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WöchenUick erscheinen drei Nummern. PrLnumeralion«-Preis 22, Silbergr. (j Thlr.) vierteljährlich, Z THIr. für das ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Priinumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Camp., Jiigerstraße Nr. 28), so wie von allen König!. Post- Aemtern, angenommen. Literatur des Auslandes. 94 Berlin, Donnerstag den 7. August 184S. England. Briefe von der Reise. VIII. Theater und Musik in England. — Mcyerbecr'S Opern französisch. — Shakespeare im Prinzeß- Theater. — Die beiden Vandenhoff'S als Kreo» und Antigone. — Der griechische Chor aus englischem Boden. — Don Juan im italienischen Opernhause. — Konzert zum Besten de» deutschen Hospitals. — Punch und das Haymarket-Theater. — Mr«. Caudle. Im Begriff, meine großbritanische Wanderung, und zwar zunächst nach Edinburg und den schottischen Hochlanden, fortzusetzen, wodurch in meinen Neisebriefen eine kleine Unterbrechung eintreten möchte, will ich Ihnen vorher noch Einiges aus London mittheilen, mit dessen Riesen-Contouren ich mich allmälig näher bekannt gemacht. Ich mache diesmal den Zustand der drama tischen Kunst Englands, wie ich ihn in der Hauptstadt und einigen anderen Städten kennen gelernt, zu meinem Thema. Vom Londoner Theater hatte ich nicht bloß nichts Empfehlendes gehört, sondern selbst auch schon über dessen Verfall, nach englischen Quellen, in diesen Blättern so oft berichtet, daß ich nichts weniger als Lust empfand, die sehr zahlreichen und dabei meistens sehr theuren Schauspielhäuser der Hauptstadt alle zu besuchen. In der That find auch die beiden ziemlich nahe bei einander in der City gelegenen ältesten Theater Londons, die auf das eigentliche Drama angewiesen und früher darauf monopolifirt waren, eben nicht in der Ver fassung, ihren Ruf zu rchabilitiren. In dem einen, in Drurplane, wurde nämlich Abend für Abend eine Oper des englischen Komponisten Balfe: DK« Lnelisntre88 (die Zauberin) gegeben, worin die Scenerie und der Spektakel die Hauptsache, die Mufik aber bloßes Beiwerk ist; das andere Theater aber, Coventgarden, war von der aus Brüssel herübergekommenen französischen Opern-Gesellschaft in Beschlag genommen, so daß an das eigentliche Drama in beiden Schauspielhäusern gar nicht zu denken war. Dieser Brüsseler Ge sellschaft muß ich die Gerechtigkeit zu Theil werden lassen, daß fie eine größere Anzahl durch schöne Stimmen und eine tüchtige Schule ausgezeichneter Mit- glieder zählt, als manche mir bekannte, mit fürstlicher Munificcnz ausgestattete deutsche Oper, und daß fie namentlich die beiden Meisterwerke Meyerbeer's, die „Hugenotten" und „Robert der Teufel", mit einer Wärme und Würde gegeben, als ob fie, wie die Darstellungen dieser Opern in Paris und Berlin, von der persönlichen Leitung des Komponisten belebt gewesen wären. Doch mußte auch diese Gesellschaft zu der herrschenden Charlatanerie ihre Zuflucht nehmen, um die Aufmerksamkeit eines Publikums auf fich zu ziehen, das, wenn es nicht blindlings der Mode folgt, stets nur dahin läuft, wo ein un geheurer Spektakel ist. Deshalb waren denn auch abendlich neben den vier Stunden währenden Opern noch große Ballets, Pantomimen, einzelne Scenen aus anderen Stücken rc. angekündigt, und auf den Zetteln las man gewöhnlich mit ungeheuren Buchstaben: ,,8uoce« IHom plisn t. Dke great ebek ü'oeuvre <Ie silez-erbeer stsx kouml xuost an immenso xucce^ in il« repre^entationz, bz» cke öru^els kompan;- tstar ir will be repeMoä üuring rke wkole werk." — Aber trotz alledem machte die französische Gesellschaft keine so vollen Häuser, als ihre im Vergleich mit anderen Theatern Londons sehr gelungenen Vorstellungen hätten können erwarten lassen, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil fie nicht patronirkli st), Her IVlajest^ (patronifirt durch die Königin) war. Ihre Maj. und der Hof erschienen niemals; deshalb halte auch die höhere Aristokratie keine Logen gemiethet, und darum blieb das übrige fashionable Publikum ebenfalls fort. Und warum ward die Gesellschaft nicht von Ihrer Maj. „patronifirt" t Weil fie in Coventgarden spielte, einem Hause, dessen Räume zu den Versammlungen der ^nli - vorn - law - lesgus (des Vereines gegen die Korngesetze) benutzt werden. Da nun dieser Verein in direkter Opposition mit dem Peclschen Ministerium ist, so konnte Sir Ro bert Peel Ihrer Maj. nicht den Nath ertheilen, das Coventgarden-Theater zu besuchen, und darum blieben die französischen Sänger eben so wie früher die in demselben Hause spielenden englischen Tragiker „unpatronifirt". Eine angenehme Ueberraschung war es für mich, als ich unter allem jenem Spektakel auch einmal ein Drama von Shakespeare angekündigt fand; es war der „Kaufmann von Venedig", den das UrmeeW-l'liestr« in der Orford-Street gab. Man sagte mir zwar, es sep dies nur eine Bühne zweiten Ranges; da jedoch die sogenannten ersten Theater, seitdem eS ihnen an Patronisation und an fashionablem Publikum fehlt, den Geist des großen Briten nicht mehr über ihre Bretter schreiten lassen, so mußte ich schon mit einem zweiten fürlieb nehmen, wenn ich überhaupt was von Shakespeare in England sehen wollte. Und die Vorstellung war auch keineSwegeS schlecht zu nennen. Ein Herr Wallack gab den Shplok, und eine Nordamerikanerin, MrS. Cushman, die Portia. Beide werden zu den talentvolleren jetzt leben, den englischen Schauspielern gezählt, obwohl fie weder mit Charles Kemble und dessen Frau (früher Miß Ellen Tree), noch mit Macready, oder mit Vandenhoff und seiner Tochter, so wie mit Miß Helen Faucit, in eine Reihe gestellt werden können. Alle diese ausgezeichneten Künstler, die ein hinläng, kicher Beweis find, daß die Kunst der Garrick und der SiddonS in England noch nicht auSgestorben, waren während der „Season" nicht in London, son. dern gaben Gastrollen in den großen Provinzialstädten, wo ich in der That das höhere Drama weit mehr in Gunst sand, als in London, was Alles eine Folge des mangelnden Patronates und der leidigen Nachahmungssucht unter den sogenannten gebildeten Ständen der Hauptstadt ist. In Ermangelung also Macreadp's mußte ich mich mit Wallack begnügen, der für mich, obwohl ich die beiden größten deutschen Künstler, Ludwig Devrient und Sepdelmann, in dieser Rolle gesehen hatte, doch eine anziehende Erscheinung als Shplok war. Shplok ist nicht eigentlich ein national-jüdischer Charakter, wie auch eine Vergleichung mit der italiänischen Novelle ergiebt, die Shakespeare da bei, wenn auch erst auö zweiter Hand, benutzt hatte, sondern des großen Dichters Auffassung eines Geizigen seiner Zeit und seines Landes, gleichwie uns PlautuS und Moliere die Geizigen ihrer Zeit und ihres Volkes gc- schildert haben. Diesen krassen englischen Geizhals nun, dem die Gallioncn, die der unternehmendere Kaufmann nach allen Meeren ausgesandt, ein Dorn im Auge sind, weil sie diesen noch mehr bereichern, als ihn sein wucherischer Geiz, und der eine augenblickliche Verlegenheit des Kaufmanns benutzt, um Rache für die Schmach zu nehmen, die seiner Habsucht angethan worden — diesen handelsmännischen Geiz nun, sage ich, stellte Herr Wallack noch viel treffender dar, als die deutschen Künstler, und zwar augenscheinlich auch mit Benutzung historischer Ueberlieferungen in Bezug auf die Auffassung dieses Charakters, wobei besonders die Mimik Shylok's bei seinem Abtreten von der Bühne nach der richterlichen Entscheidung überaus treffend war und den Dich ter, der dem Abtretenden kein Wort in den Mund legt, so vollständig er gänzte, daß das Haus in einen unermeßlichen Beifall ausbrach. Die übrigen Rollen des Stückes waren alle, mit Ausnahme der Portia, eben so unge nügend besetzt, als cS in Deutschland der Fall zu sepn pflegt. Eine besondere Kuriosität aber war, daß — wahrscheinlich um das Publikum mehr anzu ziehen — in das alte Shakespearesche Drama mehrere Melodieen von Mozart und Rossini eingelegt waren. Auf dem Zettel selbst war dies bereits mit den Worten „wirst Songn" (mit Gesängen) angezeigt, und in der That brachte auch Gratiano der Jessika das Ständchen aus Mozart'S Don Juan, worauf dann Beide, bevor sie aus Shylok's Haus entflohen, ein allerliebstes Duett von Rossini anstimmten. Bielen Verehrern Shakespeare'S in Deutschland würde dies natürlich ein Aergcrniß gewesen seyn; dagegen hätten fie fich her- nach im fünften Akte an der ungemeinen Naivetät ergötzen können, mit welcher die verfänglichen Späße Portia's und ihrer Dienerin über die Ringe, die ihre beiden Verlobten an den Richter und dessen Schreiber geschenkt, ausgesprochen und ausgenommen wurden. Von den auf Reisen befindlichen größeren Künstlern des Covcntgarden- Theaters hatte ich übrigens nachmals Gelegenheit, Herrn Vandenhoff und dessen Tochter auf dem „sLKeslre Lo>al" in Liverpool zu sehen, und zwar traten Beide an demselben Abend in der „Antigone" des Sophokles und in — Kotzcbue'S „Menschcnhaß und Reue" auf. Letzteres war unter dem Titel Dste Strsuger (der Fremde) ohne Angabe der deutschen Quelle angekündigt, und da auch einige Namen auf dem Zettel anders lauteten, als in dem Kotzebueschen Stücke, so erwartete ich nichts weniger als dieses, erkannte es aber schon in der ersten Scene, da es fast Wort für Wort übersetzt ist. Van. denhoff der Vater gab den „Kreon" und den „Fremden" und Miß Vandenhoff die „Antigone" und die „Eulalia" (oder „Adelaide", wie fie in der englischen Uebersctzung heißt, wie denn auch „Madame Müller" in eine „MrS. Haller" verwandelt worden). Der Ucbergang von der antiken Tragik zu der modernen Sentimentalität konnte wohl kaum greller gewählt sepn, als in der Zusammen stellung dieser Rollen an einem und demselben Abend, doch muß ich gestehen, daß mir beide englische Künstler in den antiken Rollen eben so tief rührend als in den modernen großartig ergreifend erschienen. Miß Vandenhoff scheint fich ihre große Landsmännin MrS. SiddonS zum Vorbilde genommen zu haben ; wenigstens erinnerten mich ihre Stellungen und der Ausdruck ihres Gesichts an das herrliche Gemälde jener Schauspielerin (in der Rolle der Lady Macbeth) von West, das auf der britischen Nationalgalerie neben dem lebens-