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— . G ir« LMKilW jN AUGn AMitN- 9! 1.293» zu Nr. 16 des Hauptblattes. 1926. Beauftragt mit der Herausgabe RegierungSrat Brauße in Dresden. LaMagsvtrhaMnnge«. (Fortsetzung der 161. Sitzung von Dienstag, den 19 Januar.) Punkt 5: Anfrage des Abg. Renner u. Gen., die Behandlung der Arbeitersehefrau Bodendorf auf der Polizeiwache in Riesa betr. (Drucksache Nr. 1569.) Die Anfrage lautet: Am 7. November v. I. meldete sich der Arbeiter Bodendorf mit seiner Frau in Riesa als obdachlos auf der Polizeiwache bei dem Polizeikommissar Weid ling. Der Mann wurde nach der Herberge zur Heimat verwiesen, während die Frau in einer Gefangenen zelle untergebracht wurde. Der Kommissar gab einem Wachtmeister den Befehl, die Frau in die Zelle zu schaffen, forderte aber einen zweiten Wachtmeister auf, mitzugehen, damit der Frau nichts geschehe. In der Zelle hat sich dann nach Darstellung der Frau folgender Vorfall zugetragen: Die Frau übergab ihr Hemd, um dieses vorschrifts mäßig nach Ungeziefer durchsuchen zu lassen. Die Wachtmeister forderten nun von der Frau, daß sie sich ganz nackt ausziehe. Als die Frau sich weigerte, drohte man, sie wieder auf die Straße zu werfen. Auf diese Drohungen kam die Frau der Aufforderung nach. Als die Frau sich ausgezogen hatte, befahl ein Wachtmeister „Hände hoch, Beine breit". Dann nahm er einen Handbeien und fuhr damit über den Körper, wobei er höhnisch lächelte. Nachher mußte die Frau nackt in die Zelle gehen und konnte sich dort anziehen. Wir fragen die Regierung, ist ihr dieser skandalöse Vorfall, der dem Bmgermeister von Riesa gemeldet und in der „Sächsischen Arbeiterzeitung Leipzig" vom 11. d. M. bekanntgemacht wurde, bekannt? Ist die Regierung bereit, die schuldigen Beamten zur Rechenschaft zu ziehen? Ist die Regierung bereit, bis zur Erledigung der Angelegenheit die Suspendierung der Beamten vom Dienst herbeizuführen? Was gedenkt die Regierung zu tun, um derartige Vorkommnisse in Zukunft zu verhindern? Besteht eine Anordnung, nach der es männlichen Beamten verboten ist, werbliche Personen zu unter suchen, wenn ja, was gedenkt die Regierung zu tun, um die Einhaltung derselben zu gewährleisten? Abg. Glombitza (Komm.) begründet die Anfrage des näheren. Der Mann Bodendorf, dessen Frau das ge schehen ist, hatte sich zunächst an die Vertreter der So naldemokraten in Riesa gewendet mit der Bitte, die Sache in die Hand zu nehmen. Von den Sozial demokraten in Riesa wurde das abgelehnt. Der Mann wandle sich deshalb an die Kommunistische Partei. Diese hat sofort in öffentlichen Versammlungen dazu Stellung genommen, und die Empörung über die ge schilderten Tatsachen unter der Arbeiterschaft, ins besondere auch unter den SPD.-Arbeitern, war allgemein. Am 30. Dezember hat dann die Sache zur Ber- Handlung vor dem Amtsgericht in Riesa gestanden. Die Frau ist zu 7 Monaten Gefängnis verurteilt worden wegen Verleumdung der Polizeibeamten. Wir haben nicht erwartet, daß unter dem heutigen System Vie Frau zu ihrem Rechte kommen würde, denn selbst- verständlich haben sich die beiden in Frage kommenden Polizeibeamten nicht selbst belastet, sondern die Sache so dargestellt, daß sie strafrechtlich nicht belangt werden können. Aber die Vorgänge, die bis zur Gerichts verhandlung gespielt haben, sollten doch bei denen, die noch etwas Wert auf eine objektive Rechtiprechunx legen, allerhand Bedenken hervor gerufen haben. Be der Untersuchung des Falles durch den Polizeidezernenten in Riesa im Beisein eines SPD-Stadtverordneten und eines Parteigenossen von uns wurde festgestellt, daß die Frau mit demselben Besen abgekehrt worden ist, der auch zur Reinigung der Zelle benutzt wird. Sonderbarer- weise hat man diese FeststellungbeiderGerichtsverhandlung überhaupt nicht herangezogen. Werter ist ausfällig, das sich die beiden in Frage kommenden Polizeibeamten in einer wesentlichen Aussage scharf widersprochen haben. Während der eine Polizeibeamte behauptet, daß die Frau ihre Sachen an demselben Abend wieder zurück- bekommen habe, erklärt der andere, daß das erst am folgenden Morgen geschehen sei. So etwas hätte doch schließlich auch deutsche Richter etwas beeinflussen müssen. Aber heute gilt ja die Tatsache, daß ein Polizei beamter gegenüber 20 und noch mehr proletarischen Angeklagten allein Recht und Wahrheit aus seiner Seite hat, und daß alle proletarischen Angeklagten auf Grund der Aussage eines einzigen Polizeibeamten ohne weiteres verurteilt werden. (Lebhaftes Sehr richtig! b. d. Komm. Hier handelte es sich ja darum, unbedingt die Staats- und Beamtenautorität zu wahren, und das mußte folgerichtig zur Verurteilung der betreffenden Frau führen. Für uns steht fest, daß der Vorgang sich so, wie er von der Frau geschildert und in unserer Anfrage wiederpegeben worden ist, sich tatsächlich abgespielt hat. Wir verlangen deshalb, daß die Strafe, die über die Frau verhängt worden ist, sofort rückgängig gemach wird, und drß darüber hinaus dafür gesorgt wird, daß in möglichstallen Gemeinden Unterkunftsräume geschaffen werden, in denen Obdachlose untergebracht werden können, so daß nicht der Zwang entsteht, solche Obdachlose in Polizeigesängnisse einzuliefern. Von der Regierung muf dafür gesorgt werden, daß Obdachlosenheime in möglichst (roher Zahl geschaffen werden, damit sich solche Zustände, )ie offenbar auf Tatsachen beruhen, nicht wiederholen. Minister des Innern Mütter: Sofort, als der Fall im Ministerium des Innern bekannt wurde, haben wir eine Untersuchung emgeleitet. Ich kann auf die Einzel- leiten dieser Untersuchung heute nicht eingehen, weil ie noch nicht abgeschlossen ist. (Aha! b. d. Komm ) Ja, Herr Abgeordneter, es ist sehr schwer, die Untersuchung zum Abschluß zu führen, weil es sich nicht um das Ehepaar Bouendorf handelt, sondern weil es sich um ein Fräulein Eichert und einen Herrn Bodendorf mit gefälschtem Einwohnerjchein handelt. Deshalb können wir die Untersuchung nicht so schnell zum Abschluß bringen. Wenn sie abgeschlossen ist, und wir stellen fest, daß sich die Polizeibeamten irgend etwas haben zu schulden kommen lassen, werden sie bestraft werden. Wenn das nicht der Fall ist, werden sie von der Re gierung in Schlitz genommen werden. Damit ist diese Angelegenheit erledigt. (Schluß der Sitzung 4 Uhr 22 Minuten nachmittags) 162. Sitzung Dienstag, den 19. Januar 1926. Präsident Winkler eröffnet dieSitzung 1Uhr13Min. nachmittags. Am Rcgieruugstisch Ministerpräsident Heldt, die Minister Bünger, Elsner,Müller (Chemnitz),Müller (Leipzig), vr. Reinhold sowie eine Anzahl Negierungs vertreter. Der Präsident gibt bekannt, daß sich der Unter suchungsausschuß zur Nachprüfung der Verhältnisse in den sächsischen Strafanstalten konstituiert hat. Punkt 1: Zweite Beratung über den Antrag des Abg. Nebrig u Gen. (Drucksache Nr. 1460), betreffend den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Organisation der Behörden für die innere Verwaltung vom 21. April 1873 — GVBl. S. 275 —. (Mündlicher Bericht des Rechts- ausschusses, Drucksache Nr. 1648.) (Vergleiche Landtagsbeilage Nr. 278.) Berichterstatter Abg. Keltisch (Soz.): Der Antrag Nr. 1460 verlangt eine Abänderung des § 29 Abs. 4 des Gesetzes, die Organisation der Behörden für die innere Verwaltung betreffend, vom 21. April 1873. Die Ab sätze 1 bis 3 bedurften keiner Abänderung mehr, da sie vereits durch andere Gesetze außer Kraft gesetzt worden sind. Für den Antrag wurde im Ausschuß geltend ge macht das demokratische Prinzip, das heute bei der Zu sammensetzung aller Ausschüsse und Beschlußbehördcn ausschlaggebend ist, weiter die Tatsache, daß der Kreis- ausschuß eine Wahlbehörde d. h. daß diejenigen, die diese Körperschaft wählen Mit ihrem Willen, die Richtung und die Zusammensetzung des Ausschusses bestimmen sollen. Erhärtet wurden die Gründe, die für die An- nähme des Antrags sprechen, noch dadurch, daß dem Ausschuß aus de: Kreishauptmannschaft Leipzig Fälle vor getragen werden konnten, wo tatsächlich durch den Umstand, daß außer dem Vorsitzenden Kreis!,auptmann auch noch der Referent das Stimmrecht ausüben durfte, erst durch diesen Referenten ein Mehrheitswille hergcstellt wurde, d. h. also, der Wahlwille dadurch illusorisch gemacht wurde. In, Ausschuß hat die Regierung erklärt, daß man ja auch nicht vergessen dürfe, daß im Grunde mit der zweiten Stimme, mit der des Referenten, die also doch vom Staate bestimmt werde, die löbliche Absicht ver bunden gewesen sei, den staatlichen Einfluß innerhalb des Kreisausschusses gegenüber den gemeindlichen oder wahlkörperjchaftlichen stärker zu betonen. Von einem Ausschußmitglied wurde ausgeführt, daß bei einem ge schickten Kreishauptmann in der Regel der Referent dieselbe Stimme abgeben werde. Aber es kann uns nicht nachgewiesen werden, daß es etwa rechtlich »unzulässig sei, daß der Referent gegen den Kreishauptmann stimmt. Damit fällt, nach der Mei nung der Mehrheit des Ausschusses, der Einwand weg, daß bei zwei Stimmen unbedingt dem Staate ein größerer Einfluß garantiert sei als bei der Stimme des Kreishauptmanns allein. Der Verband sächsischer höherer Staatsbeamten hat an das Ministerium des Innern eine Eingabe gerichtet, in der er ebenfalls das Ministerium bittet, sich für die Beibehalung des jetzigen Zustandes ein zusetzen: man müsse doch einsehen, daß der Refe rent, der die Sache bearbeitet, am besten geeignet sei, die Dinge zu begründen und etwaige Zweifels oder Streitfragen zu klären. Im Ausschuß wurde geltend gemacht, daß selbstverständlich der Referent den: Vorsitzenden deS Ausschusses, also dem Kreishaupt mann, vorher berichtet, daß der Referent, auch wenn er kein Stimmrecht hat, im Ausschüsse jede Auskunft geben kann, daß insofern dieser Grund die Stellung nahme für oder gegen den Antrag nicht zu beein- flussen braucht. Der Ausschuß hat in seiner Mehrheit beschlossen, dem Antrag Nebrig stattzugeben, d. h. das Stimm« echt des Sachreferenten im KreiSausschuß zu beseitigen. Bemerken möchte ich noch, daß sich eine kleine redak- tionelle Änderung in dem Anträge deS Kollegen Nebrig auf Drucksache Nr. 1460 notwendig macht, d,e erst fest- gestellt worden ist bei einer nachträgliche,: Besprechung zwischen der Regierung und dem Berichterstatter. Es darf nämlich im Anträge Nebrig nicht mehr heißen 8 29 Abs. 4 des Gesetzes usw., sondern es muß heißen § 29 Abs. 10 des Gesetzes usw., weil die Reihenfolge der Aufzählungen durch verschiedene andere Gesetze eine Änderung erfahren hat. Ich bitte deshalb den Landtag, auch dieser nachträglichen kleinen redaktionellen Änderung seine Zustimmung zu geben. Abg. Blüher (Disch. Vp ): Die Gründe, die der Herr Berichterstatter gegen den Antrag vorgebracht hat, mußten auf jede» Unbefangenen viel mehr wirken als die Gründe für. Das einzige Moment für den Antrag ist, daß durch eine ungeschickte Behandlung des Vor sitzenden im Leipziger Kreisausschuß einmal ein Fall vorgekommen ist, der den Kreisausschußmitgliedern nicht gefallen hat. Deswegen wirft man eine Einrichtung nur, die über 50 Jahre bestanden hat. Vom Standpunkte der Praxis aus muß man doch sagen: der Antrag ist in hohem Grade theoretisch und unpraktisch. In der Praxis liegt die Sache doch so, daß der Beamte der Kreishauptmaunschaft, welcher referiert, derjenige ist, der die Sache an: allerbesten beherrscht. Denn auch der Kreishauptmann kann als Vorsitzender sich die Sachen niemals so genan anschen, wie der Referent. Und diesen: Mann, der die Sache am besten beherrscht, der auch unabhängig ist von irgendwelchen Wählern, die ihn in den Kreisansschuß schicken, diesen: Mann nehmen Sie das Stimmrecht. Wir werden gegen den Alttrag stimmen. Abg. vr. Dehue (Dem.): Wir sind der Ansicht, daß der Antrag Nebrig mit den: demokratischen Prinzip nichts zu tun hat. Zunächst einmal ist eS nicht das Wesen des demokratischen Prinzips, daß überall und auf alle Fälle und bei allen passenden und unpassenden Gelegenheiten nur gewählte Leute ihre Ansicht äußern dürfen. Außerdem handelt es sich im vorliegenden Falle aber gar nicht um ein Parlament (Sehr richtig! b d. Dtsch. Vp.), sondern um den Kreisausschuß, der vorwiegend nicht politüche, sondern vorwiegend ver waltungsrechtliche Fragen zu entscheideu hat (Sehr richtig! rechts), und über verwaltungsrechtlichc Fragen mitzureden, wird man am zweckmäßigsten denen mit übertragen, die von diesen Dingen etwas verstehen. Dazu gehört vor allen Dingen einmal der Referent, und es ist gar nicht einzujehen, warum aus falsch ver standener demokratischer Anschauung heraus man diesem jetzt das Stimmrecht nehmen sollte. Wir sind aber auch der Meinung, daß in diesem KreiSausschuß auch der staatliche Einfluß nicht zu kurz kommen darf, sondern daß auch der Staat dort zu Worte kommt, und daß, da nur ein einziger Staatsbeamter, nämlich der Kreis hauptmann drin sitzt, es sehr erwünscht ist, daß seine Stimme verdoppelt wird, indem der Referent mit ihm stimmt. Auch von: Beamtellstandpunkt aus ist der Antrag bedauerlich. Wir wünschen, daß die Beamten alle und insbesondere auch die höheren unseren: Staate nicht nur mit allen Kräften, sondern auch mit ganzem Herzen diener:. Wir wollen, daß sie ihre Arbeit nicht mit Seufzen, sondern mit Freude tun, und wir wollen, daß sie infolgedessen in ihrer Arbeit aufgeheu und sich hin gezogen fühlen zu ihrer Arbeit Wir wollen, daß sie nicht als Lohnarbeiter dort tätig sind, sonder,: daß sie immer fester mit dem republikanischen Staate verwachsen. Dazu muß man aber die Voraussetzung schaffen und muß alles vermeiden, was sie verärgern könnle. Für einen Mensch, der etwas kann und verantworlungs- frendig ist, gibt es keine größere Demütigung, als wenn man ihm die Verantwortung entzieht, indem man ihm das Stimmrecht versagt und ihn nur zu eiuem Referenten macht, der anderen vorzutragen hat, die dann mit zu stimmen haben. Wir bitten, den Antrag abzulehnen. Ministerialrat Jahn: Tie Regierung hat hinsicht lich des Antrages Nebrig die Initiative den: Land tage überlassen. Sie vermag ihrerseits ein BedürsniS zur Abänderung des gegenwärtigen Zustandes nicht anzuerkennen. (Hört, hört! b. d. Komin.) Die hier strit tige Frage ist nicht von großer Bedeutung. Der Land tag wird entscheiden, und die Regierung wird dem Beschlusse des Landtages entsprechen. Doch darf viel leicht noch auf folgendes hingewiesen werden. Zur Begründung des Antrags Nebrig ist mehrfach geäußert worden, daß unter den Abgeordneten der Kreisausschüsse bereits reichlich juristische Fachkenntnis vertreten sei, so daß cs des Stimmrechtes des Referenten nicht bedürfe. Diese Betonung juristischer Fachkenntnis trifft wohl kaum den springenden Punkt, denn nicht in erster Linie wegen der juristischen Fachkenntnis der Re ferenten ist ihnen im Organisationsgesetz das Stimm recht eingeräumt worden, sondern, weil es sich bei den Kreisausschüssen um administrative Selbstverwal tung handelt, bei der neben den gewählten Ab geordneten auch die Staatsverwaltung mitwirkt. Es sollte in den Kreisausschüssen durch Verleihung des Stimmrechtes auch au die Referenten der Einfluß deS Staates auf die Willensbilvung dieses Organs einiger maßen gewahrt bleiben. Tatsächlich betrug früher der Ein fluß des Staates etwa ein Viertel des Stimmgewichts der Kreishauptmannschaft, z B. in der Kreishauptmann- schäft Dresden waren zwei Staatsvcrtrcter neben 8 Abgeordneten, in der Kreishauprmannschaft Leipzig zwei Staatsvertreter neben 7 Abgeordneten. Dieses Stinrmgewicht der Staatsvcrtretung ist in der deut schen Gesetzgebung durchaus nichts Vereinzeltes. Es