stand auf und klopfte sich den Staub vom Knie. Es ist wahr, e» könnte jemand kommen . . . Im übrigen handeln wir modernen Menschen doch nach freier Wahl —" Er lächelte gewisser- matzen spöttisch über diejenigen, die sich nicht nach freier Wahl begegnen, dann richtete er feine Augen wieder auf die junge Frau. Ihm schien, es käme Feuer in seine Blicke. „Sie werden mir Gelegenheit geben, Sie öfter zu sehen, nicht wahr?" fragte er in leidenschaftlichem Flüsterton. Und indem er die Hand auf die Brust legte, setzte er hinzu: „Mir ist, vlS könnte ich ohne Sie lischt leben." Oh über die Redensart! dachte Frauchen. Aber es klang doch nach etlvas. Walter sagte ihr nie dergleichen. Früher wohl — ach ja! Tränen kamen ihr in die Augen. „Darf ich Sie Wiedersehen?" fragte Anton Gnrb- Weiler leise. Er hatte dock, wenigstens Verlangen nach ihr. Sie blickte zu ihm hin. Etwas läck>erlich sah er ja aus mit seinem übermäßig langen Rock, der die lange und hagere Gestalt noch länger und hagerer erscheinen lietz, mit dein unglaublich hohen Kragen, der den Hals einzupressen schien und einem Marterinstrument ähnlicher sah alk einem Bekleidungsstück ... Es war, als presse dieser Kragen ihm die Augen aus dem Kopf. Und wirklich waren die sonst so kleinen Aeuglein jetzt aufgerissen, alk ob sie gleich hervorquellen wollten. Ja, einen etwas lächerlichen Eindruck machte er, aber er kümmerte sich doch wenigstens um sie. Es machte ihr Spatz, daß er so aus sich heraus trat, und dah sie ihm gefiel. Sie wurde plötzlich ganz lustig. „Wiedersehen?" antwortete sie. «Warum nicht? Aber Sie dürfen nicht wieder auf den Knieen Herum rutschen." „Ich danke Ihnen!" rief er freudig aus und wollte ihre Hand erfassen, doch sic zog sie abermals zurück. Ent- täuscht lietz er die Arme fallen. „Auch daS nicht? Haben wir unS denn nicht ausge sprochen?" fragte er. Ausgesprochen! Die großen Worte setzten Agne» in Verlegenheit. Wie sollte sie die nur wieder abweifen, ohne ihn zu verletzen? Da kam er ihr zu Hülfe. „Ich verstehe Sie", sagte er, die Rechte halb empor- hebend. „WaS bedarf eS auch vieler Worte, nicht wahr? Die Wände haben Ohren. Kommen Sie morgen in den Park, um dieselbe Zeit! Wollen Die? Es ist gar keine Gefahr —" Tas war ihr nun wieder sehr komisch, daS er von Gefahr sprach. „Ach — Gefahr —" meinte sie lächelnd. „Die fürchten Sie nicht? Nein? Oh, danke!" Ter unglückliche Mensch! Er faßte alles, waS sie sagte, falsch ans. „Werden Sie kommen?" Sie zögerte ein wenig mit der Antwort. „ES kann sein", begann sie darauf, „daß ich morgen durch den Park gehe, ich sehe manchmal an der Radker bahn zu —" „Mso um 1L Uhr an der Radlerbahn! " sogt» er schnell, sie gewissermaßen bei ihrer Zusage schaltend. „Lausen*
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