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Trschrint »glich ml! Au« rahm« der Tage nach Sonn- und Festtagen. Annahme von Inseraten für die nächster« scheinende Nummer bis nachmittags 2 Uhr. Der Abonnementspreis beträgt vierteljähr lich 1 Mk. LS Pf. Inserate pro Zeile 10 Pf., Einges. 20 Pf. Expedition: Waldenburg, Obergafse 2S1L. -— und Waldenburger Anzeiger 4- Filialen: tn AMadkrraideuvurg vei xerrn Kaufmann Otto Förster; in Langenchurs- darf bei Herrn H. Stiegler; in Penig bei Herrn Kaufmann Rob. Härtig, Mandelgaffe ; in Rochsburg bei Herrn Paul Zehl; in Wolkenburg bei Herrn Ernst Rösche; in Ziegelheim bei Herrn Eduard Kirsten. —— Zugleich weit verbreitet in der- Städten WsRkH, IRAzeus«, Ltchterrftsis-GsKttbeNg und in den Ortschaften der nachstehenden Standesamtsbezirke: Nltstkdt-Wsldmburg, BräunSdorf, Lallsnberg, St. Zgidien, Eßrenhain, Frohnsdorf, Falken, Grumbach, Kaufungen, Langenchursdorf, Langm- ls«LL-NiederhLin, LsngenleubK-Oberhain, Niederssiers, Oöergräfenhain, Oberwiera, Oberwinkel, Oelsmtz i. T., Reichenbach, Remse, Rochsburg, Nußdorf, Schlüßmtz, Schsaben, Steinbach, Wechselburg, Wiederau, Wslkenöurg und Ziegelheim. L8W ^U«r. Freitag, den 28 März Witternngsbericht, ausgenommen am 27. März, nachm. 4 Uhr. Barometerstand 765 mm. reducirt auf den Meeresspiegel. Thermometerstand -> 15 " 0. (Morgens 8 Uhr -i- 11 °.) Feuchtigkeitsgehalt der Luft nach Lambrechts Polymeter 57"/«. Thaupunkt -s- 7 Grad. Windrichtung: Südwest. Daher Witternngsavsstchteu für den 28. März: Wolkiges bis halbheiteres Welter; keine oder geringe Niederschläge. Temperatur unverändert. "Waldenburg, 27. März 1890. Der Eintritt ins Arbeitsleben steht für viele junge Leute, nach Abschluß der Schulzeit, auch jetzt wieder nahe bevor. Es bedarf keines Wortes, um darüber Klarheit zu erlangen, daß heute auf den Weg, den jene jungen Leute einschlagen sollen, noch viel sorgfäl tiger geachtet werden muß, als in früheren Zeiten. Socialer Hader und Zwietracht machen sich vielfach geltend und verbittern unnöthig das Leben; mitWor- ten wird viel um sich geworfen und das Thaten da rüber vergessen. Es ist in unserer Zeit das allerbe- trübendste Zeichen, daß so Viele große Herren sein und spielen wollen, ehe sie auch nur annähernd so viel zu leisten vermögen, um einen sicheren Lebensunterhalt zu haben. Statt zu lernen und zu arbeiten, wird das große Wort geführt, werden allerlei Zukunftsbilder entworfen, die deutlich zeigen, daß sie in unreifen Gedanken ihren Ursprung haben. Die jungen Leute, darin ist die sociale Schwierigkeit unserer Tage zu su chen, sie sind es, welche die älteren Arbeiter fortreißen, die durch die Jahre gewitzigt sind. Ueber die Unbot- Mäßigkeit der jungen Leute, die doch erst praktische Thätigkeit lernen und erfahren sollen, wie cs im Leben zugeht, klagen gleichmäßig Großindustrielle, Handwer ker, ältere Arbeiter und auch die Eltern. Hier treten die Schwierigkeiten deutlicher, dort weniger sichtbar hervor, aber das wird überall erkannt, daß eine ge regelte Erziehung und Ausbildung wieder Platz grei fen muß, wenn die jungen Leute nicht später, um einen Lolksausdruck zu gebrauchen, die älteren „zum Besten haben" sollen. Und ducken sie sich noch während der Lehrjahre, so bricht die Zügellosigkeit nachher um so schlimmer hervor. Hierin muß es anders werden, darin müssen Eltern und Lehrmeister zusammenstehen. Die Lehrjahre müssen nicht mehr als eine Zeit betrach tet werden, in welcher ein aus der Schule entlassener junger Mensch möglichst viel verdienen und schon den „Don Juan in der Westentasche" spielen soll, sondern als eine Zeit, in welcher er zu lernen hat und begrei fen soll, daß man nicht durchs Leben tanzt und tollt, sondern rechtschaffen arbeiten muß, wenn man nicht hungern oder e n Lump werden will. Das müssen die Eltern einsehen, und alle die, welche die hohe Auf gabe haben, junge Leute zu unterrichten, müssen so viel wie möglich selbst auf deren Unterricht und Unterwei. sung achten. Etwas lernen und das Gelernte verwenden können, das ist heute die Parole. Obgleich schon oft genug darauf hingewiescn, daß alle gelehrten Berufe über füllt sind, mag hier doch nochmals die eindringliche Warnung erhoben werden, Söhne nicht studiren zu lassen, wenn sie nicht wirkliche Befähigung und feste Ausdauer besitzen. Ein Studium auf gut Glück, im Vertrauen darauf, daß der junge Mann mit den Jah ren sich schon noch ändern wird, ist ganz verfehlt. Das gelehrte Proletariat, wie wir es mit Recht nen nen können, ist das unheilvollste, die Leute, welche dazu gehören, kommen fast alle auf einen Weg, auf dem es keine Umkehr giebt. Alle Eltern sollten doch einsehen, daß die Zeiten, wo nur vor dem studirten Mann der Hut abgenommen wurde, längst vorüber sind, daß auf die Stimme des Handwerksmeisters und Arbeiters nicht weniger geachtet wird, als auf die von Herren mit Titeln und großen Namen. Im preußischen Staatsrathe und am Tische des Kaisers saßen zwei einfache Handwerksmeister und ein Maurergeselle, Nie mand hat die Achtung ihnen versagt, welche sie mit Recht fordern konnten. Mögen die jungen Leute ihren Lebensberuf nicht von heute auf morgen wählen, son dern erst, nachdem sie nähere Einsicht in demselben er halten, mögen auch die Eltern den Wünschen ihrer Kinder Gehör schenken, so lange diese nicht geradezu widersinnig sind. Es ist Thatsache, daß die Kinder häufig weit weni ger hoch hinauswollen, als die Eltern, daß sie von Letzteren auf verkehrte Wege gedrängt werden, die man erst erkennt, wenn es zu spät ist. Zur Ergreifung einer praktischen Thätigkeit spricht auch der Umstand mit, daß das Kleingewerbe sich langsam wieder zu heben beginnt. Die Lohnbewegungen und Streiks, die heute soviel von sich reden machten, werden nach und nach, wenn eine allgemeine Regulirung der Ver hältnisse stattgefunden hat, ganz von selbst ein Ende nehmen, und dann wird für einen tüchtigen Mann das Handwerk wieder goldenen Boden gewinnen. Die ge werbliche Krisis, die wir heute in ganz Europa haben, ist nicht leicht, aber auch das stürmische Meer beruhigt sich wieder, und ist sie zu Ende, wird sie in gleichem Maße die unreellen Elemente unter den Arbeitgebern, die durch eine schmähliche Concurrenz so viel Unheil - anrichteten, wie die Pfuscher unter den Gewerbsgehil fen, beseitigt haben. Diese Läuterung mußte einmal kommen und nach ihr werden auch andere Tage er scheinen. Aushalten und lernen, ist heute die Losung, und für die jungen Elemente muß die Erkenntniß auf wachen, daß alle geraden Wege nur zu einem Ziele führen, dereinst ein rechter Mann am rechten Platz zu werden. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Unser Kaiser hatte Mittwoch Vormittag auf der Rückkehr von einer Spazierfahrt im Thiergarten eine Unterredung mit dem Grafen Bismarck, empfing spä ter den Fürsten Bismarck im Schlosse, und arbeitete hierauf mit dem Geh. Rath von Lucanus und dem Minister von Berlepsch. Nach der „Post" hat der Kaiser selbst erklärt, daß seinen Bemerkungen zum Generalstabschef Graf Waldersee eine ganz verkehrte Auslegung gegeben sei. Bei den Spandauer Schieß- Übungen am Dienstag marschirte der Kaiser selbst zu Fuß mit und nahm auch am Schießen Theil. Der Reichsanzeiger veröffentlicht den französischen Text des Brief Wechsels zwischen dem deutschen Kai ser und dem Papste über die Berliner Arbeiterschutz- conferenz. Der Kaiser spricht in seinem kurzen Schrei ben die Hoffnung aus, daß der Papst, welcher stets für das Loos der Armen und Niedrigen der menschlichen Gesellschaft singetreten ist, auch den Arbeitern der internationalen Conferenz seine Sympathie zuwcnden wird, welche das Loos der Arbeiter verbessern soll. Der Kaiser überreicht dem Papst das Programm der Conferenz, theilt die Ernennung des Fürstbischofs von Breslau zu seinem Vertreter mit und spricht dem Papste die Versicherung seiner Achtung und Ergebenheit aus. Die Anrede des Schreibens lautet: „Sehr ehr würdiger Pontifex!" Der Papst versichert in seinem Antwortschreiben, daß er die Conferenz mit Freuden begrüße und beglückwünscht den Monarchen zu derselben. Der Papst theilt mit, daß er es für seine Pflicht, als Oberhaupt der katholischen Kirche, halte, an diesem Werke theilzunehmen, er hat deshalb allen Regierungen seine Ansichten über die sociale Frage in einem Rund schreiben mitgetheilt. Das Schreiben führt weiter aus, es sei zu hoffen, daß die Arbeiter der Conferenz ein gutes Resultat haben werden. Arbeiterschutz und Sonn tagsruhe würden dazu beitragen, daß die Arbeiter be handelt werden, wie sie es verdienen, und sie vor Aus beutung schützen. Sodann legt der Papst Gewicht auf eine Mitwirkung der Kirche neben der behördlichen Autorität und meint, das religiöse Gefühl sei allein geeignet, den Gesetzen Gehorsam entgegenzubringen; das Evangelium sei der Codex, in welchem die wahren Grundsätze der Gerechtigkeit und Barmherzigkeit auf gestellt seien. Die Religion werde wohlthätig sowohl auf den Arbeitgeber, wie auf den Arbeiter einwirken und sie ihre Pflichten erkennen lassen; dis Pflege der religiösen Prinzipien garantire allein Friede, Ordnung und Gedeihen. Die Kirche biete unausgesetzt ihren Einfluß auf zur Lösung der socialen Frage und im Interesse der Arbeiter. Alle Geistlichen sollen im Interesse des Friedens thätig sein und der Papst hofft, daß die weltlichen Behörden diese Arbeit der Kirche unterstützen werden. Der Papst schließt mit den besten Wünschen für die Arbeiten der Conferenz, billigt die Wahl des Fürstbischofs Kopp zum Conferenzmitgliede, und übersendet dem Kaiser und der kaiserlichen Familie seine herzlichsten Wünsche. Fürst Bismarck soll seine Abreise von Berlin bis zum 30. d. M. verschoben haben. Dis Abschieds adresse der nationalliberalen Fraction des preußischen Abgeordnetenhauses ist ihm jetzt zugestellt. Am Diens tag Abend stattete Fürst Bismarck dem Wirths des bekannten Grunewald-Restaurants Paulsborn, der früher sein Koch gewesen, einen Besuch ab. Er trank dort Kaffee, plauderte gemüthlich und sagte, er sei gekommen, Lebewohl zu sagen, weil er für absehbare Zeit Berlin verlasse. Beim Bezahlen äußerte der Fürst lächelnd, daß er schon seit langer Zeit nicht gewohnt sei, selbst zu zahlen. Wie Fürst Bismarck ist auch der Reichskanzler von Caprivi nunmehr, nach der Genehmigung von Graf Bismarcks Rücktritt, preußischer Minister des Auswärtigen geworden. Staatssekretär im auswärtigen Amt wird der bisherige Gesandte Graf Aloensleben in Brüssel. Herr von Aloensleben wird im nächsten Monate 54 Jahre alt, er ist, wie Herr von Caprivi, unvcrmählt. Er hat sich im diplomatischen Dienste in mannigfachen schwierigen Stellungen ausgezeichnet. Er war lange Botschaftsrath in Petersburg, später Gesandter in Haag, dann von 1884—1888 in Washington, und endlich seit Mai 1888 Gesandter in Brüssel. Graf Aloensleben gilt als reicher Mann. Fürst Bismarck hat sich Mittwoch Mittag vom Kaiser Wilhelm II. offiziell verabschiedet. Beide Männer waren sehr bewegt, sie halten eine einstündige Unterredung. Als der Fürst das Zimmer des Kaisers verlassen wollte, trat der Monarch auf ihn zu, um armte ihn ui d drückte ihm nochmals kräftig die Hand. Der Fürst trug die Uniform der Halberstädter Kü rassiere, und das große Band des Schwarzen Adler ordens. Eine Anzahl Damen und Herren hatten sich vor dem Kanzlerpalais in der Wilhelmstraße aufgestellt, man warf Blumen in den fürstlichen Wagen, wofür der Insasse lächelnd dankte. Zwei berittene Schutzleute sprengten den Wagen voran, zwei folgten. Eine grö ßere Menschenmenge wartete vor dem Schloß und rief dem Fürsten „Hurrah" und „Hoch" zu. Freundlich