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A-orter Wochenblatt. Mittheil un gen über örtliche und vaterländische Angelegenheiten. Fünfzehnter Jahrgang. Peel« für den Jahrgang bei Bestellung von der Post: t Thaler, bei Bestellung de« Blatte« durch Botengele»enheit» 22 Ngr. S Pf, 48. Mittwoch, L7. November 1858. Dresden, den 22. November. Es ist heute Buß« tag im Königreich Sachsen. Dies erinnert uns an den politischen Bußtag, der sür ganz Deutschland her- angekommcn ist. Wohl hat das deutsche Volk Buße zu thun sür manche Verirrungen und Uederstürzungen ter letzten Jahre; und mancher Vernünftige, der sich in unbewachter Stunde hinrcißen ließ von dem Stro me des Unverstandes und dann gegen seinen Willen immer weiter und weiter getrieben wurde, — hat sie auch schon gelhan im stillen heimlichen Kämmerlein. Aber eine aufrichtige Neue und thatkräftige Besserung zu befördern, sind wahrlich die unfertigen Bußpre- Viger, die allenthalben jetzt daS deutsche Land durch ziehen, am allerwenigsten geeignet. Thut Buße! ru fen Sic, denn das Himmelreich ist nabe herbeigckom, men. Unter dem ,,Himmelreich" aber verstehen sie — den alten Bundestag, das Wiederaufleben ihrer Privi legien, den Wiederausschwung der päpstlichen Hierar chie, die Rückkehr der alten Zustände überhaupt, kurz Alles, worin das deutsche Volk nichts weniger als ein Himmelreich erblicken kann. Und sie bekehren Niemanden! Denn ob auch Viele ihren Bußpredigten nicht widersprechen (widerspricht man doch auch dem Pfarrer auf der Kan zel nicht), ja ob auch Manche aus Furcht oder Egois- mus bekehrt sich steilen, im Grund deS Herzens ist cs — Niemand. Desto offnere Ohren und gläubigere Herzen finden leider! diese Bußprediger bei den meisten Lenkern der Eraatcn. Diese bereuen — und bereuen aufrichtig — was Sie in den letzten Jahren gethan und nehmen bußfertig Alles zurück, das Gute wie das Schlim me; — dem unverständigen Haushalter gleich, der — weil er Unkraut unter seinem Waizen erblickt — den ganzen Acker umackert, unbekümmert darum, daß er fick, und die Seinigen um die Ernte bringt. Und sie he da! anderes Unkraut kommt und macht nun al lein sich breit auf dem prcisgegebenen Boden! Auch unter den Ständen Deutschlands sehen wir manche Büßende. Sie verschlucken theils freiwillig, th.ils auf Befehl die Wechsel, die sie selbst auf die Zukunft ausgestellt haben, und man weiß nicht, ob man weinen oder lachen soll über die Grimassen, mit denen einzelne Verstockt» diese unliebsame Verrichtung ihrer Vcrdauungswerkzeuge zu begleiten pflegen. Wohl! die Wechsel waren verfälscht, verfälscht durch unverständige Abnehmer und nichtswürdige Giranten. Vergesse man nur nicht, daß durch Vernichtung deS Wechsels die ursprüngliche Schuld nicht be- zahlt wird, vergesse man nicht, daß jeder ehrliche Schuldner die wirkliche Schuld bezahlt, auch wenn er nicht durch Wechselhaft dazu genöthigt werden kann. Keinr Reue ohne — Besserung!!! Dresden, den 23. November. Den Bußpredigern, von denen wir gestern sprachen, gesellen sich mit glei cher Anmaßung die Friedenspredigcr bei, die Alles ver« dächti^e», was in ihr salbungsreiches Geschrei: „Frie den um jeden Preis!" nicht ohne Vorbehalt einstimmr. Denn was hilft cS Frieden zu predigen, wo doch kein Friede ist? Oder ist etwa überall Frieden zwischen Deutschlands Völkern und Regierungen? Ist etwa Frieden zwischen Preußen und Oesterreich? Ist etwa Frieden zwischen den kleineren Staatrn? Was nützt es die Wunde nicht sehen zu wollen, während man doch ihren Schmerz sühlt und das Gift darin immer weiter frißt? Wahrlich, auch wir wollen nicht „Krieg um jeden Preis!" denn — wie Dahlmann in einem Briefe an die constit. Zeitung mit Recht sagt — der wäre einVcrbrccher oder ein Wahnsinniger, der den Krieg wünschte, wenn er aus friedlichem Wege dasselbe erreichen kann. Aber zwischen „Krieg um je« den Preis" und „Frieden um jeden Preis" liegt noch ein breiter Mittelweg, den wir auch hier betreten «is» sen wollen. Wir wollen, daß der stille Krieg end lich einmal aufhöre und einem ehrlichen dauerhafter» Frieden Platz mache, wir wollen, daß man den täu. sehenden Verband endlich einmal abreiße und dem Ue» bel auf dem Grund gehe; wir wollen, daß man die kostspieligen Zugpflaster nicht blos anschaffe, sondera daß man sie anwende, wenn sich nun einmal da- Gift auf andere Weise nicht aus der Wunde entfernet» läßt; wir wollen mit einem Worte eine gründliche Heilung unserer Zustände, ehe die Wunde faul und unheilbar wird, oder eia unberufener Arzt unser» Schmerzen vergrößert.