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WnburM Tagelilait «nd Waldenburger Anzeiger Amtsblatt für den Aadtrath Waldenburg 269 Donnerstag, den 18. November 1886 tentes Filialen: in Altstadtwaldenburg bei Herrn Kaufmann Max Liebezeit; in Penig bei Herrn Kaufmann Rob. Härtig, Mandelgaffe; in Rochsburg bei Herrn Suchhalter Fauth-, in Lunzenau bei Hrn. Buchhdlr. E. Dietze; in Wechselburg bei Herrn Schmied Weber; in Altenburg bei Hrn. Buchh. Ernst Geßner; in Lichtenstein b. Hrn. Buchh. I. Wehrmann. Witterungsaussichteu für den 18. November: Bei mäßigen südwestlichen Winden veränderliche Bewölkung ohne wesentliche Niederschläge. Temperatur unverändert. Zugleich weit verbreitet in den Städten Penig, Lunzenau, Lichtenstein-Callnberg und in dm Ortschaften der nachstehenden Standesamtsbezirke: Altstadt-Waldenburg, Braunsdorf, Callenberg, St. Egidien, Ehrenhain, Frohnsdorf, Falken, Grumbach, Kaufungen, Langenchursdorf, Langen leuba-Niederhain, Langenleuba-Oberhain, Niederwiera, Obergräfenhain, Oberwiera, Oberwinkel, Oelsnitz i. E., Reichenbach, Remse, Rochsburg, Rußdorf, Schlagwitz, Schwaben, Steinbach, Wechselburg, Wiederau, Wolkenburg und Ziegelheim. Erscheint täglich mit Ausnahme der Tage nach Sonn- und Festtagen. Annahme von Inseraten für die nächster- scheinende Nummer bis nachmittags 2 Uhr. Der Abonnementspreis betrügt vierteljähr lich 1 Ml. 25 Pf. Inserate pro Zeile IO Pf., Einges. 20 Pf. Expedition: Waldenburg, Kirchgaffe 255. in ihnen nur Leute, Vie durch ihr Geld ein Vorrecht besitzen. Das Beispiel ihres Widerwillens gegen den Kriegsdienst wirkt daher um so ansteckender. Noch viel schlimmer wirkt die bestehende Günstlingsherrschaft. Wer einen Gönner hat, braucht gar nicht zu dienen oder bringt die meiste Zeit auf Urlaub zu. Es ist gar nichts Ungewöhnliches, daß der Militärpflichtige bei der Musterung einen Brief überreicht, worauf ihn der Arzt sofort für untauglich erklärt; wenn der Arzt es nicht thut, dann findet sicher der Präfect einen Grund, den Schützling eines Abgeordneten, den Sohn eines einflußreichen Wählers rc. der Aushebung zu entziehen. Jeder Soldat hat mehrfach Beispiele solcher willkürlicher Befreiungen vor Augen. Mancher arme Teufel denkt dabei, daß es bei der früher bestandenen Stellvertretung besser gewesen sei; damals waren die Wohlhabenden auch frei, aber sie zahlten dafür und der Unbemittelte hatte seinen Vortheil davon. Begün stigung fand nicht statt, das Loos entschied. DerAer- mere, der durch dasselbe frei kam, konnte als Stellver treter dienen, erhielt beim Abgang 1500 bis 2000 Frcs. baar, oft die Grundlage einer befriedigenden Lebensstellung. In Frankreich ist eben das Klassenthum "Waldenburg, 17. November 1886. Von Paris aus wird die französische Kriegsmacht als eine vollkommen durchgedildete, schlagfertige bezeich net, die es mit der jeder anderen Großmacht aufneh men könne. Man hat aber keinen klaren Blick dafür, wie es nun eigentlich in dieser Armee aussieht, oder will diesen Blick nicht haben, denn dann kommen aller dings andere und sehr ernste Dinge auf's Tapet, die dem französischen Chauvinismus wenig entsprechen. Thiers, welcher die Franzosen gründlich kannte, wollte 1872 ein weniger zahlreiches Heer, jedoch mit längerer Dienstzeit. Der öffentlichen Meinung^ war aber in zwischen der Glaube beigebracht, daß" die Franzosen 1870/71 nur wegen ihrer numerisch schwächeren Zahl unterlegen seien. Deshalb ist die neue französische Wehrordnung auf ungewöhnlich große Massen mit nothwendig kurzer Dienstzeit eingerichtet. Ein Theil der Wehrfähigen wird sogar nur 6 Monate lang ein geübt und dann der Landivehr eingereiht. Das fran zösische Heer hat hiernach eine tiefgehende innere Um wandlung .erfahren. Aus einem Berufsheer ist ein Bolksheer geworden, aber es ist noch weit entfernt, in Fleisch und Blut, in die Anschauungen und Ge wohnheiten des Volkes übergegangen zu sein. Und des Centrums tadelt, so folgt doch daraus mit Noth wendigkeit, daß der hochw. Herr in diesem hochwichti gen Punkte einen von dem des Centrum's abweichenden Standpunkt einnimmt. Darüber aber dürfte und darf nirgends Unklarheit herrschen, weil nur dadurch allein der Gefahr einer Spaltung der Gesammtpartei vorgebeugt werden kann." Rußland's Throncandidat für Bulgarien — nach Beseitigung der jetzigen Regierung — ist, wie bekannt, Fürst Nikolaus von Mingrelien. In der vorigen Woche war aus russischen Quellen behauptet worden, die europäischen Großmächte seien mit dieser Candidatur einverstanden; wie jetzt zuverlässig verlautet, ist das nicht der Fall. Es find im Gegentheil ernste Zweifel darüber entstanden, ob Nikolaus wirklich Fürst, im Sinne des Berliner Vertrages, der ja für die Fürsten wahl maßgebend, zu betrachten ist. Man sagt, Fürst Nikolaus sei nur russischer Unterthan, mit dem Für stentitel, aber kein wirklicher Fürst nach europäischen Begriffen. Hinzukommt die tiefe Verschuldung des Fürsten, dem es absolut unmöglich ist, den bulgarischen Thron zu besteigen, wenn ihm der Czar nicht das nöthige Geld vorschießt. Er würde also ein unbedingt gefügiges Werkzeug in russischen Händen sein. Des halb mißfällt seine Candidatur, und es heißt, die Be mühungen gehen darauf hinaus, Rußland zu bewegen, eiue Neuwahl des Prinzen Waldemar von Dänemark durch die gegenwärtige oder eine andere bulgarische Nationalversammlung anzuerkennen. Jedenfalls wird aber noch viel Wasser ins Meer lausen, bis eine volle Verständigung erzielt worden ist. Die Berliner Socialdemokraten lehnen sich gegen die socialdemokratische Reichstagsfraction auf, gegen die sie eine geharnischte Erklärung erlassen, worin es heißt: „Die Verlegenheitssituation, die durch Erlaß des Socialistengesetzes geschaffen worden ist, muß end lich beseitigt, die Parteileitung darf nicht mehr aus schließlich durch die Fraction resp. den Fractionsvor- stand gehandhabt werden. Das bisherige Verhältniß hat mannigfache Uebelstände, die dem demokratischen Charakter der socialdemokratischen Partei nicht ent sprechen, mit sich gebracht. In welcher Weise eine Aenderung zu treffen ist, darüber kann der nächste Congreß berathen. Die Berliner Parteigenossen können nicht unterlassen, der Fraction ihre energische Mißbil ligung darüber auszusprechen, daß sie die Einberufung eines Congresses in diesem Jahre versäumt hat. Ein Congreß war nothwendig, um die Frage zu erörtern, wie weit die parlamentarische Action der socialdemo kratischen Fraction im Reichstage zu gehen hätte. So erscheint den Berliner Genossen die Betheiligung der socialdemokratischen Reichstagsabgeordneten an den Commissionen, mit alleiniger Ausnahme der Wahlprü fungscommission, sehr überflüssig und nur geeignet, den Glauben wachzurufen, als meine die socialdemokratische Partei durch Verhandlungen und Compromisse mit den herrschenden Klaffen die Sache der proletarischen Revolution zu fördern. Die Beauftragten. Es fragt sich nur, wie zahlreich die Auftraggeber sind? Aus Lissabon wird gemeldet, daß die Unterhandlun gen zwischen Deutschland und Portugal über die Fest setzung der Grenzen in Südafrika dem Abschlusse nahe sind. Deutschland soll sich sehr entgegenkommend gezeigt haben. Wie es heißt, sind Verhandlungen zwischen Holland und dem Norddeutschen Lloyd über die Wahl Vlis- sin gen's als Anlegehafen der deutschen Postdampfer an Stelle Antwerpen's im Gange. tiefer eingewurzelt, als sonstwo. Der Besitzlose gönnt dem Besitzenden seinen Reichthum schon eher, wenn er selbst Vortheil davon hat. Die wohlhabenden Klassen sind ihrerseits durch uralte Gewohnheit dem Kriegs dienste so sehr entfremdet, stehen ihm so widerwillig entgegen, daß es noch lange dauern wird, bis eine Aussöhnung erfolgt. Das Volk aber wird dann erst die ihm entzogenen Vortheile der Stellvertretung ver gessen, wenn die jetzige Günstlmgswirthschaft gründlich beseitigt sein wird; dazu ist aber wenig Aussicht. Aus allen diesen Gründen werden die inneren Zu stände des französischen Heeres nicht besser, der Man gel an Korpsgeist immer größer. Es ist z. B. ge radezu haarsträubend, wie die in den ersten Dienstjahren Befindlichen von den Leuten der älteren Jahrgänge behandelt oder vielmehr mißhandelt werden. An den Tisch darf sich der „Junge" nicht setzen; stellt er ein mal aus Versehen seine Schüssel dorthin, so fliegt sie sofort auf den Boden, wo er sich dann seine Mahlzeit auflesen mag. Selbst die Officiere vermögen wenig gegen die „Alten", müssen vielmehr oft ein Auge zu drücken, wenn dieselben sich „krank" melden, um nicht ausmarschiren zu müssen. Die Disziplin hat bedenk liche Lücken, deren Umfang sich erst im Kriege fest stellen lassen wird. Es fehlt dem neuen französischen Heer an dem nothwendigen festen Gefüge, an dem inneren Zusammenhalt, dem einmüthigen Bewußtsein, daran ändern alle großen Reden, die in Paris gehal ten werden, nichts. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Der Kaiser erledigte im Laufe des Dienstages die vorliegenden Regierungs-Angelegenheiten, doch fanden besonders bemerkenswerthe Vorträge und Audienzen nicht statt. Der nicht günstigen Witterung wegen wurde keine Spazierfahrt unternommen. Fürst Bismarck hatte während seiner Anwesen heit in Berlin eine längere Unterredung mit dem ita lienischen Botschafter. Die „Köln. Ztg." betont, es sei das ein Zeichen, daß sich die Beziehungen zwischen beiden Ländern außerordentlich freundlich gestaltet hätten. Während der Anwesenheit des Reichskanzlers in Berlin soll die Thronrede für den Reichstag fest gestellt sein. Steuervorlagen dürften nicht darin er wähnt werden. Der Berliner Polizei ist es am Sonnabend Abend gelungen, etwa.8000 Exemplare eines socialdemo kratischen Flugblattes mit der Ueberschrift: „Ar beiter, Bürger!" und dem Schluß: „Hoch die inter nationale, revolutionäre Socialdemokratie!" abzufangen und mit Beschlag zu belegen. Die Angriffe gegen den Bischof Or. Kopp von Fulda dauern, trotz der Erklärung desselben, in der Centrumspresse ^fort. So schreibt die „Niederrh. Volksztg.": „Wir haben wiederholt dafür eine Bestä tigung erhalten, daß der Herr Bischof von Fulda auf verschiedenen Stationen seiner Firmungsreisen ganz rückhaltslos Urtheile über die Thätigkeit des Centrums, insbesondere seines Führers, gefällt hat, welche als bedenklich gelten müssen. Diese Thatsache steht fest und sie ist öffentlich. Der hochw. Herr Bischof hat un zweifelhaft das Recht, über die Thätigkeit des Centrums zu urtheilen, wie es ihm gut scheint; das Recht der katholischen Presse aber ist es auch, ja ihre Pflicht, das von dem hochw. Herrn Bischof gefällte Urtheil öffentlich zur Sprache zu bringen. Wenn aber der Herr Bischof von Fulda die kirchenpolitische Thätigkeit es dürfte noch einige Jahrzehnte dauern, ehe dies der Fall sein wird. Darin liegt die Schwäche der derzeitigen Kriegsmacht Frankreichs; die Reservisten und Landwehrmänner, welche im Kriegsfall bis zu drei Viertel das Heer bilden werden, sind noch weniger kriegslustig, als 1870. Nur bei der Vertheidigung des eigenen Bodens dürften sie sich etwas besser be währen. Thatsache ist, daß seit Durchführung der all gemeinen Wehrpflicht in Frankreich der militärische Geist nicht zugenommen hat. Der beste Beweis dafür besteht darin, daß es fast keine alten Unterofsiciere, ge schweige denn alte Soldaten giebt. Trotzdem bedeu tende Vortheile geboten iverden, ist die Lust zum Wei terdienen sehr gering. Die Einjährig-Freiwilligen tragen zu dieser Unlust bei. Diese Muttersöhnchen müssen in der Kaserne wohnen, verstehen aber, sich auch dort für Geld güt lich zu thun, was natürlich den Neid und die Scheel sucht der Anderen erregt. Da sie nicht daran denken, ihre höhere Bildung durch Erlangung des Officierpa- zu bethätigen, M sieht der gewöhnliche Soldat en nur Leute, die durch ihr Geld ein Vorrecht